Emile Jourdin, Anne Leclerc und Pierre Rousset
700 Arbeitskreise, Dutzende von Konferenzen, zwei zentrale Kundgebungen, Jugend- und Bauernversammlungen, Initiativen zuhauf. Manche mussten sich verloren vorkommen; die meisten Teilnehmer jedoch konnten aus zufälligen Begegnungen anscheinend solidarische Kontakte knüpfen, indem sie von den zahlreichen angebotenen Aktivitäten Gebrauch machten oder ihre politischen Netzwerke nutzten. Wie soll mensch wiedergeben, was sich hier alles an direktem Austausch ergab. Insofern müssen wir uns auf einzelne Schwerpunkte beschränken.
Von der Teilnehmerzahl her war das Forum ein offensichtlicher Erfolg, wobei genaue Zahlen schwierig sind, da die Veranstaltungen über die ganze Stadt verteilt waren. Mit geschätzten 60.000 TeilnehmerInnen war die Resonanz viermal so hoch wie im vergangenen Jahr, was auf eine deutlich gestiegene Mobilisierung auf brasilianischer, aber auch auf internationaler Ebene zurückzuführen ist. Die größten ausländischen Delegationen kamen aus Argentinien und Italien, hiernach Frankreich mit über 800, den USA mit 420, Spanien, Chile, Uruguay und Kanada.
Aus europäischer Sicht kommt dieser Erfolg nicht überraschend, da die Antiglobalisierungsbewegung ihre wachsende Dynamik immer wieder unter Beweis gestellt hat. Für Lateinamerika jedoch war Porto Alegre ein wichtiger Test. Viele Brasilianer hatten Angst vor den Folgen des 11. September und zweifelten bis zuletzt an den erwarteten Teilnehmerzahlen. Die Standfestigkeit des WSF brachte sie ins Staunen: "Und das 3 Monate nach den Attentaten...". Der Widerstand gegen die kapitalistische Globalisierung zeigte sich in Belgien so beständig wie in Rio Grande do Sul. Selbst in den USA, wo der Trend vorläufig gestoppt erscheint, ergab sich mit dem Ausweichen des Forums von Davos nach New York eine Gelegenheit für den Gewerkschaftsverband AFL-CIO und die anderen Beteiligten, wieder die Initiative zu ergreifen und ihre Opposition gegen die neoliberale Politik öffentlich zu demonstrieren.
Besonders in der Abstimmung zwischen den sozialen Bewegungen zeigt sich, welche Fortschritte im vergangenen Jahr gemacht wurden. Um künftig die regelmäßige Kommunikation zu vereinfachen, wurden der brasilianische Gewerkschaftsverband CUT und Via Campesina, in der gerade die Landlosenbewegung vertreten ist, mit dem Aufbau eines technischen Sekretariats betraut. Ähnliche Sekretariate könnten bald in anderen Teilen der Welt entstehen, um den sozialen Bewegungen um das WSF eine feste und zugleich flexible Struktur zu verschaffen.
Der von ihnen kürzlich herausgegebene Aufruf zu Mobilisierungen zeugt von diesem Fortschritt. Darin werden - wie letztes Jahr auch - die desaströsen sozialen und ökologischen Folgen der neoliberalen Globalisierung angeprangert. Traditionelle Forderungen wie nach Schuldenannullierung für die Dritte Welt und nach Demokratie werden darin erhoben; aber auch die Gegnerschaft zum Krieg ist integrativer und konstitutiver Bestandteil der Bewegung geworden. Die Solidarität mit dem argentinischen und palästinensischen Volk kommt darin zum Ausdruck. Die Agenda am Schluss ist dicht gepackt mit internationalen Ereignissen, zu denen 2002 und 2003 gemeinsam mobilisiert wird.
Bushs Brandreden werden in Brasilien hautnah erlebt. Allein in den letzten Monaten wurden sieben führende Gewerkschafter und Politiker, darunter zwei Bürgermeister der PT, ermordet. In São Paulo wurde während des WSF ein Gewerkschaftsbüro der CUT von einer bewaffneten Bande verwüstet. Dies alles hält den neuen US-Staatssekretär für Lateinamerika nicht davon ab, drei "Hauptrisiken" anzuprangern: Kolumbien, Argentinien und den möglichen Sieg von Lula, dem Kandidaten der PT bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Den brasilianischen Todesschwadronen wird damit grünes Licht signalisiert!
Auch auf dem Jugendsektor gab es Fortschritte. Das 2. internationale Jugendcamp war ein voller Erfolg mit mehr als 15.000 Teilnehmern aus ungefähr 40 Ländern und einer Atmosphäre aus permanenter Fête, politischer Diskussion und Mobilisierung. Durch das hohe Diskussionsniveau in den Arbeitsgruppen konnten wirkliche Annäherungen unter den Jugendbewegungen gegen die kapitalistische Globalisierung erzielt werden, was Aktionsformen, Kampf gegen ungesicherte Beschäftigung und aktive und basisorientierte Gewerkschaftsarbeit angeht. Das enorme Angebot von offenen und auf Querverbindungen beruhenden Diskussionen hat viele Teilnehmer des WSF inspiriert. Das Projekt Intergalactika dient bspw. der weltweiten Vernetzung der verschiedenen Bewegungen und Mobilisierungen. Die Wiederaneignung des 1. Mai unter dem Namen "Tag des Kampfes und des weltweiten Widerstands" wird ab diesem Jahr zu einem festen Termin für eine gemeinsame Mobilisierung in Süd und Nord.
Gleichzeitig lässt die massive Beteiligung aus Lateinamerika (Brasilien, Argentinien) und aus den verschiedensten Bereichen (Studenten, NRO's, Antiglobalisierungsbewegung oder politische Organisationen) auch auf eine Vereinheitlichung der laufenden internationalen Kämpfe der Jugend hoffen. Beim nächsten Camp 2003 gilt es, eine tatsächliche weltweite Repräsentanz zu schaffen, die auch Afrika und Asien einschließt. Hierbei werden die regionalen Foren Ende 2002 von Nutzen sein.
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Das WSF bereitet seine internationale Ausdehnung vor. Wenn das dritte WSF wieder in Porto Alegre stattfindet, soll das Folgetreffen in Indien sein. 2005 ist Afrika an der Reihe. Ab kommenden Herbst werden Regionalforen abgehalten - in Italien für Europa, im Folgejahr in Frankreich.
Porto Alegre ist der Schmelztiegel eines neuen Internationalismus. Aus einem Event ist ein veritabler Prozess geworden.
Aus rouge, Wochenzeitung der LCR, französische Sektion
der IV. Internationale Übersetzung: Miwe |