Weder NATO noch Milosevic - Selbstbestimmung der Kosovari!

Die imperialistische Barbarei richtet einmal mehr ihre Verheerungen an. Städte und Dörfer in Serbien, Montenegro und im Kosovo sind, während wir dies schreiben, die Ziele von massiven Bombardierungen; und nur Heuchler können behaupten, sie würden ausschließlich militärische Ziele treffen. Einmal mehr haben die Vereinten Nationen ihre Ohnmacht unter Beweis gestellt und nicht einmal das Gesicht gerettet. Obwohl es ihr eigener Kontinent ist, der nun zum Kriegsschauplatz geworden ist, haben sich die Regierungen der Europäischen Union, an deren Spitze fast überall Sozialdemokraten stehen, zum Teil mit Unterstützung der Grünen und die so stolz darauf sind, daß die Währungsunion zum vorgesehenen Zeitpunkt eingeführt werden konnte, einmal mehr in das Schlepptau der nordamerikanischen Supermacht begeben; und eines der europäischen Länder, Italien, hat sich in einen gigantischen Flugzeugträger verwandelt.

Von Livio Maitan

In einer Kampagne, die an diejenige erinnert, die den Ausbruch des Ersten Weltkriegs begleitet hat, wird zur Rechtfertigung angeführt, es handele sich um eine humanitäre Einmischung; diese Rechtfertigung muß mit der ganzen Verachtung zurückgewiesen werden, die sie verdient. Denn die sogenannten humanitären Interventionen finden ganz und gar selektiv statt: Kein einziges NATO-Land hat jemals eine Intervention gegen Länder vorgehabt, deren Regierungen nationale Minderheiten verfolgen und zu autoritären Praktiken greifen. Und dieses Argument ist hinfällig, da der Krieg gerade für diejenigen, die angeblich verteidigt werden sollen, tragische Konsequenzen haben wird und sogar auf die Aufteilung des Kosovos hinauslaufen könnte, die Milosevic offenbar durch eine neue Welle von Unterdrückung vorbereiten will.

Wir verurteilen den Angriff der NATO umso entschiedener, als unsere Haltung zu den großen Konflikten, von denen diese Weltregion zerrissen wird, immer absolut klar war. Die IV. Internationale hat von Anfang an Slobodan Milosevic' Abrutschen in den Nationalismus und seine verbrecherischen Kampagnen zugunsten eines "Groß-Serbien" verurteilt, auch auf den Seiten von Inprekorr. Mit umso mehr recht haben wir seine Entscheidung, die Autonomie zu beseitigen, über die der Kosovo in der jugoslawischen Föderation verfügt hat, und die repressiven Methoden verurteilt, die er mehrfach gegen die Oppositionellen und Massenbewegungen in Serbien angewendet hat. Seine Weigerung, in Kosovo einen neuen Anfang zu machen und den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung dort zu respektieren, hat zweifelsohne jegliche politische Lösung schwieriger gemacht; und sie hat seinen Gegnern ein Alibi geliefert - das selbstverständlich falsch ist, aber von der vernebelnden imperialistischen Propaganda benutzt werden kann - und das serbische Volk in einen Krieg hineingezogen, der vieles ruinieren, der eine Wirtschaft, die ohnedies in großen Schwierigkeiten steckt, weiter desorganisieren und einen sozialen Rückschritt hervorrufen kann, wie es ihn seit dem Zweiten Weltkrieg noch nicht gegeben hat.

Die Krise im Kosovo mit ihren Auswirkungen auf andere Gegenden des ehemaligen Jugoslawien, die sogar das ungewisse Abkommen von Dayton in Frage stellen könnten, bestätigt, daß nur eine Lösung, die die gesamte Balkanregion umfaßt, so schwierig sie auch zu verwirklichen ist, das Ausbrechen von kriegerischen Konflikten, die ethnischen Entzweiungen, die imperialistischen Interventionen beendigen kann. Für den Weg einer derartigen Lösung ist die Beachtung des Rechts eines jeden Volks auf Selbstbestimmung weiterhin absolut wesentlich.

Dies gilt in diesem Zusammenhang in erster Linie für das Volk des Kosovo. Man mag der Auffassung sein, die Unabhängigkeit dränge sich als beste Lösung auf, oder denken, der Kosovo solle sich mit Albanien vereinigen, oder für eine Rückkehr zur Autonomie von vor 1989 eintreten (wobei nicht ignoriert werden kann, daß eine Autonomie, wie sie im Rahmen der damaligen Föderation existiert hat, eine Sache ist - und eine Autonomie in einem "Jugoslawien", das sich auf Serbien und Montenegro reduziert, ein ganz anderes Ding ist). Es ließe sich auch verstehen, daß die Kosovari unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses und mit dem Ziel, einen langandauernden Krieg mit ungewissem Ausgang zu vermeiden, eine Übergangslösung akzeptieren und ihre definitive Entscheidung für später aufschieben. Man muß aber ohne die mindeste Zweideutigkeit und ohne Zögern bekräftigen: Dies ist ihre Entscheidung - und niemand hat das Recht, solch eine Entscheidung an ihrer Stelle zu treffen und ihnen aufzuzwingen.

Deswegen kann man das Abkommen von Rambouillet nicht akzeptieren, das letzten Endes auf eine wahre Erpressung hinausläuft, und darf man auch nicht eine irgendwie geartete Lösung anvisieren, die die Beibehaltung der Herrschaft von "Groß-Serbien" einschließen würde, ob sie durch Milosevic ausgeübt wird oder durch seine eventuellen Nachfolger. Ebenso wenig ist eine Lösung akzeptabel, die durch den Krieg, durch die Armeen der NATO, von den Imperialisten der USA und der europäischen Staaten aufgezwungen würde. Es sei wiederholt: der Ausgangspunkt, um eine Lösung zu finden, ist die Garantie des Selbstbestimmungsrecht der Kosovari. Keine einzige internationale Institution hat das Recht, diese Voraussetzung zu ignorieren oder beiseite zu wischen.

Jede militärische Intervention im ehemaligen Jugoslawien muß sofort aufhören! Die Armee und Polizei müssen den Kosovo verlassen! Für die Auflösung der NATO!

29. März 1999
Aus dem Französischen übersetzt von Friedrich Dorn


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 330