ITALIEN:

Die Debatte über die Arbeitszeitverkürzung

Um die Zustimmung zu seinem Sparhaushalt zu bekommen, versprach Ministerpräsident Prodi, ein Gesetz zur Einführung der 35-Stunden-Woche vorzulegen. Ist Rifondazione damit ihrem Ziel näher gekommen, die Regierung zu einer aktiven Beschäftigungspolitik zu zwingen?

Von Gianni Rigacci

Seit Bildung der [von ihr tolerierten] Regierung Prodi im Frühjahr 1996 unternahm die Partito della Rifondazione Comunista (PRC - Partei der kommunistischen Neugründung) Anstrengungen, die Frage der Beschäftigung auf die Tagesordnung zu setzen, aber ohne greifbare Ergebnisse zu erreichen. Zunächst gelang es ihr, Prodi die Zustimmung zu einer nationalen Konferenz zur Beschäftigung abzuringen, die aber niemals stattgefunden hat. Dann erreichte sie die Einstellung auf Zeit von 100.000 Jugendlichen im Süden, aber sie stimmte - als Gegenleistung - einem Gesetz zur Gelegenheitsarbeit zu, das sie anfangs heftig verurteilt hatte. Schließlich, während der Krise im letzten Oktober, als man die Regierung Jospin [mit ihrem Plan zur gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung] als Vorbild darstellte, bewegte sie Prodi zur Ankündigung, dem Parlament im Januar 1998 einen Gesetzesentwurf zur 35-Stunden-Woche mit Beginn im Jahre 2001 vorzulegen.

Diese Übereinkunft zwischen Prodi und der PRC hat eine Welle heftiger Kritik in der großen Presse unter Unternehmerkontrolle ausgelöst, gegen die die PRC nur über gänzlich unzulängliche Mittel für einen Gegenschlag verfügt (umsomehr, als ihre Tageszeitung eine schwere Krise durchmacht, die sogar Streiks gegen die geplanten Umstrukturierungen hervorgerufen hat.) Es ist absehbar, daß diese Kampagne sich im Januar 1998 verstärken wird, wenn der Entwurf über die 35 Stunden diskutiert werden müßte. Das Ziel aller Konservativen ist - sonnenklar - zu verhindern, daß der vorgesehene Termin respektiert wird.

BESCHÄFTIGUNGSPROGRAMME

Um besser das herrschende aufgeregte Klima zu verstehen, muß man daran erinnern, daß im Verlauf der letzten Wochen die Regierung zwei Maßnahmen im Bereich der Beschäftigung beschlossen hat, die in die entgegengesetzte Richtung einer Verkürzung der Arbeitszeit gehen. Die erste betrifft die Richtlinie der Europäischen Union über die 40-Stunden-Woche. Wenn man diesbezüglich die Übereinkunft zwischen der Regierung, dem Unternehmerverband Confindustria und den Gewerkschaftsverbänden liest, dann hat man das Gefühl, daß die drei beteiligten Partner ein doppeltes Ziel hätten. Auf der einen Seite, eine Vereinbarung zu erzielen, die es Italien erlaubt, sich den gemeinschaftlichen Richtlinien anzupassen; auf der anderen Seite, eine Generalprobe aufzuführen, wie man die PRC in die Klemme bringen kann, wenn es darum gehen wird, den Gesetzesentwurf über die 35 Stunden zu Papier zu bringen. Die oben erwähnte Übereinkunft, die Gesetz werden und ein Dekret von 1923 ersetzen soll, das die Maximalarbeitszeit auf 48 Stunden festsetzte, führt eine 40-Stunden-Woche ein, wie es die europäische Richtlinie fordert. Aber von nun an werden die mehr als 40 Stunden gearbeiteten Zeiten nicht mehr als Überstunden angerechnet. Sie müßten als "Mittelwert einer Periode über mehrere Wochen, die auf keinen Fall länger als ein Jahr sein dürfe", angesehen werden. Abgesehen von solchen abstrusen Formulierungen: dies ist es ein Kriterium der Flexibilisierung, das man durch diesen Winkelzug einführt.

Die zweite Maßnahme betrifft das bereits angenommene Gesetz über die Gelegenheitsarbeit. Im Januar müssen die durch das Gesetz vorgesehenen Arbeitsämter ihre Arbeit aufnehmen. Dem Arbeitsminister zufolge müßte man mit der Einstellung von 200.000 Arbeitern beginnen. Aber demselben Minister zufolge werden nur sehr wenige Einstellungen die Arbeitslosen betreffen. Die Mehrzahl werden Arbeiter sein, die heute ihre Steuern als selbständige Arbeiter zahlen, und die Schwarzarbeiter. Das besagte Gesetz riskiert, jede Effektivität als Maßnahme, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, zu verlieren.

Die Initiative der PRC für die 100.000 Einstellungen, von dem wir gesprochen haben, scheint mehr Erfolg zu haben. Die Einstellungswünsche, die von den Unternehmen und lokalen Verwaltungen für sozial nützliche Arbeit präsentiert werden konnten, haben die Grenze von 165.000 erreicht. Aber man hat den Eindruck, daß die Unternehmer und besonders die kleinen Unternehmer ihre Wünsche mit dem Ziel präsentiert hätten, etwas von der öffentlichen Hand zu bekommen, was nichts kostet. Vorgesehen sind praktisch 20 Stunden wöchentliche Arbeitszeit für Praktika, die zehn bis zwölf Monate laufen und mit 800.000 Lire [ca. 800 DM] pro Monat bezahlt werden. Die Arbeitgeber, die am Ende des Praktikums Arbeiter aus diesem Programm einstellen, haben das Recht auf Steuervorteile.

Man muß übrigens hinzufügen, daß in den Verträgen, die kürzlich erneuert worden sind, die Unternehmer sich bemühen, eine Klausel einzuführen, die eine Neuverhandlung in dem Fall vorsieht, wo das Gesetz über die 35-Stunden-Woche angenommen würde. In der Papierindustrie gab es einen achtstündigen Streik gegen eine solche Anmaßung.

Schließlich hat die Abstimmung im europäischen Parlament gegen eine gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit Wasser auf die Mühlen der Gegner der 35-Stunden-Woche geschüttet. Weiteren Zulauf erhielten diese Mühlen durch eine Erklärung derselben Institution, in der die verschiedenen Länder ermuntert werden, "die Flexibilität der Arbeit und der Arbeitszeit durch nicht-gesetzliche und nicht-vertragliche Prozesse auf Grundlage von sozialem Dialog auf Unternehmensebene" zu fördern. Hier haben wir eine Einkreisungsoperation gegen die französische und die italienische Regierung, die ihre Absicht bekannt gemacht haben, sich auf den Weg einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit zu begeben.

HEFTIGE DEBATTE

In der aktuellen Debatte, die sich größtenteils auf die Medien auswirkt, sind es die Regierungsmitglieder selber, die auf ihr Zögern und ihre Einwände hinweisen. Arbeitsminister Treu hat sich bemüht, die Unternehmer zu beruhigen, als er ausdrücklich zugab, daß er von der angestrebten Lösung nicht überzeugt sei, und ihnen sagte, daß es "genügend Zeit gebe, über den Gesetzesentwurf zu diskutieren, und drei Jahre, um zu verhandeln." Der Superminister der Wirtschaft, Ciampi, dem man das hauptsächliche Verdienst zuschreibt, die Inflationsrate verringert zu haben, ist so weit gegangen, die Verkürzung der Arbeitszeit als "wirtschaftliche Dummheit" abzuqualifizieren.

Auch die Gewerkschaftsverbände haben generell eine negative Haltung eingenommen. Einverstanden erklärt haben sich der Sekretär der Metaller der CISL, die Führer der Metaller der CGIL, und die Strömungen, die in der CGIL der PRC nahe stehen. Aber CISL und UIL verbergen nicht ihre Feindschaft, und die CGIL, genauso wie die PDS, preist ein Rahmengesetz an, was ihre Vorliebe für eine Übereinkunft zwischen den Sozialpartnern zeigt. Man muß sagen, daß die Gewerkschaften es seit Bildung der Regierung Prodi nicht mögen, daß die Initiativen der PRC sie übergehen und damit die Politik der Zusammenarbeit wieder in Frage stellen, die vor allem seit der Zeit der Regierung Ciampi verfolgt wurde und derzufolge eine objektive Konvergenz zwischen Unternehmern und Gewerkschaftsbürokratie existieren soll.

Die härtesten Attacken gegen das Projekt der 35-Stunden-Woche kommen vom Unternehmerverband Confindustria, der eine große Arroganz unter Beweis stellt und eine wahre Phalanx reumütiger Alt-Gewerkschafter, Journalisten jeglicher Couleur, Universitätsprofessoren, die früher auf seiten der Arbeiter waren, und skrupelloser Intellektueller auf seiner Seite aufmarschieren läßt.[1]

Der Generaldirektor von Confindustria hat nicht gezögert zu erklären: "Es dauert noch 80 bis 100 Jahre, bis man von 40 zu 35 Stunden gelangen könnte." Nach ihm "ist die historische Tendenz zur Verkürzung der Arbeitszeit dazu verurteilt, zum Erliegen zu kommen." Aber er gibt sich nicht die Mühe, uns zu erklären warum.

SCHWIERIGE AUSGANGSLAGE

Doch die Haltung gegenüber den 35 Stunden seitens der Arbeiter interessiert uns mehr. Wir sind nicht in einer Epoche, die vergleichbar zu der nach dem ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution wäre, noch zu jener der 60 er Jahre, als die 40 Stunden in zahlreichen Ländern erreicht worden sind. Dagegen ist es möglich, eine Analogie mit dem Beginn der 30er Jahre in der Vereinigten Staaten herzustellen, als es die Führung der amerikanischen Gewerkschaften war, die den Ruf nach einer generellen Verkürzung der Arbeitszeit angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit ausgab. Anfang der 20er und Ende der 60er Jahre ist das Ziel der Arbeitszeitverkürzung spontan entstanden, wenn nicht von der Gesamtheit der Arbeiterklasse, so wenigstens durch sehr große Arbeiterschichten. Im ersten Fall wurde der Ruf nach dem Achtstundentag, der die Kämpfe während eines halben Jahrhunderts anregte, durch die Arbeiter als erreichbares Minimalziel empfunden; im zweiten Fall wurde die Arbeitszeitverkürzung als lebensnotwendig von den Arbeitern am Fließband betrachtet, und allgemeiner, von denjenigen, die die mühseligsten Tätigkeiten auszuführen hatten.

Heute befinden uns - wiederholen wir es - in einer vergleichbaren Situation zu jener der großen Weltwirtschaftskrise. Der Ruf nach einer Arbeitszeitverkürzung kann nicht spontan entstehen, und sei es nur wegen der Tatsache, daß der hohe Prozentsatz der Arbeitslosigkeit eine Erosion der Reallöhne mit sich bringt. Der Bank von Italien zufolge ist das Nettoeinkommen der Familien 1993 um 5,2% gefallen und um 0,3% im darauffolgenden Jahr, während es 1995 und 1996 nur um wenige Kommastellen gestiegen ist. Unter solchen Bedingungen ist es normal, daß die diejenigen, die Arbeit haben, vor allem das Bedürfnis haben, ihr Gehalt zu erhöhen. Dies wird unter einem anderen Blickwinkel durch eine Untersuchung bestätigt, die vom Bildungsinstitut ISFOL durchgeführt wurde, nach der für die Gesamtheit der Arbeiter, einschließlich derer in Teilzeit (7%), die mittlere Arbeitszeit bei beinahe 40 Stunden (39,9) liegt, und für mehr als ein Fünftel unter ihnen die Arbeitswoche 52,8 Stunden lang ist. Dies zeigt, daß massiv zu Überstunden Zuflucht genommen wurde, um die Erosion bei den Löhnen aufzuhalten.

Manchmal wird gesagt, daß dort, wo die Bedingungen es erlauben, Unternehmer und Gewerkschaften nicht die Verabschiedung eines Gesetzes abgewartet haben, um sich über die Verkürzung der Arbeitszeit unterhalb von 40 Stunden zu verständigen. Aber es handelt sich um eine absolut begrenzte Anzahl von Arbeitern, die überdies unzählige Flexibilisierungsklauseln akzeptieren mußten. Die Konsequenz daraus ist, daß unter dem Strich diese Arbeiter nicht über mehr Zeit verfügen und daß es keinerlei Erhöhung der Beschäftigung gibt.

In diesem Zusammenhang ist das Risiko groß, daß der Ruf nach 35 Stunden nur eine propagandistische Parole bleibt, wenn man nicht in der Lage ist, sehr große und organisierte Kampagnen unter den Arbeitern, den Arbeitslosen und potentiellen Arbeitslosen - den Studierenden - über die Notwendigkeit der Arbeitszeitverkürzung zu führen.

BREITE KAMPAGNE NÖTIG

Um zum Schluß auf die Übereinkunft zwischen Prodi und Bertinotti zurückzukommen - die Übereinkunft bekräftigt u.a.: "Den Absichtserklärungen zwischen Italien und Frankreich für eine gemeinsame europäische Beschäftigungspolitik Rechnung tragend, bemüht sich die Regierung, im Januar 1998 einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der eine Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit ab 1. Januar 2001 auf wöchentlich 35 Stunden vorsieht. Diese Verkürzung wird auf Unternehmen angewendet, die mehr als 15 Beschäftigte haben." Nach einer Studie des Arbeitsministeriums, sind 6 bis 7 Millionen von diesem Gesetz betroffen, wenn man den öffentlichen Dienst und alle beiseite läßt, die bereits weniger als 35 Stunden arbeiten.

Der Text präzisiert nicht, ob die Verkürzung mit oder ohne Lohnverlust umgesetzt wird. Es gibt einen Verweis auf die Situation in Frankreich, aber sie hätte ausdrücklicher sein müssen. Alles in allem ist das nicht der Hauptpunkt des Problems. Tatsächlich ist die Frage, die sich stellt, ob man in der Lage sein wird, eine Massenbewegung anzuregen, die über die Übereinkunft und ihre Unterstützung wacht und die Konkretisierung dafür durchsetzt. Wenn nicht, dann ist das Risiko groß, daß sie versandet.


Rom, 14. Dezember 1997
Aus: Inprecor Nr. 420 (Januar 1998)
Übersetzung: Erwin Grabowski


[1] Dagegen hat J. Rifkin, Autor des Buches Das Ende der Arbeit, das ebenfalls viele Debatten in Italien ausgelöst hat, den italienischen Tageszeitungen erklärt, daß die Bedingungen existieren, um nicht nur die 35-Stunden-, sondern die 30-Stunden-Woche mit dem Lohn der 40-Stunden-Woche, einzuführen.


Der Kampf um die Renten

Am 1. November 1997 haben auf der Basis einer Übereinkunft zwischen der PRC und Prodi die Regierung und die Gewerkschaften ein Bündnis bezüglich der Änderung des Rentensystems verwirklicht. Es handelt sich insgesamt um eine Verschärfung der Reform, in Wirklichkeit einer Konterreform, die durch die Regierung Dini 1995 durchgesetzt wurde. In der Tat wurden die Zeitpunkte, wo es möglich ist, die Rente zu beziehen - besonders im öffentlichen Dienst und für die selbständigen Arbeiter - verschoben. Einige Kriterien sind strenger geworden. Dagegen sind die Arbeiter, die sehr jung angefangen haben zu arbeiten, und die Beschäftigten, die besonders mühsame Tätigkeiten ausüben, von diesen Verschärfungen ausgenommen. Im ganzen wird die Übereinkunft eine Reduktion von 4100 Mrd. Lire [4,1 Mrd. DM] im Staatshaushalt mit sich bringen. Diesen Preis bezahlen also die Arbeiter, die ein Recht auf die Rente hätten.

Gewiß, sowohl die italienische Regierung als auch die europäischen Institutionen hatten mehr erwartet, gleichfalls die Unternehmer, die von jeher daran interessiert sind, günstigere Bedingungen für die Einführung eines privaten Rentenfonds zu schaffen. Die PRC ihrerseits hat es nicht geschafft, die Renten vollständig zu verteidigen, wie sie es im letzten Jahr konnte. Der Grund dafür ist nicht, daß sie weniger gut verhandelt hätte. Der Unterschied besteht in der Tatsache, daß im letzten Jahr große Arbeiterschichten und die Arbeiterbewegung ihren Kampf mehr oder weniger direkt unterstützt hatten. Dieses Jahr hat sich das Kräfteverhältnis zuungunsten der Arbeiterklasse verschlechtert. So fand die letzte Verhandlung zwischen der Regierung und den Gewerkschaftsbürokratien statt, ohne daß sich etwas an der Anfangshaltung der Regierung geändert hätte. Die Gewerkschaften haben schließlich ein Referendum unterbreitet. Ziemlich klar sind die erhaltenen Ergebnisse. Die Versammlungen in den Unternehmen wurden sehr wenig verfolgt und der Prozentsatz der Enthaltungen war sehr hoch. 80% der Wähler haben sich für die Übereinkunft ausgesprochen, aber der Anteil der Gegenstimmen war in den Sektoren des öffentlichen Dienstes, die am meisten betroffen sind, bedeutsamer.


Dieser Artikel erscheint (als Teil des Schwerpunktthemas Arbeitszeitverkürzung) in Inprekorr Nr. 316