Militarismus, Krieg und Krise am Beispiel der USA. Die neue Agenda des Imperiums

Die USA haben den Krieg gegen den Irak nur vordergründig schon gewonnen. Sie wollen in diesem Land ein US-amerikanisches Protektorat errichten. In diesem Zusammenhang hat die Administration Bush ein Dokument mit dem Titel "Die Strategie der nationalen Sicherheit der USA" veröffentlicht. Es folgt auf den Bericht, den der Kongress-Ausschuss über die nationalen Interessen Amerikas im Juni 2000 veröffentlichte. Condoleezza Rice, die nationale Sicherheitsberaterin in der Regierung Bush und wichtigste Autorin des neuen Dokuments, gehörte auch schon dem Kongress-Ausschuss an. Claude Serfati analysiert das neue Dokument und ordnet es in den Zusammenhang der kapitalistischen Krise ein.

Claude Serfati

Die aktuelle Lage der US-amerikanischen Wirtschaft muss vor dem Hintergrund ihrer jüngeren Entwicklung betrachtet werden. In den 80er Jahren hat sich -- in Folge der Wirtschaftskrise von 1973 -- das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit radikal verändert. Mit dem Instrument der neoliberalen Politik hat das Kapital eine starke Steigerung der Ausbeutung der Arbeitskraft durchgesetzt -- vor allem gestützt auf hohe Arbeitslosigkeit und verstärkte Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse (insbesondere bei jungen Lohnabhängigen). In den Ländern der Europäischen Union (keineswegs nur in Großbritannien) sind -- gleich ob "Rechte" oder "Linke" regiert haben -- soziale Plagen wieder aufgetreten, die an die 30er Jahre erinnern: Obdachlosigkeit, Krankheiten, die auf ungenügende Ernährung und Armut zurückzuführen sind, usw.

Der Zusammenbruch der bürokratischen Regime in der Sowjetunion und in Ost- und Mitteleuropa fiel Anfang der 90er Jahre mit einer scharfen wirtschaftlichen Rezession in den USA und in der Europäischen Union zusammen. In den USA wurde diese Rezession durch den Börsenkrach vom Oktober 1987 eingeleitet, in dessen Verlauf die Aktienwerte an der Wall Street stärker einbrachen als am "Schwarzen Donnerstag" von 1929, und durch den Konkurs der Sparkassen (Savings & Loans), zu deren Rettung 150 Milliarden Dollar aus Steuergeldern aufgewendet wurden.

Zum damaligen Zeitpunkt sprachen Fakten (Handelsdefizit, Außenverschuldung) und Analysen eine eindeutige Sprache: Am Ausgang der 80er Jahren befanden sich die USA in einer deutlich schlechteren wirtschaftlichen Position als ihre schärfsten Rivalen Deutschland und Japan. Die Rezession setzte 1989 ein; sie war noch nicht zu Ende, als G. Bush sen. entschied, Krieg gegen den Irak zu führen. Damit wollte er allen, auch den europäischen Verbündeten, demonstrieren, dass die Zeit der Aufteilung der Welt zwischen West und Ost zu Ende war und die Spielregeln sich von nun an ändern würden -- zum Beispiel in Bezug auf die UNO. Der Golfkrieg wurde durch eine Reihe früherer Militärinterventionen vorbereitet, die darauf abzielten, das "Vietnamsyndrom" zu überwinden. Im Verlauf der 80er Jahre nahmen sie immer größere Ausmaße an: Grenada 1983; Libyen 1986; Golfkrieg I gegen den Iran mit Unterstützung Saddams Husseins 1986-1987; Panama 1989-1990. Der Golfkrieg II gegen den Irak 1990-1991 stellte eine wichtige Etappe in der Stärkung der imperialistischen Position der USA dar. Seine Botschaft war unmissverständlich: Die US-amerikanischen Herrscher greifen auf Waffengewalt zurück, um die Vorherrschaft des amerikanischen Kapitals durchzusetzen und auszuweiten.

Einige Monate nach dem Ende des Golfkriegs II begann in den USA ein kräftiger Wirtschaftsboom. In seiner Folge erlagen nicht nur die Finanzmärkte dem "irrationalen Überschwang", den der Präsident der US-amerikanischen Zentralbank, Alan Greenspan, kritisierte, sondern auch die vorherrschende Wirtschaftslehre. Sie begann von einer "New Economy" zu sprechen, welche frei von allen Übeln sei, die der Kapitalismus normalerweise hervorbringt: Arbeitslosigkeit, Inflation, Krisen und vieles mehr. Ohne Zweifel gibt es auch interne Gründe für diesen Wirtschaftsaufschwung, doch das starke Wachstum der 90er Jahre erklärt sich in erster Linie mit der absolut vorherrschenden Stellung der USA auf internationaler Ebene und mit der Art und Weise, wie sie diese wirtschaftlich und militärisch genutzt hat.

Ein schuldenfinanzierter Boom

Die Außenverschuldung der USA stieg zwischen 1990 und 1999 von 200 auf 2700 Milliarden Dollars. Die Schuldentitel des Staates haben den Boom der US-amerikanischen Finanzmärkte genährt; sie wurden zum Zentrum der Akkumulation eines hohe Rendite tragenden Kapitals, das hier Anlagemöglichkeiten fand, die weniger unsicher und riskant waren als auf jedem anderen Finanzplatz der Welt. Damit wurden in den 90er Jahren jedoch enorme und unüberschaubare Pyramiden von Krediten, Obligationen und Aktien aufgetürmt, welche die amerikanischen Finanzmärkte wiederum zu einem zerbrechlichen Gebilde gemacht haben.

Die Bush-Administration versucht nun, die Wirtschaft durch eine Erhöhung der Staatsausgaben anzukurbeln. Damit will sie der Rezession begegnen, welche die USA schon vor dem 11. September 2002 erfasst hat. Der Plan umfasste im Jahr 2002 51 Milliarden Dollar. Davon gingen 35 Milliarden Dollar als Steuersenkungen an die Unternehmen, wodurch ihre Investitionen gefördert werden sollen. Vorgesehen waren ebenfalls Steuererleichterungen für Haushalte, sie kamen im Wesentlichen den oberen Einkommensschichten zugute (Senkung der Steuersätze, Aufhebung der doppelten Besteuerung von Dividenden, usw.). Eine unlängst veröffentlichte Studie errechnete, dass die von der Bush-Regierung geplanten Steuersenkungen mehr als zur Hälfte 1% der reichsten Steuerzahler zugute komme, wohingegen 20% der ärmsten Steuerzahler nur von 1% aller Steuersenkungen profitieren würden. Das unmittelbare Ergebnis dieser Haushaltspolitik besteht jedenfalls darin, dass die Haushaltsüberschüsse, die in den letzten Jahren angehäuft werden konnten - weswegen manche schon etwas voreilig ein Verschwinden der Staatsschulden bis zum Jahr 2010 ankündigten - nun wieder einem Defizit von 160 Milliarden Dollar im Jahr 2002 und wahrscheinlich von 200 Milliarden im Jahr 2003 Platz machen. Die Staatsschuld steigt wieder exponentiell an und mit ihr steigen die Hoffnungen und Erwartungen des Rentier-Kapitals.

Die Strategie der nationalen Sicherheit

Am 17. September 2002 hat die Bush-Administration ein Dokument mit dem Titel "Die Strategie der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika" veröffentlicht. Es ist das Ergebnis einer Entwicklung, die seit dem Ende der 90er Jahre beobachtet werden kann. Doch seine Veröffentlichung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Krieg in Afghanistan, vor dem Hintergrund der Rezession und des Einbruchs der Börsenwerte, macht es zu einem Manifest für die politische Aktion in den kommenden Jahren. Bereits das Vorwort setzt den Maßstab für das Handeln: Es triumphiert der "amerikanische Internationalismus", seitdem die "militanten Weltbilder im Namen von Klasse, Nation und Rasse, welche die Utopie versprachen (sic !), aber nur Elend brachten, besiegt und diskreditiert sind." Kommentare zu dem Dokument hoben hervor, die USA würden sich damit das Recht zum Führen von Präventivkriegen erteilen, wann immer sie der Meinung sind, dass ihre Interessen bedroht seien. "Angriff ist die beste Verteidigung.""Die Vereinigten Staaten haben lange Zeit die Option vorbeugender Maßnahmen aufrecht erhalten... Um feindlichen Aktionen unserer Gegner zu begegnen oder solche zu verhindern, werden die USA präventiv handeln, sofern dies notwendig ist."

Weit weniger Aufmerksamkeit wurde der Frage geschenkt, wie die amerikanischen "Interessen" und die vorbeugenden Maßnahmen definiert werden. Präventivschläge gegen die Gefahren "des Terrorismus und des Chaos" zielen darauf ab, die "nicht verhandelbaren Werte der menschlichen Würde" durchzusetzen. Bei diesen Werten handelt es sich um "Frieden, Demokratie, Freiheit der Märkte, Freihandel". Der Freihandel stellt weit mehr dar als nur eine Option der Wirtschaftspolitik: "Er hat sich zum moralischen Grundsatz entwickelt, noch bevor er zu einer tragenden Säule der ökonomischen Wissenschaft wurde." Die nationale Sicherheit der USA kann nicht gewährleistet werden, wenn diese Grundsätze -- unter ihnen der Freihandel -- irgendwo auf der Welt in Frage gestellt werden.

Die Aufnahme wirtschaftlicher Ziele in die "Agenda" der nationalen Sicherheit stellt keine Neuheit dar. C. Rice, die nationale Sicherheitsberaterin von G.W. Bush und Hauptautorin des im September 2002 veröffentlichten Dokuments, hatte schon 1999 entscheidend zu einem Bericht beigetragen, der die zentrale Bedeutung der wirtschaftlichen Dimension hervorhob. Drei Jahre nach seiner Veröffentlichung zeigen die durch den Afghanistan-Krieg erreichte US-Präsenz im Kaukasus und die derzeitige Vorbereitung eines Kriegs gegen den Irak, dass der Krieg ein immer wichtigeres Mittel wird, um die Interessen des US-amerikanischen Kapitals zu verteidigen. Die "Strategie der nationalen Sicherheit" stellt diesen Ansatz nun systematisch dar. Ein ganzes Kapitel ist unter dem Titel "Eine neue Phase des Wirtschaftswachstums durch Markt und Freihandel eröffnen" wirtschaftlichen und finanziellen Fragen gewidmet; in anderen Teilen des Dokuments tauchen zahlreiche Verweise auf diese Fragestellung auf.

Eigentlich findet sich in dem Dokument über die "nationale Sicherheit" ein Wirtschaftsprogramm, das Wort für Wort dieselben Ausdrücke verwendet wie die internationalen Wirtschaftsinstitutionen. So spricht es von Regulierungspolitik im Dienste unternehmerischer Initiativen, von einer Politik der Steuersenkung, vom Triumph mächtiger Finanzmärkte, von der Schaffung der Panamerikanischen Freihandelszone (ALCA bzw. FTAA), von der Durchsetzung internationaler oder bilateraler Handelsabkommen, von Gesetzen zur Bekämpfung ungerechter Handelspraktiken. Es zeigt damit die gesamte strategische Tragweite der Erklärungen von G.W. Bush über den "endlosen Krieg" nach dem 11. September 2001.

Wirtschaftswachstum durch Krieg?

Die 90er Jahre waren von massiven Militäroperationen und Kriegen der USA geprägt. Der Krieg gegen den Irak 1991, die Interventionen der US-amerikanischen Streitkräfte in der ganzen Welt (unter der Clinton-Administration gab es davon mehr als zwischen 1945 und 1990) und der Krieg gegen Serbien zeigen, dass der Krieg zu einem Bestandteil des Funktionierens des US-amerikanischen Kapitalismus der 90er Jahre geworden ist. Hintergrund dieser Kriege ist die Unfähigkeit des Kapitalismus, ein Wachstum zu generieren, das wie in den Nachkriegsjahren eine Art "sozialen Kompromiss" ermöglichen würde.

Der Krieg 1999 gegen Serbien war Ausdruck eines Wendepunkts, dessen Zusammenhang mit den allgemeinen Reproduktionsbedingungen des Kapitals unterschätzt wird. Zu diesem Zeitpunkt waren die Auswirkungen der sog. "Asienkrise" von 1997 überall spürbar. Eine Minderheit von Kommentatoren, die von der "New Economy" weder geblendet waren, noch ihr schmeichelten, fasste damals ernsthaft die Gefahr einer Rezession in den USA ins Auge. Der Krieg gegen Serbien, die Aussicht auf neue Märkte im Osten und auf einen bedeutenden Vorstoß in Richtung Kaukasus und seine Erdölvorkommen flößten der Wall Street und dem Nasdaq jedoch neue Zuversicht ein. Die Finanzwelt verstand sehr wohl, dass die von Präsident Clinton angekündigte starke Erhöhung des Militärhaushalts (zusätzliche 110 Milliarden Dollars für die Jahre 1999-2003) einen dauerhaften Wachstumszyklus der Militärausgaben eröffnen würde. Damit wurden die großen Rüstungskonzerne zu attraktiven Börsenwerten. Im Gegenzug haben die Konzerne ihre Einflussmöglichkeiten auf Gesellschaft und Politik der Vereinigten Staaten konsolidiert.

Aber die Rüstungskonzerne waren keineswegs die einzigen Profiteure. Die Begeisterung an der Wall Street fand im Vorstoß nach Osten einen neue Quelle. Die Börsenkurse erreichten Höchstwerte, obschon sich die grundlegenden Daten -- insbesondere die Rentabilität des produktiv investierten Kapitals -- seit 1997 stetig verschlechtert haben. Die Rentabilität lag 2001 auf demselben Niveau wie 1984, als die amerikanische Wirtschaft am Ausgang aus einer tiefen Rezession stand. Der Überschwang an der Wall Street war allerdings keineswegs irrational: Der Umfang der ausbezahlten Dividenden stieg zwischen 1995 und 2001 von 4,5% auf 5,7% der Umsätze. In 2001 übertrafen die ausbezahlten Dividenden sogar die Gewinne nach Steuern! So ging 1999 die große Mehrheit der Analysten davon aus, die US-amerikanische Wirtschaft sei derart mächtig, dass sie "immun gegen Krisen" sei.

Inzwischen ist klar erkennbar, dass die USA selbst von jener Wirtschaftskrise befallen sind, welche seit 1997 alle Regionen des Planeten erfasst hat. Der Einbruch an den Börsen ist außer Kontrolle geraten. Und die Skandale über die Methoden der Verwaltung, Buchführung, Kontrolle und Finanzanalyse, die es der Finanzwelt im Zuge der Deregulierung erlaubt haben, ihre Macht durchzusetzen, zeigen, auf welch (be)trügerischem Boden die "New Economy" steht.

Anders gesagt: Die Widersprüche des Kapitalismus werden durch die Globalisierung nicht außer Kraft gesetzt, sondern vertieft. Sie entfalten ihre Wirkung letztlich auch in den USA, obwohl dieses Land auf Grund seiner vorherrschenden imperialistischen Stellung mehr als seine militärischen Verbündeten -- zugleich wirtschaftlichen Konkurrenten -- von der Globalisierung profitierte. So wie kein "Sozialismus in einem Land" je existierte, kann es auch keinen "Kapitalismus ohne Krisen" in einem Land geben.

Viele Wirtschaftsanalysten erwarteten und hofften im Frühling 2002, die Rezession der US-amerikanischen Wirtschaft werde sich dem Ende zuneigen. Alles weist darauf hin, dass solche Hoffnungen verfrüht sind. Statt dessen sieht es ganz danach aus, als seien kumulative Mechanismen am Werk, welche die Entstehung einer Krise größeren Ausmaßes beschleunigen könnten. Deren Dynamik wäre zweifellos darauf zurückzuführen, dass sich die Krise der Finanzmärkte und die Abkühlung grundlegender Faktoren der Produktion und des Konsums gegenseitig verstärken.

Ein neues Militär- und Sicherheitssystem

Sollte sich diese Prognose bestätigen, reifen die Bedingungen für einen Kampf bedeutenden Ausmaßes zwischen Kapital und Arbeit heran. Es ist allgemein bekannt, dass die Arbeitslosenrate stark ansteigen wird, wenn die Krise andauert. Die von G.W. Bush im Oktober 2002 gegen die Hafenarbeiter der Westküste ergriffenen Maßnahmen -- ihr Arbeitskampf wurde als "Bedrohung der nationalen Sicherheit" bezeichnet -- und der Einsatz von Kontrolltechniken, ergänzt durch die Androhung von Gefängnisstrafen, zur Überwachung ihres Arbeitsrhythmus deuten darauf hin, mit welcher Geisteshaltung die US-Regierung sich auf größere soziale Auseinandersetzungen vorbereitet. Erwähnt werden müssen auch die Auswirkungen der massiven Verluste der Pensionsfonds auf die Renten der Lohnabhängigen. Trost spenden zur Zeit allein noch die steigenden Immobilienpreise, welche die Börsenverluste zum Teil kompensieren. Die Frage, die sich nun alle stellen, lautet: Wann kommt die Immobilienkrise?

Die USA drohen zum Epizentrum einer weltweiten Krise zu werden. Vor diesem Hintergrund bereiten sie den Krieg gegen Saddam Hussein vor, bei dem es sich recht eigentlich um einen Krieg zur Aneignung von Erdölvorkommen handelt. Das gibt Vizepräsident Dick Cheney, selbst eine wichtige Figur im amerikanischen Filz von Erdöl und Politik, inzwischen offen zu. Der Krieg gegen den Irak stellt eine experimentelle Anwendung im großen Maßstab der neuen Doktrin der nationalen Sicherheit dar.

Der Krieg gegen den Irak ermöglicht der in den 90er Jahren entwickelten "Kriegswirtschaft" einen weiteren Schritt nach vorn. Sie kann sich auf ein stark gestiegenes Militärbudget sowie auf neue Ausgaben der Bundesstaaten, lokalen Behörden und Unternehmen für die innere Sicherheit (homeland security) stützen. Das Volumen dieser Ausgaben übertrifft das der militärische Ausrüstung (von dem sich die Rüstungskonzerne "ernähren"). Die Ziele der "inneren Sicherheit" sind untrennbar mit Maßnahmen verbunden, die darauf abzielen, jeglichen Widerstand der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu kriminalisieren.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht stellen die Militärhaushalte eine immense Abschöpfung von durch Arbeit produziertem Reichtum dar. Weniger denn je zuvor können sie dauerhaft Mechanismen wirtschaftlicher Expansion in Gang setzen, wie die Analysen von Keynesianern und gewisser Marxisten nach dem Zweiten Weltkrieg suggerierten. Natürlich werden öffentliche Aufträge (und Unternehmensausgaben) für Sicherheit und Verteidigung den Rüstungskonzernen zu neuem Aufschwung verhelfen -- zum Preis einer erheblichen Ausweitung der US-amerikanischen Staatsschuld. Sie können diese Konzerne und verwandte Industrien auf den US-Finanzmärkten wieder attraktiv machen und dadurch die Stimmung der Finanzmärkte aufheitern.

Außerdem sind die US-amerikanischen Rüstungskonzerne wegen der zentralen Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien für die militärische Vorherrschaft und bei den Sicherheits- und Kontrollsystemen drauf und dran, den zivilen Unternehmen, welche diesen Bereich in den 90er Jahren dominierten, den Rang abzulaufen. Der Einbruch der "New Economy" an den Börsen, gefolgt vom Untergang zahlreicher Unternehmen im Informations- und Kommunikationsbereich, sowie die Erweiterung der "Agenda der nationalen Sicherheit" begünstigen die Entstehung eines "militärischen und Sicherheitssystems", das in den kommenden Jahren weit mehr Gewicht erlangen kann als der "militärisch-industrielle Komplex" in den Jahrzehnten des Kalten Krieges.

Es ist jedoch vollkommen illusorisch zu glauben, der Krieg gegen den Irak könne eine Ära der Stabilität eröffnen und den Unternehmen das für Investitionen notwendige "Vertrauen" zurückgeben. Geschichte wiederholt sich niemals auf dieselbe Art und Weise. Ein neuer Krieg gegen den Irak wird nicht noch einmal die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen herstellen, die es den USA nach dem Krieg von 1991 erlaubt haben, neun Jahre Wachstum zu erleben.

Der Krieg gegen den Irak erinnert direkt an die Haltung der imperialistischen Großmächte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Verhalten der USA wird zu dem bereits bestehenden Chaos noch mehr Chaos hinzufügen. Es ist bekannt, zu welchem Grad der Barbarei die imperialistische Herrschaft im vergangenen Jahrhundert geführt hat.

Claude Serfati ist Autor mehrerer Bücher und Artikel über Militarisierung und Imperialismus. Er ist Mitglied des Redaktionskomitees der in Frankreich erscheinenden Zeitschrift Carré Rouge.
Der Artikel erschien zuerst und ungekürzt in der Züricher Zeitschrift Debatte (www.debatte.ch)



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 378/379 (Mai/Juni 2003).