„Zeiten der Hoffnung – Zeiten des Zorns“

Hanna Behrends Vorwort zu dem von ihr herausgegebenen Buch mit Texten von Manfred Behrend

Manfred Behrend (im Folgenden M.B.) ist ein Historiker, der sich in mehr als einem halben Jahrhundert – seit seinem 18. Lebensjahr – als Chronist seiner Zeit betätigt hat. Als kritischer Beobachter bedeutsamer politischer Entwicklungen und herausragender Ereignisse in vielen Teilen der Welt sowie führender Persönlichkeiten hat er darüber in zahlreichen Veröffentlichungen in verständlicher Sprache, mit Sachkenntnis und Witz berichtet.

Seine Arbeiten sind zugleich Stationen auf dem Weg eines Arbeiterstudenten zu einem immer kompetenteren Zeitgeschichtler, der sich keineswegs nur auf ein Gebiet beschränkte. Vielmehr motivieren sehr breit gefächerte politische und publizistische, historische und literarische Interessen sein Schreiben.

M.B. ist für eine breite Schicht von Intellektuellen der DDR repräsentativ: Er gehört zu jenen, für die der Zweite Weltkrieg prägendes Kindheits- und Jugenderlebnis war und die nach der Niederlage des Nazi-Regimes, als sie an der Schwelle zum Berufsleben standen, bereit waren, sich für jede Organisation und Weltanschauung zu engagieren, die zu gewährleisten schien, dass Vertreter von Faschismus und Krieg nie wieder auferstehen würden. Deshalb wurde er, dessen Vater der KPD und der KPD-Opposition angehört hatte, Sozialist. Die DDR ermöglichte dem jungen Arbeiter, seine während des Krieges erworbene mangelhafte Schulbildung zu ergänzen, sein Abitur zu machen und ein Studium der Geschichte aufzunehmen. Wie viele andere seinesgleichen nutzte er diese Gelegenheit, um sich das notwendige handwerkliche Rüstzeug für die Ausübung seines Wunschberufs anzueignen. Wissenschaftliche Neugier und die Überzeugung, durch aufklärende Beiträge Menschen zu neuen Einsichten zu verhelfen und damit zu Veränderungen und Verbesserungen der Lage in seinem Land und darüber hinaus beizutragen, spornten ihn an.

Sachlichkeit der Darstellung verband sich stets mit Parteinahme für die Ausgebeuteten und Diskriminierten. Er engagierte sich für Persönlichkeiten, die konsequent die braune Vergangenheit mancher Ehrenmänner aufdeckten; beispielhaft dafür sind seine Beiträge zum Abs-Prozess (S. 178-188) Für seine antifaschistische Gesinnung ist der Aufsatz über das Volkswagenwerk (S. 58-75) ebenso charakteristisch wie der Beitrag über den spanischen Bürgerkrieg aus heutiger Sicht (S. 141). Die Portraits der im Realsozialismus verfolgten. Sozialisten Trotzki (S. 82-103) und Brandler (S. 79-82) weisen seine antistalinistische Haltung aus, die sich auch in den Beiträgen zum Antistalinismus (S. 246-260) manifestiert.

Wie viele andere DDR-SozialistInnen ging auch M.B. den harten Weg der Erkenntnis von naiver Anpassungs- und Disziplinierungsbereitschaft den Führungskräften der FDJ und SED gegenüber, von denen er annahm, dass sie, oft Kämpfer gegen Faschismus und Krieg, die Erfahreneren und Kompetenteren seien und daher wohl Recht haben müssten, zur kritischen Wahrnehmung der Fehlentwicklung in der DDR sowie der strukturellen und ideologischen Defizite der Arbeiterbewegung. So hat M.B. seit den 50er Jahren das dem Stalinismus geschuldete Totalitäre im Gesellschaftsgefüge der DDR durchaus kritisch wahrgenommen, wie u. a. aus dem Aufsatz in der Arbeiterstimme „Zur Situation an den Universitäten der DDR: Die Thälmann-Legende wird brüchig“ (S. 24f) aus dem Jahre 1956 hervorgeht.

Die Erfahrungen dieser Jahre lehrten ihn allerdings auch, die Grenzen zu erkennen, innerhalb derer öffentliche Kritik in der DDR möglich war, in welchen Fragen andere Taktiken eher zum Ziel führten bzw. es gar keinen Handlungsspielraum gab. Wie sehr viele seiner Generation wollte er einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz und ohne Denkverbote, ein System, in dem politische Entscheidungen auf breiter demokratischer Basis zustande kommen und eine offene Diskussion von Standpunkten solchen Entscheidungen vorausgeht. Er hatte bis zum Ende der DDR die Hoffnung, es könnte zu solchen Reformen kommen und die 1989 reformierte DDR könnte erhalten bleiben. Er war, wie aus vielen Texten deutlich wird – so z. B. in der Besprechung von Truchanowskis Biographie Winston Churchills (S. 37f) – überzeugt, dass dem Sozialismus die Zukunft gehöre, wenn es gelänge, die kommunistische Partei zu demokratisieren und dabei die Grundsätze einer sozialistischen Demokratie von unten zu verwirklichen. So gab er bis zur „Wende“ die Hoffnung nicht auf, es könnte zu solchen Reformen kommen, und als das Volk 1989 einen Demokratisierungsprozess erzwang, hoffte er, die DDR könnte als demokratischer und sozialistischer Staat erhalten bleiben. Wie M.B. in der damals noch bestehenden Zeitschrift Die Weltbühne im Dezember 1989 schrieb: „Die DDR wird entweder ein Staat mit einer springlebendigen antifaschistischen Demokratie sein, oder sie wird nicht sein“. (S. 208) Er versteht sich weiterhin „ungewendet“ als kritischer Marxist und Sozialist, der lernbereit und offen ist für andere humanistische weltanschauliche Positionen.

Bereits vor und besonders seit der Wende mischte M.B. sich in viele der politischen und historischen Diskussionen ein, um nachdrücklich sozialistischen Positionen zum Durchbruch zu verhelfen. Die Texte über den Abs-Prozess (S. 178-188) zeigen, dass er vor 1989 in Fällen, wo es ihm um wichtige geschichtliche Wahrheiten ging, ungeachtet seiner grundsätzlichen Loyalität zur DDR Publikationsverbote umging oder ignorierte und die Folgen in Kauf nahm.

Die im vorliegenden Buch vorgestellten Publikationen M.B.s sind eine kleine Auswahl aus seinem sehr umfangreichen Gesamtwerk. Neun Leitz-Ordner, die Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitte bzw. Kopien davon sowie Manuskripte zu Rundfunksendungen enthalten, Dutzende Zeitschriften und die genannten Bücher mussten durchgesehen werden, um Texte auszuwählen, die ein repräsentatives Bild seines Schaffens ermöglichen sollen. [….]

Manfred Behrend wurde am 9. April 1930 in Berlin geboren. Er war der einzige Sohn eines Messerschmieds, der sich 1926 selbständig gemacht hatte. Seine Mutter war mit im Geschäft tätig. Auch nach Besuch der Volks- und Mittelschule ab 1936 in Berlin, seit 1944 in der Evakuierung in Rothenschirmbach bzw. Eisleben begann M.B. 1945 in Berlin eine Messerschmiedelehre. Sie wurde durch einen schweren Betriebsunfall im März 1947 unterbrochen. Bei der Gesellenprüfung fiel er wegen mangelhafter handwerklicher Kenntnisse durch. In einem Lebenslauf aus dem Jahre 1957 stellte er fest: „Die Gesellenprüfung im Herbst 1948 habe ich … auch deshalb nicht bestanden, weil mich inzwischen andere Interessen gefangen genommen hatten. … Hinter dem Fiasko dieser Prüfung stand ein Konflikt zwischen handwerklichen und politischen Interessen“. Nach dem Besuch eines Ferienlagers in Prieros im Sommer 1948 wurde M.B. politisch zunächst vor allem in der FDJ, seit 1949 auch in der SED (Mitglied von 1951 – 1990) aktiv. Bisher hatte sich sein Interesse, in den letzten Kriegsjahren beginnend, darauf beschränkt, durch Lesen und Rundfunkhören den eigenen Informationsstand zu erweitern. Nun folgte der Wandzeitungsarbeit in seiner FDJ-Gruppe eine Phase ab 1948, in der M.B. Leserbriefe für Start und Junge Welt, später auch Berliner Zeitung, Nachtexpress Neues Deutschland, BZ am Abend, National-Zeitung, Sonntag und Deutschlands Stimme verfasste. Das geschah zunächst nur unter seinem Namen, dann auch unter verschiedenen Pseudonymen. Die bescheidenen Honorare, die damals noch für Leserbriefe gezahlt wurden, waren ihm nicht unwillkommen. Inhaltlich äußerte er sich vorrangig zu jugendpolitischen Fragen, bald auch zur allgemeinen und Deutschlandpolitik, bisweilen zu Theatervorstellungen und Alltagsfragen. Ende 1948 besuchte er einen Lehrgang der Bezirksjugendschule der FDJ in Rahnsdorf. Damals war M.B. noch der in der Jugendzeitschrift Start vom 1. Oktober 1948 von ihm vertretenen Auffassung: „In einer richtigen Demokratie müssen auch mehrere Jugendorganisationen vorhanden sein, die die jeweiligen Weltanschauungen vertreten oder, wie die FDJ, überparteilich sind“ (S. 16). In seiner FDJ-Gruppe „Freundschaft“ in Berlin-Kreuzberg war er Wandzeitungsredakteur. Im ersten Halbjahr 1949 wurde M.B. von der FDJ zu einem Nachwuchslehrgang der Deutschen Wirtschaftskommission delegiert. Er war in dieser Zeit für die Gestaltung einer Seite der „Jungen Welt“ verantwortlich.

1949/50 folgte M.B.s Volontariat bei der Berliner Zeitung, ein erster Versuch, Journalist zu werden. [….] Der Entlassung beim Berliner Verlag folgte 1950/51 Botentätigkeit für den VEB Stahlleichtbau Berlin-Johannisthal, wo M.B. sich an der FDJ-Wandzeitung betätigte. 1951 besuchte er die Landesjugendschule „Jochen Weigert“ der Berliner FDJ.

Im September 1951 wurde ihm ein Studium an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Berlin ermöglicht, wo er 1953 die Hochschulreife erwarb. Von 1953–1957 studierte er Geschichte an der Humboldt-Universität. In dieser Zeit publizierte er Artikel zu studentischen Fragen im Forum und Rezensionen belletristischer Werke vornehmlich in der Kulturbundzeitschrift Sonntag, aber auch im Schriftsteller und anderswo. Auch aus dieser Zeit ist manches in Westberlin verloren gegangen.

1956 zählte M.B. an der Universität zu den entschiedenen Stalinismuskritikern. Neben einigen vorsichtigen Beiträgen in der DDR-Presse veröffentlichte er 1956/57 illegal solche in linken Westblättern, vor allem in Die Andere Zeitung, Hamburg, und Arbeiterpolitik, Stuttgart. Die Beiträge in Die Andere Zeitung hat er bisher nicht wieder aufgefunden.

1957-1961 gehörte M.B. der Nachrichtenredaktion des Berliner Rundfunks an und erwarb in dieser Zeit das Journalistendiplom. Nebenamtlich schrieb er ein missglücktes, nach Überarbeitung durch den zuständigen Redakteur kaum besseres Manuskript zum Kapp-Putsch, das gleichwohl gesendet wurde, sowie zwei gelungene zum Tode Lumumbas und zur Entwicklung auf Kuba und besprach einige politische Bücher. Wegen verbotener Westberlinbesuche wurde M.B. kurz vor dem 13. August 1961 beim Rundfunk entlassen. Er fand eine Anstellung als Lektor im Verlag Rütten & Loening, wo er bis September 1962 tätig war. Nennenswert sind seine Vorbemerkungen zu Tilsit 1807 und Versailles 1919 in „Deutsche Friedensverträge aus vier Jahrhunderten“, Berlin 1962, einer Broschüre, die auf Initiative des Geschichtslektorats während eines so genannten Produktionsaufgebots bei R&L entstand. Von Hanna Köditz, seiner späteren Ehefrau, unterstützt nahm M.B.erneut Studien zur Geschichte der englischen Revolution auf, die allerdings damals zu keiner Publikation führten.

1962 wechselte er zum Deutschen Institut für Zeitgeschichte (DIZ) über, das neun Jahre später auf Weisung der SED-Führung mit dem Deutschen Wirtschaftsinstitut und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen zum dem ZKApparat unterstehenden Institut für internationale Politik und Wirtschaft (I.P.W.) fusionierte. Nach der journalistischen und verlegerischen begann für M.B. nun auch hauptamtlich die wissenschaftliche Arbeit vor allem als Zeitgeschichtler, die allerdings je nach Lage und Entwicklungstendenz in der DDR mehr oder minder politisch beeinflusst, oft auch eingegrenzt wurde. Im vorliegenden Band äußert sich das in thematischen Leerstellen, selten auch in Einseitigkeiten der Darstellung. Bis 1967 leitete er die Arbeitsgruppe „Deutscher Geschichtskalender“ am DIZ. Er hatte den wesentlichen Anteil am Zustandekommen von vier Jahresbänden der Reihe „Was war wann? Deutscher Geschichtskalender“, einer zeitgeschichtlichen Chronik, die auf Weisung „von oben“ eingestellt wurde, als sie sich gerade zu rentieren begann. Vielleicht hat es Teilen der Parteiführung oder des Apparats nicht behagt, eigene politische Winkelzüge später in derartigen Bänden dokumentiert zu finden. Nach Auflösung der Arbeitsgruppe war M.B. bis 1971 mit seiner Dissertation über Franz Josef Strauß beschäftigt. [….]

Bisweilen durfte er zum Thema Parteienforschung etwas veröffentlichen. Oftmals boten der bundesdeutsche Neofaschismus, reaktionäre und rechtsextreme Kräfte in anderen Ländern, ab 1973 besonders in Chile, und historische Themen ihm eher Publikationsmöglichkeiten. M.B. hielt Vorträge – vor allem im Rahmen der „Urania“. Er schrieb Manuskripte für Rundfunksendungen, Presseartikel und Buchbesprechungen, so in den institutseigenen Monatsschriften Dokumentation der Zeit und IPW-Berichte, im Forum und in der außenpolitischen Wochenzeitschrift horizont, der Neuen Zeit (dem Zentralorgan der DDR-CDU), der vom Innenministerium herausgegebenen Halbmonatsschrift Bereitschaft, der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft und in Der antifaschistische Widerstandskämpfer. Viele Pressebeiträge erschienen unter Pseudonymen, um IPW-Direktion und die Abteilung 70 des SED-Apparats nicht auf die ungewöhnlich hohen publizistischen Aktivitäten eines Mitarbeiters auf Gebieten aufmerksam zu machen, die zwar ihn selbst interessierten, von den Oberen aber als marginal und daher überflüssig angesehen worden wären. Zudem wäre die Artikelfolge im Widerstandskämpfer von 1986/87 über die Deutsche Bank AG und ihren Stuttgarter Prozess wegen des Buches „Der Bankier und die Macht. Hermann Josef Abs in der deutschen Politik“ von Eberhard Czichon unter Klarnamen gar nicht möglich gewesen: Die genannte ZK-Abteilung hatte 1970 während des Gerichtsverfahrens M.B. und Czichon nach ersten Publikationen im „Forum“ und anderen Blättern jede weitere Veröffentlichung zum Thema ohne vorangegangene Genehmigung ihrerseits untersagt. Die Genehmigung aber wäre nicht zu haben gewesen.

Vom IPW erlaubte Tätigkeitsgebiete M.B.s außerhalb des Instituts ergaben sich seit Mitte der 70er Jahre durch seine Mitgliedschaft in der von Prof. Ludwig Elm geleiteten DDR-Arbeitsgruppe Konservatismus, die auch bilaterale Tagungen mit polnischen Wissenschaftlern abwechselnd in beiden Staaten organisierte, und seine Teilnahme an den von Prof. Manfred Weißbecker geleiteten, bis 1971 veranstalteten jährlichen Faschismus-Kolloquien. Infolge seiner Mitarbeit publizierte M.B. zu einschlägigen Fragen im Konservatismus-Jahrbuch und in den Jenaer Beiträgen zur Parteiengeschichte. Im Jahrbuch für Geschichte Nr. 10, Berlin 1974, veröffentlichte er einen längeren Beitrag „Zur Gesellschaftspolitik der CSU und des Franz Josef Strauß“. [….]

Das Jahr 1990 bedeutete für ihn das Ausscheiden aus dem im Zuge der Ausschaltung der DDR-Kultur und -Wissenschaft abgewickelten Institut und den Übergang in den Vorruhestand. Publizistisch setzte M.B. die Arbeit fort, so nach wie vor in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft und den noch bis 1992 existierenden iPW-Berichten, bei zeitweiligen Publikationsverboten erneut auch in der Jungen Welt und im Neuen Deutschland. Hinzu kamen die Berliner Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (BzG), die in der Tradition der KPD-Opposition stehende Nürnberger Arbeiterstimme, der Osnabrücker HINTERGRUND und die Kölner Sozialistische Zeitung (SoZ). Zusätzlich zu vorher bearbeiteten Themen wie dem westdeutschen Neofaschismus, von Konzerngeschichten u. a. erschloss M.B. sich eine Reihe weiterer Schwerpunkte: • Rechtsextremismus und Neofaschismus in der DDR bzw. im neuen Osten der BRD

Auf diesen Feldern entstanden neue Publikationen; neben zahlreichen Aufsätzen und Rezensionen gab M.B. 1991 gemeinsam mit Prof. Helmut Meier den Dokumentenband „Der schwere Weg der Erneuerung. Von der SED zur PDS“ heraus. In dem 1996 von Hanna Behrend edierten Buch „Die Abwicklung der DDR. Wende und deutsche Vereinigung von innen gesehen“ [Neuer ISP-Verlag], das im Jahr zuvor in Englisch unter dem Titel „German Unification. The Destruction of an Economy“ in London und East Haven veröffentlicht worden war, sind zwei Kapitel, das über Parteienentwicklung und das über Rechtsextremismus im Osten vor und nach dessen Anschluss an die BRD, von M.B. verfasst. Bereits vor der „Wende“ und danach engagierte er sich in Vorträgen und Veröffentlichungen gegen die neonazistischen Umtriebe in der DDR und ihre Verharmlosung durch die DDR-Behörden. In „Nazis auf dem Vormarsch“ in der Weltbühne fordert er: ein enges Bündnis aller Demokraten, schonungslose Aufdeckung des Vorgehens der DDR-Behörden gegen die DemonstrantInnen am und um den 9. Oktober 1989 und Garantien dafür, dass sich diese Vorgänge nicht wiederholten.

Es erschienen zwei Broschüren des Vereins „Helle Panke“ in Berlin mit Vorträgen M.B.s. über den nun gesamtdeutschen Neofaschismus („Was ist neu am deutschen Rechtsextremismus“, in Klartext, Heft 5, Berlin 1993) sowie über Trotzki ( „Leo Trotzki, 1879-1940, Verdienste und Fehler eines großen Revolutionärs“, in Vielfalt sozialistischen Denkens Heft 7, Berlin1999); ferner die von M.B. herausgegebenen „Beiträge zur Stalinismus-Diskussion“, Berlin 1997, und mehrere Beiträge aus seiner Feder in „Der spanische Bürgerkrieg“, München 2002.

So wenig er sich das DDR-Regime, wie es vor dem Oktober 1989 war, jemals zurückwünschte, so wenig identifiziert er sich mit dem neoliberalen politischen Mainstream in der Bundesrepublik. In „Bankrotteure unter sich. Wie man eine Wirtschaft zugrunde richtet“ setzt er sich bereits im Juni 1990 in Der Anzeiger kritisch mit der folgenreichen Zerstörung der DDR-Wirtschaft durch die Wirtschaftsrepräsentanten der Bundesrepublik in Tateinheit mit willfährigen Vertretern der DDR-Betriebsleitungen auseinander (S. 220-222). In einem als Leserbrief in die andere vom 1.7.1990 abgedruckten „Glückwunsch“ an den damaligen Ministerpräsidenten Lothar de Maizière gratulieren M.B. und Hanna Behrend diesem dazu, dass „er als Sachwalter der siegreichen Bonner Republik eine Entwicklung mitverursacht habe, die uns am Ende des 20. Jahrhunderts der fluchbeladenen deutschen Vergangenheit ein gutes Stück näher gebracht hat.“ (S. 223)

M.B. gehört auch zu den wenigen Autoren, die damals eine von Hysterie und Vorurteil ungetrübte Einschätzung der DDR-Staatssicherheit publizierten und deren spätere Instrumentalisierung durch die bundesrepublikanischen Behörden und ihre ostdeutschen Helfer aufdeckten (in „Thesen zur DDR-Staatssicherheit“ in der Arbeiterstimme im März 1991, S. 224-226 in ds. Buch). In „Lebenslügen der erweiterten Bundesrepublik“, HINTERGRUND, I-1992 (hier S. 229-233) setzte er sich kritisch mit der Legende von der friedlichen Revolution des Volkes auseinander, die einzig und allein dem allseits ersehnten Anschluss an die Bundesrepublik gegolten habe. Der Artikel über „Ulbrichts ‚schreckliche Mauer’“ (2001; hier S. 234-236) ist ein ausgewogener, sachlicher und brillant formulierter Beitrag zur damaligen Diskussion zu diesem Thema.

Die Inkonsequenz der SED/PDS im Kampf für eine sozialistische DDR-Entwicklung veranlasste M.B., die Partei, der er vierzig Jahre angehört hatte, im Januar 1990 zu verlassen und fortan nur noch solche politischen Bewegungen, Vorhaben und Projekte zu unterstützen, die tendenziell Voraussetzungen zu schaffen versuchen, um „alle Verhältnisse um[zu]werfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ [Marx, Zur Kritik der Hegelsche Rechtsphilosophie, Einleitung, MEW I; 385].

Dieser Maxime ist M.B. bis heute treu geblieben.

Berlin, im Juni 2004, die Herausgeberin [Hanna Behrend]


Die Seitenangaben in diesem Text beziehen sich auf folgendes Buch: Hanna Behrend (Hrsg.): Zeiten der Hoffnung, Zeiten des Zorns aus der Sicht eines DDR-Chronisten, Edition Ost Berlin 2005, 541 S.brosch.19,90 €, ISBN 3-89793-105-2. Im Buchhandel und beim Verlag erhältlich. Wir danken der Autorin für die freundliche Genehmigung des (hier nur unwesentlich gekürzten) Abdrucks ihres Vorwortes.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 412/413 (März/April 2006).