Brasilien

Resolution des Internationalen Komitees der IV. Internationale zu Brasilien


1.


Die Erfahrung der vergangenen 2 Jahre mit der Lula-Regierung offenbart klar das Wesen, die Orientierung und die Politik dieser Regierung. Es ist eine Koalitionsregierung mit Vertretern des Kapitals und abhängig von der Rechten im Parlament. Diese Regierung betreibt eine neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik und ist somit nicht in der Lage, die grundlegenden Probleme der Armut und der sozialen Ausgrenzung in Brasilien anzupacken und dem Imperialismus die Stirn zu bieten. Diese zwei Jahre zeigen auch, dass die innere Dynamik ihrer Politik nicht geändert werden kann.


2.


Die grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen der Regierung richten sich nach den Vorgaben der Finanzmärkte, der internationalen Institutionen sowie deren Verbündeter im brasilianischen Finanzkapital: Haushaltsüberschuss um die Auslandsschulden abzubauen, Anhebung der Zinsen, Einschränkung der Sozialprogramme, Zurückstellen von Vorhaben der Agrarreform, Weigerung, den Mindestlohn auf ein menschenwürdiges Niveau anzuheben, Untergrabung der Beamtenpensionen, Konterreform der Universitäten um ihre Privatisierung vorzubereiten, Konterreform der gewerkschaftlichen Organisation, was zu einer Stärkung der Gewerkschaftsbürokratie führt und den Weg für die Beschneidung der Rechte der ArbeiterInnen ebnet und geplante Konterreform des Arbeitsmarktes.


3.


Unter diesen Bedingungen steht eine Politik der Erfüllung von Forderungen der breiten Massen – Lohnanhebungen, Schaffung von Millionen von Arbeitsplätzen, Verteidigung des Öffentlichen Dienstes, umfassende Agrarreform, Haushalts- und Finanzpolitik, die sich an den sozialen Prioritäten und nicht an den Finanzmärkten ausrichtet – im Widerspruch zur Lula-Regierung.


4.


Angesichts der allgemeinen Orientierung der Regierung bilden die linken Minister nur ein Feigenblatt bzw. werden zu Geiseln einer Politik, die nicht die ihre ist. Diese zwei Jahre der Erfahrung mit dieser Regierung zeigen sehr klar, dass der Aufbau eines antiliberalen und antikapitalistischen politischen und gesellschaftlichen Blocks im Widerspruch zur Beteiligung an dieser Regierung steht.


5.


Von Beginn an seit Lulas Regierungsbildung gab es in der IV. Internationale Vorbehalte, Zweifel und Widerspruch zur Beteiligung der DS [Sozialistische Demokratie, brasilianische Sektion der IV. Internationale] an der Regierung sowie an den konkreten Umständen dieser Beteiligung (Rolle in den sozialen Bewegungen). Dennoch hat die Internationale – nachdem die DS einmal diese Entscheidung getroffen hatte und die Internationale die von der Mehrheit der brasilianischen GenossInnen vorgetragenen Argumente berücksichtigt hatte – sich entschlossen, am Beginn dieses Prozesses keine Resolution zu verfassen und die Erfahrungen der brasilianischen GenossInnen zu begleiten. Auf der letzten Sitzung des Internationalen Komitees hat die Internationale mit der Einrichtung eines internationalen Diskussionsbulletins zur politischen Lage in Brasilien einen Diskussionsprozess eröffnet. Die Internationale hat es somit vermieden, die Frage der Beteiligung an der Regierung mit dogmatischen Formeln anzugehen und die besonderen Charakteristika des Landes, der Geschichte der PT und ihrer Verbindungen mit den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften zu ignorieren. Angesichts der Erfahrung dieser zwei Jahre und angesichts der oben dargelegten Punkte (1 bis 4) kann kein Zweifel darin bestehen, dass eine Beteiligung an der Regierung Lula, sei es auf Ministerebene, sei es an anderer Stelle mit politischer Verantwortung, im Widerspruch zum Aufbau einer Alternative von unten steht, die sich in Übereinstimmung mit unseren programmatischen Positionen befindet.


6.


Die aktuellen Reorganisierungsbemühungen deuten darauf hin, dass eine komplexe Periode der politischen Neuformierung der brasilianischen Linken eingesetzt hat. Dieser Prozess kann sich über eine mehr oder weniger lange Periode erstrecken bis es zur Konsolidierung einer sozialistischen politischen Alternative auf Massenebene kommt. Auch wenn der Rhythmus und die Form der verschiedenen Neuformierungen in den jeweiligen Sektoren sich unterscheiden, so kommt es heute darauf an, auf das Zusammengehen aller dieser antikapitalistischen Kräfte hinzuarbeiten.


7.


Das Internationale Komitee nimmt die Diskussionen und Differenzen in der DS über die Strategie sowie die Beteiligung einer ihrer Strömungen am Aufbau der PSoL [Partido do Socialismo e da Liberdade – Partei des Sozialismus und der Freiheit] zur Kenntnis. In einer Situation, die durch diese Aufspaltung und die Gefahr neuer Fragmentierung gekennzeichnet ist, spricht sich das Internationale Komitee für die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu allen Teilen der brasilianischen Sektion der IV. Internationale in Brasilien aus – alle diese Teile bleiben mit uneingeschränkten Rechten Mitglied der Internationale –, in dem Bemühen, den Dialog sowie die Beziehungen und die Aktionseinheit aller ihrer Teile zu fördern, mit dem klaren Ziel des Aufbaus einer politischen Alternative zur Lula-Regierung.

Internationales Komitee der IV. Internationale, 28.2.2005
Übersetzung: D.B



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 402/403 (Mai/Juni 2005).