SÜDKOREA

Die Linke in Südkorea

Die koreanische Gesellschaft erlebt insgesamt einen Linksschwenk. Aber dieser schrittweise Prozess der Radikalisierung wird durch mehrere Faktoren erschwert: die Demoralisierung nach dem Verlust des Arbeitsplatzes; die mangelnde Bereitschaft zu kämpfen aus Angst vor dem Verlust des Jobs und der Druck, sich mit schnellen Teilergebnissen zufrieden zu geben.

Von Lee Oh-wol und Terry Lawless

Das sind alles Merkmale der Reaktion einer ArbeiterInnenklasse in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Ein weiterer relativ wenig untersuchter Faktor, der die Situation komplizierter macht, liegt in den verschiedenen linken Strömungen in Korea, die zu erklären versuchen, was mit dem "koreanischen Modell" plötzlich schief gelaufen ist.

Eine Merkwürdigkeit der koreanischen Linken liegt heute in der schrittweisen Umdrehung der traditionellen Beziehung zwischen den Intellektuellen und der ArbeiterInnenklasse seit dem "Großen Kampf" von 1980. Damals bestand die große Mehrheit der jungen Intellektuellen aus selbsterklärten MarxistInnen der einen oder anderen Strömung. Auch wenn die ArbeiterInnenklasse mit den Intellektuellen und Studierenden in deren Kampf gegen die Diktatur sympathisierte, so waren die ArbeiterInnen dennoch eher für "mehr Demokratie" als UnterstützerInnen des antikapitalistischen Anliegens.

Heute haben sich die Verhältnisse geändert. Die meisten fortschrittlichen AkademikerInnen sind jetzt "Post-MarxistInnen", sozialdemokratische ReformistInnen oder AnhängerInnen der "zivilgesellschaftlichen" Arbeit in Nichtregierungsorganisationen. Diese Leute sind zwischen dreißig und Anfang vierzig Jahre alt und bilden zur Zeit die dominierende Strömung unter den AutorInnen, TeilnehmerInnen an TV-Talkshows und linken Intellektuellen an der Universität. Diese "Generation von Überläufern" hat auch Unterstützung in der Führung der Gewerkschaftsverbände KCTU und, dort eher potentiell, FKTU.

Im gleichen Zeitraum öffnete sich die koreanische ArbeiterInnenklasse viel mehr für ausdrücklich antikapitalistische Ideen. Interessanterweise Dinge, derer die organisierte ArbeiterInnenklasse traditionell die radikale StudentInnenbewegung, die vor einem Jahr zusammenbrach, verdächtigte. Das verursachte zusätzliche Kopfschmerzen beim Staat, der seitdem versucht, die Studierenden davon abzuhalten, sich in die Arbeiterdemonstrationen einzureihen, zum Beispiel mittels Stichprobenkontrollen an Straßenunterführungen.

LINKE KRISENTHEORIEN

Die koreanische Linke kann im wesentlichen in drei große Strömungen unterteilt werden. Da ist zunächst das reformistische Lager, das am größten ist, vor allem unter den älteren Intellektuellen. Sie behaupten, dass das Hauptproblem der koreanischen Wirtschaft nicht deren Charakter als spezifische Variante des im übrigen weltweiten kapitalistischen Systems sei, sondern nur deren "schlechte" Eigenheiten. Die gegenwärtige Krise hätte ihren Ursprung in den "schlechten" Praktiken der Chaebols und der Staatsbürokratie. Wenn das koreanische Volk von Kim Dae-jung geführt wird, dann werde sich daraus ein normales und für alle vorteilhaftes Modell des Kapitalismus ergeben.

Diese Analyse mündet in einem politischen und wirtschaftlichen Aktionsplan, der im wesentlichen mit dem des Internationalen Währungsfonds vergleichbar ist. Ein demokratisches Gemeinwesen und ein "vernünftiger" Umbau der Chaebols gemäß der Rezepte des Internationalen Währungsfonds soll mit gewerkschaftlichen Kompromissen in der Frage der Arbeitsflexibilität verbunden werden. Mit anderen Worten: Wird die Drei-Parteien-Kommission [die im Januar 1998 von Gewerkschaften, Wirtschaft und Regierung zunächst eingesetzt wurde, um das Gesetz über die Entlassungen zu einem Abschluss zu bringen - vgl. Inprekorr Nr. 320] erst einmal guten Glaubens akzeptiert, dann brechen nach einem oder zwei Jahren neue gute Zeiten an. Solche Ansichten vertritt der gesamte FKTU, und auch einige Angestelltengewerkschaften im KCTU gehen in diese Richtung.

Die zweite Strömung der koreanischen Linken besteht aus den AnhängerInnen einer "traditionellen" linksradikalen Analyse. Sie ist bei einigen Gewerkschaftsinstituten und unter den Basismitgliedern des KCTU einflussreich. Letztere reagieren damit spontan auf die opportunistische Gewerkschaftsführung. Die gegenwärtige Krise ist in den Augen dieser Linken ein Teil der allgemeinen Krise des Weltkapitalismus. Eine besondere weitergehende Analyse wäre daher nicht nötig, ebenso wie konkrete Forderungen oder ein Sofortprogramm zur Entwicklung einer alternativen Gesellschaft.

Diese inhaltslose Theorie erklärt auch eine der Merkwürdigkeiten der koreanischen Gewerkschaftsbewegung. Rein äußerlich scheint es eine beeindruckende gewerkschaftliche Militanz zu geben, mit roten Stirnbändern, geballten Fäusten, Steinen und Molotow-Cocktails und unter den Klängen der traditionellen Arbeiter- und Bauernmusik. Seit dem Verfall der wichtigsten Werte des alten "starken Staates" wird das typische koreanische Bild der Gewerkschaftsmilitanz meistens durch solchen bunten Prunk bestimmt. Dahinter steckt allerdings kein voll ausgeprägtes unabhängiges politisches Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse, wie von einigen westlichen Beobachtern anscheinend geglaubt wird.

Diese bunte Rhetorik hat bestimmte, sehr offensichtliche Grenzen. Die plötzliche Kehrtwendung der Gewerkschaftsbewegung mit der Unterzeichnung des Drei-Parteien-Abkommens im Februar zeigt die Probleme, dass ein konkreter alternativer Plan fehlt. Die Weigerung zu verhandeln und der Aufruf zum Generalstreik, ohne die notwendigen Vorbereitungen einzuleiten sind letztlich nur Ausdruck einer zeitweiligen bürokratischen Ausflucht. Letztlich wird die Bewegung gezwungen, unvorbereitet an den Verhandlungstisch zu gehen und die bürgerliche Position wird sich durchsetzen.

Einer der wesentlichen Gründe dafür, dass immer noch ein politisches Sofortprogramm fehlt, ist das Nichtvorhandensein einer linken, politischen, auf den Gewerkschaften in Korea aufbauenden Partei. Der KCTU musste bisher die im wesentlichen politischen Aufgaben miterledigen, isoliert von alternativen politischen Gruppierungen und dem Zutun der sozialistischen Intellektuellen.

Im Vergleich zu der Situation in Südafrika oder Brasilien, wo politische Linksparteien bereits existierten oder im Zuge der Gewerkschaftsbewegung gegen die Militärdiktatur entstanden sind, erscheint die Lage in Korea unterentwickelt. Sollte sich dies nicht bald ändern, so ist dafür ein hoher Preis zu zahlen.

DEMOKRATISCHE ALTERNATIVE

Es gibt in der koreanischen Linken noch eine dritte Strömung, zu der einige linke WissenschaftlerInnen und Gewerkschaftsinstitute gehören, darunter das "Institut für eine demokratische Gewerkschaftsbewegung". Dieses Institut versucht eine Analyse der gegenwärtigen Krise mit der allgemeinen marxistischen Interpretation der koreanischen Geschichte zu verknüpfen.

Wegen seiner Entstehung aus einer links-nationalistischen Strömung hat das Institut noch einige zwiespältige Positionen zur nationalen Frage. Es ist zum Beispiel der Meinung, dass das wirtschaftliche Entwicklungsmodell, das der Premierminister von Malaysia, Mahathir, verfolgt, eine antiimperialistische Alternative für Asien darstelle. Einige Mitglieder des Instituts glauben, die koreanische Bourgeoisie könne der gegenwärtigen Krise entkommen, wenn sie ein Juniorpartner in der von den multinationalen Konzernen beherrschten Welt werde. Mit anderen Worten, wenn eine der verschiedenen möglichen Versionen des globalen Neoliberalismus, die dem Nicht-G-7-Teil der Welt angeboten werden, angenommen würde, käme Korea zurück auf den Weg der wirtschaftlichen Entwicklung.

Innerhalb der Gewerkschaftsbewegung selbst spielt die "Konferenz zur Arbeitsorganisation" (CWO), eine Gruppe militanter Vertrauensleute in der Metallindustrie, gegenwärtig eine wichtige Rolle gegen den neoliberalistischen Konsens. Ihre größte Leistung bis heute war ihr Beitrag bei der Ablösung der nach rechts gehenden Führung des KCTU, die das Drei-Parteien-Abkommen im Februar ohne eine Befragung der Mitgliedschaft unterzeichnete. Die neuen KCTU-Führer, Lee Kap-young, Ryu Duk-sang und Koh Young-joo, werden als solide Aktivisten und bewusste linke Führer angesehen.

Am Anfang hatte die CWO ein paar Verbindungen zum "Koreanischen Institut für Politik und Studien zur Arbeiterbewegung". Obwohl dies eine bedeutende Einrichtung ist, befürworten einige ihrer führenden Intellektuellen eine altbackene marxistische Auffassung, die alles auf die allgemeinen Widersprüche des Kapitalismus reduziert. Sie meinen zum Beispiel, dass die gegenwärtige Krise schlicht als eine Überproduktionskrise beschrieben werden könne.

Aus diesem Grund drängte das CWO den KCTU, sich auf eine einzige Frage zu konzentrieren: eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit und Aufteilung der Arbeitsplätze ohne Lohnverluste. Nach unserer Auffassung wäre die Frage berechtigt, wie diese Forderung aufgestellt werden kann, ohne weitere Zielsetzungen im Zusammenhang mit der Strukturreform der koreanischen Wirtschaft zu formulieren?

Diese dritte Strömung der koreanischen Linken glaubt, dass es notwendig sei, ein eigenes mittelfristiges Alternativprogramm einzubringen. Zum Inhalt dieses Programms gehören Vorschläge zur demokratischen Kontrolle des Finanzsystems; der Vergesellschaftung des Marktes oder Entwicklung einer gemischten Wirtschaft; zur Besteuerung der Chaebols ; zur staatlichen Kontrolle des Außenhandels; zur aktiven Beteiligung der ArbeiterInnen an der Leitung der Industrie; zum landesweiten Angleichen der Löhne und zur Wochenarbeitszeitverkürzung.

Obwohl dies unter dem Namensschild "Demokratische Alternative" gehandelt wird, ist es in Wahrheit in der Konzeption und im Geiste viel enger bei Trotzkis Übergangsprogramm als bei euro-kommunistischen Vorstellungen der alternativen Demokratie.

Aus: International Viewpoint Nr. 305 (November 1998)
Übersetzung und Bearbeitung: Thies Gleiss


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 327/328. In der gleichen Ausgabe erschien ein weiterer Artikel zur Lage der Lohnabhängigen in Südkorea.