BRASILIEN:

Showdown in Rio Grande

Am 25. Oktober 1998 gaben die Wähler und Wählerinnen der Arbeiterpartei (PT) in weiten Teilen Brasiliens in den Stadträten und den Parlamenten der Einzelstaaten ein größeres Gewicht. Dies gilt insbesondere für den im Süden gelegenen Staat Rio Grande do Sul[1], wo die PT von Strömungen der radikalen Linken geführt wird. Hier stellt die PT jetzt den Gouverneur und seinen Stellvertreter.

Ernesto Herrera

Die Konfrontation zwischen zwei sich unversöhnlich gegenüberstehenden politischen Projekten hat nun auf nationaler Ebene Gestalt angenommen. Diese Ebene ist von der Wirtschaftskrise, von scharfen Sparmaßnahmen, wie sie von der neoliberalen Regierung des Fernando Henrique Cardoso und dem internationalen Kapital verfügt worden sind, und dem gesellschaftlichen Widerstand, der sich radikalisiert, gekennzeichnet.

Am 7. November 1998 stellte die Führung der PT im Staate Rio Grande ihre erste Bilanz der Wahlen vom Oktober vor. Im Gegensatz zu zahlreichen anpäßlerischen Haltungen - die in weiten Teilen der lateinamerikanischen Linken die Oberhand gewonnen haben, auch unter Führern der PT - lassen die Einschätzungen und die Vorschläge der Führung in Rio Grande keinen Zweifel aufkommen.

"Unser Sieg wurde im Klima eines tiefgehenden Klassenkampfes errungen", sagt die Resolution. "Wir gewannen die Wahlen dank einer mächtigen politischen Bewegung, die wir um unsere Vorschläge und unsere KandidatInnen herum aufgebaut haben ..."

"Unser Sieg ist der Sieg eines radikaldemokratischen Projektes, das versucht, die Verantwortung des Staates bei der Regulierung der Ökonomie wiederherzustellen und das Entwicklung auf der Basis von Umverteilung von Reichtum und sozialer Gerechtigkeit anstoßen möchte, und das die Forderungen der Gesellschaft aufnimmt, um den Lebensstandard zu verbessern.

Der intensive Klassenkampf, der die Wahlauseinandersetzungen kennzeichnete, und die gesellschaftlichen Mobilisierungen, die uns den Sieg brachten, werden in dieser neuen Phase des Regierens nicht vergeudet werden.

Die Erklärungen der lokalen Industriebarone und der Geschäftswelt und die Positionen der wichtigsten Massenmedien, sowie das Verhalten der konservativ geprägten Gesetzgeber in den vergangenen Tagen geben den Ton vor, wie sie sich angesichts der neuen Regierung verhalten werden.

Auf der einen Seite gibt es Versuche von Teilen der Geschäftswelt, unsere Regierung zu isolieren. Aber auf der anderen Seite gibt es eine starke gesellschaftliche Mobilisierung von gesellschaftlichen Sektoren, die uns den Sieg eintrugen."

Die Führung der PT in diesem Staat geht von einem Szenario der Konfrontation aus und erklärt, es seien strategische programmatische Vorschläge nötig. Der Text betont, daß "diese Periode zu einer dynamischen Entwicklung der gesellschaftlichen Kämpfe in Verteidigung der demokratischen und vom (einfachen) Volk gewählten Regierung führen werde. Diese Regierung möchte neben der Leitung des Staates ein kreativer und aktiver Akteur im Rahmen der Nation sein, die durch wachsende Verarmung und Marginalisierung gekennzeichnet ist."

"Wir stehen vor der Herausforderung, eine linke Alternative zu stellen, die einen politischen und kulturellen Referenzpunkt für die Entwicklung der demokratischen Kräfte des Volkes in unserem Land darstellt."

Rio Grande do Sul verfügt nun über eine linke Regierung, die sich nicht damit zufrieden gibt, die öffentlichen Angelegenheiten einigermaßen ordentlich zu verwalten. Sie möchte vielmehr für ein günstiges Kräfteverhältnis gegenüber der neoliberalen Rechten kämpfen, und dies im Rahmen eines wirklichen Klassenkampfes zwischen Kapital und Arbeit.

Auf diesem Hintergrund betont die Resolution, eine der wichtigsten Initiativen der Regierung müsse "der Aufbau einer breiten Massenbewegung sein, die die Politik von Präsident Cardoso und die herrschenden Klassen ideologisch in Frage stellt und sich an die Aufgabe macht, die Politik der demokratischen und vom Volk unterstützten Regierung von Rio Grande zu verteidigen und für sie Unterstützung zu gewinnen.

Die Führung der PT im Staat schlägt hierfür drei Initiativen vor:

EINE SOLIDE BASIS IN DEN KOMMUNEN

Der Sieg und die damit verbundene Massenunterstützung müssen auch aus den Erfahrungen mit Dutzenden von der PT geführten Rathäusern im Staat Rio Grande und vor allem in der Hauptstadt, Porto Alegre, erklärt werden.

Die Politik der Anregung der Beteiligung der Massen bei der Aufstellung des Budgets war ein Schlüssel bei der Organisierung und Mobilisierung von BürgerInnenorganisationen, aber auch bei der Mobilisierung von Zehntausenden zugunsten von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Forderungen.

Doch nun türmen sich die Probleme. Zur Erpressung durch die Rechte und die Geschäftswelt sieht sich die Regierung des einfachen Volkes nun der offenen Feindschaft der gesetzgebenden Versammlung des Staates gegenüber, in der die neoliberalen Parteien über eine deutliche Mehrheit verfügen: 55 gegen 20 Abgeordnete. Und was die Sache verschlimmert, der abgewählte rechte Gouverneur hat ein Chaos hinterlassen, mit dem die PT nun zurechtkommen muß.

Übersetzung: Paul B. Kleiser
Aus: Inprecor Nr. 432 (Februar 1999)


Dieser Artikel erscheint in Inprekorr Nr. 329.


Fußnoten
[1]Rio Grande do Sul hat 10 Millionen Einwohner und ein BIP von 56 Mrd. Reals (1 Real = 1,2 US$). Es handelt sich hier um den fünftwichtigsten Staat in Brasilien.
[2]Im zweiten Wahlgang der Gouverneurswahlen erhielt die Front des Volkes und der Kandidat der PT, Olivio Dutra 50,78 Prozent der Stimmen (2,84 Mio.), gegenüber 49,22 %, die für den regierungsnahen Kandidaten Antonio Britto abgegeben wurden.