Ökologie

Daniel Tanuro über „grünen Kapitalismus”

Daniel Tanuro setzt sich in seinem 2009 erschienenen Buch, das in Kürze auch auf Deutsch erscheint, mit der Illusion eines „grünen Kapitalismus” auseinander. Doch ist die Konsequenz daraus, dass ökologische Forderungen vor der Revolution unrealistisch sind? Ein Buch, das zur Diskussion anregt.

Alan Thornett

Daniel Tanuros Green Capitalism: why it can’t work [1] ist ein wichtiges Buch, das von allen gelesen werden sollte, die sich über ökologische Zerstörungen und Klimawandel Gedanken machen. Es ist voll von Fakten und Analysen, die für politische Kampagnen sehr hilfreich sind. Es ist jedoch nicht unumstritten – jedenfalls meiner Meinung nach. Diese ziemlich ausführliche Besprechung wird also versuchen, die Stärken dieses Buches herauszuarbeiten, aber auch jene Aspekte ansprechen, die ich für problematisch halte.

Es ist beileibe nicht so, dass die problematischen Themen nur dieses Buch betreffen. Vielfach geht es um Ansichten, die in der Linken, aber auch unter UmweltschützerInnen weit verbreitet, ja oft Mehrheitsmeinung sind. Diese Besprechung ist insofern Teil einer breiteren Diskussion.


Stärken


Die Stärken dieses Buchs fallen sofort ins Auge. Es ist von einem revolutionär-sozialistischen und ökosozialistischen Standpunkt aus geschrieben. Es analysiert die Funktionsweise des Kapitalismus als treibende Kraft hinter der ökologischen Krise und als wichtigstes Hindernis, damit dieses Problem angegangen wird.

Es legt dar, dass die Erderwärmung jetzt auf einen Schwellenpunkt zusteuert, von dem ab mit großer Wahrscheinlichkeit Rückkopplungen stattfinden werden, die den ganzen Prozess völlig außer Kontrolle geraten lassen. Im Buch wird Ban Ki-moon zitiert: „Unser Fuß klebt fest am Gaspedal und wir taumeln auf einen Abgrund zu.“ Damit das nicht passiert, so das Argument, müssen die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 bis 40 Prozent und bis 2050 um 50 bis 80 Prozent verringert werden. Das ist es auch, was das „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss über Klimaveränderung; im Deutschen meistens: Weltklimarat) fordert.

Das Buch fordert einen Übergang hin zu erneuerbaren Energien und eine deutliche Verringerung des Energieverbrauchs vor allem in den fortgeschrittenen westlichen Ländern. Dabei dürften, so Tanuro, die damit verbundenen Kosten keine Rolle spielen.

Im Buch wird ein Bruch mit dem „Produktivismus“ (dem Streben nach Wachstum) gefordert und es spricht sich für die Priorisierung des Gebrauchswerts gegenüber dem Tauschwert aus. Es legt dar: 200 Jahre Produktivismus haben das Klima an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. In manchen Gegenden – kleinen Inselstaaten, der Arktis, in Dürregebieten und Bergtälern, wo der Wasserzufluss durch zurückweichende Gletscher unterbrochen wird, ist der kritische Schwellenpunkt bereits erreicht worden. Um zu verhindern, dass der Klimawandel völlig außer Kontrolle gerät und damit das Leben von Hunderten von Millionen von Menschen in Mitleidenschaft zieht, muss der CO2-Ausstoß drastisch reduziert werden (S. 15).

Tanuro schlägt vor: „Verringerung des weltweiten Produktionsausstoßes durch die Verkürzung des Arbeitstags und durch die Einstellung der Produktion nutzloser und schädlicher Produkte; deutliche Verkürzung der Transportwege durch die Verlagerung von Produktionsstätten; radikale Verbesserung der Energieeffizienz und den vollständigen Übergang hin zu erneuerbaren Energien unabhängig von den damit verbundenen Kosten“ (S. 124).

Das Buch enthält eine umfangreiche Analyse der Rolle des Weltklimarats und des Scheiterns der UN-Klimawandelkonferenzen (der sog. „COP“ – Conference of the Parties, UN-Vertragsstaatenkonferenzen) seit Mitte der 1990er Jahre. Es schaut auf das Scheitern der Implementierung des Kyoto-Protokolls seit 2005 und untersucht, warum es keine verbindliche internationale Vereinbarung zu CO2-Emissionen gibt.

Gleichzeitig argumentiert es, dass jegliche internationale Vereinbarung zur Reduktion von CO2 von den Grundsätzen von sozialer Gerechtigkeit ausgehen muss, insbesondere im Verhältnis zu den Schwellenländern: „Die Jahrhundertfrage lautet: Wie kann das Klima stabilisiert werden und dennoch den legitimen Rechten auf Entwicklung jener Rechnung getragen werden, die Nichts oder nur sehr wenig haben und gleichzeitig die Hauptleidtragenden der Klimaerwärmung sind?“ (S. 15)


Die Wissenschaft vom Klimawandel


Daniel Tanuros Buch ist dort am stärksten, wo es von der Analyse der Klimaforscher und den sich daraus ergebenden Konsequenzen handelt. Es argumentiert, dass die Beweise dafür überwältigend sind, dass ein Klimawandel real im Gange ist und dieser hauptsächlich durch das Verbrennen von fossiler Energie verursacht ist. Er stellt die Folgen dar, die schon eine geringe Erhöhung der Durchschnittstemperatur auf den Planeten haben wird:

„Ein Ansteigen um 1 Grad im 21. Jahrhundert würde verstärkte Dürreperioden in den subtropischen Regionen und damit eine Verringerung der Produktion von Getreide in den tropischen Trockengebieten auslösen. Im Falle einer Erhöhung um 2 Grad, würden in den küstennahen Regionen Jahr für Jahr Millionen von Menschen Überschwemmungen ausgesetzt sein. Ein Anstieg um 3,5 Grad würde eine massive Verringerung der Agrarproduktion bei allen Getreidearten in allen Breitengraden auslösen.“ (S. 33)

„In bestimmten Regionen Schwarzafrikas würde die Produktivität von nicht künstlich bewässertem Land in den nächsten 20 Jahren um bis zu 50 Prozent sinken. ,In ca. 50 armen Ländern mit einer Gesamtbevölkerung von 2 Milliarden Menschen, von denen jetzt schon 450 Millionen an Hunger leiden‘, würde nach Angaben der FAO ,der Einbruch bei der Nahrungsmittelerzeugung die Anzahl der Menschen, die an Unterernährung leiden, drastisch erhöhen‘.“ (S. 33)

Tanuro weist auf das Phänomen der Klimaflüchtlinge hin: 1999 war die Zahl der Menschen, die ihre Heimat aufgrund von Klimaveränderungen verlassen mussten, erstmals höher als die Zahl der Menschen, die in Folge von Kriegen flüchten mussten.

Das Buch enthält einen beeindruckenden Abschnitt über das Schmelzen der Eisschichten und dem daraus folgenden Ansteigen des Meeresspiegels. Tanuro legt Berechnungen des Weltklimarats dar, wonach ein Temperaturanstieg um über 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Stand ein Ansteigen des Meeresspiegels um 0,4 bis 1,4 Meter zur Folge hätte. Er meint allerdings, dass selbst die höhere Zahl noch eine eher konservative Schätzung sein dürfte, weil sie nicht die mögliche Dynamik und den Destabilisierungsprozess berücksichtigt, den schmelzendes Eis selbst auf das Abschmelzen des Eispanzers in Grönland auslösen könnte.

Dazu stellt Tanuro fest: „Während der Sommerzeit steigt die Tagestemperatur in der Polarregion auf etwas über null Grad. Dadurch entstehen riesige Wasseransammlungen auf der Oberfläche der Eisdecken, die wiederum Risse im Eis verursachen. In Grönland, wo die Eismasse genug Wasser bindet, um eine Erhöhung des Meeresspiegels um 6 Meter auszulösen, haben Forscher einen „See“ von drei Kilometern Länge beobachtet, der sich innerhalb von 90 Minuten wie ein normales Waschbecken geleert hat. Wenn Wasser plötzlich durch die Gletscherspalten auf den Fels am Boden des Gletschers absinkt, könnte dies ein „Aufschwimmen“ und das Abbrechen riesiger Eismassen auslösen, die dann ihrerseits, falls sie in den Ozean abrutschen, ein deutliches Ansteigen des Meeresspiegels verursachen könnten.“ (S. 37)

Gleichzeitig weist das Buch auf die Destabilisierung der Eisschicht in der westlichen Antarktis hin, was die Gefahr noch stärkerer Erhöhungen des Meeresspiegels befürchten lässt. Jüngste Berichte, fünf Jahre nach dem ersten Erscheinen des Buches in französischer Sprache, bestätigen Tanuros Befürchtungen. Sie zeigen, dass die Eisschicht tatsächlich stärker als erwartet in Mitleidenschaft gezogen ist.


Die größte Bedrohung


Umstritten ist dagegen die die Schlussfolgerung, zu der Tanuro angesichts des Abschmelzens des Eises kommt: nämlich die, dass die Erhöhung des Meeresspiegels die größte Bedrohung ist, die vom Klimawandel ausgeht. Das ist zweifelsohne eine riesige Bedrohung. Ein großer Teil der Menschheit lebt (wie Tanuro zeigt) in den Flussdeltas, die nur knapp über dem Meeresspiegel liegen. Sie sind von einem Ansteigen des Meeresspiegels massiv betroffen. Weite Teile z. B. von Bangladesch wären überflutet und die Bevölkerung würde sich noch stärker in den ohnehin schon überbevölkerten höher gelegenen Teilen von Bangladesch zusammenballen. Weite Teile fruchtbaren Landes würden im Meer versinken und für die Nahrungsmittelproduktion verloren gehen.

Es gibt aber noch eine weitere Bedrohung, die meiner Meinung nach noch größer ist, in Tanuros Buch aber unterschätzt wird: Ich meine die Krise der Artenvielfalt oder das „sechste Massenaussterben“ wie sie immer häufiger genannt wird. (Das vorausgegangene fünfte Massenaussterben fand vor 65 Millionen Jahren statt. Dabei starben die Dinosaurier aus und mit ihnen 70 Prozent aller Lebewesen jener Zeit.)

Heute sind 50 Prozent aller Arten(Pflanzen und Tiere) vom Aussterben bedroht. Die Ursache dafür ist nicht alleine der Klimawandel. Es ist der Verlust von Lebensräumen infolge von Industrialisierung und Umweltverschmutzung einschließlich der Versauerung der Meere, die in einem beängstigenden Tempo voranschreitet.

Elizabeth Kolbert argumentiert in ihrem Buch The Sixth Extinction: An Unnatural History (New York: Holt, 2014) – wie Eugene Stoermer und andere, dass die Krise der Artenvielfalt so stark ist, dass sie prägend ist für eine neue geologische Epoche: die Epoche des Anthropozän. Gemeint ist damit, dass sie ganz von den Auswirkungen menschlicher Aktivität auf die Artenvielfalt des Planeten geprägt ist. Ich denke, dass ihre Argumente sehr stichhaltig sind. [2]

Tanuro stimmt zu, dass die Krise der Artenvielfalt sehr ernst ist und teilt auch die These eines „sechsten Massenaussterben“. Er beklagt sich, zu Recht, darüber, dass dieses Problem in der ökologischen Bewegung und in der Linken nicht ernst genug genommen wird. Wenn die Menschheit so weiter macht wie bisher, sägt sie den Ast ab, auf dem sie sitzt (S. 39).

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen versäumt es Tanuro allerdings meiner Meinung nach, dem Thema Artenvielfalt den zentralen Raum zu geben, den es verdient.


Ist die globale Klimaerwärmung anthropogen (vom Menschen verursacht)?


Die Unterschätzung der Bedeutung des Themas Artenvielfalt spiegelt sich auch dann wider, wenn Tanuro hinter die Frage „Ist der Klimawandel vom Menschen verursacht?“ ein Fragezeichen setzt. Er argumentiert, dass der Klimawandel nicht primär von menschlicher Aktivität im Allgemeinen, sondern durch das kapitalistische System im Konkreten verursacht ist. Der Klimawandel ist verursacht durch „Überproduktion, welche zu Überkonsum auf der einen Seite und Armut und Unterkonsum auf der anderen Seite führt. Letztendlich handelt es sich um eine soziale Krise und es wäre zutreffender von einem kapitalistischen Klimawandel statt von einen „anthropogenen“ Klimawandel zu sprechen.“ (S. 48)

Seltsamerweise räumt er ein, dass der Begriff „anthropogen“ nicht ganz korrekt ist und dass menschliche Aktivitäten weit größere Auswirkungen auf die Umwelt haben als die irgendeiner anderen Spezies (S. 45). Dennoch ignoriert er diesen Umstand und argumentiert: Wenn man die Erderwärmung als „anthropogen“ bezeichne, sei das ein Ablenken von den wirklichen Gründen. „Das Schwafeln über anthropogene Erderwärmung dient einzig dem Zweck, bei den Konsumenten Schuldgefühle hervorzurufen und Wasserboiler mit dem Etikett ,Energie Plus‘ zu kaufen“. Er fährt fort: „Mit dem Begriff ,anthropogen‘ wird die Aufmerksamkeit von den strukturellen Mechanismen abgelenkt und der Blick auf das individuelle Verhalten verlagert.“ (S. 51)

Das ist meiner Meinung nach falsch – sowohl in Hinsicht auf die Erderwärmung als auch in Bezug auf die ökologische Krise im Allgemeinen. (Ich mache diese Unterscheidung, deswegen, weil die Erderwärmung zwar das übergreifende Kennzeichen der ökologischen Krise ist, diese Krise sich aber nicht auf Klimaerwärmung reduzieren lässt.) Tatsächlich ist der Kapitalismus – gemeinsam mit der Dampfmaschine, dem Verbrennungsmotor und der ganzen industriellen Revolution (später kommt noch die die Atomtechnologie dazu) das Werk des Menschen.

Tanuro macht geltend, dass frühere (vorindustrielle) Gesellschaften nicht für die Erderwärmung verantwortlich sind (S. 41). Das mag in Bezug auf die Erderwärmung zutreffend sein, stimmt aber nicht in Bezug auf die ökologische Krise als solche. Seit die menschliche Spezies vor 200 000 Jahren auf der Bildfläche erschien, haben Menschen immer wieder unverhältnismäßige und destruktive Folgen für die Umwelt und für andere Lebewesen hervorgebracht.

Menschliche Wesen sind die erfolgreichste und schlimmste räuberische Spezies, die der Planet hervorgebracht hat. Sie waren für das Ende von vielen großen Säugetieren verantwortlich, die keine anderen Feinde hatten, aber gegenüber dem menschlichen Jagdverhalten sehr verwundbar waren. Sie haben ganze Landschaften und die Lebensräume anderer Lebewesen in nicht wieder gut zu machender Weise umgestaltet. Deshalb ist meiner Meinung nach der Begriff „anthropogen“ zur Charakterisierung der ökologischen Krise absolut angebracht. Wie schon weiter oben dargelegt, gibt es sehr gute Gründe dafür, die gegenwärtige geologische Epoche als die Epoche des „Anthropozän“ zu bezeichnen.


Kapitalismus und Umwelt


Tanuro schreibt: „Die Annahme scheint vernünftig, dass die Menschheit eher imstande wäre, die Signale, die von der Umwelt ausgesendet werden, zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend ihr Vorgehen zu verändern, wenn sie nicht den kapitalistischen Weg eingeschlagen hätte.“

Trifft das wirklich zu? Wenn es auch wichtig ist, das ganze destruktive Potential des Kapitalismus zur Kenntnis zu nehmen, so lässt sich dennoch weder die Umweltkrise noch die Klimaerwärmung ausschließlich darauf reduzieren.

Es stimmt, dass dieses destruktive Potential mit der industriellen Revolution und der Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise gegen Ende des 18. Jahrhunderts beträchtlich angewachsen ist. Dieses Potential existierte allerdings auch schon vor der Industrialisierung und es ist durchaus möglich, dass es auch nach einem möglichen Ende des Kapitalismus fortbesteht, wenn es keine bewussten Aktionen gibt, das zu verhindern.

Die ökologische Bilanz der Sowjetunion ist schlicht katastrophal: verschmutzte Flüsse, Abholzung von Wäldern, durch das Projekt der „Urbarmachung von Land“ verursachte Dürregebiete, verschmutzte Landschaften, gesundheitsschädliche Braunkohlenabgase, Chemieseen und Tschernobyl. Stalin und seine Nachfolger waren durch und durch produktivistisch. Was sie schufen, war ein völlig irrer Produktivismus. Für sie war die „Bezwingung“ der Natur ein zentrales Ziel.

Aber dies war nicht von Anfang an so. Obwohl er durchaus Sowjetrusslands Produktivkraft steigern wollte, war Lenin der Meinung, dass man die Natur achten müsse. Kurz nach der Revolution gab es Erlasse, die Wälder von industrieller Entwicklung auszunehmen. Es gab Schutzzonen, mit denen Bodenerosion verhindert und Wasserläufe bewahrt werden sollten. Die Pelzjagd wurde eingeschränkt. 1921 wurde eine Reihe von Naturreservaten eingerichtet, und für bestimmte Gebiete wurden Industrieprojekte untersagt. Das wissenschaftliche Studium der Biosphäre wurde ausdrücklich gefördert. Stalin machte das alles rückgängig – mit den oben geschilderten Folgen.

Das maoistische China führte in Bezug auf Produktivismus und Nichtbeachtung der Natur Stalins Kurs fort. Unmittelbar nach der Revolution 1949 gab es zwar einige Umweltschutzmaßnahmen. Bald aber redete auch Mao von der Notwendigkeit, die Natur zu bezwingen. Der „große Sprung nach vorn“ und die Kulturrevolution waren gleichermaßen produktivistisch wie verhängnisvoll für die Umwelt. Es wurden Produktionsziele festgelegt, Wälder und Weideland zerstört, Flüsse umgeleitet, künstliche Seen geschaffen und Ebenen von Menschenhand geschaffen, um dort Getreide anzubauen. Es gab auch eine direkte Verbindung zur UdSSR. Das zerstörerische Staudamm-Projekt am Gelben Fluss wurde ebenso von sowjetischen Ingenieuren geleitet wie das am Jangtsekiang. Die ökologische Bilanz des Mao-Regimes also fällt mindestens so katastrophal aus wie die des Kaiserlichen China, das ihm vorausging, und des Turbokapitalismus, der ihm nachfolgte.

Osteuropa war unter Stalin ebenfalls eine Katastrophenregion. Ostdeutschland, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien hatten allesamt Industriekomplexe, die riesige Mengen von Braunkohle verfeuerten und völlig unkontrolliert Schadstoffe ausspien.

Daniel Tanuro diskutiert diese Bilanz der stalinistischen Staaten in ähnlicher Weise, versäumt es jedoch, daraus die logischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Dass nämlich jede Form von Industriegesellschaft sehr schädlich für die Umwelt ist, wenn sie nicht von vornherein bewusst anders angelegt und konzipiert ist. Für mich ist das die grundlegende Begründung für Ökosozialismus.

Es gibt da noch ein weiteres Problem, wenn man die Ursachen der ökologischen Krise ausschließlich auf den Kapitalismus reduzieren will. Es wäre ein schlimmer Fehler, wenn man unterstellen würde, dass wir mit der Überwindung des Kapitalismus auch die ökologische Krise überwunden hätten. Durch die Überwindung des Kapitalismus würden zwar die Chancen zur Bewältigung der ökologischen Krise erheblich verbessert; es gäbe aber nach wie vor eine riesige Herausforderung für eine sozialistische Transformation und es gibt keine Garantie dafür, dass sie gelingen würde.


Bevölkerungswachstum


Einer der Punkte, der mich am meisten an dem Buch befremdet, sind seine Aussagen zum Thema Bevölkerung. Das ist ganz im Einklang mit einem in der Linken weit verbreiteten Diskurs, wo es üblich ist, dass man, anstelle das Thema Bevölkerungswachstum zu diskutieren, in schroffer Form jene wie mich abkanzelt, die meinen, dass das Thema wichtig ist und deshalb eine breite Diskussion dazu anzuregen versuchen. Wir werden als reaktionär oder noch schlimmer denunziert und das Thema Bevölkerungswachstum zum Tabu erklärt.

Das Buch argumentiert, dass die Anzahl der Menschen, die die Welt bevölkern, völlig irrelevant ist, keine Auswirkungen auf die Ökologie des Planeten hat und dass die bloße Diskussion dieses Themas schon extrem reaktionär ist. Meiner Meinung nach ist das eine umwerfend selbstgefällige Herangehensweise.

Es wird der übliche Bezug zu Thomas Malthus hergestellt, und diejenigen, die meinen, dass die Frage des Bevölkerungswachstums ein wichtiges Thema ist, werden als Leute dargestellt, die „es einfacher finden, einem Teil der Bevölkerung das Existenzrecht zu bestreiten als den Kapitalismus in Frage zu stellen.“ Solche Leute „sollten mit ihren Tiraden nicht unterschätzt werden, da sie sich ja den Weg bahnen hin zu den oberen Sektoren der herrschenden Klasse. Wir brauchen nicht nach Verschwörungen Ausschau halten: Der Kapitalismus weist den Weg in Richtung Barbarei.“ (S. 17)

Es wird, ehrlich gesagt, sogar noch abstoßender, wenn es zum Thema Belastbarkeit des Planeten kommt – z. B. wenn es um die (vollkommen logische) Vorstellung geht, dass es für menschliches Bevölkerungswachstum eine Grenze gibt, bis zu welcher der Planet mit seinen endlichen Ressourcen das bewältigen kann, ohne dass es zu ernsthaften Schäden der Biosphäre und für die menschliche Bevölkerung kommt. Im Buch heißt es in Bezug auf diese Diskussion: „Sie hat keine Bedeutung für die Analyse der sozialen Beziehungen zwischen Mensch und Natur und sie wird lediglich missbraucht für ein widerwärtiges soziopolitisches Projekt – die Vernichtung der Armen im großen Stil.“ (S. 100) [3]

 

Neuer ISP Verlag

Tatsache ist, dass sich die Weltbevölkerung in den letzten 60 Jahren beinahe verdreifacht hat – von 2,5 Milliarden im Jahr 1950 auf 7 Milliarden heute! Das bedeutet einen Zuwachs um 80 Millionen Menschen jährlich! Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich diese Wachstumsrate abschwächt. Nach UN-Schätzungen wird die Weltbevölkerung bis zur Mitte dieses Jahrhunderts auf irgendetwas zwischen 8 und 11 Milliarden erhöhen. Gleichzeitig steigt der Pro-Kopf-Verbrauch von Essen, Wasser und Verbrauchsgütern sogar noch schneller als die Bevölkerungszahl.

Es trifft zu, dass ein Absinken des Bevölkerungswachstums keine nennenswerten Auswirkungen auf die Erderwärmung haben wird. Das hängt damit zusammen – das Buch führt das aus –, dass die hohen Geburtsraten in den ärmsten Ländern mit dem geringsten Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 zu finden sind (ca. 1 Tonne pro Jahr).

Das ist jedoch nicht der Punkt. Denn erstens ist der durch Bevölkerungswachstum verursachte ökologische Fußabdruck deutlich stärker (es geht hier um die gesamte Umwelt und nicht nur um CO2). Und zweitens wollen diese armen Menschen, völlig zu Recht, ihre wirtschaftliche Lage verbessern – und dabei haben sie unsere Unterstützung. Der CO2-Ausstoß der ChinesInnen ist so in den letzten zwei Jahrzehnten kapitalistischer Entwicklung auf 7 Tonnen angewachsen.

Ich behaupte natürlich nicht, dass eine Stabilisierung der Weltbevölkerung auf dem aktuellen Stand die ökologische Krise lösen würde. Um das zu erreichen, wäre eine ganze Reihe von weiteren ökologischen, ökonomischen und sozialen Maßnahmen erforderlich. Die Aufgabe wäre aber leichter zu lösen, wenn die Weltbevölkerung nicht weiter anwachsen würde.

Natürlich sollten wir jegliche Form von Bevölkerungskontrolle (und jede Form von Zwang) ablehnen. Die Stärkung der Position der Frauen sollte der Weg sein, wie wir Bevölkerungswachstum zu verhindern suchen. Meiner Meinung nach würden die Frauen im verarmten Süden, wenn sie die Wahl hätten, sich nicht für große Familien entscheiden. Manche würden es tun (was ihr gutes Recht ist), die meisten aber wohl nicht.

„Empowerment“ beinhaltet, dass die Frauen (weltweit) die Möglichkeit haben, über ihren Körper und ihre Fruchtbarkeit selbst zu bestimmen. Wenn das mit Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen und mit der Möglichkeit einhergeht, den Einfluss von Patriarchat und Religion abzuschütteln, würden die Geburtenraten fallen und die Weltbevölkerung würde nicht stärker wachsen. So ganz nebenbei würden sich auch die Lebensbedingungen von Millionen von Frauen verbessern.

Daneben ist es nötig, in der ganzen Bevölkerung das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die Größe der Weltbevölkerung ein wichtiges Thema ist, das man immer im Hinterkopf haben sollte, wenn man die Größe seiner Familie plant.

Meiner Meinung nach muss sich die Linke in dieser Debatte engagieren und die alten Vorurteile hinter sich lassen. Der Mensch ist ein Teil der Natur und hat sowohl ein Bedürfnis wie auch eine Verpflichtung, mit der Natur im Einklang zu leben. Wir sind gemeinsam mit anderen Spezies Teil eines sehr empfindlichen Planeten und sollten versuchen, mit ihnen im Einklang zu leben und nicht permanent ihre und unsere Existenz bedrohen, wie wir es gegenwärtig tun.


Steuern auf Verschmutzung?


Das Buch spricht sich vehement gegen CO2-Steuern (also Steuern auf Verschmutzung) aus. Sie sieht diese als Marktmechanismen. Es ist sicher richtig, Steuern abzulehnen, die nicht funktionieren oder die regressiv wirken so wie die von Kioto und der UNO initiierten CO2-Handelssysteme. Beispiele dafür sind „Clean Development Mechanism“, „Joint Implementation Mechanism“ oder die EU-Pläne für Emissionshandel. Sie sind bestenfalls Kosmetik. Schlimmstenfalls sind sie Freibriefe für Verschmutzung und Profitmacherei.

Das Buch kritisiert zu Recht Sarkozys CO2-Steuer (auf Benzin, Diesel und Heizöl), die starke Proteste von SpediteurInnen, FischerInnen und anderen ausgelöst hat. Sie war zudem durch inakzeptable Ausnahmeregelungen für UnternehmerInnen diskreditiert. Schließlich wurde sie für rechtwidrig erklärt, weil sie das Prinzip verletzte, dass Steuern dem Gleichheitsprinzip Rechnung tragen müssen.

Falsch ist es jedoch meiner Meinung nach, CO2-Steuern, die wirksam und fortschrittlich sind, abzulehnen – wenn sie wirklich emissionsmindernde Wirkung haben und nicht die Armen bluten lassen.

Das Buch führt jedoch folgendes Argument gegen solche Steuern zu Felde: „Lasst uns für einen Moment annehmen – eine Hypothese aus der Welt der politischen Fiktion –eine starke globale Macht wäre in der Lage, einen einheitlichen Preis für CO2 zu verordnen. Es ist klar, dass die großen Firmen die Kosten dafür an die EndverbraucherInnen weiterreichen würden. Ausgehend von dem Wissen, dass die Verbrennung von einer Tonne Diesel 2,7 Tonnen CO2 erzeugt, kann jedeR selbst ausrechnen, dass das Festsetzen auf einen Preis von 500 $ per Tonne sehr abrupt und schwerwiegend das verfügbare Einkommen der normalverdienenden Bevölkerungsmehrheit vermindern würde.“ (S. 68)

Kapitalistische Unternehmen würden, wenn möglich, solche Kosten an ihre Kunden weiterreichen. Aber CO2-Steuern müssen ja nicht so gestrickt sein. Sie können durchaus effektiv und progressiv sein.

Ein interessanter Vorschlag, der die CO2-Steuer in fortschrittlicher Weise anwendet und deshalb durchaus das Zeug hat, breite Unterstützung für eine radikale Maßnahme zu bekommen, ist der Vorschlag des Klimaforschers und Umweltaktivisten James Hansen. Dieser Vorschlag verdient es, von der Linken beachtet zu werden. Hansen Vorschlag ist nicht nur geeignet, klimaförderliche Lebensformen zu fördern, sondern sieht auch einen Transfer von Reichtum von oben nach unten vor. [4] Hansen argumentiert, dass momentan niemand innerhalb der Linken Ausstiegsszenarien für den Zeitraum vor dem Umkippen des Klimas vertritt, die geeignet sind, Massenunterstützung zu mobilisieren.

Die von ihm vorgeschlagene Gebühr (oder Steuer) würde sozusagen an der Quelle von den Energiekonzernen für jede geförderte Tonne fossiler Energie erhoben. Das würde die Preise für jene Güter erhöhen, die aus fossilen Energien gewonnen werden und/oder mit Hilfe von fossiler Energie transportiert werden. Die Gebühr würde anfangs niedrig sein, dann aber jährlich steigen, bis die erneuerbaren Energien mit den fossilen Energien konkurrenzfähig sind.

Das so eingesammelte Geld würde monatlich zu gleichen Teilen an die BürgerInnen des jeweiligen Landes verteilt, direkt auf ihre Bankkonten überwiesen. Diejenigen, die dann ihren Verbrauch an fossilen Stoffen am stärksten einschränken, würden am stärksten profitieren. Sie könnten das tun, indem sie energiesparende Geräte kaufen, die Isolation ihrer Häuser verbessern oder auf grüne Energien überwechseln, die billiger als fossile Energien wären. Am Ende würden bei Hansens Vorschlag 60 Prozent der Bevölkerung finanziell besser fahren – was diese Vorschläge populär machen könnte.

Ein weiterer Vorteil von Hansens Vorschlag ist, dass damit die Chance entstünde, auch für radikalere Vorschläge den Boden zu bereiten. Denn wegen des darin vorgesehenen Umverteilungseffekts von Reich nach Arm liegt Hansens Vorschlag das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit zugrunde. J. B. Foster drückt es so aus: „Ohne die bestehenden ungleichen Klassen- und Machtverhältnisse anzugehen, wird es uns nicht gelingen, einen angemessenen Preis für fossile Energien durchzusetzen.“

Nun sind ja CO2-Steuern nicht wirklich etwas Neues. Steuern auf Benzin und Diesel etwa sind weit verbreitet, etwa in Frankreich oder Großbritannien. Niemand in der Linken schlägt meines Wissens vor, diese Steuern abzuschaffen. Im Gegenteil, die Erhebung dieser Steuern muss verteidigt und ihre Ausweitung auf Flugbenzin gefordert werden, das momentan immer noch steuerfrei ist, obwohl man weiß, dass der Ausstoß von CO2-Emissionen in großen Höhen eine besonders schädliche Wirkung hat.

CO2-Steuern allein können allerdings nicht die Antwort auf die Klimakrise sein. Das macht Hansen im Übrigen auch deutlich. Daneben wäre eine ganze Reihe anderer Maßnahmen von Nöten. Aber Steuern sind doch eine Maßnahme, um der zunehmenden Verschmutzung Einhalt zu gebieten. Deshalb sollten wir sie unterstützen, wo sie einen positiven und progressiven Effekt haben – neben anderen Maßnahmen.

Es gibt ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dieser Debatte. Wenn wir an jedem Vorschlag, Verschmutzung einzudämmen, nur deshalb herummäkeln, weil er nicht allen Kriterien gerecht wird, kommen wir nie zu einer Eindämmung der Umweltverschmutzung, sondern schreiben den Status Quo fest.


Persönliche Verantwortung –oder nicht


Im Zusammenhang mit den CO2-Steuern taucht auch die Frage auf, ob die Individuen eine persönliche Verantwortung für ihren jeweiligen ökologischen Fußabdruck haben oder ob die Verantwortung dafür ausschließlich bei der Industrie und den politisch Verantwortlichen liegt. Es stellt sich ebenso die Frage, welchen Stellenwert individuelles Verhalten in Bezug auf die Umwelt hat.

Obwohl sich an Anfang des Buches die Aussage findet, individuelles Verhalten „könnte einige Bedeutung haben“, scheint Tanuro dann doch der Meinung zuzuneigen, dass die Konzentration auf individuelle Verantwortung eher Ablenkungscharakter habe: „Die Medien sind voll von Behauptungen, dass jedeR einzelne versuchen sollte, ihren/seinen persönlichen Energieverbrauch zu senken, indem man Energiesparlampen benutzt, die Zimmertemperatur runterdreht, die Autobenutzung reduziert, energiesparende Pfannen benutzt usw. Obwohl solche Ratschläge einen gewissen Nutzen haben und so weit wie möglich auch befolgt werden sollten, lenken sie doch von der Tatsache ab, dass das ganze Energiesystem sich durch einen strukturellen Hang für Verschwendung auszeichnet, der viel stärker zu Buche schlägt als die Schäden, die durch individuelles Fehlverhalten verursacht werden.“ (S. 48)

An einer anderen Stelle meint Tanuro: „Man erzählt uns, erste Priorität bei der Überwindung der ökologischen Krise sei, dass wir unsere persönliche Verantwortung für unseren ,Lebensstil‘ übernehmen, uns ansonsten aber ruhig verhalten. Unternehmen würden schon die erforderlichen grünen Technologien erzeugen und die Konsumenten sollten sie dann benutzen. Die Frage nach einer Veränderung der sozialen Beziehungen soll außen vor bleiben. Die Kampagne zur Stabilisierung des Weltklimas soll in der Hauptsache eine individuell-persönliche Angelegenheit sein, eine Frage der Moral, der Mäßigung, der Askese. Wie von Wunderhand gesteuert verschwinden Klasse, soziale Ungerechtigkeit, kapitalkonforme Lobbys und Machtstrukturen aus der Wahrnehmung. Es geht darum, bei den Menschen Schuldgefühle zu nähren.“ (S. 51)

Ich stimme dem nicht zu. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Medien tatsächlich von solchen Appellen überquellen. In Großbritannien zumindest ist es eher so, dass die Zeitungen sich lustig machen, indem sie solche individuelle Maßnahmen als „political correctness“ durch den Kakao ziehen. Meiner Meinung nach existiert sehr wohl eine persönlich-individuelle Verantwortung im Zusammenhang mit dem CO2-Verbrauch und dem ökologischen Fußabdruck. Immerhin macht der häusliche Energieverbrauch, wo es großen persönlichen Handlungsspielraum gibt, 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs aus. Die „Nutzung von Energiesparlampen, niedrigere Zimmertemperaturen, reduzierte Autobenutzung und Deckel auf Pfannen zu setzen“ (die im Buch in ihrer Bedeutung eher heruntergespielt werden) sind tatsächlich ebenso wichtige Dinge wie die Art, in der wir uns ernähren, und unsere Flugreisen, insbesondere die Kurzstreckenflüge.

Persönliche Verantwortung sollte nicht zu jener Verantwortung, die Unternehmen und Politik betrifft, in Gegensatz gesetzt werden. Große Konzerne sind die schlimmsten Verschmutzer und es ist vor allem die Verantwortung der Politik, hier durch angemessene Umweltpolitik einen Rahmen zu setzen. Das ändert aber nichts an der individuellen Verantwortung. Und im Übrigen: Wie können Menschen, denen ihr persönlicher Fußabdruck egal ist, effektive Fürsprecher oder Kämpfer zur Verteidigung der Umwelt im Ganzen sein? Das ist ein Widerspruch in sich selbst.


Nach der Revolution wird alles gut


Es gibt auch eher strategische Anmerkungen in Bezug auf das Buch zu machen. Es ist nicht ganz klar, was Tanuro mit der „Unmöglichkeit eines grünen Kapitalismus“ meint. Wenn er damit meint, dass der Kapitalismus mit seinem Streben nach Profit und Wachstum und seiner Sucht nach fossilen Brennstoffen das Ökosystem des Planeten zugrunde richten wird, dann hat er Recht. Und wenn er meint, dass der Kapitalismus das größte Einzelhindernis für die Verteidigung der Umwelt ist, so trifft das ebenfalls zu. Kapitalistische Produktionsweise und ökologische Nachhaltigkeit sind unvereinbar.

Wenn er aber meint, dass bedeutende Maßnahmen zum Schutz der Umwelt unmöglich sind, solange der Kapitalismus existiert – und das scheint Tanuro zu tun –, dann gibt es ein Problem, da es ja sehr wenige Anzeichen dafür gibt, dass der Kapitalismus weltweit in einem überschaubarem Zeitraum (in den nächsten Jahrzehnten) das Zeitliche segnen wird.

Tatsächlich ist das Buch in dieser Frage nicht ganz stimmig. Auf Seite 73 zum Beispiel argumentiert Tanuro gegen diejenigen, die sagen, man könne vor der Revolution wenig tun. Dennoch ist die überwiegende Botschaft Tanuros eine andere: Nämlich, dass tatsächlich wenig erreicht werden kann, solange der Kapitalismus existiert. Auf Seite 105 steht beispielsweise, es sei eine Illusion zu glauben, dass große Veränderungen möglich sind, solange der Kapitalismus existiert.

Er drückt es so aus: „Wir würden von einer neuen Form des Kapitalismus reden, in welcher das Wertgesetz nicht länger gilt, ein Widerspruch in sich selbst. Sich vorzustellen, dass eine Produktionsweise, die auf dem Wertgesetz aufbaut, mit der Ausbeutung der Natur aufhören könnte, ist ebenso absurd wie die Vorstellung, dass sie mit der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft Schluss machen könnte.“

Es stimmt, dass der Kampf für die Verteidigung der Umwelt im Kapitalismus schwierig ist. Aber gleiches gilt für den Kampf gegen Armut, für Menschenrechte, für Frauenbefreiung, gegen Rassismus und Homophobie. Aber deshalb sagen wir nicht, dass ohne Revolution diese Kämpfe unmöglich sind. Wir führen diese Tageskämpfe als Teil des Kampfes für eine sozialistische Gesellschaft. Auf jeden Fall hat es da schon bedeutende Erfolge gegeben: z. B. gegen Flughafenerweiterungen, gegen Atomkraft in Deutschland oder Japan. Die Ozonschicht wurde gerettet durch eine Verminderung des FCKW-Ausstoßes um 80 %.

Tanuro argumentiert in seinem Buch, dass es im Falle der Umwelt nicht einen ähnlichen Fahrplan gibt: z. B. dass die ArbeiterInnenbewegung nicht beteiligt ist und dass die Umweltschutzkampagnen etwas ganz anderes sind. Diejenigen, die für den Schutz der Umwelt kämpfen, bezeichnet das Buch als „Unterstützer eines ,grünen Kapitalismus‘“; Tanuro hält sie nicht für fähig, die gleiche Art von heroischen Kämpfen zu führen, welche die ArbeiterInnenbewegung über die Frage der Ausbeutung geführt hat. Sie würden nie über Reformismus hinauskommen.

Er drückt das so aus: „Die Freunde des ,grünen Kapitalismus‘ haben nichts gemeinsam mit den ArbeiterInnen, die den Kampf gegen Ausbeutung organisiert haben, oft unter Lebensgefahr. Die Befürworter des ,grünen Kapitalismus‘ setzen nicht auf soziale Mobilisierung oder auf Konfrontation mit dem Kapital, sondern auf Lobbyarbeit innerhalb der herrschenden Klasse und auf Regierungsbeteiligung. Dennoch bleibt der Vergleich mit der ArbeiterInnenbewegung relevant, weil das die Strategie der rechten Sozialdemokratie ist. Es gibt ferner die Neigung zu glauben, der Kapitalismus könne mit den ökologischen Herausforderungen fertig werden, so wie die SozialdemokratInnen der vorangegangenen Jahrhunderte meinten, der Kapitalismus könne mit den sozialen Herausforderungen fertig werden.“ (S. 113)

Das ist nicht nur eine falsche Unterscheidung, sondern auch ein völliges Missverständnis des Charakters ökologischer Kämpfe. Tatsächlich gehören wirtschaftliche und ökologische Kämpfe zusammen und die handelnde Gruppe ist identisch: Die ArbeiterInnenklasse sowie jene Unterdrückten, die am schlimmsten von Klimawandel (Wetterextreme), Umweltvernichtung und Verschmutzung betroffen sind.

Tanuros Buch ist eurozentrisch, insofern es jene Massenkämpfe von eingeborenen Völkern im globalen Süden etwa gegen Staudammprojekte, für Wasserrechte oder gegen die Zerstörungen durch Bergbauprojekte schlicht übergeht. Viele von diesen erbittert geführten Kämpfen gingen auch um wirtschaftliche Fragen und wurden von ein und denselben Leuten geführt.

Düstere Realität ist doch, dass das Warten auf eine Revolution angesichts des Zeitfensters, das uns bleibt, und angesichts der Tiefe der Krise keine Option ist. Wir müssen hier und jetzt, im Kapitalismus, für konkrete Maßnahmen kämpfen als Teil eines revolutionären Programms, welches zur Stabilisierung des Klimas und zum Schutz der Umwelt beiträgt – trotz des zutiefst reaktionären Charakters des kapitalistischen Systems. Andernfalls wird zum Zeitpunkt des revolutionären Umsturzes wenig von der Biosphäre übrig sein, die die ArbeiterInnenklasse noch beerben könnte.

Bis nach der Revolution zu warten, lässt nur den Status Quo unangetastet und verhindert die Entwicklung einer Strategie zur Erreichung einer Revolution. Wenn wir das Kräftegleichgewicht im Kapitalismus nicht so verändern können, dass wir bestimmte Zugeständnisse der Herrschenden erkämpfen, wie sollen wir dann die Bedingungen für ein erfolgreiche soziale Revolution schaffen können?


Die Übergangsmethode


Damit sind wir beim Kernproblem des Buches angekommen. Was die Lösung von Umweltfragen anbelangt, tendiert das Buch zu maximalistischen Forderungen. Es sieht nicht den grundlegenden Zusammenhang von Tageskämpfen, seien sie nun ökonomischer oder ökologischer Art, und dem strategischen Ziel – die Rede ist von einer Übergangsstrategie und Übergangsforderungen.

Tatsächlich findet das Konzept der Übergangsforderungen in dem Buch kaum einen Niederschlag. Es beinhaltet natürlich Tagesforderungen (z. B. auf S. 124), aber es entwickelt keinen Rahmen, in den diese Tagesforderungen zu stellen sind.

Lediglich im Abschnitt über Produktivismus werden Übergangsforderungen erwähnt. Dort wird zu Recht argumentiert, dass Produktivismus ein integrativer Teil des Kapitalismus ist und dass das eine nicht ohne das andere vorstellbar ist. Dieser Bezug führt Tanuro allerdings nicht zu der Schlussfolgerung, dass die Forderung nach einem Ende des Produktivismus eine wichtige Übergangsforderung ist (was ich so sehe), sondern zu sagen, dass das keine Übergangsforderung sein kann.

      
Mehr dazu
Bruno Kern: Das Märchen vom grünen Wachstum und seine roten Kritiker, die internationale Nr. 3/2020 (Mai/Juni 2020)
Jakob Schäfer: Konsumboykott eine revolutionäre Strategie?, die internationale Nr. 2/2020 (März/April 2020)
Nationale Leitung der Gauche anticapitaliste: Ökosozialistische Revolution oder Klimakatastrophe, die internationale Nr. 4/2019 (Juli/August 2019). Auch bei intersoz.org
Ökologie-Kommission der Vierten Internationale: Unser Planet, unsere Leben sind mehr wert als ihre Profite, die internationale Nr. 6/2018 (November/Dezember 2018)
Klaus Engert: Michael Löwy - Ökosozialismus, die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017)
Daniel Tanuro: Was steckt hinter der CO2-Steuer?, die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017)
Alan Thornett: James Hansens „Ausstiegsstrategie“ aus der globalen Erwärmung, Inprekorr Nr. 3/2014 (Mai/Juni 2014) (nur online)
Daniel Tanuro: Die Grundlagen einer ökosozialistischen Strategie, Inprekorr Nr. 6/2011 (November/Dezember 2011)
Daniel Tanuro: Klimaschutz und Antikapitalismus, Inprekorr Nr. 428/429 (Juli/August 2007)
 

Das Buch enthält weitere Übergangsforderungen wie eine deutliche Absenkung der Wochenarbeitszeit, aber auch sie wird nicht in ein Gesamtkonzept gestellt, das das Kräftegleichgewicht im Kapitalismus ändern kann. Stattdessen finden wir die Feststellung, dass solche Forderungen im Kapitalismus nicht erreichbar sind.

Was wir brauchen, ist klar. Wir brauchen ein Ende des Produktivismus, eine vollständige Wende hin zu erneuerbaren Energien, eine integrative Transportpolitik, eine deutliche Reduzierung des Autoverkehrs, eine Regionalisierung der Nahrungsmittelproduktion, eine Absenkung des Fleischverbrauchs und den Artenschutz von bedrohten Tieren und Pflanzen – die Liste könnte noch beliebig fortgesetzt werden.

Das Problem ist jedoch, wie wir die Zustimmung zu solchen Maßnahmen organisiert bekommen und sie in einem realistischen Zeitraum umgesetzt bekommen. Im Moment ist das Problem einer effektiven Strategie des Ausstiegs aus den fossilen Energien und des Umbaus ungelöst. Die Linke insgesamt und meiner Meinung nach auch das Buch von Tanuro geben keine Antwort.


Schluss


Abschließend möchte ich noch einmal die positiven Aspekte des Buches unterstreichen, es kann einen wichtigen Beitrag zu unseren Kämpfen leisten. In Sachen Kapitalismusanalyse leistet es eine Menge. Gleiches gilt für die Wissenschaft vom Klimawandel und die internationalen Institutionen, die diesen in Angriff nehmen sollen. Es gibt eine ganze Reihe von Aspekten, die ich in dieser Besprechung nicht erwähnt habe z. B. seine Kritik an der Atomenergie, an Biotreibstoffen und genmanipulierten Nahrungsmitteln. Fakt ist aber, dass die Fragen, die ich angesprochen habe, allesamt Themen sind, die in der Linken und in der Ökologiebewegung diskutiert werden. Hoffentlich stößt diese Besprechung eine breitere Diskussion an – über das Buch selbst und die Fragen, die ich aufgeworfen habe.

Übersetzung aus dem Englischen: Paul Michel



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 6/2014 (November/Dezember 2014). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Dieses Werk erschien im Dezember 2009 unter dem Titel L’impossible capitalisme vert bei La Découverte in Paris; die Übersetzung ins Englische erschien 2013 bei Merlin Press in Zusammenarbeit mit Resistance Books und dem IIRE. Der Neue ISP Verlag plant für 2015 eine deutsche Ausgabe unter dem Titel Klimakrise und Kapitalismus.

[2] Siehe meine Besprechung von Elizabeth Kolberts Buch: „The next mass extinction“, http://socialistresistance.org/6092/the-biodiversity-crisis.

[3] Diese Besprechung hat nicht den Umfang, um auf alle Anschuldigungen reagieren zu können. Eine ausführliche Darlegung meinerseits zu dem Thema findet sich unter http://internationalviewpoint.org/spip.php?article3007.

[4] Siehe meinen Artikel „James Hansen’s ,exit strategy‘ from global warming“, http://socialistresistance.org/6171/james-hansens-exit-strategy-from-global-warming, auf Deutsch in James Hansens „Ausstiegsstrategie“ aus der globalen Erwärmung, Inprekorr Nr. 3/2014 (Mai/Juni 2014) (nur online).