Druck von unten verhindert Ausverkauf

Für Inprekorr führte Birgit Althaler das folgende Interview mit Ingrid Garadat Gassner von Badil (Bethlehem) zur Verhandlungsführung in Camp David und zur Führung um Yassir Arafat.

Ingrid Garadat Gassner (Interview)

>Welchen Einfluss hatten die Mobilisierungen in der palästinensischen Bevölkerung und die Grundlagenarbeit, die in den letzten Jahren von verschiedensten NGOs geleistet wurde - beispielsweise in der Frage des Rückkehrrechts der Flüchtlinge - auf die Verhandlungsführung der palästinensischen Delegation in Camp David II?

Was die palästinensische Flüchtlingsfrage betrifft, war die Mobilisierung der Flüchtlinge und ihrer Basisorganisationen sicherlich der Grund für die klare Verhandlungsposition auf der Grundlage von Völkerrecht und UN Resolution 194.

Ohne diese Mobilisierung, seit 1996 in Palästina und im Exil, wäre die palästinensische Verhandlungsdelegation wahrscheinlich zum Übergehen der scheinbar unlösbaren Flüchtlingsfrage bereit gewesen. Anzeichen dafür gab es in der Vergangenheit viele; z. B. Versuche seitens offizieller palästinensischer Sprecher, das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge zu ihren Häusern und Besitz umzuinterpretieren in eine "Rückkehr" in den zukünftigen palästinensischen Staat; Stellungnahmen in der Presse, die die palästinensische Bevölkerung dazu aufriefen "realistisch" zu sein, usw.

Diese offiziellen, oder offiziösen Erklärungen sind seit 1998 wieder rückläufig oder weitgehend verschwunden, da klar wurde, dass palästinensische Flüchtlinge nicht bereit sind, auf ihre kollektiven und individuellen Rechte zu verzichten.

>Verschiedene Petitionen palästinensischer NGOs oder Persönlichkeiten nehmen eine deutlich kritische Haltung gegenüber Yassir Arafat und der politischen Führung der PalästinenserInnen ein, fordern eine Volksabstimmung über ein allfälliges Verhandlungsergebnis oder drohen offen damit, ein solches nicht anzuerkennen, wenn es nicht die grundlegenden Rechte der palästinensischen Bevölkerung, wie sie unter anderem in zahlreichen UN-Resolutionen und im internationalen Recht festgehalten sind, respektieren. Drückt sich darin eine gewisse Emanzipation der Bevölkerung gegenüber ihrer traditionellen Führung aus?

Emanzipation ist vielleicht zu viel gesagt, aber die Leute - und vor allem Flüchtlinge - haben es satt, sich erzählen zu lassen, dass sie von einem palästinensischen Ministaat im Rahmen des Osloprozesses profitieren werden. Die Menschen hier im 1967 besetzten Palästina haben mittlerweile ein klares Bild davon, was die fortdauernde israelische Dominanz, auch vermittelt über einen palästinensischen "Staat" bedeuten wird.

Dafür sind sie nicht bereit, ihre international anerkannten Rechte aufzugeben. Auf organisatorischer Ebene jedoch steckt noch alles in den ersten Anfängen. Es gibt noch keine organisierte politische Opposition, die wirklich eine Alternative zu Arafats Führung anbieten und dafür mobilisieren kann.

>Nach mehreren Jahren der Orientierungslosigkeit scheinen in der palästinensischen Bevölkerung neue politische Kräfte und Strukturen aufzutauchen. Kann man von einer Generationenablöse sprechen? Welches sind heute die dynamischsten, aktivsten Kräfte in Palästina?

Ja, man kann sicher von einer Generationsablöse sprechen. Diese ist jedoch sehr schmerzhaft und auch nicht ungefährlich, da Kritik und Generationsablöse in einer Situation enormer politischer Zwänge und scheinbarer Ausweglosigkeit stattfinden. Ja, es gibt eine junge palästinensische Generation, die sich einig ist in ihrer Kritik an den militär-bürokratischen Strukturen der alten PLO-Kader. In Bezug auf die notwendige neue Politik und die Strukturen gibt es jedoch keinen Konsens. Die junge palästinensische Generation ist gespalten in professionelle, westlich ausgebildete Technokraten, die kein Problem damit haben, die palästinensische Zukunft im Rahmen der "Sachzwänge" einer globalisierten Welt zu gestalten einerseits, und die Mehrheit der marginalisierten Flüchtlinge und Landbevölkerung andererseits, die weiterhin auf den ursprünglichen Ziele der PLO und ihren politischen, nationalen, und individuellen Rechte bestehen. Unter den Letztgenannten sind sicher die Flüchtlinge die dynamischste Kraft, auch weil ihre Problematik den Kern des zionistisch-arabisch/palästinensischen Konflikts repräsentiert. Das Rückkehrrecht der Flüchtlinge und die damit verbundenen Forderungen ist heute eines der wenigen Themen zu dem Basisorganisationen in Palästina und im Exil effektiv mobilisieren können, da Flüchtlinge rund zwei Drittel der palästinensischen Nation darstellen, ohne deren Unterstützung der PLO Führung die Hände gebunden sind.

Das BADIL Resource Center bemüht sich auf einer kritischen, alternativen und fortschrittlichen Grundlage Informationen und Analysen zur Situation palästinensischer Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, in dem Bestreben, eine gerechte und dauerhafte Lösung (einschließlich des Rückkehrrechts) für die exilierten Flüchtlinge zu erreichen.
PO Box 728, Bethlehem, Palestine; Tel/Fax. 02-2747346; E-Mail: info@badil.org; website: http://www.badil.org


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 347