Irak

Resolution des Internationalen Komitees der Vierten Internationale zur weltweiten imperialistischen Offensive und zur Besetzung des Irak


1. Die Offensive, die der US-Imperialismus und seine Alliierten auf Weltebene seit dem 11. September 2001 führen, folgt der strategischen Linie, die das imperialistische Weltsystem seit dem Zusammenbruch der UdSSR eingeschlagen hat.


Diese Strategiewahl folgt uneingeschränkt der vorherrschenden Logik dieser Phase der kapitalistischen Geschichte. Neoliberalismus ist grundsätzlich eine Unternehmung, die darauf abzielt, die soziale Absicherung, die vom Kapital zugestanden wurde, abzubauen. Dieser Bruch des „sozialen Konsenses“ geht unvermeidlich einher mit dem Niedergang des Reformismus und der erneuten Verstärkung der Repressionsfunktion des Staates.

Dieser Strategiewahl entspricht auf Weltebene eine scharfe Reduzierung der Entwicklungshilfe, was für sich eine Instrumentalisierung der Schulden durch die imperialistischen Mächte bedeutet in der Absicht, die neoliberalen Vorgaben im Rest der Welt durchzusetzen. Dies schließt zudem die Entscheidung ein, den riesigen Militärapparat aus der Zeit des kalten Krieges trotz des Verschwindens der UdSSR beizubehalten. Die Haushaltsentscheidungen in den USA zeigen in dieser Beziehung die Mengenverhältnisse: Während Washingtons Militärbudget mit über 500 Milliarden Dollar 5% des Bruttoinlandsprodukts und mehr als die Hälfte der weltweiten Militärausgaben ausmacht, beläuft sich die öffentliche US-amerikanische Entwicklungshilfe auf kaum 0,15% des BIP (und liegt damit deutlich unter dem schon skandalösen niedrigen Minimalziel der UNO von 0,7%!).

Der Golfkrieg von 1991 unterstrich die zentrale Bedeutung der imperialistischen Kontrolle über die Weltölreserven, noch wichtiger geworden durch das vorausgesagte Versiegen dieser Ressourcen in den nächsten Jahrzehnten. Dadurch, dass er die unersetzliche Rolle der USA bei der Sicherung der imperialistischen Kontrolle über diese Ressourcen demonstrierte, spielte der Krieg eine entscheidende Rolle dabei, den europäischen und japanischen Imperialismus dazu zu bringen, ihre militärische Abhängigkeit von Washington zu bestätigen – kombiniert mit komplexen partnerschaftlichen und Konkurrenzbeziehungen auf ökonomischem Gebiet. Dies bedeutete: Beibehaltung der NATO, Neudefinition ihrer Aufgaben in die Richtung von Interventionen, um „Sicherheit herzustellen“, Erweiterung der Organisation in Richtung Osteuropa und Erneuerung und Bestätigung des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrags.

Der US-Imperialismus – nachdem er so bestätigt hatte, wie sehr seine militärischen Überlegenheit eine Trumpfkarte im Spiel um globale Hegemonie war (der Ausbau der US-militärischen Überlegenheit unter Reagan war der entscheidende Faktor in der Stärkung der US-Hegemonie nach Jahren des Abstiegs) – ergriff die Gelegenheit, die sich durch den Zusammenbruch der UdSSR bot, um sein militärisches Netz, das die ganze Welt umspannt, zu vervollständigen. Der massiven Rückkehr von US-Truppen in die arabisch-persische Golfregion von 1990 an folgte die Erweiterung der NATO nach Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik (1999) und dann auf die drei ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken ebenso wie auf Bulgarien, Rumänien, Slowakei und Slowenien (2004). Diese Erweiterung soll fortgesetzt werden, eingeleitet durch das Knüpfen zahlreicher Verbindungen zu anderen Ländern in diesen Regionen einschließlich der Ukraine.

Die Nato-Intervention in die Konflikte in Ex-Jugoslawien, die 1994 begann und im 1999er Kosovo-Krieg gipfelte, war eine erste Gelegenheit, die NATO in eine militärische Intervention hineinzuziehen, gefolgt von einer Kontrolle des Territoriums. Das trug dazu bei, die neue US-Hegemonie in Zentral- und Osteuropa zu festigen. Diese erste Intervention wurde gefolgt von der NATO-Intervention in Afghanistan. Im Kosovo und in Afghanistan delegierten die USA die Kontrollmissionen, die nicht von vitalem Interesse für sie selber waren, an die NATO, während sie für sich selbst einseitig die direkte Kontrolle von Missionen reservieren, die sie als von vitalem Interesse für sich ansehen, wie es bei den Operationen in der Golfregion der Fall ist.


2. Die Attentate vom 11. September 2001 lieferten eine Gelegenheit und einen ideologischen Vorwand – den „Krieg gegen den Terrorismus” – für einen größeren Schritt, um nämlich das imperialistische militärische Netzwerk auf strategische Gebiete auszudehnen, in denen es bisher nicht verankert war.


Die militärische Intervention in Afghanistan zielte nicht nur darauf ab, das Talibanregime zu beseitigen und das al-Qaida-Netzwerk zu zerstören. Ihr Ziel war es vor allem, eine direkte und permanente US-militärische Präsenz herzustellen, die von „Beratern” bis hin zu Militärbasen und Einrichtungen reicht, und das in dieser strategisch hochbedeutsamen Region, die sich vom Kaukasus bis an die Grenzen Chinas erstreckt: in Afghanistan selbst, aber ebenso in Georgien und Aserbaidschan und auch in verschiedenen zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken (vor allem Usbekistan und Kirgisien). Die Senke um das kaspische Meer und Zentralasien sind nicht nur reich an Gas und Öl, sie sind ebenso von wesentlichem strategischen Interesse, gelegen im Herz der kontinentalen Landmasse, die das europäische Russland mit China verbindet. Russland und China werden in Washington als die beiden potentiellen Hauptrivalen der USA um die globale Vorherrschaft angesehen.

Die Besetzung des Irak war ein größeres Projekt im Rahmen der US-imperialistischen Expansion seit 1990. Verbunden mit der US-Kontrolle über das saudische Königreich und die anderen Öl-Autokratien der Golfregion, versetzt sie Washington in die Position, fast die Hälfte der Ölreserven direkt kontrollieren zu können. Dieses Projekt war aus politischen Gründen zurückgestellt worden, dieselben, die Bush senior davon abhielten, die Invasion des Irak weiter als bis Bagdad voranzutreiben. Die Bush junior-Administration musste Zuflucht zu Lügen nehmen, die heute klar als solche bekannt sind, um die Invasion politisch im Namen des „Krieges gegen den Terrorismus” zu rechtfertigen.


3. Die Kriege in Afghanistan und im Irak illustrieren sowohl die Stärke des US-Imperialismus – und damit des imperialistischen Weltsystems, von dem es bei weitem die stärkste bewaffnete Kraft ist – als auch seine Grenzen.


Seit dem Ende des Vietnamkrieges reorientierte das Pentagon seine Strategie in die Richtung auf Kriege mit höherem „Kapitaleinsatz”, indem es v. a. auf die Militärtechnologie setzte, einen Bereich, in dem sich die USA einer hohen Überlegenheit erfreuen können, anstelle des Einsatzes menschlicher Ressourcen. Der Vietnamkrieg führte in Washington zu der Überzeugung – sowohl wegen der Demoralisierung der Truppen (die teilweise aus Wehrpflichtigen bestanden hat), die die wachsende Stärke der US- Antikriegsbewegung reflektierte, als auch wegen des Beitrags der Truppenverluste der USA zur Demoralisierung der Truppen und zum Wachstum dieser Antikriegsbewegung – den Truppeneinsatz zu minimieren. Das Resultat war eine Professionalisierung der Armeen in verschiedenen imperialistischen Ländern.

Kein Land der Welt ist in der Lage, der US amerikanischen Feuerkraft allein mit so genannten konventionellen Waffen entgegenzutreten. Die Leichtigkeit, mit der die USA seit 1991 ihre militärischen Ziele erreichten, demonstriert diese Tatsache eindrucksvoll. Hinzukommt, dass die Kluft zwischen den Möglichkeiten des US-Militärs und denen des Rests der Welt dank des konkurrenzlos hohen US-Militärbudgets weiter wächst. Nichtsdestoweniger bildet die beschränkte Zahl des US-Militärpersonals die erste bedeutsame Grenze der US-Macht.

Die Tatsache, dass das Pentagon zusätzlich zu den Truppen, die schon sonst wo im Ausland stationiert sind, fast 150 000 Soldaten im Irak konzentriert halten muss und für diesen Zweck eine noch größere Zahl von Soldaten nicht für andere Aufgaben frei hat – wobei die Reservisten zunehmend widerspenstig werden – erzeugt eine Situation, in der Washington in die Gefahr gerät, den Bogen zu überspannen und seine Möglichkeit, andere Länder wie z.B. den Iran zu überzeugen, ist deutlich reduziert. Über diese Grenze der menschlichen Ressourcen hinaus gibt es ebenso eine ökonomische Grenze, bestimmt durch die ständig wachsende Belastung, die sich aus dem immens steigenden Staatsdefizit ergibt, auch wenn Washington immer noch genügend Manövrierspielraum in dieser Beziehung hat (insbesondere deswegen, weil das Defizit zu einem großen Teil den Steuersenkungen geschuldet ist).

Die zweite Grenze der Militärmacht der USA, eine Konsequenz der hohen „Kapitalintensität” seiner bewaffneten Kräfte, kann an den zwei Fällen Afghanistan und Irak beobachtet werden. Technologische Fähigkeiten, die dazu befähigen, jede andere konventionelle Armee zu zerschlagen, sind nicht ausreichend, ein Volk unter Kontrolle zu halten. Dafür braucht es Truppen. Washington, obwohl es seine Anstrengungen im Irak zur obersten Priorität erklärt hat, ist nicht in der Lage, auch nur dieses Land zu kontrollieren. Afghanistan ist in der Hand von außer Kontrolle geratenen Warlords und Drogenhändlern, während Hamid Karsais Marionettenregime nur über eine sehr begrenzte Macht außerhalb der Hauptstadt Kabul und weiterer zwei oder drei Städte hinaus verfügt. Die USA sind heute weniger in der Lage, eine feindliche Bevölkerung in einem mittelgroßen Land zu kontrollieren, als sie es während des Vietnamkrieges waren.


4. Eine Kombination von ideologischen Faktoren führte dazu, dass die USA teilweise fähig waren, das Vietnamsyndrom zu überwinden, das sie für mehr als 15 Jahre davon abgehalten hatte, im Ausland in wirklich massiver Art und Weise militärisch zu intervenieren.


Zum einen führte der Zusammenbruch des stalinistischen Systems in Osteuropa und die generelle Entwicklung der so genannten postkommunistischen Staaten hin zu ungeregelten Marktgesellschaften – deren Champion die USA waren und sind – für den Weltkapitalismus und seinen hegemonialen Staat zu einem enormen Gewinn an ideologischer Macht und Legitimität in den frühen 90er Jahren.

Zum anderen trug derselbe Kollaps des stalinistischen Systems zum politischen und / oder ideologischen Debakel größerer Teile der Linken auf der Welt bei. In verschiedenen Ländern und Regionen des Globus öffnete das auf Seiten der Opposition Raum für reaktionäre politische oder religiöse Kräfte, die diesen auch besetzten. Wenn Kräfte dieser Art gegen die imperialistische Hegemonie angehen, stoßen sie auf weit weniger Sympathie bei der Bevölkerung der imperialistischen Länder. Eben dies vermindert die Möglichkeiten, eine mächtige Antikriegsbewegung aufzubauen.

Außerdem hat Washington, das immer noch mit der teilweisen Existenz des Vietnamsyndroms rechnen muss, seit 1989 Ziele attackiert, die in den Augen der westlichen Meinung hassenswert sind und es hat damit an Glaubwürdigkeit gewonnen, was seine „humanitären” oder „demokratischen” Absichten betrifft. Von Noriega (Panama 1989) bis zu den Taliban und al-Qaida (2001), von Saddam Hussein (1990/91), den serbischen Kräften in Bosnien (1994–1995) bis zu Miloševic (1999) haben alle von den USA und ihren Alliierten gewählten Ziele zu dieser Kategorie gehört.


5. Diese Situation änderte sich mit dem Invasionskrieg gegen den Irak.
Von allen imperialistischen Kriegen der letzten 15 Jahre war dieser Krieg der in den Augen der weltweiten öffentlichen Meinung unbestreitbar am wenigsten legitime.


Saddams Husseins Regime war schon 1991 Ziel einer imperialistischen Aggression und der Irak war von dieser Zeit an wiederholten Bombenangriffen ausgesetzt sowie einem Embargo mit Folgen in der Art eines Genozids. Obwohl in diesem Fall das betroffene Regime auch wieder ein hassenswertes war, gab es keinen neuen Grund, der die Invasion durch Washington rechtfertigen konnte. Washington musste neue Gründe erfinden und seine Zuflucht zu Lügen nehmen, so absurd wie „Massenvernichtungswaffen”, die angeblich im Besitz des Iraks waren (während Bagdad angeboten hatte, den UN-Inspektoren eine Blankogenehmigung zu geben), oder zu behaupteten Verbindungen zwischen al-Qaida und dem Baathregime. Die Argumente waren alle um so weniger überzeugend, als das, was tatsächlich für Washington bei der Besetzung des Iraks das Wesentliche war – Öl – für jeden offensichtlich war.

Die unterschiedliche Haltung zwischen den imperialistischen Mächten selbst verschlimmerte noch die Schwäche dieser Vorwände. (Die Opposition von Russland und China alleine hätte vom Standpunkt der ideologischen Legitimation nicht viel Gewicht gehabt, zieht man Moskaus und Pekings geringe Glaubwürdigkeit in dieser Hinsicht in Betracht, wie die Vorgeschichte des Kosovokrieges gezeigt hat). Die französische und deutsche Opposition gegen die Invasion des Iraks allerdings trug dazu bei, die Legitimität des Krieges zu untergraben.

Für Paris, den Partner und bevorzugten Lieferanten für Saddam Husseins Regime (ebenso wie Moskau, nebenbei) bedeutete die Aussicht eines US-Zugriffes auf den Irak einen bedeutenden Verlust für die Interessen des französischen Kapitals und des französischen Staates. Für die Schröder-Fischer-Regierung in Berlin war es die Wahltaktik, die entschied: Kanzler Schröders Zurückweisung der Invasion des Irak, die in Deutschland besonders unpopulär war, trug zu seiner Wiederwahl bei, nachdem weithin wegen seiner unpopulären neoliberalen Politik seine Niederlage vorhergesagt worden war. Aber sowohl Frankreich als auch Deutschland erleichterten die Aggression gegen den Irak – Deutschland dadurch, dass es den USA die uneingeschränkte Nutzung der Infrastruktur auf seinem Gebiet erlaubte, Frankreich dadurch, dass es seinen Luftraum öffnete – und wünschten ihr Erfolg.

Diese Tatsachen zeigen die derzeitigen Grenzen der militärischen Autonomie untergeordneter imperialistischer Mächte im Verhältnis zum US-Imperialismus zu einem Zeitpunkt, an dem der europäische Verfassungsvertrag die Verankerung der europäischen Union in der NATO festschreibt. Die Herausforderung der US-Hegemonie durch mit ihr verbundene imperialistische Mächte geht nicht weiter als bis dahin, dass sie fordern, dass ihre besonderen Interessen an dem militärisch-politischen Management des imperialistischen Weltsystems mehr beachtet werden, vor allem angesichts der Bush-Administration, deren Arroganz und Einseitigkeit sehr weit geht. Es gibt keinerlei Infragestellung der Partnerschaft mit Washington oder von Washingtons Rolle als der ersten bewaffneten Kraft des Weltkapitalismus, die kein anderer Staat für sich reklamieren könnte.


6. Diese ideologischen und politischen Handicaps von Washington, London und ihren Alliierten machten es möglich, dass sich eine Antikriegsbewegung auf einer sehr breiten Basis entwickelte. Auf ihrem Gipfel, Februar 2003, erreichte die Bewegung ein Niveau der Mobilisierung weltweit, das geschichtlich ohne Beispiel war. Aber sie war nicht stark genug, die Invasion des Irak zu verhindern und auch nicht stark genug, die Besatzungstruppen zum Abzug zu zwingen.


In den USA selbst erreichte die Antikriegsbewegung einen Durchbruch, was angesichts des ideologischen Klimas, das durch den 11. September 2001 erzeugt worden war und der quasi-Einmütigkeit der herrschenden Klasse in den USA sehr schwierig war. Unter diesem Blickwinkel war das Ausmaß der Demonstrationen in New York und anderen US-Städten am 15.02.2003 überaus beeindruckend. Aber auch wenn die Bewegung bedeutender war und ist als die, die in der ersten Phase des Vietnamkrieges existierte, ist sie immer noch nicht stark genug, Washington zum Rückzug zu zwingen.

Die weltweite Antikriegsbewegung ist mit dem korrekten Ziel angetreten, die Aggression zu verhindern, (was angesichts der geringen Zeit, die zur Verfügung stand, sehr schwierig war). Aber sie schaffte es nicht, deutlich genug die Perspektive des Aufbaus einer langfristigen Opposition gegen die Dauerbesetzung, die eindeutig Washingtons Ziel war, zu verfolgen.

Nach dem Kulminationspunkt des 15.02.2003 wurden die Mobilisierungen auf nationaler Ebene oder um internationale Termine oder Kampagnen fortgeführt. Aber die Bewegung blieb weit unter dem Level, der vor der Invasion erreicht worden war. Diese Schwächung wurde in den USA durch elektoralistische Illusionen verstärkt, obwohl in der Tat angesichts der grundsätzlichen Übereinstimmung in der Frage der Besetzung Iraks zwischen den beiden Hauptkandidaten nichts diese Illusionen rechtfertigte. Diese generelle Situation erleichterte die Wiederwahl von George W. Bush wesentlich, ein Sieg, den Bush als Zeichen der Zustimmung für seine aggressive imperialistische Politik wertete und der ihm mehr Spielraum gab, sie fortzuführen oder sie sogar zu intensivieren, wie es die Zusammenstellung seiner neuen Regierung signalisiert.

In dem Gefühl eines noch größeren Manövrierspielraums ging die Bush-Administration einen Schritt weiter in ihrer aggressiven Politik und deren Drohgebärden, nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch in Lateinamerika – wo Kuba und Venezuela in der Feuerlinie sind, zusätzlich zur Militärintervention in Kolumbien – oder in Ostasien, besonders gegenüber Nordkorea.


7. Ein wesentlicher Grund für die Schwächung der Antikriegsbewegung war der Erfolg, den Washington, und London in der Wiedererlangung eines gewissen Grades ideologischer Glaubwürdigkeit während der ersten Phase der Besetzung erzielten.


Das Ausbleiben von Feindseligkeiten seitens der irakischen Bevölkerung gegenüber den Besetzern in der ersten Periode nach der Beseitigung des Baath-Diktatur – auch wenn die Reaktion der Bevölkerung weit entfernt von dem enthusiastischen Willkommen war, das von Washington und London vorausgesagt worden war – entwaffnete die Antikriegsbewegung ideologisch. Außerdem konnten die Besatzungsmächte immer noch die Leute glauben machen, dass sie auf einer heißen Spur in Bezug auf „Massenvernichtungswaffen” seien.

Dieser Vorteil begann sich zu verflüchtigen, als zunehmende Feindseligkeiten gegen die Besatzer sichtbar wurden, besonders angeheizt durch das Verhalten der Besatzer und die Fehler der Bush-Administration und ihres Statthalters bei der Verwaltung des Landes, während der Vorwand der „Massenvernichtungswaffen” sich bei Tageslicht als Lügengewebe entpuppte.

Nichtsdestoweniger war die Bush-Administration dann in der Lage, den verabscheuungswürdigen Charakter eines Teils des Widerstands gegen die Besatzung auszunutzen – der spektakulärste Teil des Widerstands und der Teil, dem die Medien die meiste Aufmerksamkeit widmeten – und dadurch (ähnlich wie bei früheren Interventionen) einen Grund für die Schwäche der Antikriegsbewegung zu liefern.

Das kontinuierliche Anwachsen bewaffneter Aktionen gegen die Besatzungsmächte, einige Monate nach dem Beginn der Besetzung, war das Resultat zweier Tendenzen, die man peinlich auseinander halten muss. Auf der einen Seite sind es Aktionen gegen die Besatzungstruppen, die meisten davon lokal und in vielen Fällen sogar individuell, eine Antwort auf die Arroganz und Brutalität der Besatzer, die ihren Gipfel mit den zwei Wellen der Aggression gegen die gemarterte Stadt Falludscha 2004 erreichte. Auf der anderen Seite gibt es Aktionen, die das Werk organisierter Netzwerke sind, von denen zwei die meisten Ressourcen haben: Die Reste des baathistischen Geheimdienstes, die nach dem Kollaps des Regimes sich reorganisierten und erhebliche finanzielle und militärische Mittel zu ihrer Verfügung haben und die sunnitischen fundamentalistischen, ausgesprochen fanatischen Netzwerke, nach Art der al-Qaida, von denen ein Teil von außerhalb des Iraks stammt und die bereits vor dem Fall des Baath-Regimes existierten.

Während bewaffnete Aktionen gegen die Besatzer völlig legitime Akte des nationalen Widerstandes sind, so ist es gleichermaßen wahr, dass die zwei Arten von Netzwerken, die wir erwähnt haben, legitime Akte gegen die Besatzer mit Aktionen zutiefst reaktionärer Natur vermischen, die gegen andere Teile der irakischen Bevölkerung auf einer quasi rassistischen Basis gerichtet sind – sektiererische Attacken gegen Schiiten, ethnische Attacken gegen Kurden – oder solche fremdenfeindlicher Herkunft: das Hinschlachten von Ausländern (einschließlich Arbeitsmigranten), die nicht die geringste Verantwortung für die Besetzung haben.

Will man die Antikriegsbewegung auf einer Massenbasis neu beleben, so ist es eine Grundbedingung, dass zwischen legitimen und illegitimen Aktionen unterschieden wird und dass letztere klar und offen zurückgewiesen werden. Die Bewegung verdammte deutlich Saddam Hussein 1991 und erneut 2003, Milosevic 1999 und die Taliban und Osama Bin Laden 2001, und erklärte gleichzeitig, dass die hassenswerte Natur dieser Kräfte keinesfalls imperialistische Interventionen rechtfertigte, die selbst noch sehr viel mörderischer waren. Es ist ebenso unabdinglich im Bezug auf den Irak, sich klar von reaktionären Aktionen zu distanzieren und gleichzeitig zu erklären, dass die Barbarei dieser reaktionären Kräfte immer noch klein ist verglichen mit der größeren Barbarei des US-Imperialismus, tragisch illustriert von Guantánamo, Abu Ghraib und Falludscha.

Gleichzeitig muss die Position radikaler Antiimperialisten, die das Recht des irakischen Volkes verteidigen, sich mit allen legitimen Mitteln einschließlich des bewaffneten Kampfs gegen die Okkupation zu wehren, unterschieden werden von der Plattform, um die die breitest mögliche Antikriegsbewegung in den imperialistischen Ländern organisiert werden muss. Diese breite Plattform muss sich auf den Abzug der US- und Alliiertentruppen aus dem Irak konzentrieren und sollte nicht die Unterstützung für den irakischen Widerstand einschließen, auch nicht mit den notwendigen Unterscheidungen, weil eine solche Unterstützung nur das Potential für Mobilisierungen begrenzen kann. Eine breite Plattform kann allerdings, je nach dem wie die Umstände und der Stand der Mobilisierung es im jeweiligen Land erlauben, den Widerstand gegen die israelische Besetzung in Palästina einschließen, insofern, als die zwei Besetzungen zur selben politischen Gesamtlage gehören. Die Opposition gegen die israelische Besetzung in Palästina war in der Tat bisher ein bedeutender Punkt in der Mobilisierung von Menschen gegen die Besetzung des Irak.


8. Bewaffnete Aktionen bilden nur einen der Wege, die das irakische Volk in seinem Widerstand gegen die Besetzung des Iraks eingeschlagen hat. Der politische Kampf ist ein anderer Weg und wird von der Mehrheit gewählt.


Der bewaffnete Widerstand gegen die Besetzung wird hauptsächlich von den Mitgliedern der arabisch-sunnitischen Minderheit betrieben, von der ein Teil sich unter Saddam Husseins Regime als privilegiert betrachtete. Nichtsdestoweniger macht die Mehrheit auch innerhalb der arabisch-sunnitischen Gemeinschaft – repräsentiert von Gruppen wie der Vereinigung der Muslim-Ulemas – eine klare Unterscheidung zwischen legitimen Aktionen und dem, was sie „Terrorismus” nennt. Die Unterstützung einer großen Mehrheit für legitimen bewaffneten Widerstand geht einher mit einem politischen Kampf gegen die Besetzung, den eine ebenso große Mehrheit stützt, wobei die beiden Formen des Kampfes als sich ergänzend angesehen werden. Aus offensichtlichen Gründen nahm die andere große Minderheit im Land – die Kurden (die meisten davon Sunniten), die historisch von den verschiedenen irakischen Regierungen unterdrückt wurden, bis sie von 1991 an unter US-Schutz eine de-facto-Autonomie bekamen – nicht am Kampf gegen die Besetzung teil.

Unter der arabisch-schiitischen Mehrheit des Landes ist die Entscheidung für den politischen Kampf die vorherrschende Richtung. Diese Wahl wird sogar von dem Flügel der religiösen schiitischen Muslimbewegung geteilt, der am radikalsten gegen die Besetzung positioniert ist, der fundamentalistischen Strömung geführt von Muktada as-Sadr, die sich darauf beschränkt, eine Kombination von politischen Kampf und bewaffneter Selbstverteidigung zu praktizieren, ohne auf Attentate zu setzen. Die Mehrheitsströmung unter den irakischen Schiiten, geführt von Ajatollah Sistani – ein traditioneller religiöser Führer, der die Mehrheitsströmung der irakisch-schiitischen Geistlichkeit repräsentiert und die Kontrolle über die politische Führung ausüben will, ohne die Macht selbst in ihre Hände zu nehmen – hat den politischen Kampf seit dem Beginn der Okkupation als den Weg zur Errichtung einer Mehrheitsherrschaft im Irak favorisiert – was zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Errungenschaft verspricht, eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Geschicke des Landes zu spielen – als einen Schritt hin zum Abzug der fremden Truppen.

Die erste Phase dieses politischen Kampfes war der Zusammenstoß zwischen dem Ajatollah und dem US-Stadthalter Paul Bremer betreffend die Verfassungsprozedur. Diese Konfrontation, in der Bremer eine Prozedur durchsetzen wollte, die in der Bestellung von Verfassungsschreibern durch die Besatzungsmacht bestand, während der Ajatollah darauf bestand, dass sie demokratisch gewählt werden sollten, stellt die klarste Entlarvung von Washingtons Behauptungen dar, es handele sich um eine Mission, zur Demokratisierung der Region. Die Konfrontation endete mit dem Sieg des Ajatollah und, nach UN-Vermittlung, der Festsetzung des 30.01.2005 als Datum für allgemeine Wahlen. Konfrontiert mit den zunehmenden terroristischen Drohungen gegen die Teilnahme an den Wahlen in den sunnitischen Gebieten und der Aussicht auf eine sehr geringe Beteiligung in diesen Gebieten als Resultat davon, riefen die wesentlichen politischen Kräfte der sunnitischen Gemeinschaft zum Boykott der Teilnahme an den Wahlen auf, um die unvermeidliche Unterrepräsentation der Sunniten nicht damit anzuerkennen.

Fast 60% der wahlberechtigten Iraker (die Wahllisten, die benutzt wurden, basierten auf den Rationierungslisten während des Embargos und umfassten dadurch die gesamte Bevölkerung) gingen unter extrem schwierigen Bedingungen in den arabischen Teilen des Iraks zu den Wahlen. Die Liste der Marionette Allawi, stark unterstützt von Washington, erlitt eine vernichtende Niederlage und erreichte noch nicht einmal 15% der Stimmen. Die Mehrheit der Sitze in der verfassungsgebenden Versammlung ging an die Wahlkoalition, deren Pate Ajatollah Sistani ist und in der die wesentlichen organisierten Kräfte Fundamentalisten mit Verbindungen zum Iran sind. Nichtsdestoweniger braucht man für die Regierung des Landes eine Zweidrittelmehrheit in der Versammlung, was Kompromisse zwischen den Fraktionen erfordert. Außerdem stimmen die gewählten Gruppen darin überein, dass eine Beteiligung der Führer der sunnitischen Gemeinschaft, die deutlich unterrepräsentiert ist, zwingend nötig ist.

Die übergroße Mehrheit der arabischen Wahllisten, einschließlich der Mehrheitskoalition, hatte die Forderung nach dem Abzug der Besatzungstruppen in ihren Programmen. Aber die herrschenden Strömungen rechnen mit einem Abzug auf mittlere Sicht, was ihnen Zeit gibt, einen Staatsapparat aufzubauen und unter ihrer Kontrolle zu konsolidieren, um ein Chaos nach dem Abzug der Besatzer zu vermeiden. Dieses Kalkül ist sehr kurzsichtig, wenn es überhaupt ehrlich gemein ist (was nicht immer der Fall ist: Wenn beispielsweise die Liste des Marionettenpremierministers Allawi vom Truppenabzug spricht, ist die Verlogenheit offensichtlich).

Die Geschichte der Besetzung seit Frühjahr 2003 zeigt, dass die Präsenz der Besatzungstruppen in der Tat das Chaos im Land und das Anwachsen an den Rändern der fanatischen terroristischen Gruppen anheizt. Außerdem fährt die Besatzung jetzt schon, und wird es morgen noch mehr tun, eine Strategie wachsender Spannungen, gezielt besonders auf religiöse und ethnische Spaltungen, nach dem Motto „teile und herrsche”. Daneben hat Washington seit dem Beginn der Besatzung eine ganze Anzahl von Erklärungen herausgegeben, die deutlich machen, dass Washington nicht dabeistehen und im Irak ein Regime nach iranischem Muster entstehen lassen wird – Erklärungen, deren Arroganz klassisch kolonialistischem Muster folgt. Diese Erklärungen sollten in Beziehung gesetzt werden zu Washingtons zunehmenden Kriegsdrohungen gegen Teheran und gegen die regionale „Achse des Bösen”, die angeblich von der Hizbollah im Libanon über Syrien zum Iran geht. Wenn eine Regierung im Irak an die Macht kommt, die mit dem Iran alliiert ist, würde das eine ausgesprochene Katastrophe für Washington bedeuten, das alles tun wird, was es kann, um dieses Szenario zu verhindern: zu allererst Aufbrechen der Mehrheitskoalition, dann Verhinderung des Zugangs zu den „sensiblen” Ministerien (Inneres, Verteidigung, Öl) für Strömungen, die mit dem Iran verbunden sind und schließlich Verschärfung der ethnischen und religiösen Spannungen.

Diese Überlegungen bedeuten – welche Haltung auch immer die irakische Regierung, die aus den Wahlen hervorgeht, einnimmt – dass die Antikriegsbewegung weiterhin – und zwar noch energischer als bisher – fordern muss, dass die Besatzungstruppen sofort aus dem Irak abgezogen werden.

Das Argument, dass die Alternative zur Besatzung das Chaos sei, ist heute noch wackliger als in der Vergangenheit, wenn man in Rechnung stellt, dass es heute eine gewählte Versammlung im Land gibt. Der Wiederaufbau eines irakischen Staates wird leichter sein, wenn er über die volle Souveränität verfügt.

In der Antikriegsbewegung sollten folgende Forderungen vertreten werden:

Die objektiven Perspektiven für die Antikriegsbewegungen verbessern sich allmählich, was etwa durch das Abbröckeln der „Koalition der Willigen”, die den Irak besetzt haben, deutlich wird, von der mehr und mehr Länder ihre Truppen abziehen, wie auch durch die wachsende Zustimmung in den Meinungsumfragen – auch in den USA selbst – zur Forderung nach einem Truppenabzug.

Die Sektionen der Vierten Internationale werden entschlossen an der Mobilisierung für den internationalen Tag der Demonstrationen gegen die Besetzung des Irak am 19. März 2005 teilnehmen.

Sie werden dafür eintreten, einen Kalender von Antikriegsmobilisierungen auf Weltebene zu entwickeln, um der Antikriegsbewegung eine langfristige Perspektive zu geben.

Internationales Komitee der IV. Internationale, 27.2.2005
Übersetzung: Thadeus Pato



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 402/403 (Mai/Juni 2005) (nur online).