Nachruf

Basile Karlinsky (1925–2006)

Michel Lequenne

Am 6. Februar ist Basile Karlinsky im Alter von 81 Jahren gestorben. Er war bis vor wenigen Monaten aktiv gewesen, dann warf ihn eine lange und schmerzvolle Krankheit nieder.

Mit ihm ist einer der Veteranen des Trotzkismus dahin gegangen, der vor über 50 Jahren der Internationale beigetreten war. Als Sohn einer emigrierten russischen Familie kam er in der Tschechoslowakei auf die Welt. Während seine Eltern in der ČSR blieben, wuchs er in einem Jesuitenkolleg in Belgien auf. Während der Nazi-Besetzung schloss er sich der Résistance an; er kam nach Frankreich und trat kurzzeitig der PCF bei. Ende der vierziger Jahre trat er der "Parti communiste internationaliste" (PCI) bei, wie die französische Sektion der IV. Internationale damals hieß. Bei der Spaltung in Frankreich 1952 gehörte er zu der Mehrheit; er gehörte zu der Tendenz Bleibtreu, die 1955 von Pierre Lambert ausgeschlossen wurde; danach gehörte er nacheinander zu der "Groupe bolchevik-léniniste", der Redaktion der Zeitung Tribune marxiste, der "Union de la gauche socialiste" (UGS) sowie der "Parti socialiste unifié" (PSU) und darin der "Tendance socialiste révolutionnaire".

1963 ging er mit seiner Lebensgefährtin und ihrer Tochter nach Algerien, um sich an der Entwicklung hin zum Sozialismus zu beteiligen, auf die viele setzten. Damals schloss er sich der von Michel Pablo geführten Tendenz an. Nach Boumediennes Staatsstreich 1965 musste er fliehen, wie alle "pieds-rouges" [1]; kurz danach wurde er politisch ein "freies Elektron". 1974 machte er als unbezahlter Korrektor bei der damals gegründeten linksradikalen Tageszeitung Libération mit; dann wurde er in die Redaktion aufgenommen, er wurde der Sowjetologe von Libé, wie allgemein gesagt wurde. 1995 schied er als erster, der bei Libération in Rente ging, aus. In dem Nachruf in Libé, die eine ähnliche Entwicklung genommen hat wie die Berliner taz (also reichlich staatstragend geworden ist und inzwischen einer "Linken" à la Sozialdemokratie oder moderaten Grünen weitaus näher steht als der radikalen Linken), war zu lesen: ",Ihm gefiel nicht, was aus der Zeitung geworden war. Er fand die Einführung von Werbung nicht gut, auch nicht die Abstufung der Gehälter. Er war sehr enttäuscht, als Libération für das Europa-Referendum Position bezogen hat‘, betonte seine Frau." (Libération, 10.2.2006.)

Er trat nur noch Attac bei, und auch da trat er im vergangenen Jahr wieder aus. Er gehörte zu einer kleinen Gruppe von "Ex" (ehemaligen Mitgliedern), die der LCR nahe stehen und zugleich eine kritische Haltung zu ihr haben.

Seine Verbindung zu Russland und seine perfekten Sprachkenntnisse des Russischen ließen ihn zu einem der beiden Spezialisten für die UdSSR werden. Bevor er diese Tätigkeit bei Libération beruflich ausübte, war er unser Sowjetunion-Experte bei La Vérité (damals: Zeitung der PCI). Er wertete die stalinistische Presse minutiös aus und verstand es, darin zwischen den Zeilen zu lesen; in Zusammenarbeit mit Marcel Bleibtreu (1918–2001), der die Zeitung leitete, fertigte er in diesen Jahren kurz vor und nach Stalins Tod (März 1953) die besten Analysen an, die zu finden waren. Man kann nur bedauern, dass er seine Arbeiten, vor allem über die Rote Armee, die zur Armee der Sowjetunion und dann der Russischen Föderation wurde, nicht mehr zu einem Buch zusammenfassen konnte.

Seine Warmherzigkeit und Vitalität, auch sein Humor kamen in allem, was er tat, zum Ausdruck, auch in seiner treuen Freundschaft, die er allen entgegenbrachte, die auf ihn zugingen. Er gehörte zu denen, bei denen man weiß, dass man immer auf sie zählen kann. Wir schulden Antoinette, seiner Lebensgefährtin und seiner Stütze das Leben lang, unsere herzliche Anteilnahme.

Aus: Rouge, Nr. 2147

Aus dem Französischen übersetzt und bearbeitet von Friedrich Dorn; einige Informationen zur Biographie wurden aus dem Nachruf von Hélène Despic-Popovic in Libération übernommen.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 414/415 (Mai/Juni 2006). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Wörtlich: "Rotfüße", ironischer Namen für die Franzosen und Französinnen, die als Fachleute und politisch Aktive in das unabhängige Algerien kamen, während die "pieds-noirs", die französischstämmigen KolonisatorInnen, nach Korsika, Südfrankreich usw. auswanderten bzw. die Lehrer, Verwaltungsbeamten, Techniker, Soldaten usw. ins "Mutterland" zurückgingen (Anm. d. Übers.).