Von Denis Horman
Unter großer Geheimhaltung wird seit Mai 1995 das MAI, das Multilaterale Abkommen über Investitionen, verhandelt. Am Verhandlungstisch sitzen die Mitgliedsstaaten der OECD, also VertreterInnen der 29 reichsten Länder der Welt.
ParlamentarierInnen und erst recht die Bevölkerung der betroffenen Länder werden über diese Verhandlungen im Ungewissen gehalten, während der praktisch geheimgehaltene Text kurz vor der Verabschiedung steht.
Jack Lang, der Präsident der Kommission für Außenbeziehungen der Nationalversammlung, konstatierte im Dezember letzten Jahres: "Wir wissen nicht, wer hier was in wessen Namen verhandelt." In den USA legten die VerhandlungsführerInnen größten Wert auf Geheimhaltung; schließlich aber gelang es einem Bündnis von Bürgergruppen doch, ein Exemplar in die Hände zu bekommen.
Anfang Dezember 1997 nahm das Observatoire de la Mondialisation [etwa: Institut für die Beobachtung der Globalisierung] ein von der Nationalversammlung initiiertes Kolloquium zum Anlaß, einen Warnruf abzusetzen. Und in Belgien sandte ein breites Bündnis von NGOs und Gewerkschaftsorganisationen einen Brief an den Premierminister und das Parlament, in dem sie verlangten, keine Entscheidung über das MAI ohne vorherige Debatte zu treffen, und die belgische Regierung aufforderten, das MAI in seiner momentanen Form nicht zu unterzeichnen.
Das Recht ... des Investors |
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Weil Investoren mehr sind als einfache BürgerInnen, verleiht
das MAI ihnen außerordentliche Rechte. Zum Beispiel das
Recht, eine Klage anzustrengen gegen einen Unterzeichnerstaat, und
diesen damit vor ein nationales Gericht oder ein verwaltendes
Schiedsgericht zu zerren (V-D-2.). Diesem Procedere darf sich ein
Unterzeichnerstaat nicht entziehen. Zudem kann er ggf. mehrmals
wegen desselben Verstoßes beklagt werden, wenn er dieser
Möglichkeit nicht im voraus vertraglich ausschließt (V-
D-3).
Die Anwendungsmöglichkeiten dieses Rechts sind beinahe unbegrenzt: es bezieht sich auf jedweden "Streitfall um Investitionen", der "eine Verpflichtung betrifft, die ein Investor im Bezug auf eine bestimmte Investition eingegangen ist (...)" (V-D-1.a.) |
Das MAI räumt den transnationalen Konzernen (TNK) unumstößlich sehr weitreichende Rechte ein. Es schneidert ihnen geradezu einen Maßanzug nationaler Souveränitätsrechte auf den Leib. Es befreit private Investitionen -- und 70% davon werden von den TNK kontrolliert -- von allen Hindernissen, Bedingungen oder sozialen Verpflichtungen, die ihnen staatlicherseits auferlegt werden könnten.
Es vervollständigt die Vereinbarungen der Welthandelsorganisation WTO und begünstigt ein Handeln, das in keiner Weise mehr reglementiert ist. Es stellt einen erneuten Angriff auf die Souveränität der Staaten dar. Es ist ein vorzügliches Werkzeug, um Arbeitsbedingungen, Sozial- und Umweltstandards nach unten zu drücken.
"Wir schreiben die Verfassung der vereinigten Weltwirtschaft", unterstreicht der Generaldirektor der WTO, Renato Ruggiero. Das MAI ist das neue Manifest des weltweiten Kapitalismus.
Das Sekretariat der WTO hat einen ständigen Beobachter in der Verhandlungsgruppe der OECD. Wenn das MAI wie geplant umgesetzt wird, wird es allen Mitgliedsstaaten der WTO zum Beitritt freistehen. Durch das MAI wird weiteren Rückschritten für die Bevölkerungen Vorschub geleistet, hier und besonders in den als Entwicklungsländer bezeichneten Ländern.
Clinton wurde eines Tages im Flugzeug interviewt. Er las gerade das Buch "Global dreams" von John Cavanna. Gefragt, was er davon halte, antwortete er: "Exzellent, fantastisch, ich stimme dieser Analyse zu: es sind die transnationalen Konzerne, die die Welt führen." -- "Und was wollen sie dagegen tun?" -- "Ich kann nichts machen, ich bin nur der Präsident."
Am 3. Februar 1996 erklärte der Präsident der Deutschen Bundesbank, Tietmeyer, auf dem "Weltwirtschaftsforum" in Davos vor 2000 SpitzenvertreterInnen aus Wirtschaft, Politik und Forschung: "Sie, die politischen Führungskräfte, müssen wissen, daß sie zukünftig von den Finanzmärkten kontrolliert werden." Von den versammelten MinisterInnen widersprach niemand.
Als Ende 1994 die GATT-Verträge und die Verfassung der WTO von den Beitrittsstaaten ratifiziert wurden, gab es darüber kaum parlamentarische Debatten und nur wenige Kommentare in den Medien. Und doch ging es um nichts geringeres als die Verzichtserklärung der nationalen Gesetzgebungen, sich in Belange des Handels einzumischen.
Die WTO schickt sich seither an, die Regeln der Konkurrenz zu kontrollieren, den Zugang zu den öffentlichen Märkten zu erzwingen und Investitionsgesetze durchzusetzen. Und das zum alleinigen Nutzen der transnationalen Konzerne. Die Regeln der Konkurrenz zeigen bereits Wirkung in dieser Richtung. Das zu erreichende Ziel wird nicht aus den Augen verloren: Es geht um die Zerlegung der Staatsmonopole, sofern sie überhaupt noch existieren. Ein Beispiel dafür ist der Telekommunikationssektor, dessen Liberalisierung im Rahmen der WTO im Februar 1997 beschlossen wurde. Sind die staatlichen Monopole erst zerschlagen, dann können die TNK die Welt unter sich aufteilen.
MAI, Arbeitskodex und Umweltgesetze ... |
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"Eine große Zahl von Delegationen ist der Ansicht,
daß jede Bezugnahme auf die Umwelt in der Präambel sich
auf einen Paragraphen beschränken und so kurz wie möglich
sein sollte. Dieselbe Position bezieht eine große Zahl der
Delegationen auch hinsichtlich des Themas Arbeit."
"Drei Delegationen sprechen sich weiter gegen jede Bezugnahme auf Umwelt oder Arbeit in der Präambel aus." (Aus: notes de l'AMI [Anmerkungen zum MAI], S. 8 und 9) |
Mit dem MAI stehen wir nun an der Schwelle einer noch gefährlicheren Epoche: "Unter dem absoluten Primat des internationalen Handels können die Länder bald nichts mehr kontrollieren oder schützen: weder die Landwirtschaft, noch die natürlichen Ressourcen, das Bildungssystem, das Gesundheitswesen, die Medikamente oder die biologische Vielfalt. Zum alleinigen Nutzen der transnationalen Industrie- und Finanzkonzerne schickt sich die WTO an, den Bürgern und Staaten auch noch die minimalsten Souveränitätsrechte zu entziehen."[1]
Von diesen 200 Konzernen haben 190 ihren Sitz auf der nördlichen Halbkugel innerhalb der Grenzen der OECD. Die zehn größten unter diesen wiederum streichen jährlich genauso viele Profite ein wie die restlichen 190.
Die TNK kontrollieren mehr als 70% der Investitionen und des Welthandels.
Wenn das MAI von der OECD verabschiedet wird, so geht sie damit keinerlei Gefahr ein: 477 der 500 größten TNK sind in Ländern der OECD verwurzelt; knapp 80% aller Auslandsdirektinvestitionen (ADI) werden in OECD-Ländern getätigt. Kaum 12 Länder der Dritten Welt -- aus Südostasien und Lateinamerika -- teilen sich den Rest. Hinter den USA liegt China auf Platz zwei der ADI-Empfänger.
Das MAI schreibt die völlige Freiheit der TNK fest: die Freiheit, wann und wo immer zu investieren oder Niederlassungen zu eröffnen; zu produzieren, was sie wollen; zu kaufen und zu verkaufen, wo sie wollen; die Profite zu repatriieren, wie sie wollen; schließlich auch die größtmögliche Freiheit von Auflagen oder Bestimmungen, die die Rechte der Arbeitenden regeln.
Diese vom MAI angestrebten Rahmenbedingungen zielen vor allem auf eines ab: Privatinvestitionen von allen Beschränkungen oder Sozialstandards -- von welcher gesellschaftlichen Institution auch immer auferlegt -- zu befreien.
Zu diesem Zweck sind im MAI unter anderem folgende Rechte von TNK festgehalten:
Tatsächlich verbietet das MAI jede bevorzugte Behandlung: Regierungen dürfen ausländische und inländische Investoren nicht unterschiedlich behandeln. Sogar Programme der EU, die der Unterstützung strukturschwacher Regionen dienen -- etwa der Strukturhilfefonds --, könnten unter Beschuß durch das MAI geraten.
Ausländische Investoren können für sich dieselben steuerlichen Bedingungen und Finanzhilfen beanspruchen, wie sie für in Schwierigkeiten geratene nationale Unternehmen gelten. Wird das Abkommen unterzeichnet, so stehen die kleinen und mittleren Unternehmen den Giganten ihres Sektors gegenüber, ganz egal ob es sich um Zulieferbetriebe, audiovisuelle Produkte, das Hotel- und Gaststättengewerbe oder das Baugewerbe handelt.
Keine kulturellen oder künstlerischen Ausnahmen! Durch das MAI werden KünstlerInnen zu InvestorInnen umdefiniert, ihre Rechte oder Werke als Investitionen angesehen.
Für die Landumverteilungsprogramme in der Dritten Welt bestehen dieselben Gefahren! In Mexiko wird das MAI bereits voll angewandt. Um zur NAFTA (Abkommen über freien Handel zwischen den USA, Kanada und Mexiko) zugelassen zu werden, mußte Mexiko alle Abschnitte aus seiner Verfassung streichen, die sich auf eine Agrarreform bezogen. Das alles zu dem Zweck, daß US- amerikanische oder kanadische Investoren den Boden erwerben können, der ursprünglich MexikanerInnen vorbehalten bleiben sollte. Die Bilanz der ersten vier Jahre, während derer das Abkommen galt, ist katastrophal: eine massive Zerstörung des Kleinbauerntums, während transnationale Konzerne des Agrobusiness' ihre Hand auf riesige Ländereien gelegt haben.
Wenn ein Land inländische Unternehmen eines bestimmten Wirtschaftssektors subventioniert, damit diese weiterexistieren können, so ist es gezwungen, dieselben Privilegien auch ausländischen Konzernen zukommen zu lassen. Keine speziellen Subventionen mehr für lokale Unternehmen!
Im Namen einer Meistbegünstigungsklausel (die es schon im Regelwerk der WTO gibt) wird den Ländern die Gleichbehandlung aller ausländischen Investoren auferlegt. Das MAI verbietet den Staaten jede Benachteiligung ausländischer Investoren aufgrund der Regierungspolitik der Herkunftsländer, z.B. wegen Verletzung der Menschenrechte, des Arbeitsrechte oder anderer Kriterien.
Aber was wird unter diesen Bedingungen aus dem Helms-Burton-Gesetz? Dieses amerikanische Gesetz sieht Boykottmaßnahmen der USA gegen Unternehmen vor, die in Kuba investiert haben. Sollte das MAI unterzeichnet werden, könnte dieses Gesetz den USA Schwierigkeiten bereiten. Streng logisch gesehen müßte dieses Gesetz hinfällig sein, denn das MAI verbietet eine solche Diskriminierung von Unternehmen. Bleibt nur die Möglichkeit, die Bedrohung der "nationalen Sicherheit", die einzig zulässige Ausnahme von der Nichtdiskriminierungsregel, ins Feld zu führen.
Das MAI verbietet nicht nur die Enteignung von Investitionen ohne angemessene Entschädigung, es reichen sogar "Einbußen von Profitmöglichkeiten aus Investitionen" hin, "um dem Investor Anspruch auf Entschädigung zu geben."
Darüber hinaus werden die Regierungen verpflichtet, ausländische Investitionen gegen jede Art von Störung oder Unruhe zu schützen: Protestbewegungen, soziale Unruhen, Streik, Boykott, ganz zu schweigen von Aufständen ... sonst sind sie verpflichtet, für die den TNK entgangenen Profite geradezustehen. (Dennoch wird im Entwurf präzisiert, daß ausländische Investoren nicht schlechter behandelt werden dürfen als die lokalen Investoren oder der Staat selbst, wenn er als Investor auftritt.)
Im Gegensatz zu den durch die WTO in Kraft gesetzten Bestimmungen kann ein Investor, der sich benachteiligt fühlt, ad hoc ein Verfahren einleiten, um Entschädigung für die ihm entgangenen Gewinnmöglichkeiten oder die Abschaffung der ihn betreffenden nationalen Gesetze zu fordern. Mit anderen Worten: ein transnationaler Konzern muß nicht mehr über den Umweg "seiner" Regierung gehen, um seine Interessen durchzusetzen. Er kann -- dank einer Vielzahl von Schiedsgerichten -- seinen Interessen nun unmittelbar Geltung verschaffen.
Die Bestimmungen über Enteignung und Entschädigung versetzen die TNK in die Lage, fast jede Regierungsmaßnahme als potentielle Bedrohung der Profitmöglichkeiten anzugreifen: Steuerauflagen zum Schutz der Umwelt, Arbeitsgesetze, Bestimmungen zum KonsumentInnenschutz. Die Regierungen werden durch das MAI bestärkt, soziale und gewerkschaftliche Rechte einzuschränken.
Das MAI befürchtet soziale Unruhen |
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Weil die nationalen Gesetzgebungen sich natürlich auch
ändern können, baut das MAI vor, um investiertes Kapital
zu schützen (IV-2.1.): "Ein Vertragspartner darf
Investitionen in seinem Staatsgebiet durch einen Investor eines
anderen Vertragspartners nicht direkt oder indirekt enteignen oder
nationalisieren oder jegliche andere Maßnahme mit
entsprechenden Auswirkungen ergreifen außer:
Und um keine Unklarheiten aufkommen zu lassen, hält das MAI auch gleich fest, daß darüber "eine judikative Behörde oder eine andere kompetente und unabhängige Behörde des letzteren Vertragspartners" (IV-2.6.) entscheide. Und weil die VerfasserInnen des MAI befürchten, daß die Dauerhaftigkeit und Legitimität des Privateigentums vielleicht doch einmal in Frage gestellt werden könnte, sehen sie vor, daß "ein Investor (...) der in Verbindung mit seinen Investitionen (...) Verluste erlitten hat, die auf (...) Revolution, Aufstand, bürgerliche Unruhen oder jeden anderen ähnlichen Vorfall (...) zurückzuführen sind, (...) vom letzteren Vertragspartner in Bezug auf Wiederherstellung, Unantastbarkeit, Entschädigung nicht weniger günstiger behandelt werden (darf) als die eigenen Investoren oder Investoren jedes anderen dritten Staates, je nachdem welches günstiger für den Investor ist." (IV-3.1.) Abschließend sei noch festgehalten, daß die Ausnahmen, die in Artikel VI festgehalten sind (vor allem die "wesentlichen Sicherheitsinteressen" oder der Kriegsfall) Artikel IV (über Enteignung und Entschädigung) nicht berühren. Die Übersetzung der Zitate aus dem MAI haben wir aus dem Reader der PDS zum Thema entnommen. Diese sehr gute Zusammenstellung ist zu bestellen bei: MdB-Büro Winfried Wolf, Bundeshaus, 53113 Bonn. |
Es wird deutlich, daß ein solcher Mechanismus jedes Handeln einer Regierung zum Schutz der Umwelt, der natürlichen Ressourcen, der Arbeitsbedingungen, jede öffentliche Investition zum Nutzen kollektiver Interessen lähmen muß. Um zu verhindern, daß Regierungen Einfluß nehmen auf die Entscheidungen der großen transnationalen Gesellschaften, sieht das MAI einen ganz und gar willkürlichen Mechanismus zur Schlichtung von Konflikten vor. Einmal haben TNK das Recht, Regierungen oder örtliche Behörden vor ein internationales Gericht zu zerren, wenn sie die Beschlüsse des Abkommens nicht respektieren. Staaten, die nicht spuren, drohen Handelssanktionen. Auf der anderen Seite besitzen Kommunen oder BürgerInnen nicht die geringste Handhabe, um sich gegen Schädigungen durch Konzerne zu verteidigen. Das MAI erlegt dem Investor keine Verpflichtungen auf, und gegen eine Verpflichtung, die es nicht gibt, kann man auch nicht verstoßen.
Das MAI -- geheimverhandelt von VertreterInnen der reichsten Staaten -- hat die Hauptfunktion, Privatpersonen neue Rechte auf Profitmacherei zuzuschustern. Gleichzeitig werden staatliche Souveränitätsrechte eingeschränkt, und das nicht nur zum Nutzen transnationaler Konzerne, sondern aller transnational agierender Privatunternehmen.
Ganz und gar neu ist auch die Klausel, daß ein Staat, der dem MAI beigetreten ist, für mindestens 20 Jahre gebunden bleibt. Genauer: Erst fünf Jahre nach dem Beitritt darf ein Staat seinen Austritt erklären; die Mitgliedschaft läuft von diesem Zeitpunkt an noch weitere 15 Jahre.
Zuerst soll das MAI von den reichsten der OECD-Staaten unterzeichnet werden. Danach soll es dann auch anderen Ländern zur Unterzeichnung "vorgelegt werden" -- selbstverständlich zu einem Zeitpunkt, wo alle Entscheidungen getroffen und Änderungen am Vertragswerk nicht mehr möglich sind.
Der Beitritt bedeutet folgendes: jede Maßnahme zur "Liberalisierung von Investitionen", die von irgendeinem Land zu irgendeinem Zeitpunkt akzeptiert wird, wird für dieses Land verbindlich. Demokratische Entscheidungen eines Landes, die soziale Sicherung auszubauen oder dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit einen höheren Stellenwert beizumessen, können, unter Berufung auf das MAI, angegriffen werden, weil das Abkommen verbietet, hinter einmal akzeptierte Liberalisierungsmaßnahmen zurückzufallen.
Die 2000 SpitzenvertreterInnen aus Politik und Wirtschaft, die sich alljährlich in Davos, dem Mekka des Hyperliberalismus, treffen, wiederholen immer wieder denselben Refrain: die Inflation müsse bekämpft, die Haushaltsdefizite müßten reduziert, die Flexibilität der Arbeit verstärkt, der Wohlfahrtsstaat abgebaut, der freie Austausch stimuliert werden.
Aber auch GewerkschaftsvertreterInnen waren in Davos, die etwas Wasser in den Wein des neoliberalen Credos gossen. John Sweeney, der Chef der amerikanischen AFL-CIO, nahm auch in diesem Jahr kein Blatt vor den Mund: "Japan befindet sich in der Rezession, Asien in der Krise, in Rußland blüht ein primitiver und mafiöser Kapitalismus, Europa stagniert, Afrika befindet sich jenseits von Gut und Böse, Lateinamerika geht den Bach runter. In Asien rettet der IWF die Spekulanten, indem er dort der Bevölkerung eine Austeritätspolitik aufzwingt. Die Hilfsmittel, die er empfiehlt, verschlimmern die Übel noch, die er zu bekämpfen vorgibt. Jedes vierte Kind wächst in einer armen Familie auf, jede/r fünfte Arbeiter/in besitzt keine Krankenversicherung. Eine Handvoll hat sich die Früchte des Wachstums unter den Nagel gerissen. Die Ungleichheit hat einen so hohen Grad erreicht, daß die New Yorker Banken, die in der Region investieren, ihre Führungskräfte angewiesen haben, über den Anstieg ihrer Vergütungen zu schweigen."
Eine klare Sprache, sicher, aber Worte allein genügen nicht. Die FührerInnen der nationalen und internationalen Gewerkschaften sollten eigentlich an der Spitze einer Mobilisierung gegen das MAI stehen, um dieser neoliberalen Offensive etwas entgegenzusetzen und Perspektiven zu eröffnen für Veränderungen. Aber das tun sie nicht.
Doch es gibt Grund zu hoffen. In den USA, in Frankreich, Belgien, und anderen Ländern schließen sich soziale und gewerkschaftliche Bewegungen und politische Gruppen zusammen, um eine Front der Ablehnung zu schaffen, um ihre eigenen Forderungen zu formulieren, um Druck auszuüben auf die politischen und wirtschaftlichen EntscheidungsträgerInnen.
Aufklärung über die Gefahren, die durch das MAI drohen, und Forderungen nach Transparenz und einer demokratischen Debatte sind erste Schritte. Es müssen noch viele weitere folgen.
Der Autor ist Journalist und Autor von Une clause sociale pour l'emploi et les droits fondamentaux? [Eine Sozialklausel für Beschäftigung und Grundrechte?], hrsg. Von Luc Pire, CETIM, Brüssel 1996.
Dieser Artikel erscheint in Inprekorr Nr. 320.