Geschichte

Fünfzig Jahre danach

Jakob Taut

Als wir in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges an jene ungeheuerlichen Menschenschlächtereien dachten und an die Zerstörung ganzer Gebiete, als wir vernahmen, daß Hitler und Goebbels sich ihr Leben nahmen und am 8. Mai 1945 nicht allein das große Morden ein Ende fand, sondern auch das Naziregime in Deutschland gefallen war, entstand ein unbeschreiblicher Jubel und ein Glaube an das Ende der Barbarei. Auch die Überzeugung und der Wille, für die sozialistische Befreiung der Menschheit einzutreten, breitete sich aus.

 

Zur Person:

Jakob Taut wurde 1913 in Galizien (damals Österreich) geboren. Seine Familie wanderte kurz nach seiner Geburt nach Berlin aus, wo er im Scheunenviertel, dem von Ostjuden bewohnten Stadtteil aufwuchs. Mit vierzehn Jahren begann „Jankel“ eine Lehre als Werkzeugmacher, schloß sich der Kommunistischen Jugend an und wurde aktiver Gewerkschafter. In den 30er Jahren wurde er aus der KPD ausgeschlossen, weil er ihre ultralinke Orientierung kritisierte.

1934 floh er nach Dänemark und kurz darauf nach Palästina, wo er zunächst noch in einer kleinen brandlerianischen Gruppe mitarbeitete. Später schloß er sich der IV. Internationale an, deren Mitglied er heute noch ist. Er war ganz maßgeblich beteiligt am Aufbau der Sektion der IV. Internationale in Palästina/ Israel, vor allem über die Herausgabe der Zeitschrift Mazpen. Die israelische Sektion heißt heute „Revolutionär Kommunistische Liga“.

Er veröffentlichte zahlreiche Artikel und Broschüren. Auf Deutsch erschien die (inzwischen vergriffene) Broschüre Aufstieg und Niedergang des Zionismus, isp-Verlag, Frankfurt/Main 1982 (zus. mit Michel Warschawski) und vor allem sein Hauptwerk: Judenfrage und Zionismus, isp-Verlag, Frankfurt/Main, 1986, 267 S., 29 DM.

Sehr bald lehrte uns die Wirklichkeit eines Besseren. In der Resolution über „Die Weltsituation“ des II. Weltkongresses der Vierten Internationale vom April 1948 heißt es: „...in Abwesenheit eines revolutionären Ergebnisses droht die verstärkte Krise des Kapitalismus wiederum zum Faschismus und zum Krieg zu führen, die die Gefährdung der Existenz und der Zukunft der gesamten Menschheit hervorrufen.“ (aus dem Französischen übersetzt).

In diesem Krieg gab es etwa 55 Millionen Tote und ungefähr drei bis vier mal so viele Verwundete, von denen ein Großteil Krüppel für das ganze Leben blieb. Sechs Millionen Juden wurden von den Nazis ermordet, nur weil sie Juden waren; ein ähnliches Schicksal traf die Romas. Zehn Prozent der Bevölkerung der Sowjetunion, 20 Prozent Polens, 13 Prozent Jugoslawiens waren umgekommen. Auf die Städte Deutschlands gingen 600 000 Tonnen Bomben nieder. Selbst einige Monate nach dem 8. Mai zerstörte die Luftwaffe der USA zwei japanische Städte –Hiroshima und Nagasaki – mitsamt einem Großteil der Bevölkerung, um diese für den gesamten Erdball gefährliche Waffe auszuprobieren und zugleich der Sowjetunion ein warnendes Signal zu geben.


Verlogenheit


Wenn die deutsche Regierung in diesem Jahr den 50. Jahrestag des Kriegsendes feiert und die deutsche Bourgeoisie ihre Unschuld an all diesen irrsinnigen Ereignissen beteuert, dann handelt es sich um Verlogenheit. Sie entstellen die Tatsachen und gefährden die Welt heute in noch ungeheuerlicherem Ausmaß.

Nicht weniger verlogen als die deutsche Bourgeoisie sind die anderen Großmächte und insbesondere die nordamerikanische mit ihrer „Neuen Weltordnung“, die real nichts anderes bedeutet als Konkurrenz mit den anderen Weltmächten um die Beherrschung der Welt. Der Mangel an elementarem Humanismus dieses Gesindels kommt in einer Tagebuchnotiz des damaligen US-Verteidigungsministers Forrester im Dezember 1947 klar zum Ausdruck: „Solange wir mehr als die übrige Welt produzieren, die Meere beherrschen und mit der Atombombe Eindruck machen können (!), können wir gewisse Risiken auf uns nehmen …“(zitiert in einem Artikel in was tun vom 30.4.75.)

Aus diesem Weltkrieg kann man lernen: In der bürgerlichen Gesellschaft sind Kriege nicht Ergebnisse individueller Gelüste, sondern sie sind die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Fraglos war der deutsche Faschismus der wesentlichste Initiator des Kriegsausbruches im September 1939. Hitler begann den Überfall auf Polen, um es zu beherrschen, Teile der Sowjetunion an sich zu reißen und den anderen imperialistischen Mächten ihre Hoheit in der kolonialen Welt zu entreißen. Frankreich, Großbritannien und später die USA und andere führten keinen Krieg gegen den Faschismus, sondern einen Krieg zur Sicherung ihrer imperialistischen Besitztümer gegen den deutschen, den italienischen und den japanischen Konkurrenten und zwecks Zerstörung der Sowjetunion. Außerdem war am Kriegsende der US-Imperialismus und nicht mehr Großbritannien oder Frankreich die bedeutendste imperialistische Macht und Herr in der Kolonialwelt. Obwohl wir am Kriegsende glücklich über den Sturz des Nazismus waren - und mit Recht –, so bedeutet der Sieg der anderen Imperialismen nicht die Emanzipation der Unterdrückten in der Welt, sondern diese Unterdrückung trat in eine neue Phase ein.


Neue Phase der Unterdrückung


Die stalinistischen Herrscher in der Sowjetunion versuchten am Beginn des 2. Weltkrieges mittels direkter Kooperation mit dem Hitlerregime den Krieg aus ihrem Herrschaftsbereich fernzuhalten. Die stalinistische Bürokratie teilte sich Polen mit den Deutschen. Als jedoch die Nazis ihre wahren Absichten mit der Invasion in die Sowjetunion aufdeckten, wandte sich das Blatt: Stalin ging ohne jegliche Vorbehalte zur Allianz mit den „demokratischen“ Imperialismen über. Die letzteren hofften, mit diesem Spiel gleichzeitig sowohl Deutschland als auch die Sowjetunion zu schwächen und zu besiegen und selbst mit Hilfe der „kommunistischen“ Parteien in aller Welt, welche unter der Peitsche Stalins wirkten, jede soziale Erhebung zu verhindern.

      
Mehr dazu
Jakob Moneta: Jakob Taut (1913–2001), Inprekorr Nr. 362/363 (Dezember 2001)
Erklärung der internationalistischen Kommunisten Buchenwalds, Inprekorr Nr. 283 (Mai 1995)
Jakob Taut: Das Ziel muss ein geeinigter Staat sein, Inprekorr Nr. 267 (Januar 1994)
 

Pierre Frank faßt in seinem Vorwort zur Ausgabe der Dokumente des II. Weltkongresses der Vierten Internationale zusammen: „März 1946 – April 1948: Wir befinden uns noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit. In dieser Periode offenbarte sich bald, daß das Bündnis zwischen den imperialistischen Demokratien und der Sowjetunion lediglich ein Kriegsbündnis war, das nach der Niederlage Deutschlands für notwendige kurze Zeit verlängert wurde, damit der Kreml mit Hilfe der meisten kommunistischen Parteien die Versprechen Stalins (an die imperialistischen Mächte, J.T.) in Jalta, Teheran und Potsdam einhalten und die Erhebungen und Massenbewegungen in Europa (besonders in Griechenland, Italien, Frankreich) aufhalten und ersticken kann.“ (aus dem Französischen übersetzt).

Die wichtigste Lehre aus dem Krieg und aus der Nachkriegszeit ist die, die bereits in unzähligen früheren Ereignissen bewiesen wurde: Der Stalinismus war ein wesentlicher Hemmschuh für eine revolutionär-sozialistische Entwicklung und allein die Tat der Massen kann den Sturz des Kapitalismus und die Emanzipation der Unterdrückten verwirklichen.

2.4.1995



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 283 (Mai 1995). | Startseite | Impressum | Datenschutz