Daniel Tanuro
Hitzeperioden, Trockenheit und Überschwemmungen steigern die Unruhe angesichts klimatischer Veränderungen, die dem Anstieg des Gehalts an Kohlendioxid in der Atmosphäre und dem damit verbundenen Treibhauseffekt geschuldet sind. Die Regierungen versuchen zu beruhigen: Ob das Kyotoer Protokoll ratifiziert wird oder nicht – es werden weiterhin vergleichbare Maßnahmen ergriffen werden, so dass man die Probleme im Griff behalten wird. Doch leider ist die Realität viel beunruhigender.
Sogar George W. Bush kann sie nicht mehr in Abrede stellen: "Die Temperatur auf der Erdoberfläche nimmt zu. Die Konzentration von den Treibhauseffekt bewirkenden Gasen, besonders CO2, hat seit Beginn der industriellen Revolution erheblich zugenommen. Und diese Zunahme ist zu großen Teilen der Aktivität des Menschen zuzuschreiben." [1] Und in der Tat führten die Entwaldung, die Industrie und die Transporte zu einer Gaskonzentration in der Atmosphäre, die das Sonnenlicht auf die Erde durchlässt, aber die infrarote Abstrahlung der Erde nicht mehr in den Weltraum zurücklässt. Als Ergebnis erwärmt sich die Atmosphäre wie in einem Treibhaus. Die Durchschnittstemperatur ist im 20. Jahrhundert um 0,6 Grad angestiegen – eine in den letzten 10 000 Jahren nicht gekannte Entwicklung -, was zu einer Zunahme der Wasserhöhe der Ozeane um zwischen 10 und 25 cm geführt hat. Und der Prozess beschleunigt sich: Wenn keine Änderung eintritt, prognostiziert die Expertengruppe der Regierungen über den Klimawandel (EGRKW) bis zum Jahre 2100 eine Erwärmung um zwischen 1,4 und 5,8 Grad, was zu einem Anstieg der Wasserhöhe von zwischen 9 und 88 cm führen könnte. [2] Die auf menschliche Aktivitäten zurückzuführende Erwärmung des Globus hat also längst begonnen und ist nun unumkehrbar. Denn nicht nur die Atmosphäre wird aufgeheizt, sondern auch die gigantischen Wassermassen der Ozeane: Da deren Trägheit beträchtlich ist, wird diese Entwicklung für mindestens tausend Jahre zu spüren sein.
Wenn Bäume Verödung bringenDas Plantar-Projekt [27] in Minas Gerais (Brasilien) ist ein gutes Beispiel für die Verwüstungen, die gewisse "Wiederaufforstungsprojekte" anrichten können, wie sie im Rahmen der "Mechanismen der Eigenentwicklung" bzw. des Zukaufs von Verschmutzungsrechten (CDM) ablaufen. Plantar wurde unter Aufsicht der Weltbank entwickelt; es handelt sich um eine industrielle Pflanzung von Eukalyptus-Bäumen (23 100 Hektar) in Monokultur, die man zur Produktion von Holzkohle für die Stahlproduktion heranziehen will. Es war auch das erste Projekt der "Einlagerung" von Kohlenstoff, welches bim CDM-Executive Board, der für diese Sache zuständigen internationalen Instanz, seine Registrierung beantragt hat. Laut der von Plantar zur Verfügung gestellten Dokumentation wird das Projekt in 21 Jahren die Produktion von 3,8 Mio. Tonnen Eisenprodukte und die Schaffung von 3 000 Arbeitsplätzen ermöglichen. Aber Plantar wird heftig angegriffen, sowohl aus sozialen (niedrige Entlohnung, prekäre Beschäftigung) als auch ökologischen Gründen (massiver Einsatz von Herbiziden, Erschöpfung und Verseuchung der Wasservorräte, Tod der Fische in den Wasserläufen, massive Reduzierung der Biodiversität). Weil Eukalyptus sehr schnell wächst, hat sich Plantar verpflichtet, seine "Einlagerung von Kohlenstoff" für eine Dauer von 42 Jahren zu garantieren. Wenn man annimmt, dass ihm der Status eines "Mechanismus der Eigenentwicklung" zugebilligt wird, würde das Unternehmen als "Kompensation" für den Ausstoß von Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre dienen, die sicherlich nicht so schnell verschwinden werden wie die Bäume. Wohlgemerkt: Über den Prototype Carbon Fund der Weltbank profitiert Plantar von der Unterstützung dreier europäischer Regierungen (Schweden, Niederlande und Finnland), der Gaz de France und des belgischen Konzerns Electrabel. |
Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und Konsequenzen für die Umwelt sind unberechenbar. Das Ziel dieses Artikels ist es nicht, sie zu beschreiben. Wir möchten hier nur kurz die starken Worte von John Houghton, dem früheren Verwaltungschef des britischen Meteorological Office und Mitvorsitzenden der Arbeitsgruppe "wissenschaftliche Evaluierung" der EGRKW anführen: "Die globale Erwärmung ist heute eine mächtige Waffe der Vernichtung. Sie tötet mehr Menschen als der Terrorismus, doch Bush und Blair unternehmen nichts." [3] Die Menschheit muss – denn es bleibt ihr nichts anderes übrig – versuchen, die Klimaentwicklung an einem neuen Gleichgewichtspunkt zu stabilisieren. In diesem Rahmen besiegelte das Kyotoer Protokoll – das 1997 im Rahmen eines Spezialistentreffens der UNO über den Klimawandel verfasst worden ist – die Entschlossenheit von entwickelten Ländern, ihren Gasausstoß im Zeitraum 2008 bis 2012 im Mittel um 5,2% zu reduzieren, wobei das Jahr 1990 als Bezugsgröße herangezogen wurde. Die Europäische Union verpflichtete sich zu einer durchschnittlichen Reduzierung um 8 Prozent. [4]
Sechs Jahre nach den Verhandlungen in Japan und trotz der Unterschrift von 119 Ländern kommt das Protokoll nicht so recht voran. Um in Kraft treten zu können, muss es von mindestens 55 Ländern, die zusammen mindestens 55% des Ausstoßes tätigen, ratifiziert werden. Aber der größte Luftverschmutzer hat sich 2001 verabschiedet: Die USA unter Bush weigern sich, ein Abkommen zu ratifizieren, das den großen Entwicklungsländern, etwa China und Indien, keine starken Verpflichtungen auferlegt. Auch steht es für Washington außer Frage, einen zeitlichen Rahmen und Reduzierungen von Emissionen zu akzeptieren, welche die Wettbewerbsfähigkeit des Energiesektors, der eine ziemliche Dreckschleuder darstellt, weil er vor allem mit Kohle und Öl arbeitet, [5] beeinträchtigen könnte. In diesem Kontext wurde die Ratifizierung des Protokolls durch Moskau unabdingbar. [6] Aber Wladimir Putin macht sich diese Situation zu nutze, um Druck auf Europa und Japan auszuüben, die das Protokoll unbedingt durchsetzen möchten. Andrej Illarjonow, der wichtigste Präsidentenberater, erklärte erst jüngst, das Protokoll "stehe den nationalen Interessen Russlands im Wege". [7] In diesem unerbittlichen Kampf ist der entscheidende Gesichtspunkt der Preis für eine Tonne Kohle. Denn je nachdem wie dieser ausfällt, könnten Russland und die Ukraine durch den Verkauf von Emissionsrechten binnen fünf Jahren zwischen 20 und 170 Mrd. Dollar. Und der Preis wäre deutlich höher, wenn die USA das Abkommen unterzeichnen würden, denn sie haben die größten Schwierigkeiten, den Kyotoer Anforderungen zu entsprechen. [8]
Obwohl ein Scheitern nicht völlig ausgeschlossen ist, so ist doch wahrscheinlich, dass Kyoto diese Poker-Partie überleben wird. Aber es wird ein weiter abgespecktes Kyoto sein, denn das Protokoll wird von innen von Kräften ausgehöhlt, die das Sich-Zieren der Russen und die Weigerung der Amerikaner als Vorwand ausnützen, um die Anforderungen nach unten zu schrauben oder ihre Unfähigkeit zu verstecken, sie zu erfüllen. [9]
Wie wäre die Zukunft ohne das Protokoll? Einige Experten versichern eifrig: "Bereits jetzt hat der Vertrag die Welt auf bescheidene, aber deutliche und nicht umkehrbare Weise verändert", wie in der New York Times zu lesen stand. "Von Europa über die USA bis nach Japan liegt eine einzige Perspektive des Vertrages in neuen Gesetzen und einer neuen Politik der Regierungen und der Industrie, die Emissionen zu verringern." [10] Heißt das, dass sie die Kurve gekratzt haben, dass der Kampf gegen die Erwärmung des Klimas endlich aufgenommen ist? Zu diesem Optimismus besteht kein Anlass, und zwar aus vier Gründen.
Das Kyotoer Protokoll hat, wiewohl es stark neoliberal ausgerichtet ist, den Vorteil, einen doppelten Druck auszuüben: es gibt bezifferte Reduzierungsziele und diese sollen in nicht allzu ferner Zukunft erreicht sein. Aber genau diese Aspekte werden von industriellen Lobbies und ihren politischen Gefolgsleuten ins Visier genommen: "Wenn die globale Erwärmung ein Problem werden sollte, woran ich zweifle (!), dann wird es nicht gelöst werden, indem man uns durch Rationierung von Energie ärmer macht", erklärte beispielsweise Myron Ebell, ein Klimaspezialist beim Competitive Enterprise Institute. "Es kann gelöst werden, indem man langfristig eine Anpassung der Kapazitäten in der Gesellschaft erreicht und durch technologische Erneuerung die Verhältnisse ändert". Als früherer Staatssekretär und Kyoto-Spezialist in der Clinton-Administration legte David B. Sandalow noch eins drauf: "Der Erfolg misst sich nicht daran, dass der erste aus der Schublade gezogene Vertrag umgesetzt wird. Er misst sich daran, dass der Vertrag die Welt auf den Weg einer langfristigen Lösung des Problems führt. Andere multinationale Vereinbarungen, die mit enormen und komplexen Problemen konfrontiert waren, wie die Welthandelsorganisation, haben 45 oder 50 Jahre gebraucht, bis sie aufgebaut waren." [11]
Zweitens, ob nun das Protokoll in Kraft tritt oder aufgegeben wird – die Umstände lassen befürchten, dass die Maßnahmen weit weniger weitreichend sein werden als die anfänglichen Zielvorstellungen. Aber auch diese waren schon völlig unzureichend. Laut EGRKW müssten die Emissionen bis 2050 nicht um 5,2%, sondern um 60% sinken, wenn man erreichen wollte, dass die Temperatur nicht um mehr als 2 Grad höher liegen wird als in vorindustrieller Zeit. Hinsichtlich der Zeiträume stimmt es zwar, dass die Klimaveränderung ein langfristiger Prozess ist, was aber keineswegs bedeutet, dass sich die Menschheit einfach 50 Jahre gedulden kann, bis die Industrie ihre Fähigkeiten zur Anpassung entwickelt hat, ohne dass die Profite darunter leiden. Ganz im Gegenteil, je mehr die Maßnahmen sich verzögern und begrenzt bleiben, umso länger wird die Rückkehr zu einem Gleichgewicht dauern, umso höher wird dieser Gleichgewichtspunkt liegen und umso schlimmer werden die Konsequenzen sein. [12] Das Klima stellt in der Sprache der Mathematiker "ein komplexes chaotisches System" dar: Durch Vermittlung von zahlreichen Zwischenschritten und Reaktionskomplexen können begrenzte Veränderungen zur Überschreitung qualitativer Stufen führen, was dann rasche weitreichende Umbrüche bewirkt. [13]
Die Voraussagen hinsichtlich Lufttemperatur und Wasserstände zeigen die Notwendigkeit schnellen Handelns auf. Die EGRKW schätzt, dass die Quecksilbersäule bis 2100 um durchschnittlich 1,4 bis 5,8 Grad ansteigen könnte. Auf der einen und andern Seite dieses globalen Mittelwertes wird es natürlich Extremwerte geben. Über Grönland z. B. könnte es zu einer dreimal so starken Erwärmung wie im Mittel kommen. Selbst wenn man von der unteren Hypothese der Experten ausgeht, käme es möglicherweise zu einer Erwärmung jener Region um 2 bis 3 Grad binnen 50 bis 80 Jahren. Aber diese Temperaturentwicklung dürfte ausreichen, binnen weniger Jahrhunderte die Eiskappe über Grönland völlig zum Schmelzen zu bringen, was wiederum die Meere um etwa sechs Meter ansteigen ließe. [14]
Sanfte Energien, wilde KonkurrenzIm Markt für sanfte Energien spielt sich eine wilde wirtschaftliche Konkurrenz ab. Dies erhellt die Rolle der wichtigsten Protagonisten bei den Klimaverhandlungen: nämlich die der USA und der Europäischen Union. Die Europäische Union, die nicht über bedeutende und billige Quellen an Öl und Erdgas verfügt und mit der Beherrschung des Nahen Ostens durch die USA sowie dem Schock von Tschernobyl konfrontiert ist, hat eine Energiepolitik entwickelt, die auf der Diversifizierung der Energieträger, einer Verbesserung des Wirkungsgrades und der Entwicklung von erneuerbaren Energien beruht. Heute stammen etwa sechs Prozent der in der EU verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen; [28] bis 2010 möchte man den Anteil auf 12% steigern. [29] Aber eine solche Strategie erfordert große öffentliche Investitionen, sowohl an Beihilfen wie an Forschungszuwendungen, wobei das Ziel besteht, die Unternehmen in der Anfangsphase beim Start in den Markt zu unterstützen. Angesichts der Globalisierung und der Marktöffnung können diese Bemühungen nur aufrecht erhalten werden, wenn die relativen Energiepreise für erneuerbare Energien mit denen der aus fossilen Brennstoffen gewonnenen Energie wettbewerbsfähig bleiben, wenn Vorgaben die Energieerzeuger zwingen, den Gebrauch der fossilen Träger einzuschränken und wenn ein Weltmarkt für "saubere" Technologien entsteht (alle drei Bedingungen sind miteinander verknüpft). Kyoto bringt eine Antwort auf verschiedenen Ebenen. "Wenn das Kyoto-Protokoll ratifiziert ist, wird der Weltmarkt für saubere Technologien prosperieren", behauptet ein Dokument der EU-Kommission. [30] Es steht viel auf dem Spiel. Der Weltmarkt der Öko-Industrie wird auf 550 Mrd. Dollar geschätzt. Die Experten rechnen mit einem weiteren Wachstum in den kommenden fünf Jahren von jährlich zwischen fünf und acht Prozent [31], besonders in den Schwellenländern. Die EU ist gut aufgestellt, um sich einen erheblichen Teil des Kuchens zu ergattern: Ihre Unternehmen befinden sich weltweit an der Spitze, besonders beim Bau von Windrädern (75% der weltweit installierten Kapazität). Man kann leicht verstehen, weshalb die EU vom Rückschlag der Verhandlungen mit den USA in Den Haag 2000 überhaupt nicht erschüttert wurde und ihren Weg bis zu den Abkommen von Marrakesch und Kyoto beharrlich fortgesetzt hat, und sodann eine "Koalition für erneuerbare Energien" - die OPEC der erneuerbaren Energieträger" laut dem für Umweltschutz zuständigem Kommissar - gegründet hat, der sich bereits 80 Länder angeschlossen haben. Angesichts dieser Politik sind die USA weniger monolithisch als es die europäische Presse glauben lassen will. Die gut aufgestellte, mächtige Umweltlobby macht auch auf die Republikanische Partei Druck, so dass die Annahme von Normen für den Ausstoß von Treibhausgasen sogar im Programm von Präsident G.W. Bush auftauchte. [32] Und die Geschäftswelt ist tief gespalten. "Die Aussicht, dass andere Länder bei der Reduzierung von Treibhausgasen vorangehen, während die USA den Kopf in den Sand stecken, beunruhigt viele amerikanische Firmen", schreibt Business Week. "Da die Beweise, dass menschliche Aktivitäten für die globale Erwärmung verantwortlich zu machen sind, immer erdrückender werden, glauben die Unternehmensführer, dass Reduzierungen des Ausstoßes in vielen Ländern unvermeidlich sind". Die genannte Wochenzeitung zitiert Tom Jacob, einen Verantwortlichen des Chemie-Multis DuPont: "Die Wirtschaften müssen sich anpassen. Die USA würden einen Irrtum begehen, wenn sie sich von diesem Druck isolieren würden. Wenn die Realität sich einmal durchsetzt, werden die USA einen größeren Rückstand aufholen müssen und unsere Konkurrenten werden bei der Entwicklung und dem Einsatz von sanften Technologien die Nase vorn haben." [33] In weiten Teilen der Geschäftswelt diesseits und jenseits des Atlantik zählen ökologische Vorstellungen bei den gegenwärtigen "Klimastrategien" eben nicht allzu viel. |
Drittens möchten die USA, wie bereits gesagt, erreichen, dass die großen Entwicklungsländer einen Teil der finanziellen Bürde des Klimawandels schultern müssen. Aber jene werden diese Forderung kaum schlucken können, weil sie als ungerecht gegenüber dem Süden empfunden wird. Die Zahlen sprechen für sich: "Um die den Treibhauseffekt verursachenden Emissionen auf einem doppelten Niveau im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu stabilisieren, müssten die globalen Emissionen von heute durchschnittlich eine Tonne pro Person und Jahr auf durchschnittlich 0,4 Tonnen reduziert werden", ruft uns Larry Lohman in Erinnerung. "Die USA emittieren aber 13 Mal mehr, nämlich 5,2 Tonnen, und Japan und die EU zwischen fünf und zwölf Mal mehr. (...) Über 50 Länder des Südens, darunter Indien, emittieren weit weniger als die Hälfte dieses Durchschnitts, nämlich 0,2 Tonnen pro Person." [15] Sicherlich darf man der Ansicht sein, dass alle Länder hinsichtlich des Weltklimas eine verantwortliche Haltung einnehmen müssen. Doch die Länder der entwickelten Welt müssen zunächst einseitig vorangehen, während man den südlichen Ländern massive technologische Hilfe zukommen lassen muss. Die amerikanische Forderung läuft darauf hinaus, dass die beherrschten Länder für den Klimawandel zahlen sollen, deren Bevölkerung zu den ersten Opfern gehören wird – während die Veränderungen vor allem durch 200 Jahre kapitalistischer Entwicklung im Norden zum Preis der Plünderung und der Nicht-Entwicklung des Restes des Planeten verursacht wurde.
Viertens, der kleine Schritt von Kyoto führt zu häufig unbekannten perversen Folgen. Diese rühren aus zwei Arten von Problemen her: Einerseits dem Schwindel mit der Bindung von Kohlenstoff, andererseits der Marktlogik der "flexiblen Mechanismen". Ob nun Klimapolitik mit oder ohne Kyoto-Protokoll gemacht wird, so ist es jedenfalls wahrscheinlich, dass diese Möglichkeiten eine wachsende Bedeutung als Alternativen zum Energie-Einsparen, das uns angeblich "ärmer machen" würde (um den demagogischen Ausdruck eines M. Ebell aufzugreifen) spielen werden. Jenseits der Spezialistenkreise, die heute darüber diskutieren, verdienen diese Fragen eine Debatte in der breiten Öffentlichkeit.
Als Hauptverantwortlicher für den Treibhauseffekt spielt das Kohlendioxid eine entscheidende Rolle im Kohlenstoffkreislauf.
Schematisch lässt sich sagen:
Das CO2 wird dank des Chlorophylls und des Sonnenlichtes von Grünpflanzen aufgenommen und in Zellulose verwandelt;
Diese Transformation, nämlich die Photosynthese, liegt allem Leben zugrunde;
Der Zyklus wird durch die Atmung und die Zersetzung toter Organismen geschlossen, die den in der organischen Materie steckende Kohlenstoff freisetzen (in Form von CO2 oder Methan).
Aber es gibt verschiedene Gase auf der Grundlage des Kohlenstoffs. Schematisch lässt sich sagen, dass die Verbrennung von Holz CO2 freisetzt, das beim Verfaulen des Baumes (oder bei der Zersetzung von Holzprodukten) ebenfalls freigesetzt worden wäre. Die Gesamtmenge des sich in Zirkulation befindlichen Kohlenstoffs nimmt dann nicht zu. Wenn man aber Öl, Kohle oder Erdgas verbrennt, welches die Natur in den Tiefen der Erdoberfläche eingeschlossen hat (daher spricht man von "fossilen" Brennstoffen), treten neue Mengen von Kohlenstoff in die Zirkulation. Weil die Pflanzen (sowie die Böden oder Ozeane) sie nicht völlig absorbieren können, sammelt sich ein Teil dieses Kohlenstoffs (vor allem in Form von CO2) in der Atmosphäre, wodurch der Treibhauseffekt entsteht oder verstärkt wird. [16]
Aus der Sicht des Kampfes gegen die Klimaveränderung ist es somit entscheidend, zwei verschiedene Prozesse zu unterscheiden: Einerseits die Reduzierung von Emissionen, die durch den Einsatz von Brennstoffen entstehen, an der Quelle, andererseits die Reduzierung der Konzentration von CO2 in der Atmosphäre durch seine Absorption durch Grünpflanzen. (In diesem Fall spricht man von der "Einlagerung" des CO2.) Strategisch ist der erste Aspekt entscheidend. Die EGRKW schrieb: "Es ist praktisch sicher, dass die der Verbrennung von fossilen Brennstoffen geschuldete CO2-Emission der entscheidende Faktor der Entwicklung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre während des 21. Jahrhunderts sein wird." [17] Die Einlagerung (von CO2 in Pflanzen [d. Ü.].) ermögliche nur eine "Abschwächung" des Klimawandels; ist nur "vorläufig" und verschaffe einen "zeitlichen Aufschub". Des Weiteren ergibt die "gegenwärtige Einschätzung des Potentials der Optionen einer biologischen Abschwächung (der Emissionen) (...) einen Wert von 10% bis 20% an den bis 2050 zu erwartenden Emissionen an fossilen Brennstoffen". [18]
Aber den Begriff des "zeitlichen Aufschubs" und die Hierarchie zwischen dem "bestimmenden Faktor" und den "abschwächenden" Faktoren kann man im Kyoto-Protokoll nicht finden. Ganz im Gegenteil, das Protokoll vermengt die Reduzierung der Emissionen und die Erhöhung der Absorptionen und lädt die Staaten dazu ein, zwischen beiden Prozessen ein Gleichgewicht anzustreben: "Netto-Veränderungen bei der Emission von Treibhausgasen sowohl durch ihre Reduzierung an der Quelle wie auch durch die Absorbierung durch von Menschen geschaffene Pflanzungen (...) werden von den Vertragsparteien eingesetzt (...) um ihre Verpflichtungen zu erfüllen." [19] Anders gesagt: Haufenweise Bäume pflanzen oder Ackerland unbebaut lassen ermöglicht, damit man weiterhin Erdöl verbrennen darf. Dies ist ein kurzsichtiges Herangehen, dessen perverse Folgen offensichtlich sind: Das Problem wird auf kommende Generationen verlagert und dabei gleichzeitig verschärft. Auch hinken die Rechengrundlagen, weil es sehr schwierig ist, die CO2-Mengen exakt zu messen, die vom Ökosystem absorbiert werden – von der Entwicklung dieser Absorbierung im Zusammenhang mit der Erwärmung und der zunehmenden Konzentration von CO2 erst gar nicht zu reden. [20] Jedenfalls – gleichgültig ob die genannte Herangehensweise stimmig ist oder nicht, sie wurde akzeptiert. Die Medien haben sie aufgegriffen und tragen nun die "gute" pseudo-ökologische Botschaft in alle Himmelsrichtungen: Pflanzen wir Bäume!
Bei der Reduzierung von Emissionen bezeichnet man mit "flexiblen Mechanismen" drei unterschiedliche Möglichkeiten, die im Protokoll aufgeführt sind: die "gemeinsame Umsetzung", der Mechanismus der "eigenen Entwicklung" und der "Tausch von Emissionsrechten". Alle drei haben das Ziel, die wirtschaftlichen Kosten der in Kyoto eingegangenen Verpflichtungen zu senken.
Die "gemeinsame Umsetzung" z. B. ermöglicht es zwei entwickelten Ländern, die das Protokoll unterzeichnet haben, mit gemeinsamen Investitionen die Emissionen zu senken. In Europa können westeuropäische Unternehmen, die im Osten in die Erhöhung der Effizienz der Energiegewinnung durch Großkraftwerke investieren (die meisten dieser Kraftwerke haben einen geringen Wirkungsgrad), ihr Emissionsniveau entsprechend anpassen. Sie müssen nur "beweisen", dass die Emissionen ohne die Investitionen deutlich stärker gewesen wären. In dieser Hinsicht ermöglicht die Ersetzung der Kohle durch Erdgas als Quelle der Stromproduktion ausländischen Konzernen und Regierungen große Möglichkeiten. Viele Studiengesellschaften spezialisieren sich auf die Erarbeitung solcher Möglichkeiten. Die norwegische Gesellschaft Point Carbon hat Rumänien in der Hitparade ganz nach oben gesetzt: "Kein Land ist besser geeignet, Projekte des gemeinsamen Herangehens zu realisieren", freut man sich. [21] Die perverse Folge besteht darin, dass diese Investitionen im Osten (die im Zuge des Aufkaufs des "Neuen Europa" durch das westliche Kapital sowieso erfolgt wären), es nun den großen Industriekonzernen des Westens ermöglichen, bei ihren neuesten Einrichtungen nicht zu den modernsten (recht komplizierten und daher kostenträchtigen) Verfahren greifen zu müssen, die im Kampf gegen den Treibhauseffekt eigentlich nötig wären.
Der "Mechanismus der eigenen Entwicklung" ermöglicht es einem entwickelten Land, in einem Land des Südens eine Investition zu tätigen, die die Emissionen reduziert (oder die Absorptionen steigert) und somit sein eigenes Emissionsniveau entsprechend anzupassen. In diesem Rahmen vervielfältigt die EU ihre Bemühungen, den Ländern des Südens ihre Technologie zu verkaufen. Noch besser: Umweltverschmutzende Unternehmen kaufen sich Land in der Dritten Welt, pflanzen dort rasch wachsende Bäume und bekommen so die Kohlenstoff-Gutschriften, die den CO2-Emissionen entsprechen, die sie im Norden durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe hervorrufen. In der EU sind die Niederlande der Meister in dieser neokolonialen Praxis, gefolgt von Finnland, Österreich und Schweden. [22] Aber auch das US-amerikanische Big Business schaut nicht bloß zu: Mit oder ohne Kyoto – die Unternehmen wissen um die Unausweichlichkeit von Maßnahmen gegen den Klimawandel. Sie möchten sich im Hinblick auf die kommenden Verhandlungen ums Klima positionieren, ihren Anteil am Markt erobern und ihr Markenimage bei den Verbrauchern verbessern. Was gibt es in dieser Hinsicht Besseres als sich an Wiederaufforstungsprojekten in der Dritten Welt zu beteiligen? Man braucht nur die perversen Auswirkungen, die sich auf vielen Ebenen zeigen, zu verstecken: Diese "industriellen Baumpflanzungen" (es handelt sich nicht um Wälder!) beschleunigen die Abwanderung in die Städte und den Niedergang der Lebensmittelkulturen, verschärfen die Abhängigkeit von Exporten und die Rekolonisierung, schädigen das Ökosystem und die Biodiversität (vgl. den Kasten über das Plantar-Projekt in Brasilien). Und nicht zu vergessen, der "Mechanismus der eigenen Entwicklung" vermindert die Umweltverschmutzung im Norden nicht – er ermöglicht sogar, mit der Schädigung der Gesundheit und der Umwelt fortzufahren.
Der Handel mit Verschmutzungsrechten ist der Eckstein der "flexiblen Mechanismen". Jedes Unterzeichnerland hat Emissionsquoten zugeteilt bekommen. Die entwickelten Staaten verteilen diese Quoten wiederum auf die Unternehmen auf ihrem Staatsgebiet. Jene, die unter den Obergrenzen bleiben, können "Verschmutzungsrechte" an andere verkaufen. Ob nun Kyoto ratifiziert wird oder nicht – alle großen die Umwelt verschmutzenden Unternehmen haben sich bereits auf den Kohlenstoff-Handel eingelassen, auch in den Vereinigten Staaten, wo die Kredite (Differenz zwischen zugestandener und erreichter niedrigerer Quote) an das Chicago Climate Exchange verkauft werden. [23] Einige Ökonomen haben berechnet, dass zu einem Preis von 14 $ pro Tonne Kohlenstoff die im Rahmen des Kyoto-Protokoll ermöglichten "Emissionsrechte" einem Wert von 2 345 Milliarden Dollar entsprechen, die "größte Schaffung von Geldkapital durch internationale Verträge in der Geschichte". [24] In der EU ist bereits ein System des Austausches eingerichtet worden, wonach die "sauberen" Unternehmen ab 2005 ihre Verschmutzungskredite an die "dreckigen" Unternehmen verkaufen können (in der ersten Etappe sind 5 000 Großunternehmen betroffen). Wie im Fall der "gemeinsamen Umsetzung" stellt der Staat auch hier ein großes Kohlenstoff-Reservoir dar. Die Wirtschaften des früheren "sowjetischen Glacis", die vor dem Fall der Mauer sehr viel Energie verbraucht haben, sind inzwischen zusammengebrochen. Im Bezug auf das vom Kyoto-Protokoll vorgegebene Referenzdatum (1990) verfügen diese Länder über "Kohlenstoffkredite", die andere Unterzeichner erwerben können, wodurch sie eine stärkere Reduzierung ihrer eigenen Emissionen umgehen können.
Aus dem Blickwinkel der Marktwirtschaft ist es nicht absurd, so die Reduzierung der Produktion von Treibhausgasen lenken zu wollen. Das System des Handels mit Rechten hat in den USA bei der Reduktion von CO2 in der Luft, also des sauren Regens, bereits funktioniert. Die ökologische Effizienz des Systems hängt in der Tat vom politischen Willen ab, der sich im Aufstellen von Quoten und den Vorgaben für ihr Sinken zeigt. Jedoch bräuchte die Zuhilfenahme eines solchen Mechanismus eine umfängliche Diskussion in der Gesellschaft, weil die Vermarktung von Emissionsrechten die Menschheit in Richtung eines auf den ersten Blick undenkbaren Resultates führen könnte: der Privatisierung der Luft.
Einige werden schreien, dass "Wind zu verkaufen" unmöglich ist und es immer bleiben wird. Wenn man aber "Verschmutzungsrechte" kaufen kann, bedeutet das dann nicht, ein Recht auf die verschmutzte Sache einfordern zu können? Im konkreten Fall der Kohlenstoffgase ist diese Frage keineswegs absurd, weil, wenn das CO2 einmal in die Atmosphäre entlassen ist, [25] es von den anderen Komponenten nicht mehr getrennt werden kann, etwa dem Wasserdampf, dem Stickstoff, dem Sauerstoff usw. Wenn man Eigentümer von Millionen Tonnen von "CO2-Abgasen" werden kann, dann entspricht dies dem "Eigentum" an den verschmutzten Luftmassen in der Atmosphäre. Natürlich kann man nicht einfach den materiellen Einschluss von Luft (etwa in Büchsen) verordnen. Doch der juristische Einschluss wäre ganz und gar möglich. Die Länder im Norden und ihre Unternehmen, denen Emissionsquoten zugeordnet werden, werden die Neigung haben, diese als mehr oder weniger auf Dauer geltende Eigentumsrechte anzusehen. Die Verteilung dieser Rechte, ein Ergebnis von 200 Jahren imperialistischer Entwicklung, wird in der Tendenz wie eine "natürliche" Aufteilung der Atmosphäre zwischen den verschiedenen Ländern und ihren Gesellschaften erscheinen. In den entwickelten Ländern könnten gesetzliche Bestimmungen den BürgerInnen rasch Zahlungen für die "Dienste an der Atmosphäre" auferlegen, oder zumindest die Kosten für deren Verschmutzung. Und gemäß der Logik des Neoliberalismus würden diese Dienstleistungen Privatleuten übertragen und im Namen des Umweltschutzes würde man den KonsumentInnen die "wirklichen Kosten" auferlegen (wie dies beim Wasser bereits geschieht), während sich die Unternehmen über "Wettbewerbspreise" freuen könnten. Die Länder des Südens würden dann Opfer einer Art "Neokolonialismus des Klimas": Wollten sie ihre Emissionsquoten steigern, würde man sie der Verantwortungslosigkeit zeihen; um sich entwickeln zu können, würde man sie zwingen, bei den Firmen im Norden saubere Technologien einzukaufen. Außerdem wären sie mit der Tatsache konfrontiert, dass jene Unternehmen mittels des Zukaufs von Verschmutzungsrechten sich längst die "Einlagerungsmöglichkeiten" und andere wenig kostspielige Mittel zur Kompensation ihrer Emissionen gesichert hätten. [26]
Wenn die Verhandlungen im Umkreis des Kyoto-Protokolls sich so zäh entwickeln, dann deswegen, weil alle wissen, dass der Klimawandel eine Realität ist, die beträchtliche Anpassungen erzwingen wird; der Periode 2008–2012, auf die sich die Verpflichtungen jetzt hauptsächlich beziehen, werden weitere folgen müssen. Und die zu ergreifenden Maßnahmen greifen so stark ins Kräfteverhältnis zwischen den USA, der EU und Japan ein, dass der Klimawandel zu einer großen strategischen Herausforderung wird. Die neoliberale Offensive in Richtung "flexible Mechanismen" und "Einlagerungen" erfolgt in diesem Rahmen. Ihre Funktion ist es, die unabdingliche und dringende Reduzierung der Emission von Treibhausgasen an der Quelle abzuschwächen, aufzuschieben, ja abzubiegen, mit dem Ziel, die Profitrate der Großkonzerne zu schützen. Aber die Offensive zielt darüber hinaus auch darauf ab, aus dem vorgeblichen Kampf gegen den Klimawandel ein einträgliches Geschäft zu machen (vgl. dazu den Kasten), sowie ein Instrument der Beherrschung des Südens und der Tendenz des Kapitals zur Aneignung von natürlichen Ressourcen neue Grenzen zu öffnen.
Man muss konstatieren, dass diese Offensive vorangekommen ist: Im Verlauf der Konferenz der Vertragsparteien bis zum Convention Cadre der UNO haben die Diskussionen der Einzelheiten der "flexiblen Bedingungen" und der "Einlagerungen" immer mehr die Oberhand über die Verminderung des Einsatzes von fossilen Brennstoffen gewonnen. Während der neunten Verhandlungsrunde im Dezember in Mailand wurde letzte Hand an die Anrechnung der "Einlagerungen" von Kohlenstoff im Rahmen des Zukaufs von Verschmutzungsrechten gelegt. Die Änderungsvorschläge von Norwegen, das Monokulturen und genetisch veränderte Saaten ausnehmen wollte, wurden abgelehnt. Während also der Klimawandel immer fühlbarer und bedrohlicher wird, führt die wahnsinnige Logik kapitalistischer Akkumulation die Menschheit immer schneller in eine große Katastrophe.
Daniel Tanuro ist Korrespondent für Ökologiefragen von La Gauche,der Zeitung der „Sozialistischen ArbeiterInnenpartei“ (SAP/POS, belgische Sektion der 4. Internationale). |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 394/395 (September/Oktober 2004). | Startseite | Impressum | Datenschutz