Russland/Ukraine

„Stoppt den Krieg“ bedeutet „Tod der Diktatur“

Erklärung der Russländischen Sozialistischen Bewegung zu den Mitteln, um Frieden in der Ukraine zu erreichen

Russländische Sozialistische Bewegung (RSD)

Vor zwei Jahren startete Wladimir Putin eine groß angelegte Invasion in der Ukraine. Diese Entscheidung der russischen Führung war keine Reaktion auf eine militärische Bedrohung durch die Ukraine oder die NATO ‒ es war ein Versuch, ein Nachbarland zu unterwerfen, das nach Putins Meinung einfach nicht existieren sollte.

Putins ursprünglicher Plan für die Ukraine scheint eine „Spezialoperation“ des Regimewechsels gewesen zu sein: Truppen würden rasch die wichtigsten Städte des Landes besetzen, die russische Nationalgarde würde „nationalistische“ Proteste unterdrücken, und die Mehrheit der Bevölkerung würde ihre lang erwarteten russischen „Brüder“ mit Blumen begrüßen.

Doch statt auf Blumen und Fanfaren stieß die russische Armee auf den hartnäckigen Widerstand der Ukrainer:innen, und statt auf „Banden“ traf sie auf eine gut ausgebildete und hoch motivierte Armee. Aus der „Spezialoperation“ wurde ein echter Krieg.

Hauptopfer der russischen Aggression sind die Ukraine und das ukrainische Volk. Über 10 000 Zivilist:innen wurden getötet und über 18 500 verwundet. 6,3 Millionen haben im Ausland Zuflucht gesucht, und 3,7 Millionen wurden innerhalb des Landes vertrieben. Im Laufe des Krieges wurden Hunderttausende von medizinischen, Wohn-, Bildungs- und Sporteinrichtungen zerstört. Ökosysteme wurden vernichtet.

Der Schaden für die ukrainische Wirtschaft, der auf über 300 Milliarden Dollar geschätzt wird, wird das Wohlergehen der ukrainischen Bürger:innen auf Jahre hinaus beeinträchtigen und vor allem den Ärmsten das Leben schwer machen.

Auch die russische Gesellschaft durchläuft einen schmerzhaften Wandel. Leo Trotzki schrieb einmal: „Nicht das Bewusstsein regiert den Krieg, sondern der Krieg regiert das Bewusstsein.“ Der Krieg hat seine eigene Logik und verändert die menschlichen Pläne. Anstelle einer „Spezialoperation“ hat sich Putin auf das genaue Gegenteil festgelegt ‒ einen langen, blutigen, beschwerlichen Krieg, der letztlich die Ressourcen der Ukraine dahinschwinden lassen und den Westen zwingen soll, seine Hilfe zurückzuhalten. Dieses Szenario wird Russland enorme Opfer abverlangen, auf die weder seine Bevölkerung noch seine Wirtschaft vorbereitet waren.

Putins Staat, der in diesen langen Krieg hineingezogen worden ist, hat sich von innen heraus verändert: Er muss die Gesellschaft dazu zwingen, solche Verluste zu akzeptieren. Dies wurde durch politische Repression und ein Klima der Angst erreicht.

Nach Angaben von OVD-Info wurden seit Beginn des Krieges 19 855 Menschen festgenommen, weil sie sich dem Krieg widersetzt haben, 900 von ihnen sind strafrechtlich angeklagt worden; mindestens eine halbe Million Menschen hat das Land aus moralischen und politischen Gründen, oder um der Einberufung zu entgehen, verlassen. Der Krieg ist für die meisten Russ:innen nicht zu einem Sammelpunkt, zu einem „Zweiten Weltkrieg 2.0“ geworden ‒ ideologische Befürworter:innen von Putins Aggression sind immer noch in der Minderheit, auch wenn nur sie ihre Meinung äußern dürfen (siehe bbc.com).


Die Ursachen und die Art des Krieges


Das Ziel des gegenwärtigen Krieges besteht eindeutig nicht darin, die russischsprachige Bevölkerung der Ukraine zu schützen, die am meisten unter den Besatzern gelitten hat, und auch nicht darin, der westlichen Expansion entgegenzuwirken, da der Kreml mit dem Westen eine lange Geschichte der gegenseitigen Bereicherung gemein hat.

Das eigentliche Motiv des Kremls für die Invasion ist der Wunsch, seine politische, wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft über die russische Gesellschaft und die Gesellschaften anderer postsowjetischer Länder weiter zu festigen, auf die Moskau einen „historischen Anspruch“ erhebt.


Demokratische Volksbewegungen des letzten Jahrzehnts


Als Teil ihrer verschwörerischen Weltsicht betrachten Putin und sein Gefolge den Maidan (2014) in der Ukraine, die Aufstände in Belarus (2020) und Kasachstan (2021) sowie die Wellen von Massenprotesten in Russland selbst seit 2012 als Teil eines „hybriden Krieges“, den der Westen gegen Russland führt.

Der „Kampf gegen die westliche Hegemonie“ hat nach Putins Auffassung nichts mit dem Widerstand gegen die ausbeuterische Politik der amerikanischen und europäischen Eliten auf der Weltbühne zu tun. Im Gegenteil, der Kreml akzeptiert und begrüßt westliche Politik, die ohne ethische Verpflichtungen daherkommt.

Die einzigen „fremden westlichen Werte“, die Russland bekämpft, sind die Menschenrechte, die Redefreiheit, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die nachhaltige Entwicklung usw. In diesem Sinne ist der Putinismus die Vorhut einer rechtsextremen internationalen Bewegung, die die Demokratie und fortschrittliche Bewegungen auf der ganzen Welt bedroht, darunter Trump und seine Anhänger in den USA, die AfD in Deutschland, das Erdogan-Regime in der Türkei, Orbán in Ungarn und andere.

Hauptziel des Krieges ist es, das Putin-Regime und seine autokratischen Vasallenstaaten wie die Lukaschenko-Diktatur in Belarus vor der Gefahr einer Revolution zu schützen.

Dieses Ziel deckt sich perfekt mit den Träumen der Elite vom Wiederaufbau des Russischen Reiches, was die Versklavung der Ukraine voraussetzt, die russische Expansion wird dort aber nicht enden.

Es deckt sich auch mit ihren Hoffnungen auf eine „multipolare Welt“ ‒ eine Welt, in der Diktatoren und Oligarchen völlige Freiheit genießen, ihre Untertanen auszuplündern, Andersdenkende zu unterdrücken und die Welt ohne Rücksicht auf das Völkerrecht aufzuteilen.

Deshalb muss „Stoppt den Krieg“ heute heißen: „Schluss mit Putins Diktatur“. Die Forderung nach Frieden bedeutet die Abschaffung der gesellschaftlichen Werteordnungen verlangen, die den Kern des heutigen russischen Regimes ausmachen: politischer Autoritarismus, enorme Vermögensunterschiede, konservative, patriarchalische Normen und ein koloniales, imperiales Modell der Beziehungen zwischen den Ethnien.


Für den Frieden kämpfen oder Verhandlungen erzwingen?


Das Jahr 2023 war für die Ukraine ein Jahr des Grabenkriegs. Trotz hoher Verluste gelang es weder der ukrainischen noch der russischen Armee, auf dem Schlachtfeld nennenswerte Fortschritte zu erzielen. Dies hat die Kriegsmüdigkeit verstärkt, auch bei den Verbündeten der Ukraine.

In diesem Zusammenhang haben Friedensgespräche und die Ablehnung von Waffenlieferungen in das Konfliktgebiet, die sowohl von der extremen Rechten als auch von einigen linken Kräften geäußert werden, an Popularität gewonnen.

Natürlich fördern alle Kriege Militarismus und Nationalismus, Sozialabbau, Eingriffe in die bürgerlichen Freiheiten und vieles mehr in allen Ländern, die an dem Konflikt beteiligt sind. Das gilt für Russland, die Ukraine und den Westen.

Es ist auch klar, dass alle Kriege durch Verhandlungen beendet werden, und es wäre sinnlos, sich dieser Forderung grundsätzlich zu widersetzen.

Aber in diesem Stadium des Krieges auf Verhandlungen zu hoffen, ist ebenso naiv wie die Überzeugung, dass eine einseitige Abrüstung durch das Opfer einer Aggression den Frieden bringen wird.

Die Befürworter:innen solcher Vorschläge lassen die Entwicklung des Putin-Regimes in den letzten Jahren außer Acht. Putins Legitimität ist heute die eines Kriegsführers; er kann sich also nicht an der Macht halten, ohne Kriege zu führen.

Er setzt nun darauf, dass der Westen seine Unterstützung für die Ukraine nach den Wahlen in den USA einstellt und einen Deal eingeht ‒ natürlich zu den Bedingungen des Kremls. Ein solcher Deal (mit einer Teilung der Ukraine? einem Regimewechsel in Kiew? der Anerkennung der „neuen Gebiete“ Russlands?) wird jedoch nichts an der grundsätzlichen Einstellung des Putinismus zum Krieg ändern, der nun seine einzige Existenzform ist.

Putins Regime kann aus dem Kriegszustand nicht mehr herauskommen, denn die einzige Möglichkeit, sein System aufrechtzuerhalten, ist die Eskalation der internationalen Lage und die Verschärfung der politischen Repression innerhalb Russlands.

Deshalb würden Verhandlungen mit Putin jetzt bestenfalls eine kurze Atempause, aber keinen echten Frieden bringen.

Ein Sieg Russlands wäre ein Beweis für die Schwäche des Westens und seine Bereitschaft, seine Einflusssphären, vor allem im postsowjetischen Raum, neu zu ordnen. Moldawien und die baltischen Staaten könnten die nächsten Opfer einer Aggression werden. Eine Niederlage des Regimes hingegen wäre gleichbedeutend mit seinem Zusammenbruch.

Nur das ukrainische Volk hat das Recht zu entscheiden, wann und unter welchen Bedingungen es Frieden schließen will. Solange die Ukrainer:innen ihren Widerstandswillen bekunden und das Putin-Regime an seinen expansiven Zielen festhält, ist jede Nötigung der Ukraine zu Verhandlungen ein Schritt in Richtung eines imperialistischen „Deals“ auf Kosten der ukrainischen Unabhängigkeit.

Solch ein imperialistischer „peace deal“ würde eine Rückkehr zu der Praxis der „Großmächte“ bedeuten, die den Rest der Welt unter sich aufteilen, d. h. zu den Verhältnissen, die zum Ersten und Zweiten Weltkrieg geführt haben.

Haupthindernis für Frieden ist sicherlich nicht eine „mangelnde Kompromissbereitschaft“ von Selenskyj und auch keine „Falkenhaftigkeit“ von Biden oder Scholz: Es ist Putins Unwilligkeit, über die Räumung der nach dem 24. Februar 2022 eingenommenen ukrainischen Gebiete auch nur zu sprechen. Der Aggressor muss das gezwungen werden zu verhandeln, nicht das Opfer.

Wir, die Russländische Sozialistische Bewegung, sind der Meinung, dass die internationale Linke unter diesen Umständen fordern sollte:

      
Mehr dazu
Internationales Komitee der Vierten Internationale: In Solidarität mit den Kämpfen der Völker gegen den ungezügelten Imperialismus, für die Befreiung der Völker und die Rettung der Umwelt, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023) (nur online)
Russländische Sozialistische Bewegung (RSD), Auslandsabteilung: Unser Slogan ist „Krieg dem Krieg!“, die internationale Nr. 2/2023 (März/April 2023) (nur online)
 

Die Welt von heute verschiebt sich nach rechts, Politiker:innen entscheiden sich zunehmend für Diskriminierung und Angriffskriege, um ihre Probleme zu lösen, von Netanjahus völkermörderischer, vom Westen unterstützter Militärkampagne in Gaza bis zu Aserbaidschans Angriffen auf Berg-Karabach (an denen die internationale Gemeinschaft mitschuldig ist) und der einwanderungsfeindlichen Rhetorik und Politik, die von den etablierten Parteien in Deutschland, Finnland, den Niederlanden, Frankreich und den Vereinigten Staaten vertreten wird. Angesichts dieses globalen Kontextes muss die Linke die zunehmenden imperialistischen, militaristischen und nationalistischen Tendenzen bekämpfen ‒ nicht durch utopische friedensstiftende Bemühungen, sondern indem sie neue Ausbrüche von Aggression verhindert und die Übernahme von Regierungen durch gleichgesinnte Putin-nahe faschistische Kräfte (Trump, AfD usw.) stoppt.

24. Februar 2024

Aus dem Englischen übersetzt von Wilfried
Quelle: International Viewpoint



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 2/2024 (März/April 2024) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz