Ausführlich wurde in den hiesigen Medien über den schrecklichen Terroranschlag auf Touristen in Ägypten berichtet. Weniger Interesse finden in der Regel die Lebensbedingungen der ständigen Bewohnerinnen und Bewohner des Landes. Wir sprachen mit zwei jungen Aktivisten der Linken: Khaled, einem Angestellten, und Taha, einem Studenten. Sie waren Ende September im Rahmen einer großen Verhaftungswelle wegen ihrer Unterstützung der Bauernbewegung verhört und eingesperrt worden. Diese Bewegung hatte sich gegen das Gesetz Nr. 96/1992 gerichtet, das die Freigabe der Pachtzinsen für Ackerland vorsieht und die Vertreibung von Pächtern legalisiert
> Was waren die Gründe für eure Verhaftung
Khaled: Wir wurden getrennt
verhaftet und dann angeklagt wegen Verbreitung einer Schrift zur
Unterstützung der Bauern und der Teilnahme am Sozialistischen
Komitee, einer illegalen Struktur zur Unterstützung der Bauernkämpfe.
Das waren die Hauptanklagepunkte. Die Polizei hatte auch Papiere
und andere Dokumente gesammelt wie legale Zeitungen, Artikel.
Die Anklage erstreckte sich auch auf Verleumdung des Systems.
> Könnt Ihr etwas sagen zu den Bedingungen eures Verhörs?
Khaled: Ein Angestellter mit Verbindung zu den Sicherheitskräften hatte ein "verdächtiges" Blatt an meinem Arbeitsplatz entdeckt. Fünf oder sechs Tage ist nichts passiert, dann erschienen zwei Offiziere vom Nachrichtendienst auf meiner Arbeit. Aber ich war schon im Urlaub. Schließlich ist die Polizei bei meinen Eltern aufgetaucht, wo ich normalerweise nicht wohne. Die haben gesagt, daß sie alles über mich wissen, wer ich bin und so. Dann wollten sie Adresse, Telefon usw.
Ich denke, das lief so noch ganz legal. Und dann tauchten sie plötzlich am 24. September wieder bei einer Familienfeier auf. Bei Beginn der Aktion war ich wieder nicht da. Sechs Offiziere stürmten die Wohnung, die anderen unterstützten das von außen (ich habe das nicht gesehen, man hat mir das später erzählt). Als ich dort ankam, wurde ich sofort verhört und zum Sitz der Staatssicherheit (nyabat amn al dawla) abgeführt. Sie haben von mir den Schlüssel meiner Wohnung verlangt, aber ich sagte, daß ich ihn nicht hätte. Mein Onkel wurde verhört, weil er der Besitzer des Hauses ist, wo ich wohne, aber er weigerte sich, den Schlüssel herauszugeben ohne ein offizielles Dokument. Die Polizisten haben dann die Tür eingeschlagen, alles durchwühlt und durcheinandergeworfen. Sie haben Bücher, Zeitschriften und Papiere beschlagnahmt. Ich blieb noch zwei Tage in Haft.
Taha: Also meine Geschichte
fing am 22. September in meinem Geburtsort Beni Sweif an,
150 km südlich von Kairo. Etwa 250 Soldaten und vier
Offiziere haben einen echten morgenländischen Western inszeniert:
Sperrung der Straße, Besetzung der Dächer der Nachbargebäude
und einer nahegelegenen Schule, bewaffnete Kommandos bei der Nachbarn
- kurz: Das ganze Viertel befand sich im Belagerungszustand. Etwa
zwanzig Soldaten drangen dann bei meinen Eltern ein, durchwühlten
alles rücksichtslos und beschlagnahmten meine Bücher,
vor allem die Werke von Marx, Engels und Lenin. Am nächsten
Tag war ich in der Universität. Ein Sicherheitsoffizier rief
mich. Ich flüchtete sofort und sprang in einen Bus, der kurz
danach gestoppt wurde. Nach meiner Verhaftung wurde ich zur Staatssicherheit
gebracht. Im Verhör wurde ich nicht mißhandelt, abgesehen
von der verbalen Androhung von Schlägen. Das hat zwei Tage
gedauert, dann wurde ich ins Tora-Gefängnis im Süden
von Kairo gebracht. Im Verhör bin ich immer wieder nach den
Christen in Ägypten und ihrer Situation gefragt worden, wahrscheinlich
weil ich selbst eine christliche Herkunft habe.
> Was habt ihr im Gefängnis erlebt?
Taha: Es war sehr abwechslungsreich.
Anfangs waren wir eine Gruppe von acht Personen, alle eingesperrt
wegen der Bauernfrage: drei Nasseristen, drei Islamo-Nationalisten
von der Partei der Arbeit und drei Marxisten. Vier wurden schnell
wieder freigelassen, drei neue kamen hinzu. Drei Bauernführer
aus Giseh wurden zugeführt, aber bald wieder auf freien Fuß
gesetzt. Nach zwei Wochen wurden schließlich alle außer
Kamal Khalif freigelassen.
Es ist lange her, daß Marxisten in einem solchen
Umfang verhaftet wurden, exakt seit 1989. Das Ziel dieser ganzen
Angelegenheit war vor allem, die Leute zu erschrecken. Die marxistische
Linke ist tatsächlich fähig gewesen, die radikale Position
einer Totalopposition gegenüber dem Gesetz zur ergreifen
und zu verteidigen. Die Regierung versucht auch, die Leute zu
erschrecken, damit sie nichts machen sollen.
Khaled: Ich war anfangs
in einem provisorischen Gefangenenlager istiqbal, wo sich
zahllose Islamisten befanden. Wir wurden in eine Sektion gesteckt,
die sich völlig unzutreffend "Hospital" nannte.
Das hatte nichts mit einem Krankenhaus zu tun, sondern war in
erster Linie der Ort, wo die Allerschwächsten untergebracht
wurden, vor allem nach der Folter, ohne sich groß um sie
zu kümmern. Dort waren drei Moslem-Brüder, drei vom
Dschihad und drei von Gama'at al Islamya.
Es gab auch ein unterirdisches Gefängnis, das
"Gefängnis der Skorpione", wo die Folter alltäglich
und die Verhältnisse schrecklich waren. Wir können die
schrecklichen Gefängnisse im Neuen Tal in der Wüste
nicht mehr vergessen. Dort blieb ich drei Tage, um dann schließlich
im Tora-Gefängnis zu landen, genannt der "Bauernhof".
> Könnt ihr uns etwas über die Bauernfrage
und das Gesetz Nr. 92 erzählen?
Taha: Zunächst muß
man sich den Prozeß ansehen, der auf dem Lande abläuft:
Privatisierung und liberal-kapitalistische Reformen, die auch
den Bodensektor betreffen. In Ägypten ist die Situation aus
kapitalistischer Sicht sehr kompliziert: Die Zergliederung des
Landes ist extrem, was für das Produktionsniveau sowohl quantitativ
wie qualitativ sehr schlecht ist.
Der ägyptische Kapitalismus versteht, daß
er, um in den weltweiten Strom hineinzukommen, unbedingt die Bodenkonzentration
vorantreiben, d.h. das landwirtschaftliche Produktionssystem verändern
muß. Der Pachtsektor ist das entscheidende Hindernis bei
dieser Politik. Er umfaßt etwa ein Drittel des Bodens auf
dem Land.
Das erklärt schnell den Hintergrund dieses Gesetzes.
Bei seiner Verabschiedung 1992 waren die Privatisierungen noch
am Anfang. Das Gesetz sah vor allem die Erhöhung der Pachten
vor, zielte aber auch auf die Auslöschung aller aus der Ära
des Nasserismus stammenden Pachtverträge und der Gesetze,
die eine Weitergabe durch Erbschaft etc. betreffen, in einem Übergangszeitraum
von fünf Jahren nach Inkrafttreten. Hauptziel ist entgegen
aller offiziellen Verlautbarungen, den Großgrundbesitz zu
begünstigen. Die erste Reaktion der Bauern, es geht immerhin
um eine Gruppe von etwa sechs Millionen, war ungläubiges
Erstaunen. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß die Regierung
sich am Land vergreifen würde.
Ahmed Bor'ei, ein Bauernführer, hat uns im Gefängnis
lange ihre Entwicklung erklärt. Nach der ersten Phase der
Skepsis haben sich die Bauern schutzsuchend an die Tagammu'-Partei
gewandt. Das Zögern, die Trägheit und der Wankelmut
der reformistischen Linken haben sie dann zu direkten Aktionen
gebracht.
Der volle Umfang der Regierungspläne wurde erst
langsam klar, etwa Ende 1996. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die
Bauern Saat und Dünger von den Landwirtschaftsorganisationen
erhalten. Da haben sie verstanden, daß die Auflösung
ihrer Pachtverträge vorbereitet wurde. Es kam zu ersten,
häufig gewalttätigen Zusammenstößen in Oberägypten
bei Beni Sweif. Das war also der Augenblick, als die Bauernbewegung
ihren Anfang nahm.
Ein Versuch, Wege der Schlichtung zu suchen, wurde
sowohl von offizieller Seite wie von gemäßigten Kreisen
unternommen. Aber die Idee, Diskussionen, Verhandlungen und schließlich
eine friedliche Regelung zu fördern, ist blanke Illusion.
So schnell die Bauernbewegung durch vielfältige
Aktionen (Kundgebungen, Straßenblockaden, Besetzungen, Flugblätter,
Graffitis) gewachsen ist, so schnell hat sich auch gezeigt, daß
sie sich nicht einigen kann. Fast noch schneller ist sie wieder
zerbrochen. Das Fehlen von politischem Bewußtsein machte
sich hier bemerkbar. Vor allem die Staatsmacht hat schnell gelernt,
die Differenzen zu vertiefen und die Bewegung zu sprengen.
Das Regime hat verschiedene Waffen eingesetzt. So
hat man sich entschieden, das Gesetz nicht überall umzusetzen.
In einigen Kreisen hat man ein oder sogar zwei Jahre gewartet.
Schließlich hat man sich entschlossen, die zentralen Sicherheitskräfte,
eine Art örtlicher Bereitschaftspolizei, deren Mitglieder
im wesentlichen ländlicher Herkunft sind, nicht vollständig
ausschwärmen zu lassen. Und vor allem hat man die Bauern
einzeln auf die Kommissariate bestellt und sie dort unter Druck
gesetzt, auch physischen Druck, daß sie ihre Pachtverträge
gegen neue Verträge eintauschen. Und wie immer haben es die
Behörden verstanden, auf die Solidarität der Stämme
und Familien zu setzen, die in Oberägypten besonders stark
ist, indem sie direkt mit bestimmten Clanchefs verhandelt haben.
Heute hat die Staatsmacht zweifellos Punkte gemacht.
Die Bewegung der Bauern ist auf dem Rückzug, ebenso ihre
kollektive Stärke. Die Ursachen der Kämpfe bestehen
fort. Die Möglichkeit von ernsthaftem Aufruhr - wie 1977,
aber diesmal auf dem Lande - existiert weiter. Die Staatsmacht
erwartet weitere Kämpfe und scheint einen hohen Preis bezahlen
zu müssen, um das Gesetz durchzusetzen.
Khaled: Mit dem letzten
Punkt bin ich nicht ganz einverstanden. Tatsächlich rechnet
die Staatsmacht mit einem vollständigen Sieg über die
Bauern, eben wegen des Fehlens einer Struktur oder Organisation.
Die Bauernbewegung ist wirklich zerfallen, sie steht vor einer
Niederlage.
Ich teile auch nicht den Optimismus, den es bei Teilen
der radikalen Linken im Hinblick auf Kämpfe und Solidaritätsaktionen
gibt. Die Solidarität ist sicher wichtig, aber was passiert
auf Seiten der Arbeiter? Das Fehlen einer wirklichen Arbeiteropposition
macht sich schmerzlich bemerkbar. Der Klassenkampf ist nicht besonders
deutlich, eigentlich gibt es ihn hier gar nicht. Nur ein paar
individuelle und isolierte Kämpfe, mehr nicht.
Das Fehlen einer Perspektive und einer radikalen
Lösung ist das zentrale Problem. In den Diskussionen über
die Bauernbewegung konnte man die Leute sagen hören: Was
ist, wenn ihr diesen Kampf gewinnt? Schließlich ist auch
das Fehlen von Strukturen ganz deutlich.
> Könnt ihr uns die Position der Islamisten
erklären?
Taha: Bei der Abstimmung
über das Gesetz 1992 hatten die verschiedenen Bestandteile
der islamistischen Strömung (Radikale und Moslem-Brüder)
sich nicht geäußert. Man darf nicht vergessen, daß
die Moslem-Brüder ihre soziale Basis vor allem bei den Grundbesitzern
haben, auch wenn sie anderswo Gehör finden. Es ist daher
nur natürlich, wenn sie das Gesetz unterstützen.
> Wie intervenieren die verschiedenen Teile
der radikalen Linken?
Taha: Diese Solidaritätskampagne
mit den kämpfenden Bauern war eine starke und nützliche
Erfahrung. Zum ersten Mal seit langem waren die verschiedenen
Richtungen der radikalen, marxistischen Linken in der Lage, über
ihr eigenes Lager hinauszuwachsen und der Tagammu' und den Nasseristen
wirklich lästig zu werden. Dies geschah auf Grundlage der
Kämpfe und erreichte ein breites Massenpublikum. Zum erstenmal
seit langem hat sich die radikale Linke mit einer wichtigen und
wirklich aktiven Massenbewegung vereinigt. Kamal Khalil beispielsweise
konnte auf dem Lande vor Versammlungen mit drei- oder viertausend
Leuten sprechen. Vorher war die Linke sehr isoliert, begrenzt
auf Cafés und Konferenzen - abgesehen von Kämpfen
wie diesem und den Arbeiterstreiks der achtziger Jahre. Dort war
der Marxismus nicht einfach ein Element der Debatte von Ideen,
sondern Bestandteil des Kampfes. Die Aktionen, namentlich der
marxistischen Jugendlichen, stellten ein wirkliches Ärgernis
für die Staatsmacht dar.
Die Akkumulation solcher Erfahrungen ist von beträchtlicher
Bedeutung für die Zukunft. Die Ausgestaltung dieser Solidaritätsbewegung,
ein pluralistisches Komitee, das verschiedene Tendenzen, Gedanken
und Personen sammelt, ist auch eine Neuheit. Es bleibt zu hoffen,
daß das bei kommenden Radikalisierungen und Mobilisierungen
der Arbeiter im Zusammenhang mit der Verkündung des neuen
Arbeitsgesetzes und der Privatisierungspläne mit ihren vielfältigen
sozialen Auswirkungen von Nutzen sein wird.
[1] Wahrscheinlich, weil er auf einer öffentlichen Versammlung die obersten Staatsbehörden massiv angegriffen hat.
[2] Bei Streiks im Stahlwerk von Helwan, einer Arbeiterbastion im Süden Kairos.
[3] Heiliger Islamischer Krieg - radikale Gruppe, die gegen die Armee kämpft und für die Ermordung von Präsident Sadat 1981 verantwortlich ist.
[4] Islamische Gruppen - verantwortlich für eine Vielzahl von Anschlägen auf Polizisten und Touristen.
[5] Die linksorientierte "Nationale Fortschrittsunion" ist mit einer kleinen Fraktion im Parlament vertreten.
Aus: Inprecor Nr. 419
Übers.: Björn Mertens
Dieser Artikel erscheint in Inprekorr Nr. 315