Der drohende Bankrott der FIAT-Automobilwerke findet vor dem Hintergrund einer immer schärferen sozialen und politisch-institutionellen Krise in Italien statt. Gleichzeitig weiten sich die Proteste unter der Bevölkerung mit Millionen von Teilnehmern an Streiks und Demonstrationen aus. Der folgende Artikel beleuchtet eine Initiative der PRC zur Verstaatlichung des Krisensektors und ergänzt sie um die Perspektive der Arbeiterselbstverwaltung.
Livio Maitan
Die Krise bei FIAT, die sich in jüngster Zeit zuspitzt, hat Italien auf das Schwerste erschüttert. Falls die Unternehmensführung tatsächlich um die zehntausend Arbeiter entlassen sollte, wozu noch die Auswirkungen auf die Zuliefererbetriebe in ähnlicher Größenordnung kämen, wäre mit heftigen Reaktionen zu rechnen. Denn immerhin handelt es sich hierbei um das größte italienische Industrieunternehmen, das in den letzten hundert Jahren eine überragende Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Geschichte des Landes eingenommen hat. Dazu kommt, dass mit Olivetti ein anderer wichtiger Industriezweig bereits zuvor praktisch vom Markt verschwunden ist und die Eisen- und Stahlindustrie einschneidende Kürzungen erfahren hat.
Daher bleiben auch die Stellungnahmen aus dem ganzen Land nicht aus: selbstredend seitens der Gewerkschaften und der neuen außerparlamentarischen sozialen Bewegungen; seitens der politischen Parteien und sogar der Kirche; aber auch seitens der Industriellenverbände, der Finanzwelt, der Regierungsmitglieder und der lokalen und regionalen Behörden. Hierbei kam es zu paradoxen Szenen: vor den Betriebstoren des bedrohten Werkes umarmte der Bürgermeister von Termini Imerese, der einer Mitte-Rechts-Regierung dieser von der Krise besonders gebeutelten sizilianischen Kleinstadt vorsteht, mit Tränen in den Augen den Parteisekretär der PRC, Fausto Bertinotti, und die Mitte-Rechts-Parlamentarier aus Sizilien drohten, dem Haushaltsentwurf der Regierung nicht zuzustimmen, falls die Arbeiter von Termini entlassen würden. Die Präsidenten der Regionalregierungen von Piemont und Sizilien -- beide treue Anhänger von Berlusconi -- lieferten sich heftige Wortgefechte: Während der eine der Aufrechterhaltung der Turiner Werke die oberste Priorität beimaß, trat der zweite für die Arbeitsplätze in Termini Imerese ein. Selbst die eingeschworenen Verfechter der "freien" Marktwirtschaft und der Privatisierungen forderten umstandslose staatliche Interventionen, auch wenn damit die EU-Kommission auf den Plan gerufen würde.
Von allen Seiten wird auf Fehler im Management bei FIAT verwiesen. Sicher gab es solche Fehler. Man wird aber nicht an der ziemlich schwerwiegenden Tatsache vorbeimogeln können, dass die Krise bei FIAT im Zusammenhang mit einer weltweiten Krise im Automobilsektor gesehen werden muss, die nicht nur konjunktureller, sondern vielmehr struktureller Natur ist. Unter diesen Umständen wird die Konkurrenz natürlich viel harscher und die Schwächsten -- ob sie nun Fehler gemacht haben oder nicht -- bleiben auf der Strecke. Und FIAT gehört nun mal seit fast 10 Jahren zu den Schwächeren in diesem Sektor. Zwangsweise wurden immer einschneidendere "Umstrukturierungen" vorgenommen -- zuletzt im Juli 2002 -- und internationale Partnerschaften und Abkommen angestrebt. Daher wurde auch General Motors eine 20%ige Kapitalbeteiligung mit der Option, die restlichen 80% in den kommenden zwei Jahren erwerben zu können, zugesichert.
Im Augenblick ist noch keine endgültige Entscheidung zustande gekommen. Die Banken, die vor einigen Monaten eingesprungen sind, und natürlich die Unternehmensführung sind dagegen, irgendwelche Änderungen an den neuen Umstrukturierungsplänen vorzunehmen, womit sie stillschweigend eine letztendliche Übernahme durch General Motors akzeptieren. Die Regierung und die Opposition murren, da sich beide kaum darüber freuen dürften, wenn das Aushängeschild der italienischen Industrie die Flagge wechselt. Daher rührt auch das schon fast verzweifelte Bemühen um eine Lösung mit wenigstens minimaler staatlicher Beteiligung.
Die klarste Stellungnahme kam von Anfang an von der PRC, wo sich Fausto Bertinotti, Giorgio Cremaschi als Führer des Metallerverbandes der CGIL und Franco Turigliatto, der die landesweite Arbeit in den Großunternehmen koordiniert, für die Verstaatlichung des Automobilzweiges von FIAT ausgesprochen haben. Die zurückhaltenden und recht unpolemischen Reaktionen, mit der dieser Vorschlag abgelehnt wurde, zeugen von der ideologischen Krise, in der der Neoliberalismus steckt: noch vor kurzem wäre die Idee in der Luft zerrissen worden. Der Vorschlag der PRC ist denn auch in zweifacher Hinsicht bedeutsam: erstens liefert er eine stichhaltige Antwort auf ein konkretes Problem und zweitens bietet er eine weitergehende Perspektive in politisch-kultureller und sozio-ökonomischer Hinsicht.
In Liberazione, dem Parteiorgan der PRC, wurden zwei weitere Fragen aufgeworfen. Die eine hat mit der Verdächtigung zu tun, die PRC wolle indirekt eine Nationalisierung der Verluste hinnehmen. Wir können hierauf nur antworten, dass Verstaatlichung nicht notwendigerweise eine Entschädigung mit sich bringt. Daneben wäre es interessant zu wissen, wie viel General Motors für die komplette Übernahme im Zweifelsfall zu zahlen bereit wäre. Sie haben schon zu verstehen gegeben, dass sie kaum zu einem sonderlich großzügigen Angebot bereit sind, indem sie den Buchungswert der 20%igen Kapitalbeteiligung bei FIAT in ihren Geschäftsbüchern schon drastisch heruntergestuft haben. Wie dem auch sei, ist es ausgeschlossen, Entschädigungen zu zahlen, die nur das Finanzvermögen der Familie Agnelli, der historischen Eigentümer von FIAT, mehren. [1]
Bei der zweiten Frage geht es um weit Wichtigeres. Wem würde die Unternehmensführung von FIAT im Fall einer Verstaatlichung obliegen? Irgendeinem Wirtschaftsministerium oder einem dieser vorgeblich öffentlichen bürokratischen Apparate, wie wir sie aus der christdemokratischen Ära zur Genüge kennen? Keineswegs! Wenn wir es ernst mit dem meinen, was wir in Porto Alegre erklärt haben und was die PRC auf ihrem letzten Kongress zur partizipativen Demokratie gesagt hat, müssen wir laut und deutlich sagen: Hic Rhodus, hic salta! Mit anderen Worten: Jetzt ist die Gelegenheit, die demokratische Beteiligung der direkt Betroffenen, nämlich der ArbeiterInnen, an der Unternehmensführung -- in Zusammenarbeit mit den erforderlichen Fachleuten -- auf den Weg zu bringen.
Übersetzung: MiWe |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 374/375 (Januar/Februar 2003).