Ungemütlich drinnen - noch schlechter draußen?
Ernesto Herrera
Die "Gelassenheit" wich der "Verblüffung"... bis hin zu dem, was heute unbestreitbar ist. Es handelt sich nicht um einen "sozialliberalen Ausrutscher" sondern um den irreversiblen Kurs der Regierung Lula.
Der Soziologe und Ökonom André Gunder Frank [1] ging noch weiter: Er verglich Lula mit dem Führer von Solidarnosc, Lech Walesa, der, als er polnischer Präsident wurde, eine Wirtschaftspolitik betrieb, die noch konservativer war als die seiner Vorgänger. Ist das zutreffend?
Am 1. Januar versprach Präsident Lula "die Einlösung der Jahrhunderte alten sozialen Schuld dieses Landes" und damit anzufangen das "verfluchte Erbe", das von Fernando Enrique Cardóso und seinen neoliberalen Nachfolgern in der Regierung hinterlassen worden war, zu überwinden. Davon ist kein Schimmer zu sehen. Im Gegenteil, der Wechsel machte der um so unverhohleneren Kontinuität Platz.
Die Regierung Lula akzeptierte schließlich die Spielregeln des transnationalen Kapitals. Sie einigte sich mit den Gremien des IWF, der Bankiers und der Hauptaktionäre der privatisierten staatlichen Einrichtungen. Sie führte die "Reform" der Renten (Sozialversicherung) durch, zugunsten der privaten Pensionsversicherungen und sie bringt die andere "Reform" auf den Weg, die von Washington gefordert wird: Die der Steuern.
Dem neoliberalen Fahrplan folgend, bereitet sie die Flexibilisierung der Arbeitsgesetzgebung vor (gefordert von den Arbeitgebern und vom IWF), vergrößert den öffentlichen Schuldenberg im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt und lässt die "Autonomie" einer Zentralbank zu, die in Wahrheit die Zweigstelle der Nordamerikanischen FED [US-Zentralbank, Anm.d.Ü.] ist.
Alles bleibt gleich... oder wird schlechter. Die Arbeitslosigkeit liegt in den Großstädten bei 20%. In den letzten 12 Monaten fiel das durchschnittliche Familieneinkommen um 16%, seit Januar verloren die Gehälter fast 10% an Kaufkraft und mehr als 50% der Beschäftigten haben keine soziale Absicherung. Der Plan zur Bekämpfung des Hungers erreicht dabei nur 350.000 Menschen: d.h. er ist nutzlos und hängt mehr denn je davon ab, dass in der nächsten Verhandlung mit dem IWF eine "Sozialklausel" eingebracht wird und eine Abzug vom Haushaltsüberschuss, außerdem vom "Verständnis" der Weltbank und von den "Geschenken" von Multis wie Coca Cola.
Die Agrarreform, die die Landlosen fordern, verwandelt sich in ein Landwirtschaftsmodell, das auf den Export zielt und auf die Interessen der internationalen Nahrungsmittelkonzerne ausgerichtet ist. Die kürzlich erfolgte Absetzung des Präsidenten des INCRA (Nationales Institut für Ansiedlung und Agrarreform) Marcelo Resende (der mit einer Hirtenorganisation verbunden ist) ist ein tödlicher Schlag für die Hoffnungen von Millionen von Bauern. Und die Ankündigung, dass in diesem Jahr nur 7000 Familien angesiedelt werden (obwohl es 60.000 versprochen worden war) zeigt, dass die Regierung sich entschieden hat, vor dem Druck des Großgrundbesitzes, der durch den Agrarminister Roberto Rodrigues repräsentiert wird, zurückzuweichen. In diesem Szenario ist die Rolle des Ministers für Agrarentwicklung, Miguel Rosetto, von immer geringerer Bedeutung.
Mittlerweile verschärft sich der Krieg auf dem Land: Die Pistoleros der Großgrundbesitzer haben in diesem Jahr schon 30 Landlose erschossen und der einzige Gefangene ist ein Führer der Landlosenbewegung José Rainha.
Das Budget für 2004, das dem Parlament vorgelegt wurde, reduziert alle Haushaltsansätze für die Sozialpolitik - nur der für die Schuldenzahlung bleibt unberührt.
Das bedarf der Erklärung. Vor dem Regierungsantritt bildeten Lula und die herrschende Richtung der PT eine Allianz mit entscheidenden Sektoren der brasilianischen herrschenden Klasse um "den internen Markt" und "produktiven Kapitalismus" zu entwickeln, sowie eine sehr herausgestrichene "ausgleichende Neuverteilung des Nationalproduktes" durchzuführen. Und sie paktierten mit den Finanzmärkten. Das wiederum implizierte zwei inkompatible Verpflichtungen: den Wechsel (gefordert von den Armen und den Arbeitern) und die Respektierung der Verträge und Vereinbarungen mit dem IWF, den Banken und schließlich den großen Kapitalisten. Angesichts der Art und Weise, in der die führende Fraktion der PT - Lula und die Articulação - das gesamte Programm des Wechsels der kapitalistischen Verfasstheit unterordneten, hoffte praktisch niemand auf ein Szenario der "Überganges zum Sozialismus". Indem sie sich politisch und materiell an den Staatsapparat anpasste, war die Leitungsfraktion der PT für den revolutionären Kampf unwiederbringlich verloren. Ebenso glaubten nur wenige noch an die Möglichkeit, einen Prozess des "demokratischen Bruchs" einzuleiten, nicht einmal im Sinne einer Ausweitung der Erfahrung des partizipativen Haushalts, dessen Beispiel immer Porto Alegre ist. Die herrschende Fraktion der PT verwandelte sich in eine Stütze der bürgerlichen Ordnung... obwohl sie ihre Opposition zu den vorausgegangenen neoliberalen Regierungen aufrechterhielt und die Art ihres Diskurses an den Stand der sozialen Kämpfe anpasste. Die ideologische Assimilierung und die Aufnahme der These von der "Neutralität" der bürgerlich demokratischen Institutionen zerschlugen nicht nur jegliche antikapitalistische und klassenbezogene Perspektive, sondern auch eine zaghafte anti-neoliberale Option.
Die Bürokraten mit Ambitionen zum "Staatsmann", die im Laufe der Jahre, in denen sie als gewählte Vertreter agierten, mit parlamentarischen Pfründen und praktischer Erfahrung als Unternehmensführer (staatlich und kommunal) gespickt worden waren, endeten schließlich damit, dass sie ihre Strategie, in den Planalto (Regierungspalast in Brasilia) zu gelangen, als "Wechsel ohne Bruch" ausgaben, um eine "demokratische Regierungsfähigkeit" zu sichern. [2]
Dafür heiße es, um jeden Preis das "soziale Chaos" und die "Unregierbarkeit" zu vermeiden, die durch "exzessive Forderungen" und "die Unmöglichkeit, ihnen nachzukommen", hervorgerufen würden. Wenn das erfordert, Sondereinsatzkommandos einzusetzen, an die Opportunisten zu appellieren, die "Regierung zu verteidigen" über die Interessen der Arbeiter hinweg und die "Radikalen" auszuschließen, die die Geschichte der Kämpfe und die Verbindung der Partei mit denen da unten nicht widerrufen wollen, dann schlägt der Regierung und dem Lulismus der Puls nicht schneller. Acht Monate danach gibt es zwei Punkte auf der Haben-Seite: Einerseits eine Außenpolitik, die "unabhängig" und "progressiv" angestrichen ist und in der sich folgendes mischt: In den internationalen Foren kritische Töne betreffend die Globalisierung mit der Verdammung des "Terrorismus"; die Initiativen zur Stärkung des Mercosur mit der "strategischen Allianz" mit Argentinien; die Handelsabkommen mit Venezuela mit denen mit der Gemeinschaft der Andenstaaten; und das Eintreten für einen ALCA light in der Illusion, dass Verhandlungen mit Bush (und all dem, was er repräsentiert) irgendein Zugeständnis zeitigen könnten. Auf der anderen Seite gibt es die Umfragen betreffend die "öffentliche Meinung": Ein Mechanismus zur Manipulation der "Bevölkerung", mit dem die Funktionsweise der Partei und jeder anderen Instanz der partizipativen Demokratie ausgehebelt wurde. Am 23. August wurde die Amtsführung von Präsident Lula als "sehr gut" von 45% der Befragten" beurteilt, 3% mehr als im Juni; 42% beurteilten sie als "durchschnittlich" und nur 10% als "schlecht" [3]. Applaus von der Tribüne.
Unter dieser Logik der reinen Marketingpolitik ist es eine nette Anekdote dass im April schon 38% der Interviewten den Präsidenten Lula als "Mitte" oder "Mitte- rechts" einstuften. Wie um den Ausspruch des Präsidenten selbst während seines kürzlichen Besuchs in Venezuela zu bestätigen: "Mein ganzes Leben lang hat es mir nicht gefallen, als Linker angesehen zu werden".
Mit den Worten der Senatorin Heloïsa Helena [4], unbeugsame Gegnerin des neoliberalen Kurses der Lula-Regierung und eine der ersten Adressen der revolutionären Linken und der Widerstand leistenden sozialen Bewegungen (unter anderem, weil sie sich weigerte, der Einsetzung von Henrique Meirelles als Präsident der Zentralbank zuzustimmen und deshalb aktuell als Mitglied der PT-Fraktion suspendiert ist), kann man diejenigen, die für die Konterreform gestimmt haben, nur als "Kleinmütige und Feiglinge" qualifizieren und sie bezeichnete das Parlament als "ein würdeloses Schaufenster für Geschäfte". [5]
Es handelt sich um einen Bruchpunkt. Mit der gewonnenen Abstimmung [6] erzielte die Regierung Lula einen doppelten politischen Sieg: Sie gibt ein Signal des Vertrauens an den IWF und die ausländischen Investoren in die Pensionsfonds, indem sie ihre Hinwendung zur Marktwirtschaft bekräftigt und besiegelte gleichzeitig die Kapitulation eines Teiles der Abgeordneten des sogenannten "linken Lagers".
Mit dieser Kapitulation neutralisiert sich das "linke Lager", das für die Gegenreform stimmte, als Pol des Widerstandes gegen die Regierungspolitik und die der herrschenden Fraktion der PT... wenn es nicht seine Strategie radikal ändert und mit der der institutionellen Bequemlichkeit bricht.
Gleichzeitig benutzt die Regierung diese Kapitulation, um die Besorgnis bestimmter Sektoren des Bürgertums und der nationalen und internationalen Presse zu besänftigen, betreffend eine interne Unterschriftenliste, nach der 30% der Mitglieder und Abgeordneten der PT den "Radikalen" zuzurechnen sind. Zweifellos war dieser erste Sieg (es fehlt noch die Abstimmung im Senat, aber dort hat als einzige Heloïsa Helena angekündigt, mit Nein zu stimmen) für Lula nicht gratis. Die 60.000 Demonstranten in Brasilia, der massive Streik im öffentlichen Dienst und das Anwachsen einer klassenbewussten Opposition gegen die CUT-Bürokratie [Gewerkschaftsdachverband, Anm.d.Ü.] ebenso wie die Ablehnung der herrschenden PT-Fraktion durch weite Teile der in sozialen und politischen Kämpfen Aktiven markieren den Beginn eines politischen Bruches. Dieser Prozess beschleunigt sich, seit ein großer Teil der widerständigen Aktivisten und der sozialen Bewegungen seine Erfahrungen mit der Regierung Lula gemacht hat. So wie die Tausende von rebellierenden Studenten in Salvador, die gegen die Erhöhung der Transportpreise protestieren.
Mit anderen Worten handelt es sich um den Gipfelpunkt des politisch-strategischen Weges der PT. Es ist ein Klärungsprozess, der von unterschiedlichen Erwartungen, Rhythmen und Erfahrungen geprägt sein wird.
Zehntausende der Kämpfer in den sozialen Auseinandersetzungen und von den oppositionellen Mitgliedern weigern sich, sich zum Komplizen machen zu lassen. Sie zeigen ihren Unwillen und sie rebellieren gegen das, was sie für die bedingungslose Kapitulation der Regierung Lula und der PT halten. Flugblätter und Plakate, Massenkundgebungen, Gewerkschaftsversammlungen, Studentenkongresse, Seminare und öffentliche Diskussionen in verschiedenen Städten werfen der Regierung bereits "Verrat" vor.... und den Abgeordneten, die für die Rentenkonterreform gestimmt haben.
Die Landlosen und die Obdachlosen sind die ministeriellen Versprechungen leid und sind zur direkten Aktion übergegangen, indem sie Großgrundbesitz und private und öffentliche Grundstücke besetzen. Zahllose Intellektuelle und Ökonomen kritisieren ohne Scheu die Kontinuität der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Der Honigmond der am bewusstesten und politisiertesten Teile der Volksbewegung mit der Regierung neigt sich seinem Ende zu. Es beginnt eine Phase der Instabilität, der schnell zunehmenden Erfahrungen und der Konfrontation mit dem herrschenden politischen System. In diesem Szenario reorganisiert sich eine neue soziale Avantgarde, für die die Zeit des Bittens vorbei ist und die einen neuen politischen Referenzpunkt sucht.
Aber "wenn ein solcher Referenzpunkt in der nächsten Zeit sich nicht herausbildet, werden wir einen Prozess der Atomisierung erleben und die Enttäuschung über die Regierung wird der Desorganisierung und dem Rückgang Vorschub leisten. Der Raum, der sich der Linken bietet, bleibt nicht lange so offen." [7]
Währenddessen organisieren sich die sozialen Bewegungen anhand der Ausarbeitung eines alternativen Programmes, um "die Hoffnung zu organisieren" und "Antwort zu geben auf die Notwendigkeit, die Aktionen der sozialen Bewegungen in dem neuen Szenario, das das Land nach dem Sieg von Lula bietet, zu vereinheitlichen, eine gemeinsame Plattform von Vorschlägen zu definieren und gemeinsame Aktionen zu organisieren mit dem Ziel, Veränderungen, Entwicklung und gerechte Bezahlung durchzusetzen." [8]
Die Meinung, der Kurs der Regierung sei in "Diskussion", ist blauer Dunst oder eine taktische Volte, um "die Isolierung zu vermeiden". Das Kräfteverhältnis zwischen den Konservativen und den "progressiven Ecken" war und ist eindeutig. Es gibt keine zwei antagonistischen Projekte, die sich gegenüberstehen. Die Leitungsfraktion der PT und ihre neuen Alliierten (Bankiers, Unternehmer, Großgrundbesitzer, korrupte Politiker von der PMDB wie Sarney und andere Überläufer) kommandieren das Schiff - vom Beginn der Travestie an.
Für die revolutionäre Linke gibt es keinerlei Zweifel, was das Wirtschaftsprogramm in seinen grundsätzlichen Aspekten betrifft, wie Luciana Genro es ausdrückt : "Der gewählte Weg ist sehr eindeutig im Sinne eines Ausbaus des neoliberalen Modells. Es gibt keine Anzeichen für Kräfte in der Regierung, die eine Änderung durchsetzen wollen. Andererseits setzen die eingegangenen Allianzen den Wünschen mancher Sektoren der Regierung auch Grenzen. (...) Man kann nicht sagen, ich verdiene mir jetzt das Vertrauen und dann mache ich, was ich will, weil man sich dieses Vertrauen jeden Tag neu verdienen muss. Die PT hat klar für die Bezahlung der Auslandsschuld votiert und daran kann sie nichts ändern, ohne Brüche zu provozieren." [9]
Sie können eine Drehung mehr oder weniger Richtung Mitte machen oder nach links, bis hin zu einer scheinbaren Rückkehr zur sozialen Sensibilität. Aber der Kreis schließt sich. In diesem Sinne ist die Regierungsbeteiligung ebenso wie die Taktik der kritischen Kohabitation mit der Leitungsfraktion der Partei unvereinbar mit einer Politik der Sammlung der revolutionären und sozialistischen Kräfte.
Der Medienzirkus der Rechten benutzt die Giftspritze: "Radikale PT-Mitglieder diskutieren über die Gründung einer neuen Partei der Linken" [10] oder "Radikale aus der PT kündigen neue Partei an". [11] Die Leitungsfraktion der Partei und der Präsident Lula selbst tun das politische Phänomen leichthin ab:"Ich habe gelernt, dass es einen bestimmten Typ von Leuten gibt, bei dem es besser ist, er ist gegen einen als für einen." [12]
Die opportunistischen Alliierten von Lula versuchen das Ganze ins Lächerliche zu ziehen, indem sie eine kleine nostalgische Minderheit aus einer vergangenen Epoche ausmachen: "Ich möchte die weniger Informierten darauf hinweisen, dass die Art, in der einige die Spannungen bis zur letzten Konsequenz geschürt haben, Teil einer politischen Strategie ist. Sie wollen aus der PT ausgeschlossen werden. Sie glauben, es habe die Stunde des Aufbaus einer neuen, wirklich revolutionären Partei geschlagen. Letztendlich sind sie einem alten Schema verhaftet: dem der russischen Revolution von 1917." [13]
Die einen wie die anderen versuchen durch eine trickreiche Operation die Bedeutung des Bruches auf eine Handvoll Mitglieder herunterzureden. Und auf drei Abgeordnete und eine Senatorin. Sie weigern sich, anzuerkennen, dass an der Basis der Partei, in den Universitäten, Unternehmen, Fabriken und in den sozialen Bewegungen bereits zehntausende dabei sind, bewusst politische Schlussfolgerungen zu ziehen. Sie weigern sich, wahrzunehmen, dass das Rückgrat der Arbeiter-, Bauern- und Volksbewegung keine unauflösliche Ehe mit dem Lulismus eingegangen ist.
Der Aufbau einer neuen linken Alternative ist auf der Tagesordnung - und er ist unvermeidbar.
Der Ökonom und bekannte Parteiführer Plinio Arruda Sampaio jr., der einen Aufruf lancierte, der von mehr als 2000 Mitgliedern unterschrieben wurde [14], ist in seiner Diagnose eindeutig: "Wir erleben eine neue neoliberale Welle. Und die Ironie der Geschichte ist, dass es ein Arbeiter ist, der diese neue Welle anführt. Wir befinden uns in einer sehr ernsten Situation. Die Partei, die wir in 25 Jahren aufgebaut haben, geht in die Brüche." [15]
Waldemar Rossi, Ex-Metallarbeitergewerkschaftsführer und Mitglied der Pastoral Obrera, bekräftigt, dass "die Parteitreue letztendlich relativ ist. Sie gilt nur, solange die Partei in der Praxis den Weg der sozialen Gerechtigkeit geht und dieser dient." [16] Unter diesen neuen politischen Bedingungen nehmen sowohl die Diskussion wie auch die Bewegung für den Aufbau einer linken Alternative mit einem erkennbaren politischen Gesicht Gestalt an. Ein erster Schritt war die von den Abgeordneten Luciana Genro, João Bautista Baba und João Fontes lancierte Initiative: "Unsre Verpflichtung ist es, den Widerstand zu organisieren und den Aufbau einer neuen Alternative mit jenen Tausenden von Kämpfern, die Nein zur PT sagen. In erster Linie werden wir mit den fordernden Mitgliedern, mit den kämpferischen Gewerkschaftsführern und den sozialen Aktivisten darüber reden, was die Alternative ist, die wir brauchen. Mit ihnen und mit der Senatorin Heloïsa Helena werden wir entscheiden, welchen Weg wir gehen. Man braucht nicht daran zu erinnern, dass die Meinung von Heloïsa Helena für uns von enormer Bedeutung ist. Wir werden sie unterstützen und sie begleiten, wenn sie sich entscheiden sollte, für das Bürgermeisteramt in Maceio zu kandidieren, und wir werden mit ihr die Demokratie in der Partei einfordern in der Zeit die uns bleibt, diese Forderung noch zu stellen. In diesem Sinne ist unser Ausschluss unsere Grenze, so wie er die Grenze für Tausende ist, die mit uns das "Dringliche Manifest gegen Hunger, Elend und Arbeitslosigkeit" unterschrieben haben. (...) Wir werden unsere Verbindungen mit diesen Tausenden von Kämpfern in den sozialen Bewegungen aufrechterhalten und vertiefen, die nicht die Seite gewechselt haben. Wir werden dazu aufrufen, ein neues politisches Werkzeug zu schmieden, eine neue antikapitalistische, antiimperialistische, demokratische Partei des Kampfes und der Klasse, die ganze Pluralität der Linken einschließt, auch die Sektoren der PT, die mitmachen wollen, wie auch die Genossen der PST-U, die schon zur Bildung einer neuen Partei aufgerufen haben." [17]
Die PST-U (Partido Socialista de los Trabajadores - Unificado [18]), hatte dazu aufgerufen, "eine Bewegung (aufzubauen) für eine neue Partei, die alle kämpferischen Kräfte, alle Radikalen der PT, die PST-U, Aktivisten aus den sozialen Bewegungen vereinigt, damit wir für eine militante massenhafte Alternative für die brasilianischen Arbeiter kämpfen können." [19]
Zweifellos hat sie ein Bremsmanöver vollzogen. Jetzt zieht sie hastig die Formierung dieser neuen Partei in Betracht. Sie schlägt vor, ein gemeinsames Projekt zu diskutieren, statt "ein Abkommen auf Leitungsebene" zu treffen, und bietet ihren legalen Parteistatus an, um eine Teilnahme an den Kommunalwahlen 2004 zu ermöglichen. [20]
Sieht man einmal von dieser Art von Verrenkungen ab und von den taktischen Winkelzügen (die legitime politische Differenzen ebenso beinhalten wie sektiererische Kurzsichtigkeit und Hegemoniestreben), so ist zumindest sicher, dass die Zeit für eine linke Alternative gekommen ist, und dass es, wie Valerio Arcary es sagt, die hauptsächliche Herausforderung gibt, "an diesem für die brasilianische Linke dramatischen Zeitpunkt eine geeinigte Bewegung aufzubauen. Eine Bewegung, die alle lebendigen Kräfte umfasst, die aus den Klassenkämpfen hervorgingen und die eine neue politische Alternative aufbaut." [21] Eine Bewegung, die definitiv "Erneuerung und Radikalität verbindet." [22]
Alle internen Strömungen des Teils der Linken, der sich an der Petitionskampagne beteiligte (und der unbestreitbar den stärksten politischen, marxistischen und revolutionären Pol darstellt) sehen sich in diesem strategischen Dilemma. Das gleiche geschieht in der PST-U, in der Meinungsverschiedenheiten, Spannungen, Neuorientierungen und Brüche mit der institu- tionellen Routine an der Tagesordnung sind.
Das Entscheidende ist zweifellos, die Verbindung dieser Strömungen mit der Intensität der sozialen Bewegungen und mit dem Prozess der Ausdehnung und Radikalisierung der Widerstandskämpfe. Und da entscheideet sich der Ausgang des Kampfes.
Die "originäre PT" baut sich auf als Klassenpartei, als reale Option des Wechsels, als Ausdruck des antineoliberalen und antiimperialistischen Widerstandes der Massen. Ihre Niederlage ist unter diesem Aspekt ein Ereignis von erheblicher Tragweite. Ob für die Volkskräfte, die heftigen Widerstand gegen den Neoliberalismus artikulierten und unzählige Proteste, Rebellionen und revolutionäre Erhebungen bis hin zum Argentinazo trugen, ob für die Bewegung für eine andere Welt, die sich einer Offensive der Ausplünderung und des Krieges seitens des Imperialismus gegenübersieht, oder ob für die sozialistische Linke, die sich im Feuer der Kämpfe und der Radikalisierung der Massen aufbaut - die PT und die Lula-Regierung waren ein "Labor sozialer und politischer Erfahrung" von internationaler Dimension, und dieser "schwierige Moment" ist es nicht nur für die brasilianische Linke.
Die Transformation der Natur der PT und der unumkehrbare Kurs der Regierung Lula ermutigen jegliche "sozialliberalen" Tendenzen eines Teils der Linken mit "Regierungskultur" in Lateinamerika und die konservative Haltung, dass die ungünstigen Kräfteverhältnisse und das tragische Erbe des Neoliberalismus letztendlich den Weg zu "strukturellen Reformen", die auf die Befriedigung der dringendsten sozialen Bedürfnisse zielen, verhindern.
Vor dem Hintergrund der beschleunigten imperialistischen Rekolonisierung (Plan Colombia, die Destabilisierungsoffensive gegen Chavez, die Blockade und Aggressionen gegen Cuba, der Plan Puebla-Panama, ALCA, IWF-Anpassungen, Auslandsschulden und drakonische Regeln der WTO) wird die bedingungslose Kapitulation der Regierung Lula und der Leitungsfraktion der PT zu einem erheblichen Ballast, der schwer loszuwerden ist.
Die Rechtsentwicklung und das Scheitern führen zu einem Konglomerat aus Verwirrung, Unzufriedenheit und Hoffnungslosigkeit, just während die Legitimitätskrise des neoliberalen "Modells" einen Prozess der Organisierung, Mobilisierung und Radikalisierung einer sozialen Linken auf kontinentalem Niveau erzeugt.
In diesem Zusammenhang stellt sich den revolutionär-marxistischen Kräften eine doppelte Herausforderung: Einerseits die Entwicklung einer Perspektive auf der Basis einer Übergangsprogrammatik aus den sozialen Kämpfen.
Und andererseits, in der Praxis - ohne kleinliche Berechnung irgendwelcher Art - eine Strategie der Umgruppierung der antikapitalistischen Linken im nationalen, regionalen und internationalen Rahmen zu verfolgen, mittels Kampagnen, Initiativen und gemeinsamen Aufgabenstellungen, die weit über selbstproklamierte Kongresse, akademische Foren und Seminare im Stile der NGOs mit mehr oder weniger schlauen Diskussionen hinausgehen.
Offensichtlich gibt es einen nicht zu umgehenden ersten Punkt, an dem man sich treffen kann: Die Hilfe für und die politische Solidarität mit dem Kampf der Linken und mit den sozialen Bewegungen in Brasilien, die unter allen nur vorstellbaren Schwierigkeiten und ohne absehbaren Zeitraum, an den Aufbau einer revolutionären Alternative gehen.
Der einzige Weg zur Wiedererlangung dieses "Volksmandates" ist nach der Überzeugung von Pachakutik und der Eingeborenenbewegung in Ecuador der komplette Bruch mit der neoliberalen Regierung von Lucio Gutierrez.
5. September 2003 |
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 384/385 (November/Dezember 2003) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz