Italien

„Das Projekt der Unione ist gescheitert“

Am 19. April 2006 gab das Oberste Revisionsgericht das amtliche Endergebnis der Parlamentswahlen vom 9./10. April bekannt und setzte damit einer Woche der Anschuldigungen und Machenschaften des Berlusconi-Clans ein Ende. Die genauen Zahlen sind einen Blick wert:

Interview mit Franco Turigliatto

Gemäß Wahlbehörde lag die Unione von Romano Prodi nur 24 755 Stimmen vor der Casa delle Libertà (CdL) von Silvio Berlusconi. In der Nachkontrolle hatte sich der Abstand gegenüber den zuvor vom Innenministerium bekannt gegebenen Zahlen um 469 Stimmen verringert. Die Unione kam insgesamt auf 19 002 598 und die CdL auf 18 977 843 Stimmen.

Zu den Wahlen waren zwei Bündnisse angetreten: Das „besiegte“ Bündnis des bisherigen Regierungschefs Silvio Berlusconi, die Casa della Libertà, besteht aus folgenden Parteien: Silvio Berlusconis Forza Italia; der Alleanza Nazionale des abtretenden Außenministers Gianfranco Fini, der UDC (Unione dei Democratici Cristiani e Democratici di Centro) mit Pier-Ferdinando Casini als bekanntestem Exponenten; der Lega Nord von Umberto Bossi, der mit dem Movimento per l’Autonomia, einer kleinen Partei aus dem Süden unter Leitung von Raffaele Lombardo, zusammenarbeitet; der Nuova Democrazia Cristiana von Gianfranco Rotondi und dem Nuovo Partito Socialista Italiano von Gianni De Michelis; der Alternativa Sociale, einer faschistischen Gruppierung unter Alessandra Mussolini, der Enkelin des Duce; der Fiamma Tricolore, einer faschistischen Gruppe von Luca Romagnoli; den Riformatori Liberali, einer Abspaltung der Radicali Italiani, unter Benedetto Della Vedova; und schließlich No Euro, einer winzigen Gruppierung unter Renzo Rabellino.

Das knapp „siegreiche“ Bündnis unter Führung des ehemaligen Vorsitzenden der EU-Kommission, Romano Prodi, setzte sich aus folgenden Listen zusammen: dem Ulivo, einem Zusammenschluss der drei Parteien Democratici di Sinistra (DS) unter Piero Fassino; Margherita unter Francesco Rutelli und dem winzigen Movimento Repubblicani Europei; der Partito della Rifondazione Comunista (PRC) unter der Leitung von Fausto Bertinotti; dem Zusammenschluss der Socialisti Democratici Italiani von Enrico Boselle und den Radicali Italiani von Daniele Capezzone, die gemeinsam unter dem Namen Rosa nel Pugno (Rose in der Faust) antraten; der Federazione de Verdi unter Führung von Alfonso Pecoraro Scanio; der Liste Italia dei Valori des ehemaligen Richters Antonio Di Pietro; den Populari UDEUR (Unione Democratici per l’Europa) des Christdemokraten Clemente Mastella; Socialisti unter der Führung des Sohnes des verstorbenen Bettino Craxi; und der Rentnerpartei (Partito Pensionati). Im Senat traten verschiedene Gruppierungen mit gemeinsamen Listen an; zudem gab es in den letzten Jahren mehrere Übertritte von der CdL zur Unione.

Der Wahlkampf spielte sich also zwischen einem rechten und einem linken Zentrum ab, in denen bürgerliche Kräfte, verteilt auf verschiedene Listen, sehr zahlreich vertreten sind. Das linke Zentrum wurde offen und tatkräftig von Großindustriellen und Bankiers unterstützt.

Im Abgeordnetenhaus kommt die Unione auf 347 Sitze und die CdL auf 283; im Senat entfallen auf die Unione 158 und auf die CdL 156 Sitze. Die PRC kommt mit 5,83 Prozent der Stimmen auf 41 Sitze in der Abgeordnetenkammer und mit 7,24 Prozent auf 27 Sitze im Senat. Acht der PRC-Abgeordneten werden den Oppositionsströmungen innerhalb der Partei zugerechnet.

Angesichts des institutionellen Kräfteverhältnisses im Senat kann man sich die Wirren vorstellen, die manchen linken PRC-Senatoren bei Abstimmungen, die erhebliche Folgen auf die Lebensbedingungen der LohnarbeiterInnen haben werden, bevorstehen.

Schon am 13. April ließ die eng mit der Unternehmerseite verbundene Tageszeitung Il Sole-24 Ore das Land durch die Feder von Alberto Alesina wissen, welche Entscheide anstünden, mit anderen Worten, welche Leitlinien die Regierung Prodi zu verfolgen habe. Kurz gefasst sind dies: ein Stellenabbau im Öffentlichen Sektor und Steuerentlastungen für die Privatwirtschaft zur Beschäftigungsförderung; die Konzentration der „Sozialhilfe“ auf die Ärmsten im Zuge einer Reform des Sozialversicherungssystems; die Umstrukturierung des privaten und halbstaatlichen Produktivapparats nach dem Muster: „Überlassen wir [die Fluglinie] Alitalia dem Markt, und wenn sie Konkurs geht, dann soll sie das“; die „Verbesserung des Arbeitsmarktes“ sowie Erleichterungen bei Unternehmensgründungen. Zum Abschluss heißt es: „Die Mitte-Rechts-Regierung war nicht fähig, diese Schocktherapie durchzuführen, sei es, weil die wirklich liberalen Kräfte zu sehr in der Minderheit waren, sei es wegen der Unfähigkeit ihrer immer populistischeren, zu sehr auf das Image Italiens im Ausland schielenden politischen Führung. Die kommende Mitte-Links-Regierung sollte den Mut aufbringen, an den [erwähnten] Fronten rasch vorzustoßen, bevor sie sich in den nächsten Wahlkampf verstrickt.“ Eugenio Scalfari betonte in einem langen Artikel in La Repubblica vom 16. April, die Regierung Prodi müsse ein soziales Bündnis aufbauen, das in gewisser Weise jeden Widerstand gegen die Gegenreform, die sie umzusetzen gedenkt, blockieren soll: „Sein politisches Bündnis ist instabil, doch sein soziales Bündnis könnte sehr stark sein, wenn er in der Lage ist, die repräsentativen sozialen Kräfte des Landes zu kontaktieren und mit ihnen zu sprechen. Das kann niemand besser als er.“ Was sich hier abzeichnet, ist jener soziale und politische Maßnahmenkatalog, der erforderlich ist, wenn man ohne allzu starke Gegenwehr eine Reihe von Gegenreformen durchbringen will. In einem Editorial vom 20. April wiederholt La Repubblica, dass unter anderem der PRC die Aufgabe zukomme, zu lösen, „wie die Präsenz antagonistischer Kräfte mit der Regierbarkeit einer modernen Industriemacht vereinbar ist, die zudem radikale Reformen braucht, um das Wachstum wiederanzukurbeln“. Die Bildung einer demokratischen Partei nach amerikanischem Muster aus DS und Margherita ist ebenfalls an dieser Perspektive von Regierbarkeit und Regierungswechseln ausgerichtet – ein weiterer Aspekt, den die PRC vereinbaren wird müssen.

Eine Frage, die in der Öffentlichkeit bereits diskutiert wird, betrifft die Prekarität und damit die Vertragsnormen, mit anderen Worten das so genannte Biagi-Gesetz. Guglielmo Epifani, Vorsitzender des italienischen Gewerkschaftsbundes CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro), der zuerst einige spitze Bemerkungen zugunsten der Abschaffung des Gesetzes machte, trat am 19. April in Anwesenheit von Emma Marcegaglia, Vizepräsidentin des Unternehmerverbandes Confindustria, und Enrico Letta von Margherita, der Partei des ehemaligen Ministers Tiziano Treu, der 1995 eine Arbeitsmarktreform in die Wege geleitet hatte, mit der Idee eines „runden Tisches“ hervor. Neben den Mitte-Links-Parteien sollten sich an diesem runden Tisch die beiden anderen Gewerkschaftsverbände (CISL und UIL), aber auch die Confindustria beteiligen, um ein neues Gesetz zu entwerfen, das die Kontinuität in der Veränderung gewährleisten (La Repubblica vom 20. April 2006). Der soeben auf der Liste des Ulivo wiedergewählte, als ehemaliger Minister gut versorgte Giuliano Amato pflichtete dem Vorschlag erfreut bei. Was sich hier abzeichnet, ist also, auf den Punkt gebracht, eine Art von Neokorporatismus in der Regierungsführung der Unione.

Das Ausmaß und die Zunahme prekarisierter Verhältnisse lässt sich anhand von drei Zahlen ermessen: In der Provinz Turin waren in der letzten Periode 65 Prozent der 243 000 Neuanstellungen befristete Verträge. Cinzia Condello, Arbeitsmarktexpertin dieser Region, stellt fest: „Die Hälfte der Verträge dauert nicht länger als einen Monat.“ (La Repubblica, 13. April 2006). Und Tito Boeri, Professor an der angesehenen Bocconi-Universität in Mailand, gibt in einem Interview in der französischen Tageszeitung La Tribune (5. April 2006) folgende Zahlen an: „Bei unter 27-Jährigen erfolgen 70 bis 80 Prozent aller Neuanstellungen über flexible Verträge. Für ältere ArbeitnehmerInnen ist der Anteil auf 50 Prozent gestiegen. Mehr als die Hälfte der seit 1996 erfolgten Anstellungen erfolgten mit atypischen Verträgen, also befristeten Arbeitsverhältnissen.“ …

Wie vielfach zu recht angemerkt, ist Italien zum Teil ein Versuchslabor für bestimmte politische Entwicklungen in Europa. Das folgende Interview mit Franco Turigliatto, das kurz nach den Wahlen entstanden ist, befasst sich mit wesentlichen Kennzeichen der momentanen Lage und den Aufgaben, die sich der Linken stellen.

Franco Turigliatto ist Senator in Piemont. Er war lange Zeit in der PRC verantwortlich für die Arbeit im Bereich der Großbetriebe. Seine Wahl zeugt von der Anerkennung, die ihm zahlreiche ArbeiterInnen für mehr als 30 Jahre beharrlicher Arbeit zollen, die größtenteils „offiziell“ nicht anerkannt wurde. Neben seinem Mandat als Senator ist Turigliatto weiterhin verantwortlich für die politische Tätigkeit im Arbeitersektor der Region Piemont. Er ist eines der Mitglieder einer PRC-Minderheit namens Sinistra Critica (Kritische Linke).

 A l’encontre: Wie lässt sich das ausgesprochen knappe Wahlergebnis vom 9./10. April erklären?

Franco Turigliatto: Trotz einer tiefen sozialen und wirtschaftlichen Krise, die zu einer starken Ablehnung der Regierung hätte führen können, deutet das Ergebnis nicht auf einen Sieg von Mittelinks. Grundsätzlich lassen sich drei Hauptgründe nennen:

Der erste Grund ist die Fähigkeit der Rechten, dank eines sehr breiten, sehr aggressiven, die Medien dominierenden Wahlkampfs alle potentiellen WählerInnen zu mobilisieren. Sie konnte in einer traumatisierten Gesellschaft geschickt Ängste (vor Steuererhöhungen, den „Bolschewisten“, der „erdrückenden Bürokratie“) und Versprechen, beispielsweise im Bereich der Steuern und der Steuerflucht, miteinander verbinden, womit sie Einfluss auf bedeutende Teile des so genannten Mittelstands hatte.

Der zweite Grund ist, dass trotz der Mobilisierungen und Kämpfe die gesellschaftliche Zusammensetzung der Arbeiterbewegung ausgesprochen begrenzt ist. Was als ArbeiterInnenbewegung bezeichnet werden kann, kann daher keine Hegemonie über die gesamte Gesellschaft ausüben. Das erklärt die Schwierigkeit, nicht nur Stimmen für Mittelinks und Links zu bekommen, sondern auch einen Durchbruch in gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen, die Manipulationen seitens der populistischen Propaganda ausgesetzt sind.

Auf diesem Gebiet hat Berlusconi sein ganzes Können unter Beweis gestellt. Im Lauf seiner Amtszeit erlebte er sehr schwierige Momente und offene Krisen. Er stand unter dem Druck gewisser Massenbewegungen. Dennoch hüteten sich die Gewerkschaften und ein Teil von Mittelinks davor, ernsthaft gegen die Regierung zu mobilisieren. Das betrifft nicht nur die Mobilisierungen gegen den Krieg im Jahr 2003. Ich beziehe mich auch auf die Wahlniederlagen bei Lokal- und Europawahlen von Juni 2004 und vor allem bei den Regionalwahlen von April 2005, als Berlusconis Partei nur zwei der dreizehn Regionen, in denen gewählt wurde, halten konnte. Die Unione respektiert den Rhythmus der Wahltermine, und die gewerkschaftlichen und politischen Kräfte dieser Opposition haben darauf verzichtet, für einen Rücktritt der Regierung zu mobilisieren.

Der dritte Grund hängt mit der großen Schwäche des Wahlkampfs des Mittelinksbündnisses zusammen, das darauf gewartet hat, dass ihm die reifen Früchte in die Hände fallen. Während auf der Rechten ein radikaler, ideologisch stark aufgeladener Wahlkampf geführt wurde, waren die Mittelinkskräfte nicht fähig oder gewillt, breite Bevölkerungskreise auf der Grundlage von einfachen Vorschlägen und Forderungen, die auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen und diese in Bewegung setzen, einzubeziehen. So war Mittelinks beispielsweise in der Steuerfrage völlig in der Defensive, während mit Verweis auf die Ausplünderung der Staatskassen durch die Regierung Berlusconi sehr konkret eine offensive Steuerpolitik hätten legitimiert werden können. Dies wäre selbst im sehr begrenzten Sinn einer Verteilungsgerechtigkeit möglich gewesen, wurde aber verabsäumt. In Wirklichkeit war Mittelinks in allen wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Fragen in der Defensive. Dieses Vorgehen war nötig, da im Bündnis die Überzeugung vorherrschte, der Unternehmerverband Confindustria erleichtere oder sichere den Sieg. So wollte die Unione ihre Forderungen selbst in propagandistischer Sicht nicht zuspitzen, da sie ihre Beziehungen zur Confindustria und allen großen Medien nicht aufs Spiel setzen wollte. Letztere haben übrigens bewiesen, dass sie im aktuellen politisch-medialen Kontext einen Wahlsieg nicht garantieren können.

 A l’encontre: Wie würdest du die Unione soziopolitisch charakterisieren?

F.T.: In der Unione gibt es ein eigenes Segment der alten Christdemokratie, das sich über La Margherita zu Wort meldet. Es gibt einen Teil, der direkt das Kapital vertritt, wie Lamberto Dini [1].

Zudem gibt es das ganze Segment der Linksdemokraten (Democratici di Sinistra, DS), die den Kapitalismus managen und sich ganz dieser Sache verschrieben haben. DS hat zur organisierten ArbeiterInnenbewegung, konkret der CGIL, ein ähnliches Verhältnis wie in den USA die Demokraten zur AFL-CIO.

Darüber hinaus verbirgt sich hinter den Beziehungen, die zu den großen Tageszeitungen aufgebaut wurden, eine organische Verbindung zu Teilen der Großbourgeoisie. Auch die Verbindungen zu den Banken sind sehr stark. Zu nennen wäre beispielsweise Alessandro Profumo, Direktor der UniCredit, der sich im Oktober 2005 neben anderen sichtbar an den Vorwahlen der Unione beteiligte. Damit stellte er sich klar hinter Prodi – ein gewichtiger politischer Akt. Auch die Verbindungen zur Banca Intesa und Giovanni Bazzoli sprechen eine deutliche Sprache.

Man kann also feststellen, dass ironischerweise die Front, die von der Confindustria über die wichtigsten bürgerlichen Zeitungen bis zur PRC reicht, nur 50 Prozent der Stimmen erhalten hat. Die anderen 50 Prozent wurden von einem anderen Teil der Bourgeoisie mit Unterstützung einer Palette an Klein- und Mittelunternehmern, von Teilen dessen, was man als Lumpenbourgeoisie bezeichnen könnte, und natürlich von der einfachen Bevölkerung unterstützt.

Und wenn die Confindustria einen Kompromiss mit der Unione eingeht, was sich abzeichnet, ist dies in gewisser Weise ein wahlarithmetischer politischer Kompromiss der halben Wählerschaft. Was zu ernsthaften Überlegungen Anlass geben sollte, zumindest innerhalb der „radikalen Linken“.

Die politische Führung der Unione glaubte, der plebejische, vulgäre Ton Berlusconis im Wahlkampf sei ein Zeichen von Verlust der Selbstkontrolle oder offensichtlichen Entgleisungen. In Wirklichkeit war diese Art von Propaganda gut einstudiert. Und wenn Berlusconi den Ausdruck „Coglioni [2]“ benutzt, greift er nicht nur einen häufig verwendeten Begriff auf, sondern knüpft auch am ideologisch vorherrschenden Muster an. Selbst in der Linken dominieren Themen wie Individualismus, Marktbeherrschung und die Stellung des Unternehmertums. So erscheint es als nichts Besonderes, diejenigen, die sich diesen Themen widersetzen wollen, als Volltrottel zu bezeichnen.

Berlusconi gelang es zudem, einen wichtigen Teil klein- und mittelständischer Unternehmen, die als einzige Chance für ihr Überleben die möglichst weitreichende Ausbeutung ihrer ArbeiterInnen sehen, gegen die Confindustria aufzubringen. Sie sind weit davon entfernt, sich so gut abzustimmen wie die Confindustria. Das also ist der soziopolitische Rahmen; und der ist sehr schlecht.

 A l’encontre: Wie beurteilst du den Rahmen, in dem die Unione handeln muss?

F. T.: Das Projekt der Unione ist gescheitert. Viele hatten sich erwartet, sie könne die Berlusconi-Front zersetzen. Man kann darüber diskutieren, wie weit dies gelungen ist. Sicher ist auf jeden Fall, dass es Berlusconi gelungen ist, seine gesamte Basis für die Stimmabgabe zu mobilisieren. Man kann nun darüber diskutieren, ob dieser Zusammenhalt Bestand haben wird, da und wenn er nicht mehr die Regierung stellt.

Doch wir befinden uns in einer Situation, in der die gesellschaftlichen und parlamentarischen Kräfteverhältnisse sind, wie ich beschrieben habe. Berlusconi und der Teil der Bourgeoisie, für den er steht, können ständig Druck ausüben und die neue Regierung Prodi erpressen. Diese Rechte unter Berlusconi ist noch immer stabil genug, um das Handeln der Regierung zu beeinflussen. Hinzu kommt der mehr als gravierende Einfluss der Confindustria und der Druck, den die Kirche ausübt.

Die Confindustria hat bereits gesagt, was sie will. Sie will, dass alle Maßnahmen, die zur schrittweisen Prekarisierung geführt haben, unangetastet bleiben. Begleitend soll eine Reform der Integrationskasse [3] erfolgen. Weiter will sie eine Senkung der Unternehmenssteuern, um gemäß einem im ganzen Land nachgebeteten Kredo „mit der internationalen Konkurrenz mithalten zu können“. Dem Unternehmerverband kommt das Programm der Unione entgegen. Er wäre sogar bereit, einige Maßnahmen zur sozialen Abfederung mitzutragen, um die grundlegenden Gegenreformen besser durchziehen zu können.

Und die Kirche spielt mit ihrer ultrareaktionären Kampagne rund um alle Fragen, die „das Leben berühren“, zweifellos eine wichtige Rolle.

 A l’encontre: Die Rifondazione Comunista (PRC) beteiligt sich diesmal an einem Regierungsbündnis, mit all den sich daraus ergebenden Widersprüchen …

F. T.: Ja, die PRC wird in diesem Kontext in der Regierung einem erheblichen Druck ausgesetzt sein, sich möglichst moderat zu verhalten. Der Druck wird umso stärker sein, als unter den Lohnabhängigen das weit verbreitete Gefühl vorherrscht, gegenüber dem Berlusconi-Block eine „Einheitsfront“ bewahren zu müssen. Schon jetzt sagen die ArbeiterInnen, wenn sie erfahren, dass ich neu in den Senat gewählt wurde, in dem die Unione nur zwei Sitze Vorsprung hat: „Vorsicht, es ist wichtig, immer da zu sein. Einige Forderungen werden wir sicher zurückstellen müssen. In dieser Phase müssen wir uns mit dem begnügen, was wir erreichen können.“ Viele sagen mir auch: „Gegenüber Berlusconi muss man Präsenz markieren und sofort ein Gesetz zum Interessenkonflikt verabschieden.“ Gemeint ist die Vermischung von Privatinteressen des Großunternehmers Berlusconi mit denen des Politikers Berlusconi. Dieses Thema wird im Zentrum der kommenden sozialen Auseinandersetzungen stehen. Doch für viele ist es vordringlich, in diesen Interessenkonflikten klare Entscheid durchzusetzen, und sei es auch nur wegen der vergangenen Diskussionen.

Gescheitert ist aber nicht nur das Projekt der Unione; dasselbe gilt für die PRC. Zumindest andeutungsweise stellte sich die PRC-Leitung auf einen massiven Sieg der Unione ein, begleitet von Massenbewegungen und damit der Möglichkeit, ein Kräfteverhältnis herzustellen, in dem die so genannten positiven Punkte des Programms der Unione und allenfalls sogar ein wenig Distanz gegenüber der Regierung durchsetzbar wären. Wobei Letzteres nur konkretisierbar wäre, sofern sich verschiedene Mobilisierungsformen mit einer gewissen Kontinuität entwickelt hätten, wovon man sich fürs erste eine Wirkung auf das Programm und in zweiter Linie einen Einfluss auf dessen Umsetzung durch die Regierung erwartete.

Angesichts des Wahlergebnisses und der institutionellen Situation ist diese Orientierung vorbei. Natürlich wird dieser Misserfolg von der Leitung nicht anerkannt, auch wenn sich in der Partei selbst einige besorgt über diese Frage geben. Die offizielle Version lautet wie folgt: Wir haben einen schönen Sieg errungen, wir sind einer Gefahr [dem Sieg Berlusconis] entronnen. Die Regierung muss nun vorwärtsmachen und ihr Programm umsetzen, denn was droht, ist eine „große Koalition“ [wie in Deutschland].

Angesichts dieser Gefahr einer „großen Koalition“ beteuert die PRC-Leitung, es müsse auf jeden Fall die „Alternanza“, eine Abfolge von Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Regierungen, unterstützt werden. Mit einer Alternative hat das nichts zu tun. Die PRC-Leitung hat stets geleugnet, dass dieses Bündnis im Rahmen der Unione mit der Perspektive auf solche Wechselregierungen verbunden sei. Sie hat stets betont, es handle sich um eine Alternative oder genauer gesagt um einen Übergang zu einer Alternative.

In der allerletzten Zeit war die Leitung in dieser Frage immerhin klarer. Sie erklärte, unter den gegebenen Umständen müssten wir die Wechselregierungen unterstützen, um eine große Koalition zu verhindern. Um das Ganze ein wenig zu versüßen, fügte sie hinzu, dass nur so der Weg zu einer Alternative offen gehalten werden könne. Was nicht mehr als eine simple Behauptung und natürlich keine politische Orientierung ist. Die Leitung setzt voll auf das von vielen bewusst geschürte Gefühl „alles außer Berlusconi“, das auf das „alles außer Bush“ der letzten US-Wahlen anspielt.

 A l’encontre: Wie lautet im Kern eure unmittelbare Antwort auf die aktuelle Lage?

F. T.: Die von uns beschlossene Orientierung lautet wie folgt: Erstens ist jedes Triumphgehabe deplaziert. Der Akzent muss auf die Schwierigkeiten gelegt werden, beispielsweise auf die Unfähigkeit der Unione, ihr Ziel der Zersetzung der Berlusconi-Front zu erreichen. Weiter müssen wir die Tatsache unterstreichen, dass die Regierung ihre Aufgabe oder zumindest das, was von einer breiten Mehrheit ihrer WählerInnen gewünscht wird, nicht wird erfüllen können, da ein zu starker Druck auf ihr lasten wird. Daher muss man in einer Perspektive des Widerstands die ArbeiterInnen wieder mobilisieren, um Maßnahmen durchzusetzen, die diesen entgegenkommen. Nur durch eine solche Dialektik zwischen Mobilisierungen und konkreten Errungenschaften kann wieder ein gewisser politischer Einfluss auf den Sektor der Lohnabhängigen und die einfache Bevölkerung gewonnen werden, die Berlusconi gewählt haben. Auf diese Weise können wir dem „allgemeinen Menschenverstand“, wie ich ihn beschrieben habe und auf den sich die PRC-Leitung in ihrer Politik immer mehr beruft, etwas entgegenstellen. Die Gefahr, dass Prodi wie 1998 die Unterstützung entzogen wird, besteht zur Zeit nicht, oder zumindest deutet nichts darauf hin.

 A l’encontre: Die Dynamik der Unione lässt sich nicht getrennt von ihrem Verhältnis zu den Gewerkschaften sehen. Wie steht es darum?

F. T.: Um dieses Verhältnis zu verstehen, muss man sich den letzten CGIL-Kongress in Erinnerung rufen, der vom 1. bis 4. März 2006 tagte und sehr negativ war. Die Leitung hat sich völlig an die Unione und Prodi angepasst. Zudem wurde die Linke rund um die Metallarbeitergewerkschaft FIOM geschlagen. Sie wurde völlig in die Defensive gedrängt. Der Kongress drehte sich schwerpunktmäßig um die völlige Unterstützung Prodis. Die Erklärung von Guglielmo Epifani unmittelbar nach dem Kongress über die Notwendigkeit, das „Gesetz 30 [4] aufzuheben“, ging auf die momentane Situation zurück. Er musste vorübergehend auf den Druck von Giorgio Cremaschi, dem nationaler FIOM-Sekretär, reagieren. Doch Epifani wird zweifellos einen Ausweg finden. Man darf sich nichts vormachen, seitens der CGIL besteht überhaupt nicht die Absichten, zu kämpfen. Hätte die CGIL-Führung die Absicht gehabt, eine Bewegung gegen das Gesetz 30 aufzubauen, hätte sie das schon lange tun können. Das ist aber nicht geschehen.

In Wirklichkeit geht das heute in Italien bestehende Ausmaß an Prekarität nicht direkt auf das Gesetz 30 zurück, dessen negative Auswirkungen im Übrigen noch nicht voll zum Tragen kommen. Man muss vielmehr vom „Treu-Paket“, benannt nach dem heutigen Margherita-Mitglied Tiziano Treu, ausgehen. Treu war 1995 Minister für Arbeit und Sozialvorsorge der Regierung von Lamberto Dini, einem richtigen Vertreter der Bourgeoisie. Er wurde 1996 von Prodi in seinem Amt bestätigt, und war auch 1998 Minister unter der Regierung von Massimo D’Alema. Aus dieser ersten Treu-Reform ergaben sich eine Reihe von Maßnahmen, die zu einer Verschärfung der Prekarisierung führten. Auf diesen baut das Gesetz 30 auf, das unter Berlusconi in Kraft gesetzt wurde. Diese Gesetz eröffnet die Möglichkeit für eine Vielfalt an befristeten Arbeitsverträgen. In diesem Fall kann man schon gar nicht mehr von Verträgen sprechen. Im Programm der Unione wird im Wesentlichen vorgeschlagen, das Gesetz 30 zu verändern und auf die Erstfassung zurückzukommen, die befristete Arbeitsverträge und Temporärarbeit für einen begrenzteren Teil der Lohnabhängigen vorsieht. Ein Zurückkommen auf diese Fassung würde nicht einmal auf symbolischer Ebene die Erwartungen derjenigen erfüllen, die heute von Prekarität betroffen sind.

Ich erwarte Auseinandersetzungen zu folgenden Fragen: Erstens zur Prekarität, also zum Gesetz 30, da die Confindustria im Wesentlichen daran festhalten will. Etwas anderes ist der Ausgang dieser „Auseinandersetzung“. Danach wird die Frage des „Steuerkeils“ (cuneo fiscale) diskutiert. Das ist eine Erfindung von Prodi. Der Steuerkeil ist die Differenz zwischen direktem Lohn, indirektem Lohn, Beiträgen zur Rentenversicherung und dem Nettolohn der ArbeiterInnen, den sie Ende Monat tatsächlich in Händen halten. Prodi hat vorgeschlagen, diesen Steuerkeil um fünf Prozentpunkte zu senken. Ginge es darum, die Steuerlast der ArbeiterInnen, also ihre Beiträge zu senken, könnte das diskutiert werden und wäre positiv. Doch wenn dieser „Keil“ abgebaut werden soll, indem die Unternehmerbeiträge, die de facto ein Teil des den ArbeiterInnen zustehenden Lohns sind, gesenkt werden, läuft das schlicht auf einen riesigen Betrug hinaus. Es findet nicht nur eine Umverteilung zugunsten der Unternehmer statt, sondern die zukünftigen Renten der ArbeiterInnen werden in Frage gestellt.

 A l’encontre: Die politische Lage in Italien sagt, wie in anderen Ländern, etwas über den Zustand und die Entwicklung der ArbeiterInnenbewegung aus. Wie siehst du das?

F. T.: Das grundlegende Problem, das ich sehe, könnte wie folgt beschrieben werden: Die Kämpfe der letzten Jahre waren nicht unwichtig. Eine Serie von Erfolgen, auf deren Grundlage schrittweise Organisationsformen, Kämpfe oder ein Bewusstsein aufgebaut werden könnten, aus denen sich eine Dynamik entwickeln könnte, die also neue ArbeiterInnenkreise anziehen und zum Aufbau einer Klassenhegemonie führen könnten, hat es aber nicht gegeben. Ich möchte nicht behaupten, dass es gar keine Ansätze dazu gibt. Doch der tatsächliche Prozess des Wiederaufbaus der ArbeiterInnenbewegung – um diesen für manche veraltet klingenden Begriff zu verwenden – bleibt in gewisser Weise in der Schwebe.

Es gibt wichtige, aber nur sporadische Bewegungen, was ihre Gesamtdynamik schmälert. Die letzte Mobilisierung von MetallarbeiterInnen hatte nicht dieselben Auswirkungen auf andere ArbeiterInnenkreise wie früher. Obwohl dieser Sektor der ArbeiterInnen zahlenmäßig nahezu gleich geblieben ist, die Mittel und Formen an wichtige frühere Beispiele sozialer Kämpfe erinnern und sich die MetallarbeiterInnen in manchen bedeutenden symbolischen Fragen durchsetzen konnten, hat das nicht mehr dieselbe gesellschaftliche Wirkung wie früher. Und in materieller Hinsicht sind die Errungenschaften beschränkt. Wenn man die Lage in den Betrieben verfolgt, muss man zudem sagen, dass diese Mobilisierungen das konkrete Kräfteverhältnis nicht verändert haben.

Daher scheint es mir wichtiger, über die Grenzen des Aufbaus eines antineoliberalen, antikapitalistischen sozialen Blocks und die Gründe für diese Grenzen zu sprechen, als darüber zu spekulieren, ob sich der Block hinter Berlusconi halten oder ob er zerfallen wird, wie das viele in der PRC tun. Sonst wird die Gesellschaft den Operationen der Plünderung, der populistischen Demagogie und besser getarnten Gegenreformen hilflos ausgesetzt sein.

Die Hauptverantwortung der PRC-Leitung liegt meines Erachtens darin, die verschiedenen sozialen Mobilisierungen im Rahmen der Unione kanalisiert zu haben. Damit hat sie den Wiederaufbau eines antineoliberalen, antikapitalistischen sozialen Blocks behindert.

Das Interview wurde am 14. April geführt. Fragen, Einleitung und Fußnoten von Charles-André Udry, Redaktion A l’encontre (schweizerische Online-Zeitschrift).


Aus dem Französischen: Tibgrib



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 416/417 (Juli/August 2006).


[1] Früherer Generaldirektor der Banca d’Italia, zwischen Januar 1995 und Mai 1996 Vorsitzender des Ministerrates und von 1996 bis 2001 Außenminister. Dini hat ausgezeichnete Kontakte zu den USA aufgebaut. 2002 trat er von der Forza Italia über den Umweg einer eigenen Partei, des Rinnovamento Italiano, zur Margherita über.

[2] Wortwörtlich „Hoden, Eier“, im übertragenen Sinn „Volltrottel“.

[3] Die Integrationskasse bietet entlassenen ArbeiterInnen Lohnersatz, als wären sie gewissermaßen auf Kurzarbeit gesetzt, und ist eine Errungenschaft der 70er-Jahre.

[4] Das so genannte Biagi-Gesetz über die Prekarisierung des Arbeitsmarktes.