Ökologie

Antikapitalismus und Klimagerechtigkeit

Bericht an den 16. Weltkongress der Vierten Internationale zum Resolutionsentwurf „Der Klimawandel und unsere Aufgaben“ (zweiter Teil)

Esther Vivas

Der Klimawandel ist heute eine unbezweifelbare Realität. Das politische, soziale und Medienecho auf den Gipfel von Kopenhagen im Dezember 2009 war ein klarer Beweis dafür. Dieser Gipfel zeigte die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, eine glaubwürdige Antwort auf die Krise, die es selbst produziert hat, zu geben. Der sogenannte grüne Kapitalismus fokussiert auf den Klimawandel und promotet eine Reihe technologischer Lösungen (Nuklearenergie, CO2-Extraktion und -Speicherung, Agrosprit etc.), die größere soziale und umweltbezogene Konsequenzen nach sich ziehen. Es handelt sich um Scheinlösungen für den Klimawandel, die die wahren Gründe, die uns in die aktuelle Krise geführt haben, verschleiern sollen und aus letzterer ein Geschäft machen wollen, während sie gleichzeitig den Widerspruch zwischen dem kurzfristigen Profitinteresse des Kapitals und dem langfristigen Rhythmus des ökologischen Gleichgewichts zementieren.

In diesem Zusammenhang brauchen wir dringend eine Bewegung, die fähig ist, dem dominierenden Diskurs über einen grünen Kapitalismus die Stirn zu bieten, die Folgen und die Verantwortung des aktuellen kapitalistischen Produktions-, Verteilungs- und Konsumptionsmodells klarzumachen und die globale Bedrohung durch den Klimawandel mit der Frage der täglichen sozialen Problemen zu verbinden. Kopenhagen war bis jetzt die stärkste Manifestation der Bewegung für Klimagerechtigkeit, und es fiel exakt zusammen mit dem 10. Jahrestag der Mobilisierungen gegen die WTO in Seattle. Es war ein Protest, der unter der Überschrift „Ändern wir das System, nicht das Klima“ diese Beziehung zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Krise zum Ausdruck brachte. Aber der Erfolg der Proteste in Kopenhagen kontrastierte mit der Schwäche der Mobilisierungen auf Weltebene – mit einigen Ausnahmen wie z. B. London.

Die aktuelle Krise macht die Änderung der Welt von Grund auf zur dringenden Notwendigkeit und zwar unter einer radikal antikapitalistischen und ökosozialistischen Perspektive. Antikapitalistischer Kampf und Kampf um Klimagerechtigkeit müssen gemeinsam geführt werden. Jede Perspektive des Bruchs mit dem aktuellen ökonomischen Modell, die die ökologische Krise nicht als zentral begreift, ist zum Scheitern verurteilt, und jede ökologische Perspektive ohne eine antikapitalistische Orientierung, gezielt auf einen Bruch mit dem aktuellen System, bleibt an der Oberfläche und wird als Instrument für eine Politik des grünen Marketings enden.

Den Klimawandel aufzuhalten, bedeutet, das aktuelle Modell von Produktion, Distribution und Konsum zu ändern. Oberflächliche und kosmetische Veränderungen sind nutzlos. Lösungen für die ökologische Krise rühren an die Grundfesten des aktuellen kapitalistischen Systems. Wenn wir wollen, dass das Klima sich nicht wandelt, dann ist es nötig, das System zu ändern. Das ist es, warum wir eine wirklich ökosozialistische Perspektive brauchen, oder eine ökokommunistische, wie Daniel Bensaïd in einem seiner letzten Artikel schrieb.

Desgleichen müssen wir den grün verpackten Neo-Malthusianismus bekämpfen, der die Länder des Südens wegen ihrer hohen Geburtenraten beschuldigt und die Kontrolle über den weiblichen Körper ausüben und damit das Recht auf Selbstbestimmung über diesen abschaffen möchte. Den Kampf gegen den Klimawandel zu führen bedeutet auch, gegen die Armut zu kämpfen: je mehr soziale Ungleichheit existiert, desto verletzlicher sind die Betroffenen gegenüber den Folgen des Klimawandels. Es ist nötig, Teile des Produktionssektors, die große soziale und umweltbezogene Folgen produzieren (Kriegsindustrie, Autoindustrie, Rohstoffförderung) umzuwandeln, stattdessen Jobs in sozial und ökologisch sinnvollen Bereichen zu schaffen, unter anderem in öffentlichen Bereichen (Gesundheit, Bildung, öffentlicher Transport).

Den Klimawandel zu stoppen, bedeutet, für das Recht der Völker auf Nahrungsmittelsouveränität einzutreten. Das aktuelle agroindustrielle Modell (zentralisierte, großflächige, ölbasierte Intensivbewirtschaftung) ist eine der größten Produzenten von Treibhausgasen. Der Wechsel hin zu einer ökologischen, kleinbäuerlichen Landwirtschaft mit regionaler Vermarktung hilft, wie Via Campesina sagt, den Planeten abzukühlen. Ebenso müssen die Forderungen der indigenen Völker integriert werden, ihre Kontrolle über das Land und die natürlichen Ressourcen, ihre Weltsicht – bezüglich „pachamama“ beziehungsweise „Mutter Erde“ – und die Verteidigung des Konzepts des „guten Lebens“. Diese ihre Beiträge, die eine neue Art der Beziehung zwischen Mensch und Natur begründen, zu nutzen, ist einer der Schlüssel, um den Klimawandel und die Merkantilisierung des Lebens und des Planeten zu bekämpfen.

Aus der Nord-Süd-Perspektive bedeutet Klimagerechtigkeit bedingungslose Streichung der Schulden der Länder des Südens, Schulden, die illegal und illegitim sind, und die Anerkennung der sozialen, historischen und ökologischen Schuld des Nordens gegenüber dem Süden als Resultat jahrhundertelanger Unterdrückung und Ausbeutung. In Fällen von Katastrophen ist es notwendig, Mechanismen der „Volkshilfe“ zu installieren. Wir haben gesehen, wie der Klimawandel die Verletzlichkeit der ärmeren Volksschichten besonders in den Ländern des Südens vergrößert. Die Erdbeben in Chile und Haiti sind zwei der jüngsten Beispiele. Gegenüber diesen Bedrohungen ist es notwendig, Netzwerke der internationalen Solidarität zwischen den sozialen Basisbewegungen zu bilden, die eine effektive Soforthilfe für die lokale Bevölkerung ermöglichen. Die Initiative hierfür darf nicht in den Händen eines internationalen „Humanitarismus“ ohne jeden politischen Inhalt verbleiben.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist der Kampf gegen das aktuelle industrielle, zentralisierte, auf „just in time“ basierende Produktionsmodell, völlig abhängig von den fossilen Energieträgern etc. Die Gewerkschaftsbürokratien folgen dieser Logik und legitimieren die Politik eines „grünen Kapitalismus“ mit der Phrase, dass die „grünen Technologien“ Beschäftigung und ein größeres Wachstum sichern. Wir müssen diesen Mythos demontieren. Die Gewerkschaftslinke muss das aktuelle Modell des Wachstums ohne Grenzen infrage stellen und durch ein anderes Modell der „Entwicklung“ ersetzen, das auf die endlichen Ressourcen des Planeten Rücksicht nimmt. Eine grundsätzlich ökologische Haltung und der Kampf gegen den Klimawandel müssen eine zentrale Achse einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik werden. Die Gewerkschafter dürfen die Ökologen nicht als ihre Feinde betrachten und umgekehrt. Wir alle leiden unter den Folgen des Klimawandels, und es ist nötig, dass wir gemeinsam handeln.

      
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Es ist falsch zu meinen, dass wir den Klimawandel dadurch bekämpfen können, dass wir nur unser individuelles Verhalten ändern, umso mehr, als die Hälfte der Weltbevölkerung in einem Zustand von „chronischem Unterkonsum“ lebt, und ebenso ist es falsch zu meinen, dass wir den Kampf gegen den Klimawandel nur mit technologischen und wissenschaftlichen Antworten führen können. Notwendig sind strukturelle Änderungen in dem Modell der Produktion von Gütern, von Energie etc. In diesem Sinne haben die Initiativen, die auf lokaler Ebene praktische Alternativen zu dem herrschenden Modell von Konsum, Produktion und Energieerzeugung einführen, Modellcharakter und sind als Beitrag zur Bewusstseinsbildung grundsätzlich zu unterstützen.

Darüber zu reden, wie der Klimawandel zu bekämpfen ist, bedeutet logischerweise, eine Strategie der Selbstorganisation und der Planung zu diskutieren, und darüber hinaus, über die Aufgaben zu reden, die sich uns, die wir uns als AntikapitalistInnen begreifen, stellen.

Übersetzung: Thadeus Pato



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 462/463 (Mai/Juni 2010).