Argentinien:

Ökonomische Krise und die Alternativen

Der nachfolgende Artikel von Claudio Katz, Buenos Aires, wurde unmittelbar vor der Entlassung Cavallos und dem Rücktritt de la Ruas geschrieben. Er analysiert die wirtschaftliche Lage, die zu den Ereignissen von 19. und 20. Dezember 2001 führten, und umreißt die Perspektiven für eine Lösung im Sinne der abhängig Beschäftigten.

Claudio Katz

Mit dem Einfrieren der Spareinlagen durch (Ex-) Wirtschaftsminister Cavallo, um auf Kosten der Kleinsparer die Banken zu retten, hat eine neue Phase der argentinischen Wirtschaftskrise begonnen. Der Rückzug von Anlegern brachte das Finanzsystem an den Rand des Kollapses, weil - nach vier Rezessionsjahren mit dramatischem Rückgang der Investitionen und des Konsums - ein bedeutender Teil der Unternehmen hochverschuldet ist und am Rande des Zusammenbruchs steht.

Die aktuelle Krise ist ohne Beispiel und übertrifft ähnliche Erscheinungen anderer Länder der Peripherie in den Neunzigern. In den letzten zwei Jahren schlossen 3.000 Unternehmen und Dutzende weitere wanderten ins Ausland ab. Das Bruttosozialprodukt wird 2001 schätzungsweise um 3,5% fallen, 2002 wahrscheinlich sogar um 7 bis 9%. Die offizielle Arbeitslosenquote von 20% steigt auf 40%, wenn man das bestehende Maß an Unterbeschäftigung berücksichtigt, und ein Staatsfunktionär erklärte neulich, dass es " nur in Afghanistan so viele Arbeitslose" gebe. Von den 14 Millionen Armen im Lande sind mehr als 5 Millionen Eingeborene, sie alle haben weniger als die 63 Pesos monatlich, die nötig sind, um die für eine minimale Kalorienversorgung notwendigen Grundnahrungsmittel zu bekommen.

Angesichts dieses sozialen Kollapses zielen alle Entscheidungen Cavallos dahin, seine beiden grundsätzlichen Handlungslinien beizubehalten: Die Krise auf die Arbeiter abzuwälzen und die verschiedenen Kapitalistenfraktionen über eine Einkommensumverteilung zu retten. Kurz gesagt, sollen die Armen die herrschende Klasse unterhalten, indem sie noch ärmer werden.

Die Opfer der Maßnahmen

Das hauptsächliche Ziel der Angriffe der Regierung sind die Staatsangestellten, die als die Schuldigen für das aktuellen Desaster hingestellt werden, während in der Realität ihre Arbeit (Erziehung, Justiz, Gesundheitswesen) erst die vollständige Paralyse der nationalen Ökonomie verhindert hat. Die Staatsangestellten wurden einer gleitenden Lohnskala, gekoppelt an die Steuereinnahmen, unterworfen (sog. "Programm des Null-Defizits"). Die Gehaltskürzungen begannen mit 13%, erhöhten sich jetzt auf 21% und waren gekoppelt mit der Streichung, Aufteilung oder Verschiebung der Weihnachtsgeldzahlung. Außerdem ist geplant, die Lehrerzulage zu senken und 90.000 Beschäftigte zu entlassen, was Lopez Murphy seit langem fordert. Die Regierung bereitet sich darauf vor, weitere Kürzungen im sozialen Bereich vorzunehmen, so bei den Stipendien und den Schulgeldern, und fährt fort, die Haushaltsansätze in den einzelnen Bereichen zurückzufahren. Auf diese Weise bleiben bereits die Rentner ohne Medikamentenunterstützung, die Behinderten ohne ärztliche Hilfe, und einige Hilflose haben bereits Selbstmord begangen.

In den Provinzen hat man die Gehaltskürzungen über den Weg des Naturallohnes eingeführt (Lebensmittelgutscheine), der je nach Region zwischen 5 und 50% ausmacht. Ein großer Teil der Steuereinnahmen ist durch die Gläubigerbanken blockiert, die von jedem Peso zwischen 60 und 90 Centavos bekommen, je nach der Situation in den 14 meistverschuldeten Provinzen. Bis jetzt ist die Ausgabe von Gutscheinen noch limitiert, wodurch eine Entwertung verhindert wurde. Aber wenn Buenos Aires alle seine Zahlungen "patagonisiert" [Patagonien - das südliche Argentinien einschl. Feuerlands - ist die ärmste Region des Landes; Anm.d.Ü.], wird es in großem Stil zu einer Entwertung der im Umlauf befindlichen Gutscheine kommen, und dies wird die Spaltung des Landes in monetäre Subzonen verschärfen.

Die absurde neoliberale Theorie, nach der der öffentliche Sektor berichtigt wird, um den privaten aufrecht zu erhalten, wird Tag für Tag durch den rezessiven Impuls der Budgetkürzungen widerlegt, die in jeder Hinsicht zu einer Gehaltsreduzierung führen. In 60% der 2001 geschlossenen Verträge gab es Gehaltskürzungen, dazu neue Regeln der Flexibilisierung und Anhebung der Arbeitszeiten. Außerdem droht eine neue Welle von Entlassungen als Konsequenz dessen, dass 45% der Unternehmen die bisher "schwarz" arbeiteten, erfasst wurden. Vor die Notwendigkeit gestellt, mitten in der Depression ihre informellen Mitarbeiter offiziell ausweisen zu müssen, nahmen die kleinen Unternehmen und Händler ihre Zuflucht zu Entlassungen.

Die Schicht jedoch, der im Moment die größte Verarmung droht, ist der Sektor der Mittelklasse, der vom Einfrieren seiner Bankguthaben betroffen ist. Die Regierung hat die Guthaben eingefroren, um sie für die Refinanzierung der öffentlichen Schulden zu nutzen (wie es schon 1989 mit dem sogenannten Plan Bonex geschah), oder um die Situationen der Banken zu bereinigen, die sowohl durch die Aushöhlung wie auch die Entwertung ihrer Aktiva betroffen sind. Die Kleinsparer wurden mit einer beruhigenden Botschaft der Regierung abgespeist ("Haben Sie Vertauen in die Solidität des Banksystems!"), die aber das Verschwinden von 15 Milliarden Dollar seit Jahresbeginn verschwieg, die von den Großinvestoren abgezogen worden waren. Dieses Einfrieren geschah erst dann, als jener mächtige Sektor sein Schäfchen ins Trockene gebracht hatte. Die Entwertung der eingefrorenen Einlagen hat schon begonnen, und zwar dadurch, dass diese dazu benützt werden, Güter zu höheren Preisen zu kaufen als sie eigentlich nach dem normalen Wechselkurs in Dollar kosten würden.

Das Ende des Gleichgewichts

Seitdem Cavallo die Verantwortung übernahm, versucht er alle kapitalistischen Sektoren am Leben zu erhalten mittels gleichgewichtiger Verteilung der Hilfsmaßnahmen. Aber die Verschärfung der Depression versperrt diesen Ausweg. Angesichts von Investitionsverlusten in Höhe von 40 Milliarden Dollar innerhalb von zwei Jahren gibt es keinen gemeinsamen Ausweg für die herrschende Klasse. Das von Cavallo angestrebte Gleichgewicht gerät durch den Teufelskreis, in dem sich die argentinischen Wirtschaft befindet, aus den Fugen. ( Budgetkürzungen, um die Auslandsschuld zu bezahlen, die wiederum zu Defiziten führen und neue Anpassungen erfordern.)

In dieser kritischen Situation muss die Regierung Partei für bestimmte kapitalistische Gruppen gegen andere ergreifen. Wie die kürzlich erfolgte Sperrung der Spareinlagen zeigt, sind die Favoriten dieser Auswahl die Banken. Die Regierung legte ihr neoliberales Credo beiseite und kehrte zu einem extremen Interventionismus zurück, um den Banken zu helfen. Alle Reden über "Effizienz der Märkte" und die Wirkungslosigkeit staatlicher Eingriffe verstummten, während statt dessen Devisenkontrolle, Reglementierung der Weltwirtschaft und der Finanztransaktionen eingeführt wurden.

Dieser Interventionismus ist die Folge davon, dass die ausländischen Banken sich weigern, ihrerseits Devisen aus dem Ausland zur Behebung der Krise anzulegen. Anstelle dessen beschleunigt sich mit Hilfe der Zentralbank die Dollarflucht. Es hat sich gezeigt, dass der Ausverkauf des Bankwesens ins Ausland, der der Krise von 1995 folgte, diesen Kapitalabfluss erleichtert hat. Die ausländischen Institutionen haben sich außerdem in nur 48 Stunden den besseren Teil der Bankgeschäfte gesichert, indem sie die Kommissionen majorisierten, die alle kommerziellen Aktivitäten koordinieren sollen. Aber die Finanzkrise ist noch nicht am Ende, weil die Angst vor der Beschlagnahmung einen Teil der Einlagen freigesetzt hat, der jetzt auf seine Weise den informellen Sektor der Ökonomie speist.

Zweitens unterstützt die Regierung die lokalen Gläubiger (Banken, AFJP, Versicherungsgesellschaften), die ca. 40% der Schuldtitel halten. Ihnen wurde erlaubt, diese Titel zu refinanzieren, um die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Durch den Austausch gegen neue, über Steuereinnahmen garantierte Titel konnten diese Sektoren es vermeiden, dass das durch die Entwertung der alten Titel, die bereits jetzt nur noch die Hälfte wert sind, verursachte Defizit bilanzmäßig erschien. Der Zinssatz für die neuen Schuldtitel (7%) ist sehr hoch verglichen mit der sehr niedrigen Rentabilität jeglicher Investition in der aktuellen Phase und macht Papiere rentabel, die in Wirklichkeit keinen Wert haben. Aber die Krise zwingt Cavallo, der einen Seite wegzunehmen, was er der anderen gibt, und so benützt der Minister das Anlagevermögen der AFJP, um fällige Schulden an die ausländischen Gläubiger zu zahlen. Auf diese Weise wiederholt sich das Leeren der Kasse wie bei den früheren Vorsorgekassen und führt ebenso zur Insolvenz, wie es im System der Pensionskasse geschehen ist.

Drittens scheut Cavallo keine Anstrengungen, um die ausländischen Gläubiger günstig zu stimmen, weil die Verhandlungen über die Auslandsschuld kurz bevorstehen. Um Punkte zu sammeln, rühmte sich der Minister am 14. Dezember, dieser Gruppe von Gläubigern 1 Milliarde Dollar zurückgezahlt zu haben - und das mitten in dem sozialen Zusammenbruch, in dem das Land sich befindet. Aber die Verhandlungen werden sehr hart sein, weil das, was mit den Investitionsfonds oder mit den investierenden Banken verhandelbar ist, nur sehr schwer mit den "Aasgeier-Fonds" zu verhandeln ist, die sich auf den Erwerb von abgewerteten Schuldtiteln spezialisiert haben, die sie dann vor den Gerichtshöfen von New York einklagen. Diese "Aasgeier" sind dabei, eine Zahl von legalen Maßnahmen vorzubereiten, um das zu wiederholen, was sie schon 1996 getan haben, als ein Fonds für 11 Millionen Dollar peruanische Schuldtitel aufkaufte, die auf 20 Millionen Dollar realen Wert geschätzt wurden, und vor Gericht durchsetzte, dass er 58 Millionen dafür bekam. Es ist ein gängiger Fehler, zu meinen, dass Cavallo nur den Spekulanten zu Willen ist, und dabei zu ignorieren, dass seine Maßnahmen viertens auf die 500 größten Betriebe des Landes im industriellen und Dienstleistungssektor zielen. Diese Gruppen nützen die hohen Dollargewinne aus, die die Konvertibilität erlaubt, indem sie Devisen an ihre Muttergesellschaften zurücküberweisen. Dieser Transfer sichert den privatisierten Unternehmen enorme Gewinne, wie sie von den Monopolpreisen profitieren, die staatlich garantiert sind. Die Lobby dieser Unternehmen blockierte auch alle Gesetzesvorhaben, die ihre Extraprofite mit einer 10%-igen Steuer belasten sollten. Aber die Depression trifft auch diese Gruppen, wie es bestimmte Konkurse und drohende Betriebsschließungen zeigen.

Fünftens hat die Regierung angekündigt, die großen lokalen Unternehmen der sogenannten "Produktiven Gruppe" (UIA, Bauwesen) zu unterstützen, die, nachdem sie die Privatisierungen von Menem unterstützt hatten, gegenüber ihren ausländischen Mitwettbewerbern völlig konkurrenzunfähig zurückblieben. Cavallo schlug ihnen seit vergangenem Juni mehr als 40 "Pläne zur Wettbewerbsfähigkeit" vor (speziell für den Agrar- und Automobilsektor) mit Steuerbefreiung in Höhe von mehr als 2 Milliarden Dollar. Aber das Vorhaben, durch eine Stärkung des Angebotes (geringere Kosten) die Verluste seitens der Nachfrage aufzufangen, führte angesichts der Tiefe der Depression nicht zum Erfolg. Jetzt ist die Regierung auf dem Marsch zurück und annullierte diese Steuerprivilegien, weil die Banken, um ihre Schulden bezahlen zu können, einerseits auf Zahlung bestanden und andererseits höhere Steuern forderten. Dadurch werden auch die Steuervorteile für die Industriebetriebe gekappt, und es könnte auch der "dolar preferencial" verschwinden, der ihnen für den Export zugestanden worden war.

Schließlich und zum sechsten beabsichtigt die Regierung auch, die großen nationalen Unternehmen, die hoch verschuldet sind, wie z.B. Macri und Eurenekian, zu retten, die die staatliche Übernahme ihrer Verbindlichkeiten verlangen. Cavallo hat schon 1982 eine rechtliche Regelung dieser Art verantwortet und ist jetzt dabei, dies zu wiederholen durch ein neues System der Streichung bestimmter Schulden mittels der Ausgabe von Papieren zweifelhaften Wertes, zugunsten derer der Staat von seinen Forderungen zurücktritt. Aber eine derartige Lösung in größerem Maßstab kollidiert mit der Zahlungsunfähigkeit der Staatskasse und mit der daraus folgenden Unfähigkeit, diese Rettungsaktionen der Vergangenheit zu wiederholen.

Cavallo streitet, regt sich auf und widerspricht sich mit dem einzigen Ziel, weiterhin allen Gruppen der herrschenden Klasse auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung zu helfen. Aber das Gleichgewicht zwischen den Einzelkapitalisten, was dies voraussetzt, ist schon nicht mehr herstellbar, und deshalb hat ein Kampf um unterschiedliche Pläne begonnen, welche Sektoren in der kommende Periode überleben werden und welche verschwinden werden.

"Dollarisierer" und "Abwerter"

Das Ende scheint sich zu beschleunigen, weil Argentinien das Versuchskaninchen in Sachen deflationäres Experiment ist, das die Gläubiger sich genommen haben, um ihr Vorgehen gegen die Schwächsten der Schuldner der Peripherie zu testen. Anstatt damit fortzufahren, den Banken mit Mitteln der Refinanzierung zu helfen, hat der Weltwährungsfonds begonnen, den endgültigen Kollaps dieser Länder voranzutreiben. Diese Strategie geht auf den Druck zurück, den in den Vereinigten Staaten der industrielle Sektor und die Banken, die nicht mit Krediten aus der Peripherie belastet sind, über die Nordamerikanische Notenbank ausüben, um die Extraprofite, die die Gläubiger der Dritten Welt in der letzten Dekade eingestrichen haben, zu ihren Gunsten zurückzufahren.

Außerdem gibt es in der Führung des Weltwährungsfonds die Auffassung, dass die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens sich nicht auf Brasilien und auch nicht auf den Rest von Lateinamerika auswirken wird, weil die großen Konzerne genug Zeit hatten, um sich vor einem Kollaps, der bereits lange vorhergesagt wurde, zu schützen. Mittels der Einführung einer neuen internationalen Gesetzgebung, die die Erklärung des Staatsbankrotts beinhaltet, möchten die großen Gläubiger andererseits ihre kleineren Konkurrenten und Abenteurer abschrecken, indem sie ihnen den Weg der gerichtlichen Eintreibung versperren.

Angesichts dieser Perspektive gibt es eine tiefgehende Spaltung der herrschenden Klasse in Argentinien zwischen einem Sektor, der auf den Dollar setzt, und einem, der auf Abwertung setzt. Die erste Gruppe wird vorwiegend von den ausländischen Unternehmen und den Privatunternehmen gebildet, die Devisen ins Ausland zum jeweiligen Kurs verschieben. Aber dieser Ausweg ist andererseits durch die ausländischen Banken behindert, die angefangen haben, den Markt komplett zu beherrschen durch ihren Zugang zu Dollarprovisionen, zum Nachteil lokaler Banken wie der Galicia. Ihr Ziel ist die völlige Übernahme des Finanzsystems nach dem Fortschritt, den sie der sog. Tequilakrise mit dem Zusammenbruch von 90 Instituten verdanken (1994 kontrollierten sie 16,5% der Einlagen und jetzt kontrollieren sie 50%). Dieser Sektor beabsichtigt, die Bankstruktur zu extraterritorialisieren, indem ein Rechtsstatus geschaffen wird, der Banken Extraterritorialität möglich macht und damit die nationalen Konkurrenten praktisch liquidiert.

Die Protagonisten der Dollarisierung (Avila, Ferrerez, Diaz, Bonilla) reden über die segensreiche Wirkung einer harten Währung z.B., um in den ALCA (Freihandelszone) eintreten zu können - als ob die Benützung einer amerikanischen Banknote dabei helfen würde, finanzielle Unterstützung von den Vereinigten Staaten zu bekommen. In Wirklichkeit macht die einseitige Dollarisierung die Zentralbank in letzter Instanz zum Pfandleiher, weil sie die Zentralbank ihrer letzten Instrumente beraubt, um selbständig den Geldmarkt zu steuern. Die Einführung des Dollar führt zum Verschwinden des Mercosur und könnte sogar im Auseinanderbrechen des Landes oder in einer unabschätzbaren Depression enden, weil im Gegensatz zu Ecuador geplant ist, den Peso mitten in der vollen Rezession abzuschaffen und nicht, wie dort, wegen einer mäßigen Inflation. Es ist offensichtlich, dass Argentinien eine im Rahmen der Peripherie mittelgroße Ökonomie hat, sehr viel anders als z.B. Panama, Puerto Rico oder El Salvador, und deshalb würde eine Dollarisierung einen großen Sprung in Richtung auf Transnationalisierung bedeuten.

Der Alternativvorschlag - Abwertung - wird von einer sehr heterogenen Gruppe gemacht, angeführt von verschiedenen Leitungsmitgliedern des IWF und bestimmten Ökonomen (Hausman, Krugman und Samuelson), die ein "Modell Argentinien" propagieren und dafür plädieren, zur alten Politik einer exportorientierten Wirtschaft zurückzukehren, um für die Bezahlung der Schulden Devisen zu akkumulieren. Die Abwertung ist die Standarte der "Produktiven Gruppe", die versucht, ihre Auslandsmärkte wieder zu bekommen und die massive Abwertung auszunützen, indem dadurch ihre Schulden vermindert werden und zwar mit Verordnungen, die auch schon in der Vergangenheit in solchen Fällen die Kapitalisten schützte. Eine Möglichkeit, die in Erwägung gezogen wird, ist, alle Einlagen in Dollar die derzeit eingefroren sind, in Pesos umzuwechseln, während für die in Devisen bezifferten Kredite der Unternehmen eine Ausnahmeregelung gilt.

Einige Ökonomen (Valle, Gambarota und Carbonetto) machen den Vorschlag, verschiedene Formen der Bestrafung einzuführen, um diese letzteren Vorteile auf die persönlichen Schulden und die kleinen Unternehmen zu beschränken. Aber Abwertungen waren traditionell immer Enteignungsaktionen, und es gibt keinerlei Beispiele dafür, dass bei einer Abwertung eine soziale Komponente eingebaut worden wäre. Einzig und allein die Verstaatlichung des Banksektors und des Außenhandels - die diese Analysten allerdings ablehnen - würde Regelungen von diesem Typ möglich machen.

Andere Protagonisten einer "Volksabwertung" (Fragar, Bocco) beteuern, dass eine Abwertung keine Auswirkung auf die Preise habe, wegen der Tiefe der Depression. Aber die jüngsten Erfahrungen zeigen, dass der durch eine unkontrollierte Abwertung erzeugte Inflationsschub eine ständige und unberechenbare Gefahr ist. Auch hier könnte nur eine zunehmende Planung der Ökonomie diese Gefahren einer Abwertung neutralisieren. Schließlich gibt es noch den Vorschlag, "mit den Unseren leben" gemäß dem die nationale Wirtschaft durch Streichung der Konvertibilität des Pesos nach außen abgeschlossen werden soll (Ferrer). Er vergisst, dass die Mehrheit der Schlüsselunternehmen bereits jetzt in ausländischer Hand ist, und dass, um zu erreichen, dass sie den internen Markt privilegiert bedienen, es notwendig wäre eine völlige Kontrolle ihrer Operationen durchzuführen.

Cavallo versuchte beides zu vermeiden, sowohl die Dollarisierung wie auch die Abwertung. Im Moment orientiert er sich in Richtung auf die erste Lösung, obwohl es allerdings wahrscheinlich ist, dass er bei dieser Option eine Art Geld zweiter Ordnung beibehalten wird (wie die derzeitigen Gutscheine in den Provinzen) für bestimmte Transaktionen. Außerdem gibt es derzeit eine Diskussion über die Größe der Finanzreserven, die für eine Dollarisierung nötig sind. Seine Berater (Fernandez, Rodriguez, Cachanowsky) scheinen eine Abwertung in Verbindung mit der Dollarisierung - vorher oder gleichzeitig - zu favorisieren oder irgendeinen Mechanismus einer kräftigen Absenkung der Gehälter, um mit der neuen Währung von vornherein auf einem erheblich niedrigeren Lohnniveau zu beginnen.

Aber wenn die argentinische Ökonomie mit der freien Konvertibilität Probleme bekam, so ist es klar, dass der Schiffbruch mit der Dollarisierung noch größer sein würde, und zwar aus den gleichen Gründen die zu ihr geführt haben.

Das Programm des Volkes

Die ökonomische Krise ist nicht die Folge zu zögerlicher Reformen, wie die Neoliberalen glauben, und auch nicht der Konvertibilität, wie die Antiliberalen sagen, oder des "Pessimismus" der Argentinier, wie einige Soziologen meinen. Es ist die dreifache Folge aus Kapitalismus, der Situation eines Landes der Peripherie und der Wirtschaftspolitik der letzten Dekade. Dies hat zu einer akuten Depression geführt, die aber weder außergewöhnlich noch einzigartig in der Welt ist. Alle Ökonomien, die auf Ausbeutung und Gewinn beruhen, erzeugen periodisch Rezessionen, und alle abhängigen Länder leiden unter dem polarisierenden Effekt der Globalisierung und dem Griff der imperialistischen Mächte nach strategischen Märkten. Die ökonomische Krise Argentiniens ist ein Beispiel für die Schäden, die die Nationen erleiden, die am meisten durch die Änderung der internationalen Arbeitsteilung betroffen sind.

Aus dieser Charakterisierung ergibt sich, dass es nötig ist, den "Kampf gegen das Modell" zu verbinden mit einer sozialistischen Perspektive. Nur eine solche emanzipatorische Perspektive öffnet einen Weg für die lohnabhängige Bevölkerung, und deshalb sollte sie auf drei Wegen gesucht werden.

Das erste ist die Nichtanerkennung, die Aussetzung oder Suspendierung der Auslandsschulden. Jede dieser Alternativen erfordert es, die Verhandlungen mit dem IWF abzubrechen und die Schuldenzahlungen sofort zu stornieren.

Es gibt schon jetzt keinen Zweifel an der Illegitimität und dem betrügerischen Charakter dieser Schulden und auch nicht an dem katastrophalen Effekt der Schuldenzahlungen. Was kann sich am aktuellen Zustand noch verschlechtern, wenn die Schulden nicht gezahlt werden? Die Aussetzung der internationalen Kredite unter der Argentinien seit mehr als einem Jahr leidet? Eine weitere Anhebung des sog. "Länderrisikos"? Investitionsstop? Alle diese vorhergesagten Schreckensbilder angesichts eines eventuellen Moratoriums sind bereits Wahrheit geworden, und zwar deshalb, weil man diese Entscheidung vermieden hat.

Es ist offensichtlich, dass man nicht weiterkommt, indem man einen Waffenstillstand erbittet, einen Abschlag verhandelt oder auf zwei Jahre die Zinsen reduziert, wie es viele Ökonomen vorschlagen (Terragno, Lascano, Bocco und Carbonetto). Genau diese Maßnahmen fordert aktuell Cavallo (Zahlungsaufschub, Zinsreduktion auf 5%, Reduktion der Schuldenmenge auf 20% - 35%). Aber der Schuldenberg ist inzwischen im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt und den Exporten so gewachsen, dass jedwede Neustrukturierung der Schulden in irgendeiner neuen Version des aktuellen Zustandes enden würde. Außerdem fordern die Gläubiger, wie es schon im Brady-Plan geschah, als Bedingungen für jede Form von Verhandlungen weite Vorgaben und die Fortführung der volksfeindlichen Anpassungspolitik.

Ausschließlich die sofortige Aussetzung der Schuldenzahlungen kann die notwendigen Ressourcen freisetzen, um einen für die Bevölkerung akzeptablen Neuanfang zu machen.

Die zweite Achse eines Programms für das Volk ist die Anhebung der Gehälter und der Renten sowie die Einführung einer Arbeitslosenversicherung, solange bis die Verteilung der Arbeitszeit auf alle Hände und die Wiederbelebung der Produktion Vollbeschäftigung ermöglicht. Wenn die Berechnung stimmt, die die Gewerkschaft CTA vorgelegt hat, können die notwendigen 11 Milliarden für die Startfinanzierung der Versicherung zum größten Teil aus den Zinszahlungen für die Schulden bestritten werden.(9,6 Milliarden 2001) Man könnte zusätzlich zu dieser Quelle Steuern auf Privateigentum erheben, auf die privatisierten Unternehmen oder die Zinseinkünfte. Aber es ist irreal zu glauben, dass man wirklich etwas für die Bevölkerung tun kann mit ausschließlich restriktiven Mitteln oder damit, Sozialpläne zu entwickeln, ohne sofort die Schuldenzahlungen einzustellen.

Ein Wirtschaftsplan für das Volk erfordert drittens, die direkte Kontrolle über die Banken und Unternehmen auszuüben, die die Ökonomie steuern. Wie soll man höhere Gehälter garantieren, das Eintreiben von progressiven Steuern und gleichzeitig öffentliche Investitionen tätigen, gegen die Unternehmen die in weniger als einem Jahr das Verschwinden der Hälfte der Geldreserven zu verantworten haben? Wie soll man eine durchgreifende Preisreduktion durchführen gegen die privatisierten Staatsunternehmen? Wie soll man die Profite aus dem Energiesektor nutzen, wenn Repsol die Verarbeitung und den Handel mit Öl kontrolliert? Die Wiederverstaatlichung dieser Unternehmen unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und der Verbraucher ist ein zwingend notwendiger Schritt, um die ökonomische Erholung einzuleiten und damit das Leben der abhängig Beschäftigten zu verbessern.

Viele Genossen aus der CTA glauben, dass dieser Prozess sich als ein "Umverteilungsschock" abspielen könnte. Sie glauben, dass der erhöhte Konsum einen ökonomischen Wunderkreis erhöhter Produktion wachsender Gewinne und steigender Investitionen auslösen würde, was wiederum die wachsende Nachfrage unterhalten würde. Aber die Zahlung der Schulden und die verschiedenen Mechanismen imperialistischer Aneignung schlucken die notwendigen Mittel für einen derartigen Nachfrageschub, und das ist es, was in den Ländern der Peripherie die Wirksamkeit keynesianischer Maßnahmen wirkungslos macht. Außerdem würde auch eine hypothetische Reaktivierung der Nachfrage den Profitwettbewerb und den daraus folgenden Druck der Unternehmen in Richtung auf erneute Gehaltskürzungen nicht beseitigen. Die Arbeitslosenversicherung wie jede andere Minimalabsicherung müssen wir als Teil unseres Kampfes für den Sozialismus und nicht für einen "anderen Kapitalismus" sehen.

Dieses System stützt sich auf die Ausbeutung und auf die Rivalität im Kampf um den Profit und es erzeugt periodisch dramatische Zusammenbrüche auf Kosten der Bevölkerung. Der Sozialismus ist die einzige Perspektive für eine grundsätzliche Umverteilung der Reichtümer zugunsten derer, die sie produzieren.

Die aktuelle Krise hat die Ausmaße der großen Katastrophen der letzten Jahrzehnte, und sie wird sich fortsetzen, bis die herrschende Klasse ein neues Machtzentrum etabliert. Nach Rodrigazo (1975) kamen die Diktatur und Martinez de Hoz, nach dem Ende der Abwertung von Sigaud (1981) kam die Stagnation der 80er Jahre, und aus der Hyperinflation von 1989 folgten Menem und seine Privatisierungen. Können wir diese Folge von Niederlagen beenden? Im Aufbau einer starken linken Kraft, die auf einen radikalen Sozialismus orientiert ist, liegt der Anfang der Antwort auf diese Frage.

Buenos Aires, 17.12.2001
Übers.: K. Engert
Claudio Katz ist Ökonom, Professor an der Universität von Buenos Aires



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 364 (Februar 2002).