So hatte sich General Muscharraf die Lage am Tag 5 des Kriegsrechts, das er am 3. November verhängt hatte, wohl nicht vorgestellt. Alle Hoffnungen auf eine Normalisierung der Lage sind durchkreuzt, trotz heftiger Repression gegen Rechtsanwälte und politisch Aktive. Weitere unangenehme Überraschungen stehen dem Militärregime bevor, das bislang eine relativ stabile politische Kontrolle gewöhnt war.
Nach den Rechtsanwälten treten jetzt Studentinnen und Studenten als politische Opposition gegen das Militärregime in Erscheinung. Am 7. November gab es Demonstrationen an den meisten öffentlichen und privaten Hochschulen in den größeren Städten Pakistans. „Studentenmacht aus dem Schlummer erwacht“, war die Schlagzeile der News International vom 8. November.
Alle Gerichtshöfe in Pakistan sind lahmgelegt, und der Pakistanische Anwaltsrat hat einen unbefristeten Streik ausgerufen, bis die Vorläufige verfassungsmäßige Ordnung (PCO) zurückgezogen ist. Jeden Tag gibt es Demonstrationen von Rechtsanwältinnen und -anwälten überall in Pakistan. Das ist eine außergewöhnliche Kampfbereitschaft, die die Mittelklassen in dieser Situation zeigen.
Die meisten Zeitungen Pakistans sind voll mit Geschichten von Verhaftungen, Demonstrationen und Streiks verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Aber heute ist der fünfte Tag: kein privater Fernsehkanal darf seine Programme in Pakistan ausstrahlen. Man kann nur Schlager, Tänze, Sport und religiöse Lesungen auf den verschiedenen Programmen sehen, aber keine Nachrichtensendungen sind erlaubt, abgesehen vom offiziellen pakistanischen Fernsehen.
Die überraschendste Opposition gegen das Militärregime kam von Benazir Bhutto. Sie stand in Verhandlungen mit dem Muscharraf-Regime über eine Formel zur Teilung der Macht, als die Bewegung der Rechtsanwälte diese unheilige Allianz durchkreuzte und Benazir Bhutto zwang, sich offen gegen das Militärregime zu stellen. Fast die Hälfte der verhafteten Rechtsanwältinnen und -anwälte gehört zur Pakistanischen Volkspartei [von Benazir Bhutto – d.Red.].
Das lässt Benazir wenig Spielraum für Tricksereien mit dem Regime. Sie forderte die Massen auf, sich gegen das Kriegsrecht von General Muscharraf zu erheben: „Setzt die Verfassung wieder in Kraft oder es wird einen langen Marsch von Lahore nach Islamabad am 13. November geben“, warnte sie das Regime. Das führte zu Verhaftungen von Volkspartei-Mitgliedern überall im Land, die von der ersten am 3. November begonnenen ersten Welle der Repression verschont geblieben waren.
Auch die Medienverbände der Bosse und Unternehmer haben sich nach der beispiellosen Repression gegen die elektronischen und Print-Medien der Massenbewegung angeschlossen.
Der 5. November war ein schwarzer Montag für die Börsen in Pakistan. Der Börsencrash führte zu einem Nettoverlust von vier Milliarden Dollar an einem einzigen Tag, beispiellos in den letzten 17 Jahren.
Seine imperialistischen Freunde aus den USA, Großbritannien und der Europäischen Union sahen sich zum ersten Mal seit „9/11“ gezwungen, die Ausrufung des Notstands zumindest verbal zu verurteilen. Bislang hatte der US-Imperialismus jedwede schwere Menschenrechtsverletzung seit dem 11.9.2001 als interne Angelegenheit betrachtet. Sogar der australische Imperialismus verurteilt den traurigen Zustand in Pakistan und nennt Muscharraf zum ersten Mal einen „Diktator“ – eine Erkenntnis, die dem pakistanischen Volk seit acht Jahren bewusst ist.
Aber es scheint, als wollte General Muscharraf seine zornigen Augen jetzt sogar gegen seine Bosse wenden, ähnlich wie die religiösen Fundamentalisten der Kontrolle des pakistanischen Militärregimes entgleiten. „Man kann ein Monster niemals für immer kontrollieren“, möchte man mit Blick auf Muscharrafs Aktionen sagen. Die Niederlande haben ihre Hilfe für Pakistan suspendiert und die USA erwägen eine Überprüfung ihrer Beziehungen zum Militärregime, schreiben hier gedruckte Zeitungen.
Die Bewegung wächst immer noch in allen Bereichen der Gesellschaft; und dies trotz eines beispiellosen Ausmaßes der Repression in den ersten fünf Tagen des Notstands, dessen wahrer Name Kriegsrecht ist. Die Polizei hat das Büro der pakistanischen Menschenrechtskommission gestürmt und über 80 soziale und politischen Aktivisten festgenommen, die gerade ihre Strategie gegenüber dem Vorgehen des Militärs diskutierten.
In der Vergangenheit wäre es undenkbar gewesen, dass die Polizei das ehrwürdigste unabhängige Gebäude von Lahore betritt. Jetzt stürmte die Polizei die Gebäude des Obersten Gerichtshofs und verhaftete über 700 Anwälte in den Gerichtssälen, Bibliotheken, Cafeterien und Kantinen. So etwas hatte es nicht einmal unter dem brutalsten Kriegsrecht von General Zia Ul Haque in den 80-er Jahren gegeben.
1734 politisch Aktive, Journalisten und Rechtsanwälte wurden dem Innenministerium der Provinz Punjab zufolge in den ersten vier Tagen des Kriegsrechts festgenommen. Ähnliche Zahlen wurden von den Behörden der anderen drei Provinzen bestätigt. Das ist die brutalste Repressionswelle gegen Opponenten des Muscharraf-Regimes in den letzten acht Jahren. Die verhafteten Rechtsanwälte und politischen Aktivisten wurden nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz angeklagt und irgendwo fernab ihrer Wohnorte inhaftiert. Niemand kann sie treffen.
Ähnliche Repression traf die Richter der obersten Gerichte (Supreme Court und High Court), die sich mutig geweigert hatten, einen Eid auf die Vorläufige verfassungsmäßige Ordnung (PCO) abzulegen. Sie wurden unter Hausarrest gestellt und ihren Kindern wurde verboten zur Schule zu gehen. Ärzten, die zu Notfällen gerufen worden waren, wurde das Betreten der Häuser verwehrt.
Regelmäßig verwüstet die Polizei die Häuser der Rechtsanwälte und politischen Gegner des Militärregimes. Pakistan ist im buchstäblichen Sinne ein Polizei- und Militärstaat geworden. Überall in den größeren Städten sieht man Polizei. Raub und Diebstahl haben dramatisch zugenommen, da die Polizei nur noch zur Eindämmung der Opposition gegen das Regime eingesetzt wird.
General Muscharraf hat nun eine breitere Opposition als je zuvor. Er verliert seine innere und äußere Unterstützung in hoher Geschwindigkeit. Die Unterstützung seinerbisherigen Freundin Benazir Bhutto hat er fast völlig verloren. Die religiösen Parteien waren gezwungen, ihre langjährige Beziehung zum Regime zu lösen. Die alten Allianzen und Formationen sind in der Krise. Dies ist eine tiefe Krise des pakistanischen Staats. Das Regime isoliert sich jeden Tag mehr. Heute wird es nur noch von zwei Parteien unterstützt, der Muslim League Q und der Muhajir Qaumi Movement, beides Partner der Militärregierung. Aber beide sind immer mehr verhasst bei den einfachen Menschen in Pakistan.
Der Weg der Repression zur Kontrolle der Opposition verliert jeden Tag mehr an Gewicht. Der Staat kann nicht alle anschwellenden Stimmen gegen das Regime unterdrücken. Die beschleunigte Umsetzung eines neoliberalen Programms ist von täglichen Preissprüngen und wachsender Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Die brutale Herrschaft des freien Markts führt zur Monopolisierung der Wirtschaft. Das Wachstum der kapitalistischen Ökonomie hat das Existenzminimum nicht angehoben und über 70% der 160 Millionen Menschen muss damit auskommen.
Etliche Aktive vom Awami Jamhoori Tehreek (AJT), einem Bündnis von sieben linken Parteien und Gruppen, sind in Haft, darunter Nisar Shah, Vorsitzender der Labour Party Pakistans. Abid Hassan Minto, AJT-Sprecher und Vorsitzender der Nationalen Arbeiterpartei, hat alle linken Kräfte aufgefordert, sich der Bewegung anzuschließen und das Militärregime zu bekämpfen. Die Linke ist nicht länger eine unbedeutende Kraft in Pakistan. Die Studentenrevolte gegen das Regime ist hauptsächlich das Werk linker Kräfte und radikaler Sozialaktivisten.
Das Regime kann nicht ewig bestehen bleiben. Die Bewegung ist erwacht und wächst. Der beispiellose Mut der Rechtsanwälte hat viele beeinflusst, die jetzt den Weg aktiven Widerstands beschreiten.
Die Opposition gegen das Militärregime wird durch die aktive Solidarität unser Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen außerhalb Pakistans gestärkt. Mahnwachen vor pakistanischen Botschaften überall in der Welt wären das wirkungsvollste Zeichen der Solidarität. Wir wissen, dass wir nicht alleine sind, aber wir müssen mehr darüber hören.
Irgendwo in Pakistan, 7.11.2007 Farooq Tariq ist Generalsekretär der Labour Party Pakistan. Seite dem 3.11. ist er auf der Flucht vor der Polizei. Unter http://internationalviewpoint.org veröffentlicht er ein Tagebuch aus dem Untergrund. |
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr.