Iran

Die Frau und der Aufstand im Iran

„Jeder, der etwas von der Geschichte weiß, weiß auch daß grosse gesellschaftliche Umwälzungen ohne das weibliche Ferment unmöglich sind. Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts (Die Häßlichen eingeschlossen).“ Brief von Karl Marx an Louis Kugelmann, 12. Dezember 1868

Houshang Sepehr

Am 16. September 2022 starb eine junge Kurdin namens Jina Mahsa Amini, während sie von der Sittenpolizei in Gewahrsam genommen wurde. Ihr Tod löste landesweite Proteste aus: Junge Mädchen und Frauen gingen auf die Straße, verbrannten ihre Schleier, schnitten sich die Haare ab und forderten lautstark das Ende des blutigen Regimes.


Was lange gärt …


In diesem Protest kommt die jahrzehntelange Wut über die sexistische Apartheid zum Ausbruch, in der die rechtliche Diskriminierung banalisiert wird und staatliche Gewalt sowie alltägliche Demütigungen herrschen. Seit über 40 Jahren leben Frauen und Mädchen unter der Unterdrückung und dem Terror der iranischen Regierung und müssen erniedrigende Schikanen in Bezug auf ihre Kleidung, ihr Verhalten und die intimsten und privatesten Belange ihres Lebens erdulden.

 

Frauentag 1979, Teheran

Foto: Rana Javadi (aus dem Buch: Days of Blood, Days of Fire)

Viel zu lange waren Körper und Sexualität der Frauen ein politisches Instrument zur Stabilisierung des patriarchalischen Systems, im Iran wie auch anderswo. Über Jahre hinweg hat sich in jeder Frau Wut gegen diese persönliche und institutionelle Unterdrückung angestaut. Und diese angestaute individuelle Wut entlädt sich heute kollektiv und nährt diesen feministischen Aufstand.

Unter der Führung der Frauen vereint die Bewegung die große Mehrheit der Bevölkerung (unabhängig von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, ethnischer Zugehörigkeit und sozioökonomischem Status) in der Ablehnung der willkürlichen Gesetze, die das obligatorische Tragen des Schleiers, die Einschränkung der Autonomie und der körperlichen Unversehrtheit von Frauen und die Verletzung der Privatsphäre betreffen. Der Aufstand richtet sich gegen jeden Versuch, die Meinungsfreiheit der Frauen zu beschneiden. Sein Ziel ist, die Unterdrückung ihrer Sexualität und die Verletzung ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte zu beenden, und er schafft Räume, in denen sich die Wut entlädt über ein Leben, das von politischer Verfolgung, wirtschaftlicher Korruption und Umweltzerstörung geprägt ist.

Diese mutige neue Welle des feministischen Widerstands hat die Grundfesten der patriarchalischen und archaischen Theokratie erschüttert. Die iranische Regierung reagiert mit brutaler Gewalt, willkürlichen Verhaftungen und öffentlichen Hinrichtungen. Bis Ende Januar wurden mehr als 500 Menschen von den iranischen Sicherheitskräften getötet, darunter 70 Kinder (viele glauben, dass diese Zahlen weit untertrieben sind). Hinzu kommen Selbstmorde von freigelassenen Personen und inzwischen auch die Vollstreckung von Todesurteilen.


… führt zur bisher schwersten politischen Krise


Die Wurzeln dieser Krise reichen bis zur Entstehung des theokratischen Regimes im Jahr 1979 zurück. Aufgrund ihrer Dauer, ihrer Ausdehnung auf alle Regionen des Landes, ihrer Besonderheiten und ihrer Folgen unterscheidet sich diese Krise weitgehend von den vorangegangenen.

2009 hatte die gefälschte Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad für eine zweite Amtszeit als Präsident sehr viele Iraner*innen unter der Parole „Wo ist meine Stimme geblieben?“ auf die Straßen der Großstädte getrieben.

Ende 2017 und Anfang 2018 löste die Ankündigung neuer Sparmaßnahmen durch die Regierung eine Welle von Demonstrationen aus, die das ganze Land erschütterten und von den Sicherheitskräften schnell und gewaltsam niedergeschlagen wurden.

Im November 2019 kam es im ganzen Land zu einer Massenmobilisierung gegen die Erhöhung der Kraftstoffpreise. Sie wurde in einem beispiellosen Blutbad niedergeschlagen.

In diesen Jahren änderten sich also die Inhalte der Proteste: zunächst gegen Wahlfälschungen und später gegen die wirtschaftliche und soziale Lage. Dies war ein Reflex auf den Verfall des Lebensstandards der Bevölkerung, die Verarmung der Mittelschicht, die steigende Arbeitslosigkeit und die galoppierende Inflation. In den folgenden Jahren verschlechterte sich die sozioökonomische Lage weiter, und die Inflation stieg auf 40 %.

Vor diesem Hintergrund wurde im Juni 2021 der ultrakonservative Ebrahim Raisi zum Präsidenten der Republik „gewählt“. Dieser wird aufgrund seiner Rolle bei der Ermordung Tausender politischer Gefangener im Jahr 1988 „der Schlächter“ genannt. Damit ist die Regierung eines Landes, das sich in einer Wirtschaftskrise befindet und in endlose internationale Verhandlungen verwickelt ist, um das fragile Atomabkommen vor dem endgültigen Aus zu bewahren, in die Hände eines Klerikers mit blutiger Vergangenheit übergegangen, der mit der niedrigsten Wahlbeteiligung in der Geschichte der Islamischen Republik gewählt wurde. Nachdem die ultrakonservative Fraktion des Regimes die Kontrolle über die drei Gewalten (Exekutive, Legislative und Judikative) an sich gerissen hatte, beschloss sie, die Sittenpolizei zu reaktivieren. In diesem Zusammenhang kam es zu der aktuellen Krise.

Die Ermordung der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini am 16. September durch die Sittenpolizei wegen eines falsch sitzenden Schleiers löste im ganzen Land und insbesondere bei jungen Frauen sofort einen beispiellosen Aufschrei aus. Diese starteten rasch eine Protestbewegung, die sich innerhalb weniger Tage über das ganze Land ausbreitete. Zu den jungen Frauen gesellten sich auch die jungen Männer. Von der Straße aus griff der Protest auf die Universitäten über und bald auch auf die Mittelschulen, Gymnasien und sogar auf die Grundschulen. Innerhalb weniger Wochen hat sich die Bewegung zu einem Aufstand entwickelt, der viele Teile der iranischen Gesellschaft umfasst, die nun massiv gegen ein Regime protestieren, das als inkompetent, korrupt und ultrarepressiv gilt. Die große Mehrheit der Bevölkerung identifiziert sich nicht mit einem solchen Regime. Neben dem schiitischen Klerus sind die einzigen Personen, die ihm treu geblieben sind, die Revolutionsgarden (sowie deren Entourage), die in viele Bereiche der Wirtschaft involviert sind, sowie andere Gruppen, die mit den „revolutionären Institutionen“ verbunden sind, wie z. B. die Stiftungen, die alle vom Büro des „Führers“ geleitet werden.


Jin, Jiyan, Azadi (kurdisch für Frau, Leben, Freiheit)


Seit das derzeitige Regime an die Macht gekommen ist, haben zahlreiche Aufstände und Mobilisierungen stattgefunden. Frauen waren jedes Mal dabei und haben diese Aufstände mit ihren Forderungen nach Freiheit geprägt. Der aktuelle Aufstand ist jedoch anders, da er direkt von Frauen initiiert und kontrolliert wurde.

Der Aufstand begann am Tag von Jinas Beerdigung in ihrer Heimatstadt im iranischen Kurdistan. Er breitete sich rasch in dieser Region aus, die seit dem ersten Tag der Machtübernahme durch das theokratische Regime von nationaler und sexueller Unterdrückung geprägt ist. Auf den Straßen dort ging es hoch her. „Jin, Jiyan, Azadi“ war der wichtigste Slogan, der skandiert wurde, und „Zan, Zendegi, Azadi“ (die Übersetzung ins Persische) wurde in anderen Städten des Irans nachgeahmt. Auch wurde er in allen Sprachen verbreitet, um die internationale Solidarität der Völker der Welt mit den iranischen Frauen auszudrücken.

Der Mord an einer gewöhnlichen jungen Frau ist im Iran leider ein häufiges Ereignis, das gesellschaftlich als banal angesehen wird. Für das theokratische Regime haben solche Morde nur wenig Bedeutung. Der Mord an Jina wurde jedoch sehr schnell zu einer nationalen Angelegenheit, die die Grundfesten des Regimes erschüttern könnte Und er nahm auch eine internationale Dimension an.

Der Grund für den mutigen Einsatz von Frauen als Auslöser der aktuellen Krise ist, dass sie die ersten Opfer der islamischen Konterrevolution waren und seit 44 Jahren unter einem unterdrückerischen System leiden, das sie zu Bürgerinnen zweiter Klasse degradiert. Eine kurze Zusammenfassung der Geschichte der iranischen Gesellschaft und des Status der Frauen während der Islamischen Republik ist unerlässlich, um zu verstehen, was derzeit im Land geschieht.


Historischer Exkurs


Die Revolution gegen die Diktatur des Schahs und für politische Freiheit in den Jahren 1977-1979 war eine der bedeutendsten Revolutionen des 20. Jahrhunderts. Während dieser beiden Jahre kam es zu einer unglaublichen Massenbeteiligung. In den letzten vier Monaten vor dem Aufstand am 13. Februar 1979 fand ein Generalstreik statt, an dem mehr als 4 Millionen Arbeiter*innen beteiligt waren. In den Betrieben kam es zu einer explosionsartigen Zunahme der Streikkomitees, Gewerkschaften und Arbeiterräte (persisch: schoura). Dabei ging es um die Kontrolle der Produktion oder die Offenlegung von Verträgen mit ausländischen Unternehmen. Gleichzeitig standen die meisten städtischen Bezirke unter der Kontrolle von Nachbarschaftskomitees.

Während Chomeini versuchte, einen reibungslosen Übergang auszuhandeln, fand vom 9. bis 13. Februar 1979 in Teheran ein Volksaufstand statt, der zur Abschaffung der Monarchie führte. In der Nacht des Aufstands in Teheran wurden schätzungsweise über 300 000 Revolver und Maschinengewehre in verschiedenen Militärkasernen requiriert und an die Bevölkerung verteilt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Chomeini eine der perfidesten und blutigsten Konterrevolutionen der jüngeren Geschichte organisieren musste. Die neue Regierung verfügte dann die vollständige Verstaatlichung der Ölindustrie (26. Februar 1979), gefolgt von der Verstaatlichung der gesamten Industrie (16. Juni).

Die Revolution hatte kaum begonnen, da wurde sie von denjenigen, die von ihr an die Macht getragen worden waren, für beendet erklärt. Chomeini ordnete an, zu verhindern, dass „die Waffen in die Hände der Feinde des Islams fallen“, und erklärte: „Ich werde keine Anarchie zulassen“. Bereits in den folgenden Tagen setzte der Klerus in den Stadtvierteln und an den Arbeitsplätzen Komitees ein. Diese islamischen Komitees begannen, die requirierten Waffen wieder einzuziehen und die kapitalistisch-islamische Ordnung zu etablieren. Islamistische Milizen wurden befugt, auf bewaffnete Personen zu schießen, die ohne Erlaubnis unterwegs waren. Auch die Savak, die berüchtigte politische Polizei des Schahs, wurde durch die Savama ersetzt. Doch auch wenn sich das Kürzel geändert hat, sind viele ihrer Mitglieder dieselben und ihre Arbeitsweise ist unverändert.

Zugleich beeilte sich das neue Regime, „die lieben Arbeiter“, wie der Klerus es nannte, dazu aufzurufen, die Arbeit wieder aufzunehmen und insbesondere die Ölproduktion zu steigern. Natürlich mussten die Mullahs auch Köpfe rollen lassen und einige Offiziere hinrichten, darunter auch höhere Chargen der Polizei und der Savak, die zu verhasst und zu kompromittiert mit dem Schah-Regime waren. Doch blieben durchaus führende Köpfe des alten Regimes im Amt, vor allem, um die Savama, die neue politische Polizei, aufzubauen.

Die Armee war zwar durch den Aufstand in Teheran erschüttert worden, aber der Generalstab hatte sich relativ schnell neu orientiert und somit wesentliche Teile bewahrt. Die Verwaltungsspitzen und ein großer Teil der Savak gingen weitgehend unversehrt aus den Säuberungen hervor. Bereits am 18. April rief Chomeini einen „Tag der Armee“ mit einer Parade in Teheran aus. Im Juni kündigte er eine Amnestie für Militärs und Polizisten an und ab Juli war es verboten, Anzeige gegen sie zu erstatten.

Die Militärhierarchie war das Lieblingskind des Schahs gewesen. Ihre Mitglieder waren in den USA ausgebildet worden und Chomeini konnte zu Recht Verschwörungen von ihrer Seite befürchten. So wurde nach dem US-Luftangriff auf den Iran im April 1980 bekannt, dass mehr als 200 iranische Militärs an einer Verschwörung beteiligt gewesen waren.

Dieses Problem mit der Armee war sicherlich einer der Gründe, warum das neue Regime umgehend neue bewaffnete Repressionskräfte organisierte, die ihm und seiner Ideologie treuer ergeben waren: das Korps der Revolutionsgarden (Pasdaran) sowie verschiedene andere islamische paramilitärische Milizen, die sich größtenteils aus der verarmten Jugend, aus Schlägern, gewöhnlichen Kriminellen und dem Lumpenproletariat rekrutierten. Diese Kräfte wurden von Tausenden Mullahs oder angehenden Mullahs betreut. Außerdem war es dadurch möglich, die Bevölkerung von den Milizen gängeln und kontrollieren zu lassen, was mit der herkömmlichen Armee nicht funktioniert hätte.


Ansätze der Selbstorganisation


Wochen- und monatelang nach dem Sturz der Monarchie herrschte in den Städten und vereinzelt auch auf dem Land weiterhin politischer und sozialer Aufruhr. In den Stadtvierteln und an den Arbeitsplätzen entstanden neue Komitees, meist auf Betreiben von islamischen Aktivisten oder zumindest unter deren tätiger Mithilfe. Dennoch drückten diese Komitees, wenn auch in verzerrter Form, den verbreiteten Wunsch der Bevölkerung nach einer gewissen Machtteilhabe aus. Die Komitees wurden dann in den Städten unter der Leitung des Klerus aufgebaut.

In den Fabriken herrschten eine Zeit lang Hektik und Enthusiasmus. In einer Reihe von Betrieben entstanden eine Art Arbeiterräte (Schouras). Die Arbeiter versuchten, Savak-Agenten aufzuspüren, forderten höhere Löhne, aber auch das Recht, die Leitung ihrer Betriebe neu bestimmen zu können, wenn, wie es oft der Fall war, die alten Manager sang- und klanglos verschwunden waren. Die meisten Schouras waren keine bewussten Strukturen der Gegenmacht, auch wenn sie gelegentlich die Produktion behinderten. Obwohl die Arbeiterklasse in dieser Zeit einige Fortschritte dabei machen konnte, offen zu diskutieren und sich auch rudimentär zu organisieren, behielten die islamischen Milizen letztlich die Kontrolle über die Arbeiterkomitees, die zu bloßen Kontroll- und Spionageinstrumenten des Regimes umgewandelt wurden und schließlich an die Stelle der islamistischen Polizei traten.

Hätten die verschiedenen Komitees zu Keimformen unabhängiger Organe der Arbeiterklasse werden können? Vielleicht wäre das möglich gewesen. Aber dazu hätten die wichtigsten linken Organisationen, die mit Aktivist*innen in diesen Strukturen vertreten waren, eine andere Politik vorantreiben müssen, als bloß das neue Regime zu unterstützen. Leider waren aber fast alle von ihnen tief in der stalinistischen Ideologie gefangen und wollten die Revolution auf einer antiimperialistischen Stufe belassen. In ihren Augen war nicht die Zeit gekommen, um für die Demokratie und noch viel weniger für den Sozialismus zu kämpfen, den sie auf eine ferne Zukunft verwiesen. Die wichtigsten „linken“ Organisationen sahen in Chomeini den Vorkämpfer gegen den „großen imperialistischen Satan“ und machten mit ihm gemeinsame Front gegen die liberale Bourgeoisie. Sie beschuldigten die linken Strömungen, die gleichzeitig gegen den Imperialismus, für Demokratie und für den Sozialismus kämpfen wollten, die fünfte Kolonne der Konterrevolution zu sein.

Die erste offene Opposition, auf die das neue Regime stieß, ging von der Bevölkerung der verschiedenen unterdrückten Minderheiten aus – in Belutschistan, Turkmenistan, dem ölreichen Khuzestân (wo die Bevölkerung teilweise arabisch und nicht persisch ist) und vor allem in Kurdistan mit seinen Traditionen im Kampf für kulturelle Autonomie und wo die nationalistischen Organisationen eine gewisse Autonomie forderten. Für diese Minderheiten war das Kaiserreich der Pahlavis ein „Gefängnis für die nichtpersischen Völker“ gewesen.


Die Frauen im Zeitalter der Monarchie …


Die Geschichte des Schleiers im modernen Iran ist lang und voller Widersprüche.

Während der Diktatur von Reza Schah wurde den Frauen 1936 per Regierungserlass verboten, in der Öffentlichkeit einen Schleier zu tragen. Durch dieses Schleierverbot verlor der Islamismus quasi seinen äußeren Ausdruck und das Markenzeichen der „traditionellen“ Weiblichkeit. Stattdessen sollte die „natürliche und moderne Frau“ eine dezidiert weibliche Rolle einnehmen. In diesem Zusammenhang erinnert sich Afsaneh Nadschmabadi, eine Forscherin zum Feminismus im Iran, an die Geschichte ihrer Mutter: „Nachdem Reza Schah das Schleierverbot von Frauen in der Öffentlichkeit angeordnet hatte (Januar 1936), arbeiteten sie und andere Frauen mehrere Tage lang mit dem Gesicht zur Wand, um den männlichen Blicken zu entgehen.“ […] Aber „sobald sie sich an die Enthüllung gewöhnt hatten, eröffneten sich den Frauen so viele Möglichkeiten im öffentlichen Leben … Es war eine Erfahrung, die sowohl unterdrückerisch als auch nachdrücklich emanzipatorisch war“.

In den Jahrzehnten vor der Februarrevolution von 1979 gab es im Iran keine Frauenbewegung. Was sich nach der konstitutionellen Revolution von 1906 und dann in den Jahren 1941-1953 gebildet hatte, wenn auch in sehr begrenztem Umfang, ging mit dem Staatsstreich von 1953 unter. In den Jahren der darauf folgenden Diktatur wurde die „Frauenfrage“ immer nur dann gestellt, wenn sie von der Regierung ausging und den Bedürfnissen der herrschenden Ordnung diente.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entsprach die kapitalistische Entwicklung im Iran den neuen Bedürfnissen des Weltkapitalismus und war vom iranischen Staat vorangetrieben worden. Der entsprechende gesetzliche Rahmen wurde manchmal schrittweise und manchmal abrupt geschaffen. Die ungleiche und kombinierte Entwicklung der Wirtschaft führte zu einer fragilen Kombination aus modernen Produktionssektoren und mit dem Imperialismus verbundenen Verwaltungsstrukturen einerseits und dem vorkapitalistischen Gesamtrahmen andererseits. Die daraus entstehenden spezifischen Probleme spiegelten sich auf verschiedenen Ebenen wider.

Dasselbe galt für die „Frauenfrage“. Um die alten sozialen Beziehungen mit der neuen Produktionsweise in Einklang zu bringen, wurden Gesetze aus entwickelten kapitalistischen Ländern übernommen. In diesen Ländern waren sie durch jahrelange Kämpfe erkämpft worden, insbesondere die Rechte der Frauen. Die „emanzipierte Frau“ war das Aushängeschild, wenn vom „Iran an der Schwelle zu einer großen Zivilisation“ die Rede war. In den Großstädten begann ein nicht unerheblicher Teil der Frauen, außer Haus zu arbeiten. Diese Entwicklung verlief freilich bruchstückhaft und kollidierte mit der breit verankerten Rückständigkeit der Gesellschaft. Dasselbe galt für die wenigen Fabriken und agrarindustriellen Betriebe, die in der Masse der kleinen Werkstätten und Bauernhöfen untergingen, die kaum ihre Besitzer ernähren konnten.

Mit der Waschmaschine, dem Staubsauger, dem Gasherd etc. entstand das Bild der „neuen Frau“. Diese war nicht bloß Konsumentin, sondern gebildet, arbeitete und hatte Anspruch auf soziale Rechte. Gleichzeitig sollte sie eine gute Mutter für ihre Kinder und eine gute Ehefrau für ihren Mann sein. Dieses Bild wurde hochgehalten, damit die „große Zivilisation“ von der iranischen und internationalen Öffentlichkeit besser angenommen wurde. Dafür wurden Gesetze zum Schutz der Familie erlassen und das Wahlrecht für Frauen, die allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Jungen, Zentren für Familienplanung, die auch Abtreibungen ermöglichten, öffentliche Kinderkrippen für Angestellte und Arbeiterinnen, die Berufsausbildung für Frauen etc. eingeführt.

In den entwickelten kapitalistischen Ländern waren diese Rechte und Freiräume von den Frauen selbst mit viel Einsatz erkämpft worden. Im Iran wurden sie unvollständig und oberflächlich in das Bürgerliche Gesetzbuch und das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht dekretiert. Aufgrund der rückständigen Bedingungen im Iran (Analphabetismus der Mehrheit der Frauen, vorkapitalistische Lebensbedingungen, untergeordnete Stellung der Frauen in traditionellen Familien) kamen diese Gesetze nur einer sehr kleinen Anzahl von Frauen zugute. Erst in den 1970er Jahren (am Ende der Herrschaft von Mohammad Reza Pahlavi) setzten sich die Vorteile, die einige dieser Gesetze mit sich brachten, weitgehend durch.


… und in der Revolution von 1979


Während der Monarchie standen die spezifischen Forderungen der Frauen nie im Vordergrund. Der Kampf für die Befreiung der Frauen besaß keine Tradition, geschweige denn, dass es feministische Organisationen gab. Diese Situation änderte sich auch nicht während des revolutionären Prozesses beim Sturz des Schahs, obwohl sich viele Frauen daran beteiligten. Es wird oft behauptet, dass die massive Beteiligung von Frauen am Kampf gegen den Schah „eine der Besonderheiten der iranischen Revolution von 1979“ gewesen sei und dass der Grund für diese breite Beteiligung der Wunsch gewesen sei, „in das politische Schicksal der Gesellschaft einzugreifen“. Man darf jedoch nicht vergessen, dass ein erheblicher Teil dieser Demonstrantinnen zu den rückständigsten Schichten der Anhänger*innen Imam Chomeinis gehörte. Sie waren nicht nur gegen den Schah aufgestanden, sondern auch gegen die Tatsache, dass „die Freiheit der Frauen“ von oben auferlegt worden war. Das Missverständnis dieses Problems ist eine der „Besonderheiten“ dieser Revolution und für die Sicht der „Frauenfrage“ ist das Verständnis dieses Aspekts sehr wichtig.

Es ist unstrittig, dass es in der Revolution von 1979 an einer Führung, einem revolutionären Programm und angemessenen Organisationen gefehlt hat – und dies betraf nicht nur die „Frauenfrage“. Diese Unzulänglichkeiten, Fehlverhalten und auch Verrat müssen in all ihren Aspekten untersucht werden, auch in der „Frauenfrage“. Nur so wird es möglich sein, die Gründe für das Scheitern der Frauenbewegung nach der Revolution zu verstehen und zu verhindern, dass sie sich in Zukunft wiederholen.

Innerhalb des Bündnisses zwischen dem Klerus und der liberalen Bourgeoisie übernahm die islamische Konterrevolution rasch die alleinige Führung im Kampf gegen den Schah. Danach offenbarte sie ihren reaktionären und frauenfeindlichen Charakter. Bei Demonstrationen mussten Männer und Frauen getrennt marschieren und Frauen ohne Kopftuch hatten außen vor zu bleiben. Von Anfang an wurden Frauen offen für die „Partei Gottes“ rekrutiert und in den Moscheen organisiert, um das Tragen des Tschadors durchzusetzen, wenn man sich nicht dem Verdacht der Prostitution aussetzen wollte. Zugleich wurden Demonstrationen säkularer politischer Kräfte von „Mitgliedern der Partei Gottes“ gewaltsam angegriffen. Da es jedoch in erster Linie um den Sturz des Schahs ging, blieb der Allgemeinheit das Wesen dieser ultrareaktionären Kräfte verborgen, die jede nicht von ihnen kontrollierte Bewegung unterdrückten, um die revolutionäre Dynamik der Bevölkerung zu kanalisieren.


Die islamische Konterrevolution


Schon in den ersten Tagen nach dem Aufstand und der Stabilisierung der provisorischen Regierung wurden Chomeinis Befehle, Frauen aus dem gesellschaftlichen Blickfeld zu entfernen, nach und nach umgesetzt. Nach nur 20 Tagen wurde das Recht der Frauen, als Richterin tätig zu sein, mit wenigen Zeilen abgeschafft und stattdessen der Schleierzwang breit thematisiert.

Die Ankündigung dieser Nachricht fiel mit dem Internationalen Frauentag 1979 zusammen. Ein Teil der Frauen, die mit offenen Angriffen auf ihre elementaren Rechte konfrontiert worden waren, hatte früher als andere die reaktionäre Natur des Regimes erkannt. Und zum ersten Mal seit Jahren nahmen sie an Straßendemonstrationen zur Verteidigung ihrer Rechte teil, eine Kampfmethode, die sie während des Aufstands erlernt hatten. Und trotz der allgemeinen Lage zwangen sie das Regime dazu, vorübergehend vom Schleierzwang abzurücken.

Mit der Stabilisierung der Konterrevolution begann der Angriff auf die Rechte der Frauen erneut. Da es keine konsequenten und organisierten Kämpfe der Frauen gab, folgten auf jeden Rückschlag weitere Einschränkungen ihrer sozialen und ökonomischen Situation. Mit jedem neuen Angriff der Machthaber ließ die Reaktion der Frauen nach und die Unterdrückung nahm zu, bis schließlich keine Gegenwehr mehr möglich war.

Das kämpferische Potenzial der Frauen in der ersten Zeit nach dem Aufstand zeigte, dass es durchaus möglich war, Kämpfe um bessere Rechte zu organisieren. Ihre selbsternannten „Führerinnen“ hatten jedoch keine offensive Strategie dafür parat. Sie verfügten auch nicht über eine Defensivstrategie und wichen vor der breiten Masse der Frauen in der Gesellschaft zurück. Das Ergebnis war, dass die soziale Ungleichheit zwischen Frauen und Männern von Tag zu Tag krasser wurde und die Frauen die wenigen Rechte verloren, die ihnen vor 1979 gewährt worden waren.

Seither wurde die Frau nicht mehr als vollwertiger Mensch, sondern nur noch als halber Mensch betrachtet: „Die Frauen ihrerseits haben gemäß dem Anstand gleichermaßen Rechte und Pflichten. Aber die Männer haben dennoch ein Übergewicht über sie. Und Allah ist mächtig und weise“. (Koran, Sure Al-Baqara) Die islamischen Gebote nehmen den Frauen praktisch alle Rechte. Es sind die Bedürfnisse der islamischen Regierung und das Kräfteverhältnis zwischen Revolution und Konterrevolution, die das Ausmaß der Beschränkungen in den Gesetzen bestimmen.

Frauen haben das Recht verloren, ihre Kleidung selbst zu wählen. Die „unverschleierte“ Frau galt als sozial aussätzig. Und wenn eine Frau sich weigerte, die diesen Herren genehme Kleidung zu tragen, wurde ihr Foto mit Kommentar an die Wände von Geschäften, Krankenhäusern, Büros etc. geklebt. Ihr wurde das Recht abgesprochen, einzukaufen, zu essen, sich medizinisch versorgen zu lassen, zu arbeiten, zu reisen, sich zu bilden etc. Darüber hinaus konnten der Ehemann, der Vater und der Bruder einer Frau ihr jeweils verbieten, zu arbeiten, zu reisen und sogar das Haus zu verlassen. Selbst Unterstützerinnen der Islamischen Republik wurden Opfer solcher Maßnahmen … wenn die Regierung ihre aktive Beteiligung an ihren konterrevolutionären Manövern nicht mehr benötigte.

Die Verfassung, die von der Islamischen Versammlung verabschiedeten Gesetze, das Arbeitsgesetzbuch sowie die Vorgaben für das Arbeits- und Bildungsministerium und andere Regierungsbehörden stützten sich nun auf islamische Gebote. Hinter den hübschen Phrasen von den Müttern und Schwestern zementierten diese Gebote die Unterordnung der Frauen und ihre Verbannung aus dem gesellschaftlichen Leben. In den ersten Jahren der Islamischen Republik erschienen Hunderte von Büchern, Artikeln und Aufsätzen über die Rechte (in Wahrheit über die Rechtlosigkeit) der Frauen – alle unter dem Deckmantel der „Verteidigung der Tugenden und der Keuschheit der ehrbaren Frauen“. Sie gingen über bloße Zeitungsartikel oder Verfassungsänderungen hinaus und vernichteten letztlich die soziale Existenz der Frauen.

Mit etlichen Maßnahmen wurde eine regelrechte soziale „Säuberung“ durchgeführt: Entlassungen von Arbeiterinnen; Ausschluss von Frauen aus dem höheren öffentlichen Dienst; Propaganda gegen Frauenarbeit; Zulassungsbeschränkungen für Schulen, Berufsausbildung und Einstellung von Frauen in vielen Branchen, insbesondere in technischen Berufen und in der Landwirtschaft; Dezimierung der öffentlichen Kindertagesstätten und Verabschiedung von Gesetzen, die einem Teil der erwerbstätigen Frauen den Zugang zu Kindertagesstätten verbieten; und zuletzt Verabschiedung des Dekrets über die Halbtagsarbeit von Frauen.

Aber auch im privaten Bereich hat sich die Lage verschlechtert: Mütter werden dazu angehalten, zu Hause zu bleiben und ihre Kinder großzuziehen; die Rechte der Mütter über ihre Kinder wurden beschnitten und moderne Haushaltsgeräte von der Liste der Produkte gestrichen, deren Herstellung oder Einfuhr als notwendig erachtet wird; ein Großteil der Fabriken, die Fertiggerichte herstellen, wurde geschlossen; die medizinischen Einrichtungen für Frauen wurden reduziert und hohe Strafen für Abtreibungen eingeführt; Polygamie und „Zeitehen“ wurden zur religiösen Pflicht erklärt, um „den Bedürftigen zu helfen“.

Egal ob man die Beschneidung der sozialen Rechte der Frauen allein auf die kurzsichtige Politik des Klerus zurückführte – wie viele Frauen dachten – oder ob damit versucht werden sollte – wie viele linke Intellektuelle meinten – die Strukturkrise des iranischen Kapitalismus und das Problem der Arbeitslosigkeit zu beenden, bleibt eines klar: Diese Angriffe reichten bei weitem nicht aus, um die Krise des iranischen Kapitalismus zu lösen. All diese Maßnahmen sind nicht einfach vom Himmel gefallen. Ein Rückblick zeigt, wie sich der Klerus die Schaffung einer islamischen Gesellschaft schon früher vorgestellt hat, als diese noch nicht die Macht übernommen und die Lösung der strukturellen Krise der Gesellschaft nicht als Teil ihrer Pflichten angesehen hatten. Im Rahmen ihrer Kampagne gegen die soziale Gleichberechtigung von Frauen und Männern erklärten die Kleriker in den 1960er Jahren: „Die gegenwärtige Macht hat die Absicht, die Gleichberechtigung von Frau und Mann einzuführen und zu praktizieren, d.h. die Gebote des barmherzigen Korans mit Füßen zu treten“. (Chomeini in einer Erklärung vom März 1963) oder: „Die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Beteiligung der Frauen an der Gesellschaft, die Korruption und die Verbreitung von Lastern zur Folge hat, sind zu verabscheuen; helfen Sie der Religion Gottes“. (Erklärung vom Februar 1964).

Die reaktionären Bemühungen des Klerus, eine islamische Gesellschaft zu schaffen, reichen bis in die Zeit der konstitutionellen Revolution von 1906 zurück. Die Mullahs, diese geschichtsvergessenen Parasiten, stellten sich von Anfang an gegen jede Bewegung, die für neue gesellschaftliche Verhältnisse eintrat. Und wo immer für Demokratie, Freiheit und Modernität gestritten wurde, hielten sie dagegen „Die Religion kommt dabei zu kurz“.

Zu den Themen, die während und nach der konstitutionellen Revolution auf der Tagesordnung standen, gehörten auch Frauenrechte, wie Wahlrecht für Frauen, Schulen für Mädchen etc. Der Hauptgegner solcher Maßnahmen war der reaktionäre Klerus. Intellektuelle, die für Frauenrechte eintraten, wurden mit Exkommunikation bedroht. Als sich die kapitalistischen Verhältnisse im Iran allmählich durchsetzten, bröckelte die Machtbasis des Klerus. Sie verloren die Grundlagen, die es ihnen jahrzehntelang ermöglicht hatten, die Bevölkerung zu erpressen, da ihnen der moderne Staat den Zugriff auf Justiz, Finanzen, Pilgerfahrten, religiöse Stiftungen und Zuwendungen (Waqf) kürzte. Auch die religiösen Schulen wurden nach und nach unter die Aufsicht des nationalen Bildungswesens gestellt.

Der Klerus existierte fortan bloß mehr als rein ideologische Instanz, und selbst dort verlor er vor allem in den Großstädten und unter den Jugendlichen an Einfluss. Da er in seinem Existenzkampf nicht die wesentlichen und strukturellen Grundlagen des Kapitalismus angreifen konnte, beschränkte sich der Klerus daher im Wesentlichen darauf, gegen die Erosion der traditionellen Familie und die soziale Aufwertung der Frau zu Felde zu ziehen. Der mit der Regierung Mossadegh verbündete islamische Führer, Navab Safavi propagierte Anfang der 1950er Jahre u. a. den Ausschluss von Frauen aus der Verwaltung und die Schleierpflicht für Frauen in der Öffentlichkeit. Auch nach der Revolution von 1979 standen diese beiden Punkte ganz oben auf der Agenda der islamischen Komitees, die von der ersten Regierung, die sich aus Liberalen und gemäßigten Islamisten zusammensetzte, gegründet wurden.

Neben der Landreform war einer der wichtigsten Gründe für Chomeinis Widerstand gegen die Weiße Revolution des Schahs die Ablehnung des Frauenwahlrechts. Alle religiösen Oppositionskräfte standen der Beteiligung von Frauen am gesellschaftlichen Leben feindlich gegenüber. Nicht, wie heute manchmal behauptet wird, bloß gegen ihre „verwestlichte“ Form, auch nicht gegen die Umwandlung der weiblichen Arbeitskraft in eine Ware für den kapitalistischen Markt. In der kapitalistischen Gesellschaft nimmt die Arbeitskraft stets die Form einer Ware an, unabhängig davon, ob es eine Frau oder einen Mann betrifft. Diese Warenbeziehungen, die die Gesellschaft beherrschen, können nur durch den Klassenkampf und den Aufbau des Sozialismus abgeschafft werden.

Der Klerus ist organisch mit der Klassengesellschaft verbunden. Und er lebt von ihr. Angeblich, um die Umwandlung der weiblichen Arbeitskraft in Waren zu bekämpfen, versucht er, die Frauen von der gesellschaftlichen Bühne zu verdrängen. Indem er sie in vorkapitalistischen Bindungen einpfercht und somit die Hälfte der Gesellschaft in die Rückständigkeit zwingt, bekämpft er nicht die Grundlagen des Kapitalismus, sondern führt Krieg gegen ein Symbol. „Die freie Frau“ war nämlich das Symbol, das von Reza Schah und seinem Sohn Mohammad Reza Schah hochgehalten wurde als Beleg für ihre angebliche Modernität. Die Kleriker haben es nun durch das Symbol der „verschleierten Frau“ ersetzt, als Inbegriff der Islamisierung der Gesellschaft.


Frauen im Kreuzfeuer


Warum konnten diese Angriffe auf die Rechte der Frauen so weitgehend und dauerhaft durchgesetzt werden? Um diese Frage zu beantworten, muss man die Struktur des iranischen Kapitalismus und den verschwindend geringen Anteil von Frauen in der Produktion sowie das Kräfteverhältnis zwischen Revolution und Konterrevolution berücksichtigen.

Die Angriffe auf die sozialen Positionen der Frauen gingen in die gleiche Richtung wie die Lösungen, die der iranische Kapitalismus brauchte, um seine Krise zu überwinden: Entlassung von Frauen, Schließung von Kindergärten, Kürzung der Ausgaben für staatlich geförderte soziale Dienste etc. Natürlich waren diese Maßnahmen zur Lösung der Krise keine ausreichende Erklärung für die Angriffe des Klerus unmittelbar nach seiner Machtergreifung, als seine Herrschaft noch nicht stabilisiert war.

Kundgebung in Ottawa

12. November 2022, Foto: Taymaz Valley

 

Zum einen entsprachen sie der Ideologie der herrschenden Reaktionäre und der Notwendigkeit, diese in der Gesellschaft zu verankern. Dabei kam ihnen entgegen, dass sie sich mit den Bedürfnissen des krisengeschüttelten Kapitalismus deckten. Zum anderen lag es am Ausbleiben eines organisierten Widerstands mit frauenspezifischen Anliegen. Man darf nicht vergessen, dass die Machthaber zur gleichen Zeit die revolutionäre Bewegung unter massiven Beschuss setzten. Die Praxis der iranischen Linken und ihre falsche Haltung zu verschiedenen Aspekten des revolutionären Kampfes – und insbesondere zur Frauenfrage – spielten dabei eine wichtige Rolle für den letztlichen Erfolg des Regimes.

Wie bereits erwähnt, hatten die Frauen während des Kampfes gegen das Schah-Regime keine eigenen Strukturen, während diejenigen, die um die Machtübernahme kämpften, sich zuvor monatelang vorbereitet hatten, um in die Öffentlichkeit zu treten. Unter ihnen gab es praktisch keine Frauen. Die Frauen der „Partei Gottes“ hingegen wurden von den Moscheen mit reaktionären Slogans auf die Straßen geschickt. Sie begannen etwa sechs Monate vor dem Aufstand im Februar 1979 an den Demonstrationen teilzunehmen, insbesondere in den Provinzen. Ab diesem Zeitpunkt wurden unverschleierte Frauen auf der Straße von ihnen beschimpft und manchmal verprügelt, vor allem an Tagen, an denen Demonstrationen stattfanden.

Obwohl viele Frauen an den Demonstrationen für den Sturz des Schahs und des diktatorischen Regimes teilgenommen hatten, gerieten sie nach der Einsetzung der Übergangsregierung ins Visier – just zu einem Zeitpunkt, an dem sie erstmals als Frauen für ihre Rechte eintraten.


Die Frauenfrage in der Linken


Vor 1979 gab es im Iran eine Vielzahl von Organisationen, die sich auf den Marxismus-Leninismus, die Revolution und die Arbeiterklasse beriefen. In der Praxis begnügten sie sich in der revolutionären Phase vor dem Aufstand damit, der Entwicklung nachzutraben, statt zu versuchen, ein eigenständiges Programm zu entwickeln, um den Kampf auf ein höheres Niveau zu heben, ihn zu organisieren und auf eine soziale Revolution auszurichten.

Gegenüber der Mobilisierung der Frauen waren diese linken Organisationen aus ihrer politischen Tradition heraus außerstande, sich zur Frauenbewegung klar zu positionieren und gemeinsame Aktionen zu unternehmen, auch wenn einige ihrer Mitglieder durchaus aufgeschlossen waren. Diese Schwäche der Linken zeigte sich später noch deutlicher, als die Angriffe auf die Frauenrechte zunahmen.

Nach 1953 und dem Verrat der Tudeh-Partei (einer moskaufreundlichen, stalinistischen Partei) folgten die linken Strömungen, die versuchten, mit der Moskauer Linie zu brechen, im Wesentlichen derselben Denkschule und ihren verschiedenen Varianten (insbesondere die pro-chinesischen, pro-kubanischen und pro-albanischen Gruppen). Im Angesicht der Revolution verfügten diese Organisationen über keine festen Positionen, die sie den Arbeiter*innen hätten anbieten können, und liefen ihnen stattdessen besinnungslos hinterher. Das „Volk“ wurde für sie zu einem Fetisch, dem sie sich unterordneten, statt eine Perspektive zu weisen. Und wenn ein Arbeiter über die Ausbeutung sprach, waren sie begeistert und sahen die sozialistische Revolution in greifbarer Nähe.

Das Volk erschien ihnen umso revolutionärer, je zerrissener die Kleidung, je unbewohnbarer das Haus und je leerer die Taschen waren. Jeder, der auf Amerika schimpfte, geriet ihnen zum Antiimperialisten. Umgekehrt verschlossen sie die Augen vor konterrevolutionären Aktionen zum Nachteil der Demokratie, der Freiheiten, der Frauen, der Arbeiter*innen, der Unterdrückung in Kurdistan etc.

Wir können hier nicht auf alle Aspekte dieser Schwäche der Linken während dieser Zeit eingehen. Es ist hingegen die Pflicht von Marxist*innen, aus den Kämpfen, den Niederlagen und den Gründen dafür zu lernen. Organisationen, die sich auf den Kommunismus berufen, sollten die Frauenfrage zu einer ihrer obersten Prioritäten machen. Dies ist leider nicht der Fall. Die wenigen Übersetzungen marxistischer Bücher zu diesem Thema zeugen einerseits von der mangelnden Aufmerksamkeit der Linken für die Befreiung der Frauen, andererseits liefern sie eine Erklärung für die fehlenden Kenntnisse ihrer Basis zu diesem Thema.

Bar jeder Kenntnis von den Diskussionen, die seit Jahren in der internationalen Arbeiterbewegung geführt werden, wurden verschiedene abgedroschene Argumente vorgebracht: „Eine spezifische Intervention zugunsten der Frauen spaltet die Reihen der Arbeiterklasse“; „Die Verteidigung der Frauenrechte dient nur den bürgerlichen Frauen“; „Das ist die Sache der Liberalen“; „Es ist die Bourgeoisie, die am meisten von der Frauenbewegung profitiert, zum Beispiel hat sie in Chile den Putsch gegen Allende organisiert, indem sie die Frauen instrumentalisiert hat“. Mit solchen Sätzen wurde letztlich die Untätigkeit eines großen Teils der Linken in der Frauenfrage gerechtfertigt.

Ein relativ großer Teil der iranischen Linken war und ist der Ansicht, dass die soziale Gleichstellung von Frauen und Männern nur erreicht werden kann, wenn zuvor eine soziale Revolution stattgefunden hat. Dementsprechend wandten sie sich dagegen, dass ein spezifischer Kampf der Frauen vor der Revolution geführt werden muss. Diejenigen, die noch immer diesen überkommenen Vorstellungen nachhängen, übersehen, dass die soziale Revolution und die Abschaffung des Privateigentums an den Produktions- und Tauschmitteln auch den Höhepunkt des Kampfes für die Befreiung der Frau darstellen. Die soziale Revolution ist jedoch weder der Ausgangspunkt noch der Endpunkt des Kampfes der Frauen.

Die soziale Revolution ist der Organisation des Kampfes in den verschiedenen Bevölkerungsschichten, einschließlich der Frauen, untergeordnet. Es geht nicht darum, Däumchen zu drehen und zu denken, dass die Revolution von selbst kommt und alle unsere Probleme lösen wird.

In der revolutionären Propaganda wird oft behauptet, dass die Unterdrückung der Frauen durch die Revolution unter Führung der Arbeiterklasse beseitigt werden wird. Daraus folgt, dass man die Arbeiterklasse dazu bewegen muss, sich auf die Machtübernahme vorzubereiten. Außerdem muss sie in ihren Kämpfen den anderen unterdrückten Gesellschaftsschichten verdeutlichen, dass sie ihre eigenen Ziele erreichen können, wenn sie sich mit der Arbeiterklasse zusammenschließen.


Warum gibt es keine Frauenorganisationen im Iran


An Bemühungen, solche zu gründen, hat es nicht gefehlt. Traditionell jedoch überwog in der iranischen Linken die Ansicht, dass die Frauen nicht nur die Hälfte der Arbeiterklasse ausmachten, sondern auch deren rückständigsten Teil darstellten. Also ging es darum, ihr Bewusstsein auf das gleiche Niveau wie in der Arbeiterklasse als Ganzes zu bringen und sie mit den Ideen der revolutionären Partei vertraut zu machen, damit sie dann unter der Führung der Partei Seite an Seite mit der Arbeiterklasse für den Sieg der Revolution kämpfen konnten.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden einige Schritte in diese Richtung unternommen und die Bedeutung der Frauenfrage für die revolutionäre Partei hervorgehoben. Doch wie in vielen anderen Ländern auch stieß dies auf zahlreiche Hindernisse und, statt Fortschritte zu erzielen, gab es sogar Rückschritte. Dies hatte zur Folge, dass die Bemühungen um ein revolutionäres Programm unter Einschluss der Frauenbewegung über viele Jahre hinweg verschwindend gering waren. Die hauptsächlich stalinistisch orientierte iranische Linke war auch nicht in der Lage, die neuen Erfahrungen der weltweiten Arbeiterbewegung aufzugreifen. […]

Im Iran ist das Buch Lenin und das Problem der Frauenbefreiung, das von Mariam Firouze, einer Führerin der Tudeh-Partei, übersetzt wurde, mustergültig für diese theoretischen Kunstgriffe im Namen von Lenin. Nach dem Sturz der Monarchie bewies diese Partei großes Geschick bei derlei Manöver. Das „Demokratische Frauenkomitee des Irans“ mit seiner Zeitung Die Welt der Frau versuchte einerseits, indirekt die Kompromisspolitik der Tudeh mit dem Mullah-Regime zu rechtfertigen, indem es dem in Frauenfragen mittelalterlichen Regime fortschrittliche Qualitäten zubilligte. Und auf der anderen Seite versuchte es, das Bewusstsein und die Kampfbereitschaft zu schärfen, ohne jedoch die von der Partei gesetzten Grenzen zu überschreiten.

In den drei Jahren ihres Erscheinens veröffentlichte die Zeitung unter anderem freundliche Kritik am Regime wegen der schwindenden Frauenrechte, Ratschläge an die Regierung, wie sie die Frauen kontrollieren und zur Unterstützung der Islamischen Republik bewegen könne, – also eine traditionalistische Ausrichtung ohne revolutionären Inhalt – sowie einige Artikel über die „gute Lage“ der Frauen in den Ländern des „sozialistischen Lagers“ als Hausfrau, Mutter, Kämpferin und Arbeiterin. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass sich Mitglieder der Tudeh von der Islamischen Republik angezogen fühlten.

Leider ist diese Haltung bei einem Großteil der iranischen Linken gang und gäbe. Die wenigen marxistischen Bücher, die ins Persische übersetzt wurden, wurden entweder von der Tudeh-Partei oder von Personen oder Organisationen übersetzt, die letztlich die Position der UdSSR rechtfertigten. Dieses monolithische Denken hatte einen verheerenden Einfluss auf junge Menschen, die sich zum Marxismus bekannten. Ein Teil von ihnen (insbesondere die Guerillagruppe der Volksfedayin) stand unter dem Einfluss des Stalinismus, hauptsächlich über die Tudeh-Partei oder Strömungen, die aus dieser Formation hervorgingen. Sie waren nicht in der Lage, ein Programm zu entwickeln, das die Emanzipation der Frauen und ihre Organisierung vorantrieb. Ebenso wenig waren sie in der Lage, marxistische Schriften und die Erfahrungen, die die Arbeiter- und Frauenbewegung über Jahre hinweg weltweit gesammelt hatten, bekannt zu machen.

Vor etwa anderthalb Jahrhunderten verfasste Engels in Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats ein klares sozialistische Programm zur Aufhebung der Frauenunterdrückung: „Nun gehn wir einer gesellschaftlichen Umwälzung entgegen, wo die bisherigen ökonomischen Grundlagen der Monogamie ebenso sicher verschwinden werden wie die ihrer Ergänzung, der Prostitution. Die Monogamie entstand aus der Konzentrierung größerer Reichtümer in einer Hand- und zwar der eines Mannes - und aus dem Bedürfnis, diese Reichtümer den Kindern dieses Mannes und keines andern zu vererben. Dazu war Monogamie der Frau erforderlich, nicht des Mannes, so daß diese Monogamie der Frau der offnen oder verdeckten Polygamie des Mannes durchaus nicht im Wege stand. Die bevorstehende gesellschaftliche Umwälzung wird aber durch Verwandlung wenigstens des unendlich größten Teils der dauernden, vererbbaren Reichtümer – der Produktionsmittel – in gesellschaftliches Eigentum diese ganze Vererbungssorge auf ein Minimum reduzieren. (…) Die Lage der Männer wird also jedenfalls sehr verändert. Aber auch die der Frauen, aller Frauen, erfährt bedeutenden Wechsel. Mit dem Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum hört die Einzelfamilie auf, wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu sein. Die Privathaushaltung verwandelt sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit; die Gesellschaft sorgt für alle Kinder gleichmäßig, seien sie eheliche oder uneheliche. Damit fällt die Sorge weg wegen der „Folgen“, die heute das wesentlichste gesellschaftliche – moralische wie ökonomische – Moment bildet, das die rücksichtslose Hingabe eines Mädchens an den geliebten Mann verhindert. Wird das nicht Ursache genug sein zum allmählichen Aufkommen eines ungenierteren Geschlechtsverkehrs und damit auch einer laxeren öffentlichen Meinung von wegen jungfräulicher Ehre und weiblicher Schande?“

Und heute, hundertfünfzig Jahre später, haben unsere moral- und familienversessenen Marxisten diese Orientierung aus ihrem Programm gestrichen, sie auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern reduziert und noch nicht einmal für die ferne Zukunft versprochen.

Ein weiterer Grund für die Schwäche der angeblich revolutionären kleinbürgerlichen Gruppen im Iran war ihre Volkstümelei. Die kulturelle Rückständigkeit der Mehrheit unserer jungen Revolutionäre war so groß, dass sie glaubten, Armut sei die Quelle der Revolution, und daher verklärten sie sie. Ihr Credo lautete: „Der Schleier ist nicht das Problem unserer Arbeiterinnen“, „Das Recht auf Abtreibung ist bürgerlich und passt nicht zu den religiösen Vorstellungen des Volkes“ und ähnliches.

Wenn die Arbeiter*innen gewusst hätten, dass der Schleierzwang ein Angriff auf ihre Rechte ist, wenn sie gewusst hätten, warum das reaktionäre Regime Abtreibungen ablehnt und welche überragende Bedeutung die Meinungsfreiheit für den Sturz kapitalistischer Regime haben kann, welchen Nutzen hätten ihnen dann revolutionäre Intellektuelle gebracht?

Tatsächlich hatte die Bevölkerung in all diesen Fragen weniger Illusionen, als die kleinbürgerlichen Intellektuellen, die sich als links bezeichneten, dachten. Eine der Lehren aus der Revolution von 1979 war, dass die Arbeiter*innen sich dessen viel bewusster waren als sie. Kianouri, der Führer der Tudeh-Partei, schrieb in seinen Memoiren: „Der katastrophale Fehler der Revolution liegt darin, dass die Menschen zu radikal und zu links waren“. Es gab jedoch Einzelne und insbesondere Frauen, die die kämpferischen Kräfte zusammenzuschließen versuchten, damit die Frauen sich zur Verteidigung ihrer Rechte organisieren konnten. Doch ihre Zersplitterung, ihre numerische Schwäche und ihre begrenzten Möglichkeiten, den Kampf programmatisch vorzubereiten, hinderten sie daran, die Ereignisse ernsthaft beeinflussen zu können.


Die Lehren aus der gescheiterten Revolution


Unter dem Schah war der Widerstand der Frauen gegen die Unterdrückung in erster Linie individuell und nicht kollektiv gewesen. Die eingeschränkten Rechte, die sie bekommen hatten, waren ihnen von oben herab gewährt worden. Sie betrachteten diese Rechte als so selbstverständlich und hatten ein solches Selbstbewusstsein erlangt, dass sie sich verschleierten, um an den Demonstrationen vor dem Aufstand teilzunehmen, und dabei die Augen vor den dunklen Absichten des Klerus für die Frauen verschlossen. Sie sahen darin eine politische Notwendigkeit und glaubten, dass sie danach den Schleier ablegen würden. Somit ordneten sie ihre Teilnahme am Kampf der Führung anderer unter. Mit anderen Worten: Sie kämpften nicht unabhängig, weil der Boden dafür nicht bereitet worden war.

Da die Frauen vor 1979 einige Rechte genossen hatten, ohne dafür gekämpft zu haben, forderten sie während des Aufstands nicht die Ausweitung dieser Rechte, obwohl selbst diese wenigen Rechte nicht für alle Frauen galten. Die Frauen gingen also in den Kampf, ohne eigene Forderungen nach ihrer Befreiung und dem Ende der sexuellen Unterdrückung in der Gesellschaft zu stellen. Schon wenige Tage nach dem Aufstand war der Optimismus verschwunden. Die Frauen waren überrascht und hilflos angesichts der beginnenden Angriffe des islamischen Regimes. Trotzdem wehrten sich einige Frauen, vor allem diejenigen, die die wenigen Rechte, die ihnen zuvor gewährt worden waren, ausprobiert hatten, und gingen auf die Straße.

Diesmal trat eine eigene Frauenbewegung auf den Plan. Eine spontane Bewegung, ohne Erfahrung, ohne Programm, ohne Organisation und ohne Perspektiven. Doch je länger diese andauerte, desto offensichtlicher wurden ihre Schwächen. Einige linke Organisationen und radikale Intellektuelle leisteten zunächst zaghafte Unterstützung für die Frauenbewegung. Doch schon bald fingen sie an, die Bewegung für ihre Schwäche zu kritisieren und letztlich zu boykottieren. Sie erwarteten von dieser unerfahrenen und unorganisierten Bewegung Antworten auf Probleme, für die sie selbst keine parat hatten. Und die Bemühungen einiger, insbesondere weiblicher Mitglieder verschiedener politischer Organisationen, der Frauenbewegung eine Perspektive zu bieten, wurden regelrecht sabotiert. Während das Regime die Unterdrückung verschärfte, griff es auch die Rechte der Frauen immer stärker an. Und die Frauenrechtler*innen, die am Kampf teilgenommen hatten, wurden demoralisiert und hilflos in die Untätigkeit getrieben.

Mit dem zunächst verhängten Schleierzwang an öffentlichen Orten hörten die Angriffe auf die Rechte der Frauen nicht auf. Nicht nur deren rechtliche und politische Freiheiten gerieten ins Visier, sondern auch ihre sozioökonomische Stellung. Die Rechte der Frauen müssen als Ganzes betrachtet werden und ein Angriff auf Teile davon stellt sie auch als Ganzes infrage, da er nur Vorbote späterer Angriffe ist. Der einzige Weg zur Verteidigung dieser Rechte sind die Kämpfe der Frauen selbst. Aber es fehlte ihnen nicht nur eine Strategie zur Verteidigung dieser Rechte, sondern auch eine offensive Strategie, die die Frauenbewegung vorantreiben und ihr Perspektiven weisen und somit weitere Frauen, gerade die am härtesten unterdrückten, gewinnen konnte. […]

Das Fehlen einer revolutionären Führung der Frauenbewegung führte zu einer Trennung zwischen dem Kampf für mehr Freiheiten und demokratische Rechte der Frauen und den Kämpfen in der gesamten Gesellschaft. Die Frauen konnten nicht spontan die Verbindungen zwischen ihrem spezifischen Kampf und anderen Kämpfen erkennen: dem Kampf der Arbeiterräte, die in den Betrieben entstanden, dem Kampf des kurdischen Volkes für das Recht auf Selbstbestimmung, dem Kampf für Meinungsfreiheit etc. Sie waren nicht in der Lage, sich mit anderen Kämpfen zu identifizieren. Und umgekehrt wurde der spezifische Kampf der Frauen nicht von anderen Bewegungen unterstützt. Die fehlende Koordination zwischen all diesen Kämpfen führte zum Scheitern der Bewegung.

Es ist unrealistisch, dies alles von spontanen Bewegungen zu erwarten. Die Erfahrung hat wieder einmal gezeigt, dass der Kampf der Frauen eine revolutionäre Führung benötigt hätte, die gleichzeitig in der Lage ist, die Frauen für die Erfüllung ihrer spezifischen Forderungen zu organisieren und auf die notwendige Koordination zwischen diesem Kampf und anderen Kämpfen hinzuarbeiten. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Frauen ihren Kampf hintanstellen und darauf warten sollten, dass die sozialistische Revolution in Einheit mit dem Proletariat die materielle Grundlage für ihre Befreiung schafft. Dies ist eine Lektion, die sie im Laufe ihres Kampfes verstehen werden. Auch hier ist es die Pflicht von Revolutionär*innen, die Schwächen und Stärken des Kampfes zu erfassen, um die Sache voranzutreiben.

Ein weiterer interessanter Punkt ist die soziale Herkunft der Frauen in der Bewegung. Die große Mehrheit von ihnen waren gebildete Frauen: Büroangestellte, Krankenhauspersonal und Lehrerinnen. Sie hatten mehr als andere von den Rechten profitiert, die den Frauen unter dem Schah zugestanden wurden. Und das wurde von einigen linken Kräften als Vorwand benutzt, um ihre ablehnende Position zu rechtfertigen.


Welche Organisation brauchen die Frauen?


Die derzeitige iranische Frauenbewegung kann den Weg dafür ebnen, die enorme Kraft der Frauen in einer Organisation zu bündeln, die für ihre Emanzipation kämpft. Sie könnte zu einem mächtigen Instrument gegen die Reaktionäre, Opportunisten und Verteidiger des kapitalistischen Systems werden, die aufgrund ihrer eigenen Interessen an der Unterdrückung der Frauen beteiligt sind. Diese Art von Organisation wird nicht von oben oder von einigen wenigen Frauengruppen geschaffen werden können. Diese Organisation muss aus dem Herzen des Kampfes und der Bewegung der Frauen selbst hervorgehen.

Jeder Kampf für die Beseitigung der sexuellen und sozialen Diskriminierung der Frauen und jeder Fortschritt auf diesem Weg stellt schnell die alten gesellschaftlichen Verhältnisse, die Vorurteile und die Basis der patriarchalischen Familie in Frage, die den Haupttransmissionsriemen der Klassenverhältnisse bildet. Und im Laufe dieses Prozesses wird die Notwendigkeit einer eigenen Organisation der Frauen immer deutlicher werden, da immer mehr von ihnen dann erkennen, dass mit der richtigen Führung der Weg zur Emanzipation möglich ist.

Die Existenz einer autonomen Frauenbewegung ist unerlässlich, um die große Masse der Frauen davon zu überzeugen, dass ihr spezifischer Kampf gemeinsam mit den anderen Unterdrückten und Ausgebeuteten geführt werden muss, und um den Kampf für das Ende jeglicher Unterdrückung vorzubereiten. Eine solche Organisation kann nicht künstlich entstehen, sondern braucht eine Führung, die in der Lage ist, sie zu strukturieren und zu leiten. Bleibt die Frage, wie diese aussehen könnte.

Das Problem der Gleichstellung von Frauen und Männern ist nicht nur eine rechtliche Frage und kann auch nicht allein mit der Erlangung gleicher juristisch-politischer Rechte für Frauen gelöst werden. Die Diskriminierung beruht auf der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und verweist letztlich auf einen bestimmten Moment in der Sozialgeschichte, mit einer bestimmten Arbeitsteilung, die Frauen und Männern unterschiedliche Aufgaben in der Sphäre der gesellschaftlichen Produktion zuweist.

Die Voraussetzung für die vollständige Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist die Existenz einer Gesellschaft, die von dieser alten Arbeitsteilung befreit ist. Wie die Befreiung der Arbeiterklasse und anderer unterdrückter Gesellschaftsschichten hängt auch die Befreiung der Frauen von der Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaft und der Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft ab, die frei von jeglicher gesellschaftlicher Arbeitsteilung ist, und damit auch von der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau.


Revolutionäre Parteien und Frauenbewegung


Die volle Beteiligung der Frauenbewegung an der Revolution ist nur möglich, wenn es eine Kraft gibt, die von der Unterdrückung der Frau und ihrem Befreiungskampf ein materialistisches Geschichtsverständnis, eine wissenschaftliche Sicht und ein dialektisches Bewusstsein über die Logik des Kampfes hat. Das heißt, eine revolutionäre sozialistische Führung, die es ermöglicht, diesen Kampf konsequent bis zum Ende zu führen und ein Bündnis zwischen der Frauenbewegung und den sozialistischen Kämpfen des Proletariats herzustellen.

Die Genossinnen müssen sich beim Aufbau einer autonomen Frauenbewegung umfassend engagieren, die weite Teile der Frauen umfasst, auf innerer Demokratie beruht und die Pluralität der an diesem Prozess beteiligten politischen Strömungen respektiert. Nur so können die Revolutionär*innen das Vertrauen der Frauen gewinnen, zur Vereinheitlichung ihrer Kräfte beitragen, die Instrumentalisierung der Frauenbewegung durch bürgerliche Strömungen bekämpfen und erreichen, dass ihre Positionen in der Frauenbewegung hegemonial werden.

Um dies zu erreichen, müssen sie ihr unabhängiges Programm innerhalb der breiten Frauenbewegung vertreten und sich an einer unabhängigen Tendenz der Frauen beteiligen, die die sozialistische Revolution befürworten. Nur so kann die Frauenbewegung an einer revolutionären Ausrichtung festhalten. Zwar wird ansonsten das kämpferische Potenzial der Frauen nicht verschwinden, aber ihre Ziele werden sich auf die mit den Interessen der Bourgeoisie vereinbaren Forderungen beschränken. Die Frauenbewegung könnte sich dann zu einem Hebel in den Händen der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse und letztlich gegen die Frauen selbst entwickeln.

In der gegenwärtigen Situation kommt der Existenz einer Frauenbewegung, die programmatisch auf die sozialistische Revolution ausgerichtet ist, eine herausragende Bedeutung zu. Im Iran können Frauen, die sich innerhalb der Frauenbewegung engagiert haben, selbst in kleinen Organisationen eine große Hilfe sein, um diese Erfahrungen zu kapitalisieren und daraus zu lernen. Dies wird sich nicht nur auf die Frauenbewegung auswirken, sondern auch auf Teile der Linken, die sich bei dieser Gelegenheit von einigen ihrer kleinbürgerlichen Vorstellungen freimachen können. […]

Dem klerikalen Regime die Stirn zu bieten, war eine der größten Errungenschaften dieser Bewegung. Die Porträts von Führern des Regimes zu verbrennen, Seminare in Brand zu stecken, die Turbane der Mullahs öffentlich fallen zu lassen und sie auf eine Weise lächerlich zu machen, greift das Regime mehr an, als bloße Beleidigungen gegen die Person des Obersten Führers Khamenei auszusprechen. Damit ist der sakrosankte Status dieses politischen Regimes für immer gebrochen.

Einige unterdrückte ethnische Minderheiten haben sich der Zensur entledigt und ihre missachteten nationalen Rechte eingefordert. Die Tatsache, dass heute jeder von den Belutschen und Belutschistan gehört hat, ist eine unwiderrufliche Errungenschaft. Diese erwachten Nationen dürfen nicht in die Vergessenheit der öffentlichen Meinung zurückgeschickt werden. […]

Die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ profitiert einerseits von ihrer Originalität und andererseits von der Perspektivlosigkeit der herrschenden Politik. Es ist noch nicht klar, in welcher Form sie triumphieren und welche Etappen sie durchlaufen wird, aber sie ist unumkehrbar, auch wenn sie Schwankungen unterliegt.


Die Schwächen der Bewegung


Die Bewegung hat wichtige positive Veränderungen in der Gesellschaft und in der Politik bewirkt. Sie hat aber auch große Lücken, die geschlossen werden müssen, um sie weiter und auf eine höhere Ebene zu bringen:

Das Fehlen eines klaren strategischen Ziels. In dieser Phase können Zweideutigkeiten zu ernsthaften Problemen führen. Die iranische Gesellschaft braucht einen tiefgreifenden Wandel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um ein säkulares, demokratisches und soziales System zu errichten, das das herrschende theokratische, sozial ungerechte und korrupte Regime ersetzt.

Die Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht wird, ist mindestens genauso wichtig wie das Ziel selbst! Der Mangel an einer klaren politischen Strategie des derzeitigen Aufstands und seiner wichtigsten Elemente ist besonders schwerwiegend. Eine demokratische und säkulare Bewegung muss sich in erster Linie auf die verschiedenen sozialen Bewegungen stützen, um dort ihre politische Strategie zu verankern. Die noch immer mangelnde Vernetzung der Protestbewegung mit den zivilgesellschaftlichen Verbänden und Gewerkschaften ist eine der größten Schwächen, die dringend behoben werden muss. Um die Bewegung auszudehnen und voranzubringen, ist eine Konvergenz zwischen all diesen Kräften und Bewegungen erforderlich.

Die Kluft zwischen den Generationen: Die iranische Gesellschaft zählt 85 Millionen Einwohner*innen, von denen 86 % nach der Revolution von 1979 geboren wurden. Die Altersgruppe der 15- bis 29-Jährigen (die sogenannte Generation Z) macht 22 % der Gesamtbevölkerung aus (über 18 Millionen Menschen) und die der 30- bis 64-Jährigen 47 % (über 39 Millionen). Eine der Folgen ist das Fehlen einer gemeinsamen Sprache und Kommunikation zwischen der jüngeren Generation und den älteren Generationen. Es ist in der Tat notwendig, dass die verschiedenen Generationen einander kennenlernen, verstehen und sich gegenseitig ermutigen. Wenn die jüngere Generation beispielsweise nicht weiß, wie die ältere Generation die Revolution von 1979 erlebt hat, schadet dies der aktuellen Bewegung und der Zukunft der Gesellschaft. Die Existenz einer Kluft zwischen den Generationen ist das Ergebnis eines historischen und sozialen Prozesses. Es handelt sich nicht um eine unüberwindbare Mauer.


Der Repressionsapparat


[…] Angesichts der fortdauernden Mobilisierungen sieht das „Krisenmanagement“ des Regimes keinen anderen Ausweg, als zu versuchen, das Feuer mit den einzigen verfügbaren Mitteln zu löschen, nämlich Repression und insbesondere Mord. […] Auch wenn wir davon noch weit entfernt sind, wird der Sturz der Islamischen Republik keine echte Revolution sein, wenn er sich darauf beschränkt, die Mullahs zu vertreiben. Denn dies würde auch den Sturz der bestehenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung, ihre Ersetzung durch die Souveränität und Selbstverwaltung der Massen und die Einführung der politischen und wirtschaftlichen Demokratie erfordern,
d. h. eine soziale Revolution.

Einer der wichtigsten Unterschiede zu 1979 betrifft den Charakter der Armee und die Art und Weise, wie die Repressionskräfte eingreifen. Unter dem derzeitigen Regime wird der Sturz des Unterdrückungsapparats viel komplizierter sein als zur Zeit des Schahs. 1979 hatte der Schah Massaker angeordnet und dabei auf Gewehre, gepanzerte Fahrzeuge und sogar Panzer und Hubschrauber gesetzt. Doch das Militär stand auf den Straßen rund 20 Millionen Menschen gegenüber, die Nelken in die Gewehrläufe der Soldaten steckten und skandierten „Die Armee ist unser Bruder“.

Es ist unwahrscheinlich, dass sich das Szenario von 1979 wiederholen wird, als die Armeeführung den Schah plötzlich fallen ließ und den Sturz des Regimes ermöglichte. Die Militärs hatten sich lediglich dem neuen Kurs der USA und der europäischen Länder, die die iranische Armee letztlich unter Kontrolle hatten, angepasst. Diese Staaten hatten im Januar 1979 beschlossen, den Schah fallen zu lassen und die Machtübernahme durch Chomeini zu beschleunigen.

Heute sind die Struktur der Repressionskräfte, die Moral ihrer Mitglieder und die Art und Weise, wie sie kämpfen, völlig anders. Im Gegensatz zu 1979 stehen die Iraner*innen nicht unerfahrenen Wehrpflichtigen, die zur Niederschlagung von Straßenunruhen ungeeignet und psychologisch anfällig sind, sowie einigen gewalttätigen Schlägerbanden gegenüber. Neben der Armee verfügt die Islamische Republik über das erfahrene Korps der Revolutionsgarden sowie über die Basidsch-Milizen, die den faschistischen Charakter dieses Regimes besonders prägen.

Es gibt auch Banden, deren Mitglieder von der Bevölkerung als „Agenten in Zivil“ angesehen werden. Sie werden unter den Schlägern der Stadtviertel organisiert und ausgebildet. Es gibt auch Kriminelle, die zu langen Haftstrafen verurteilt wurden und im Gegenzug für ihre Dienste Lebensmittelrationen oder Strafmilderung erhalten. Bisher zeigen die verschiedenen Komponenten des Repressionsapparats keine Schwächen. Alle nehmen mehrmals im Jahr an Übungen teil, die sie für den Umgang mit städtischen Unruhen trainieren, und werden seit Jahren gegen sämtliche Proteste eingesetzt.


Der Geheimdienst


Der Sicherheitsapparat des Schah-Regimes bestand aus dem Spionageabwehrdienst der Armee und der SAVAK. Jeder Institution und Organisation war ein Informant der SAVAK zugeteilt. Die Islamische Republik schuf gleich sechzehn Geheimdienstinstitutionen, die jeweils unabhängig von den anderen sind.

Es wurde ein „Sicherheitsbüro“ eingerichtet, das aus zahlreichen fanatischen Basidsch-Söldnern besteht. Diese wirken in allen öffentlichen und privaten Einrichtungen, Universitäten, Schulen, Krankenhäuser, Fabriken, Büros etc. als Arbeiter, Büroangestellte, Krankenschwestern, Fahrer, Lehrer, Studenten etc. Sie erhalten vorrangig Arbeitsplätze, können nicht entlassen werden und erhalten zusätzliche Prämien. Für ihre Familien werden spezielle Feriendörfer und Freizeitzentren zur Verfügung gestellt. Sie profitieren von Steuerbefreiungen, der Befreiung von Schulgebühren, der Befreiung von Aufnahmeprüfungen an Universitäten etc. Im Gegenzug sind sie bereit, jedes Verbrechen und jede abscheuliche Tat zu begehen, um diese Vorteile zu behalten. Darüber hinaus erhalten sie Lebensmittelrationen und Aufstiegschancen, wenn sie Kollegen oder Mitbrüder denunzieren und/oder direkt zu deren Unterdrückung beitragen.

Daneben arbeiten für den Geheimdienst die islamischen Verbände, Islamräte, Arbeiterhäuser sowie Wachleute in Fabriken, Universitäten, Büros, Krankenhäusern etc. als Außenstellen des Sicherheitsapparats und dessen Büttel.

      
Mehr dazu
Peyman Jafari: Der Aufstand hat eine revolutionäre Dynamik entwickelt, die internationale Nr. 2/2023 (März/April 2023)
Internationaler Aufruf: Frau, Leben, Freiheit, die internationale Nr. 2/2023 (März/April 2023). Auch bei intersoz.org
Babak Kia: Islamische Republik Iran: kapitalistisch-theokratisch-patriarchalisch, die internationale Nr. 2/2023 (März/April 2023)
Babak Kia: Kurze Chronik der Unterdrückung, die internationale Nr. 1/2023 (Januar/Februar 2023) (nur online). Auch bei intersoz.org
Interview mit Amir Kianpur: Das Besondere an den aktuellen Protesten im Iran, die internationale Nr. 1/2023 (Januar/Februar 2023)
Yassamine Mather: Vorsicht vor den falschen Freunden, die internationale Nr. 6/2022 (November/Dezember 2022)
Bahman Ajang: Iranisches Regime durch beispiellose Revolte erschüttert, die internationale Nr. 6/2022 (November/Dezember 2022) (nur online)
Büro der Vierten Internationale: Solidarität mit der Protestbewegung im Iran, die internationale Nr. 6/2022 (November/Dezember 2022)
Wirtschaftliche Lage, Repression und Widerstand, die internationale Nr. 1/2020 (Januar/Februar 2020)
Houshang Sepehr: Wohin treibt die islamische Republik?, Inprekorr Nr. 458/459 (Januar/Februar 2010)
Babak Kia: Krise des Regimes und Mobilisierungen der Bevölkerung, Inprekorr Nr. 454/455 (September/Oktober 2009)
Erklärung des Büros der IV. Internationale: Unser Platz ist an der Seite des iranischen Volkes!, Inprekorr Nr. 454/455 (September/Oktober 2009)
Babak Kia: Ein geschwächtes Regime, Inprekorr Nr. 406/407 (September/Oktober 2005)
M. Agah: Chomeinis Erben und die StudentInnen, Inprekorr Nr. 337/338 (November/Dezember 1999)
Saber Nikbin: Die Arbeiterklasse widersteht dem Terror, Inprekorr Nr. 179 (März 1986)
XII. Weltkongress der IV. Internationale: Thesen zur internationalen Lage.23: Iran, Inprekorr Nr. 176/177 (Januar 1986)
Erklärung des Internationalen Exekutivkomitees der Vierten Internationale: Verteidigung der iranischen Revolution, Inprekorr Nr. 146 (26. Juni 1982)
 

Die Manöver der rechten Opposition


Die Rechten in der iranischen Opposition wollen den derzeitigen Aufstand auf die Erfüllung der Forderungen der Frauen beschränken. Und die Regierungen und Parlamente der imperialistischen Länder unterstützen diese Position. Die iranische und internationale Rechte kann nicht akzeptieren, dass der aktuelle Aufstand neben der Befreiung der Frauen auch radikale Forderungen auf wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ebene vertritt.

Sie reduziert die aktuelle Bewegung bewusst auf die Ablehnung des Schleierzwangs in der Öffentlichkeit, obwohl es sich in Wirklichkeit um einen radikalen Kampf gegen das Patriarchat handelt, auch wenn dies im derzeitigen Stadium des Aufstands nicht immer klar ersichtlich ist. Es ist kein Zufall, dass diese rechten, bis ins Mark konterrevolutionären Strömungen sich im Allgemeinen darauf beschränken, unermüdlich nur die Slogans „Frau, Leben, Freiheit“ zu wiederholen und sie manchmal durch den reaktionären Slogan „Mensch, Vaterland, Wohlstand“ und „Die Mullahs müssen verschwinden“ zu ergänzen.

„Frau, Leben, Freiheit“ steht in klarem Gegensatz zum inhärent frauenfeindlichen und mörderischen Regime der Mullahs und ist deshalb ein ausdrucksstarker und effektiver Slogan. Wenn er jedoch im Gegensatz zu Slogans skandiert wird, die auf eine Veränderung der gesamten bestehenden Ordnung abzielen, kann er dazu benutzt werden, Forderungen nach einer sozialen Revolution an den Rand zu drängen. Bisher ist die Bewegung selbst leider noch nicht in das Stadium eingetreten, in dem sie radikale Forderungen aufstellt. […]

Bei den Demonstrationen vertritt die soziale Bewegung von Arbeiter*innen, Frauen, ethnischen Minderheiten etc. noch nicht ihre spezifischen sozialen Forderungen als Gesamtheit. Alle beteiligen sich als Einzelpersonen und als einfache Bürger*innen. Allerdings macht die Virulenz der Repression ein anderes Vorgehen schwer. Durch diese fehlende Differenzierung ergab sich eine Art „Arbeitsteilung“ für den Sturz des Regimes: die Einen kämpfen vor Ort und opfern sich, die Anderen außerhalb der Grenzen schmieden Pläne, um später die Beute zu kassieren und die Nachfolge des Regimes anzutreten.

Vor September 2022 befürwortete nur die linke und revolutionäre Opposition einen Sturz der Macht durch das Volk. Die rechte Exilopposition verließ sich auf eine militärische Intervention der Imperialisten, um der Islamischen Republik ein Ende zu bereiten. Inzwischen aber beruft sich iranische Rechte auf den derzeitigen Aufstand und hofft, danach die Macht an sich reißen zu können. Sie fürchtet jedoch zu Recht, dass die Mobilisierungen der Bevölkerung auch nach dem Sturz des islamischen Regimes weitergehen werden. Ihre verschiedenen Fraktionen vervielfachen daher ihre Kontakte zu den verschiedenen ausländischen Großmächten, um zu sehen, welche von ihnen sie nach dem Sturz des Regimes an die Macht bringen könnten.


Die Hauptunterschiede zu 1979


Der aktuelle Aufstand entwickelt sich unter ganz anderen Bedingungen als der Aufstand gegen den Schah. 1979 war die große Mehrheit der Iraner*innen, ob religiös oder säkular, städtisch oder ländlich, intellektuell oder ungebildet, angewidert vom Schah-Regime, perspektivlos und vereint in dem Slogan „Tod dem Schah!“. Heute haben die Iraner*innen, die gemeinsam auf der Straße für den Sturz des Regimes kämpfen, Zukunftspläne, insbesondere die jüngere Generation, Frauen und Arbeiter*innen. Anders als 1979 sind sie keine bloße Herde, die bereit ist, sich auf einen „Retter von oben“ zu verlassen. Dies ist ein qualitativer Wandel im Vergleich zu damals. […]

Während der Revolution von 1979 gelangte vor dem Hintergrund des geringen politischen Bewusstseins infolge der Unterdrückung aller linken, demokratischen und fortschrittlichen Kräfte durch das Schah-Regime ein charismatischer Führer namens Chomeini an die Macht. Heute ist das Bewusstsein der Massen größer als 1979. Doch die aktuelle Bewegung verfügt weder über glaubwürdige charismatische Führer*innen, noch über politische Parteien oder einen Generalstab. Daher gibt es innerhalb der revolutionären Bewegung derzeit keine übergreifende Koordination, sondern ihr Vorankommen beruht auf tagesaktuellen Entscheidungen kleiner informeller Gruppierungen. Selbst wenn sie sich koordinieren können, gelingt es ihnen nicht, eine umfassende revolutionäre Strategie zu formulieren und so den Weg zum Sieg zu ebnen – ein Manko, das ihre Gegner ausnutzen. […]

Nach dem Verfassen dieses Textes erreichte uns eine Erklärung aus dem Iran, die einige Antworten auf die geäußerten Bedenken enthält und mit der wir hier abschließen wollen. In einem Artikel von Babak Kia wird sie wie folgt dargestellt:

An vorderster Front im Kampf gegen die Islamische Republik haben rund 20 unabhängige Gewerkschafts- und Bürgerorganisationen aus dem Inland am 15. Februar eine Erklärung und eine wichtige Forderungsplattform veröffentlicht. Diesen Organisationen schlossen sich zahlreiche Studenten- und Universitätsverbände sowie militante Netzwerke im Land an. Der Text verbindet demokratische (Abschaffung der Todesstrafe, der Folter, der Organisationsfreiheit usw.), feministische, LGBTQI+, ökologische, soziale sowie nationale und religiöse Minderheiten betreffende Forderungen.

Die Erklärung fordert die Beschlagnahmung des von den Würdenträgern des Regimes angeeigneten Eigentums und prangert die Freiheitsberaubung an, die die Iraner*innen sowohl unter der Monarchie als auch in den letzten 44 Jahren erlitten haben.

Dieses Manifest fordert insbesondere die Einführung einer radikalen Demokratie von unten. Es stellt einen Aufruf dar, für eine radikale soziale Transformation zu kämpfen.

Diese Forderungen sind natürlich mit dem derzeitigen diktatorischen Regime unvereinbar, aber auch mit dem reaktionären, liberalen, patriarchalen, großpersischen und autoritären Vorhaben, das von Reza Pahlavi und Co. vorangetrieben wird. Übrigens haben monarchistische Netzwerke dieses Manifest heftig angegriffen.

Es ist die Pflicht antikapitalistischer und revolutionärer Aktivist*innen, den radikalen Kampf gegen die Islamische Republik zu unterstützen. Es ist auch die Pflicht der radikalen Linken, die imperialistischen Machenschaften der Großmächte und der reaktionären Kräfte im Iran anzuprangern. Der Ausgang des derzeitigen Aufstands ist entscheidend für alle Völker, die gegen religiösen Fundamentalismus, autoritäre und diktatorische Staaten sowie gegen die imperialistischen Mächte kämpfen.

Aus: inprécor 705/706
Übersetzung und Kürzungen: MiWe



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2023 (Juli/August 2023). | Startseite | Impressum | Datenschutz