Israel

Die Hexenjagd auf Tali Fahima

Seit zwei Jahren sitzt eine junge israelische Frau im Gefängnis. Vorgeworfen wird ihr die Freundschaft zu Arabern. Vor allem zu einem.

Lin Calozin-Dovrat

Am 18. März 2004 veröffentlichte Hayir Weekly, eine bedeutende Tel Aviver Wochenendzeitung (Haaretz-Gruppe), ein Interview mit einer gewissen Tali Fahima, einer jungen Frau von 28 Jahren, die als Sekretärin in einer angesehenen Anwaltskanzlei in Tel Aviv arbeitet, in dem sie deutlich ihre Kritik an der israelischen Attentatspolitik zum Ausdruck bringt.

Der Artikel berichtet von Fahimas Treffen mit Zachariah Zbeidi, dem Chef der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden von Dschenin. Rona Segal schreibt: „Die Schwierigkeit, Tali Fahima, eine allein stehende Frau, die ein selbstständiges Leben führt, einzuordnen, überschreitet die Demarkationslinien politischer Orientierung. Außer als seltsam, hartnäckig und extrem individualistisch bezeichnet sie sich selbst als ‚News Freak’ (Nachrichten-verrückt)”.

Das Fehlen jeglicher früherer politischer Erfahrung oder irgendeiner politischen Orientierung war für Journalisten und den Geheimdienst GSS (General Security Services) sehr verwirrend. Niemand schien zu wissen, was er von dieser Frau halten sollte, die aus einer einfach lebenden Mizrahim [1]-Familie aus der verarmten südisraelischen Stadt Kiryat-Gat stammte, bei den letzten Wahlen für Likud gestimmt hatte und ansonsten nach eigenen Vorstellungen aktiv war.

Seither musste Fahima einen hohen politischen Preis für die Schwierigkeit der Öffentlichkeit, ihre Aktionen und Motive zu begreifen, bezahlen. Mitte September wurde sie für vier Monate in Gewahrsam genommen, nachdem der Geheimdienst GSS sie 28 Tage lang intensiv befragt hatte. Anscheinend hatte die Befragung nicht genug Indizien erbracht, um sie zu verurteilen. Doch die Öffentlichkeit hatte nach intensiver Medienkampagne ihre Version: Fahima, sagten die Leute, ist entweder Verräterin oder verrückt oder – noch besser – beides.


MUSTER: VERRÜCKTE VERRÄTERIN


Segal war die erste, die den journalistischen Wert der Story erkannte. Sie fügte keine Theorien oder Annahmen hinzu – etwa, was diese Frau bewegte, nach Dschenin zu reisen –, und das Porträt, das sie zeichnete, konnte auf verschiedene Weisen gelesen werden. Doch die Einordnung des Artikels hatte ihren Anteil daran, dass der Eindruck erweckt wurde, Fahima sei Zbeidis Liebhaber, ein saftiges Detail, das auch der GSS in seinen Veröffentlichungen („Lecks”) nach Fahimas erster und zweiter Verhaftung weiter förderte.

Fahimas Frontalbild, auf dem sie einen von Zbeidi geschickten Teddybär mit der Aufschrift „I love you” hält, während sie gleichzeitig eine anwaltstypische Bluse und Brille trägt, fügte der Unterzeile des Redakteurs einen Hauch von Abartigkeit hinzu: „Noch vor zwei Jahren wählte Tali Fahima Likud und war für eine militärische Lösung des Konflikts. Jetzt versteht sie sich selbst als menschliches Schutzschild für den Chef der Al-Aqsa-Brigaden im Bezirk von Dschenin, den gesuchten Zachariah Zbeidi, der drei ‚Eliminierungsversuchen’ entkommen ist. Was ist ihre Story?”

Obwohl der Artikel erwähnt, dass Fahima alle romantischen Hypothesen abweist, enthält er doch zahlreiche implizite Fragezeichen. Auf „die Schwierigkeit, Tali Fahima einzuordnen” folgt sofort „eine allein stehende Frau, die ein selbstständiges Leben führt”, und in großer Nähe steht dann der Ausdruck „News Freak (Nachrichten-verrückt)”.

Das Bild einer verwirrten, einsamen Frau ist das Echo dessen einer Hexe, einem Geschlechtermuster, das in einer traditionellen Gesellschaft wie der israelischen immer noch von großer Bedeutung ist. Dies wird sofort durch einen von Fahima wiedergegebenen Satz von Zbeidi bei ihrem ersten Treffen unterstrichen: „Ich habe schon viele verrückte [abnormale] Leute gesehen, aber du bist wirklich verrückt. Ich habe nicht geglaubt, dass du kommst.”

Weiter unten, als Fahima von ihrem ersten Treffen mit Zachariahs Frau und Kind berichtet, fragt Segal: „Und du hattest keine Angst, dass sie Zeichen von Eifersucht zeigen könnte?” Die beiden archetypischen Bilder, das der Liebhaberin und der verwirrten Ausgestoßenen, werden vermengt, einmal einfach aufeinander folgend, ein andermal zu einem neuen Bild vergossen – dem der Verräterin.

In einem Artikel aus der Zeit von Fahimas erster Verhaftung (1. Juni 2004, Walla-Portal, Haaretz-Gruppe) erinnert Offer Aderet den männlichen israelischen Leser daran, dass „die Suche in den Archiven ergab, dass Fahima nicht ‚unser’ erstes Mädchen wäre, das in den Weiten von Judäa und Samaria auf dem Schoß eines Tanzim [2]-Herzensbrechers kuschelte”.

Aderet zufolge hat dieses seltsame Phänomen eine kurze Geschichte, zu der die Fälle von Angelica Yossefov (die wegen Beihilfe zum Terrorismus einsitzt) und Neta Golan, der Gründerin der International Solidarity Movement (Internationale Solidaritätsbewegung – ISM), zählen. Über Yossefov, die erst spät aus einem der muslimischen Staaten der früheren UdSSR einwanderte, schreibt er: „Das Entscheidende ist, dass sie als Einwanderin nicht wusste, dass das, was in ihrem Geburtsland üblich ist – Beziehungen zwischen einer Jüdin und einem Moslem – in Israel als extremes Tabu gilt.”

Die Frauen in Schwarz berichten, dass sie sich auf ihren wöchentlichen Demonstrationen schlimme Worte anhören müssen wie „Araberhure” oder „Arabernutte”. „Araberliebchen” ist im Hebräischen ein üblicher herabsetzender Ausdruck für jemanden mit linken Positionen. Die deutliche Gleichsetzung von „linker Frau”, „Araberliebchen”, „Hure” und „verwirrt” beschränkt sich nicht auf einen bestimmten Diskurs, sondern wird von vielen geteilt.

Oder mit Aderets Worten: „Einige Fragen bleiben offen: Was bringt ein patentes junges Mädel dazu, ihr Leben zu riskieren, das Gesetz zu brechen und Kontakt mit einem gesuchten bewaffneten Mann mit ‚jüdischem Blut an den Händen’ zu suchen? Ist es der Reiz des Abenteuers? Sexuelle Anziehung? Romantizismus? Politische Positionen? Oder einfach nur Verrücktheit?” Die Annahme, dass das Ausbrechen aus den strengen gesellschaftlichen Normen etwas mit politischen Positionen zu tun haben könnte, steht fast am Ende der Liste und wird nur noch gefolgt von der – für Aderet – viel „wahrscheinlicheren” Hypothese, dass die Frau einfach geisteskrank ist.

Vier der fünf angebotenen Erklärungen für Fahimas Handlungen suggerieren deutlich irrationale Verhaltensmuster. Im ersten Satz bringt Aderet deutlich Distanz zum Ausdruck, indem er das Pronomen „unser” in Anführungsstriche setzt („unser” erstes Mädchen), als wollte er zum Ausdruck bringen, dass der Besitz nicht sein eigenes Paradigma, sondern die Doxa, die allgemeine Meinung, zum Ausdruck bringt, nachdem jüdische Frauen Eigentum jüdischer Männer seien.

Dadurch bekräftigt er nur, dass er als Leser jüdische Männer vermutet und dass er deren Vorstellungen vom Geschlechterverhältnis teilt, womit er fest im Rahmen der gängigen rhetorischen Position zu dem Thema bleibt, was in der Rhetorik als „Topos” bezeichnet wird. Für den Sprecher ist ein Topos ein höchst wertvoller Begriff – er erlaubt ihm, die vorhandenen moralischen „Konglomerate” zu erkennen und sie so effektiv gegenüber seinem Publikum einzusetzen.

Beim Bild der weiblichen Verräterin können wir sehen, wie nur durch Erwähnung von zwei oder drei der Charakteristika des weiblichen Topos zwangsläufig auch die übrigen freigesetzt werden. Die logische Kette ist: unverheiratete Frau + linke Ansichten und/oder herzliches Verhältnis zu einem männlichen Führer des palästinensischen Widerstands = sexuelle Verräterin.

Vom rhetorischen Standpunkt besteht die Schönheit von Topoi (Plural von Topos) in ihrer halb offensichtlichen und halb logischen Struktur, die es ihnen erlaubt, ein extrem nützliches, unsichtbares und ökonomisches Überredungsmittel zu sein. Spricht man das rassistische Topos der nationalen/religiösen Reinheit sexueller und emotionaler Beziehungen an, wird ein offensichtlich anderer, der der verrückten, ausgestoßenen Frau ausgelöst. Und schon ist das Bild der weiblichen Verräterin fertig. Kein Wunder, dass das Ethos einer Frau, die es wagt, ihre Befreiung gegen die Regeln ihrer eigenen nationalen Gemeinschaft zu erstreiten, nicht sehr verbreitet oder auch nur akzeptiert ist, um es vorsichtig zu sagen. Vor allem nicht, wenn sie alleine handelt.


SUCHE NACH DER WAHRHEIT


Zur ersten Begegnung zwischen Fahima und dem GSS kam es schon, bevor sie sich an die Medien wandte und anscheinend sogar bevor sie überhaupt die Idee hatte, Dschenin zu besuchen. Als Fahima, wie sie in vielen Interviews erwähnt, für den Konflikt [zwischen Israelis und Palästinensern – d.Üb.] interessierte und merkte, dass sie den israelischen Medien nicht vertrauen konnte, die verschiedenen Aspekte objektiv darzustellen, begann sie, über das Internet Kontakt mit Surfern aus den arabischen Staaten aufzunehmen.

Einige dieser Kontakte entwickelten sich zu herzlichen Telefongesprächen. Als ungewöhnlich hohe Telefonrechnungen aufliefen, wurde sie ins örtliche Polizeirevier zu einer ersten Befragung durch den GSS einbestellt. Damals glaubte Fahima, dass die Tatsache, dass sie sich an keinerlei institutionalisierter politischer Aktivität beteiligte, sie vor weiterer Verfolgung durch den GSS schützen werde.

In Segals Artikel sagt sie: „Er [der GSS-Agent] verhörte mich kurz fragte, warum ich mit so vielen Arabern spreche und ob ich zu irgendeiner politischen Gruppe gehöre. Ich verneinte das, und er ließ mich alleine.” Umso größer dann der Schock, als der GSS sich dann im Mai entschloss, sie zu einem langen Verhör vorzuladen, nachdem sie zwei Wochen in Dschenin gewesen war.

In einem Artikel (R. Ben-Tzur, 29. Mai 2004) auf Y-NET, dem Internet-Auftritt von Yediot Ahronot, wird der Polizeivertreter vor Gericht, Fadlon, mit den Worten zitiert: „Fahima war bereits einige Monate zuvor verwarnt worden, nachdem sie im A-Gebiet [palästinensisch kontrolliertes Gebiet nach dem Osloer Teilungsplan] aufgegriffen worden war. Sie war unter der Bedingung freigelassen worden, dass sie sich verpflichtet, nicht noch einmal nach Dschenin zu gehen.”

Das Betreten des A-Gebiets sowohl durch jüdische als auch palästinensische Bürger Israels war vom Militärregime in den besetzten Gebieten zu Beginn der jetzigen Intifada verboten worden, doch haben zwei Schiedsgerichtsurteile bestätigt, dass diese Schwerverbrechen nach dem Militärrecht nicht vor einem staatlichen Zivilgericht verhandelt werden können. Dies mag erklären, warum die Polizei nicht besonders interessiert ist, Verhaftungen auf dieser Grundlage vorzunehmen.

Israelische Bürger betreten die A-Gebiete normalerweise aus den verschiedensten Gründen – Einkäufe, Geschäftliches (seltener in diesen Tagen), Besuch palästinensischer Bekannter oder Verwandter oder um Unterstützung für die palästinensische Sache zu zeigen. Mitglieder von NGOs oder politischer und humanitärer Organisationen wie auch FriedensaktivistInnen tun dies tagtäglich, oft in kleinen Gruppen. Manchmal kann es schwierig sein, einen Kontrollpunkt zu passieren; schlimmstenfalls kommt es zu Verhaftungen für 24 Stunden. Vor Gericht können sie zu einer Geldstrafe verurteilt oder ein Urteil kann ihnen das Betreten bestimmter Orte verbieten.

Andere politische Aktive sind vom GSS nach Phasen intensiver politischer Aktivitäten verhört worden. Doch Fahimas Fall ist etwas Besonderes, wenn man das lebhafte Interesse betrachtet, das der GSS an ihr seit Beginn ihrer politischen Suche zeigte. Obwohl Fahima Geld für ein humanitäres Projekt in Dschenin beschaffte und das erste Mal verhaftet wurde, als sie die erforderlichen Vorbereitungen für die Zulassungen eines pädagogischen Zentrums dort abgeschlossen hatte, gab es von Seiten organisierter Linker nicht weniger zweifelhafte Reaktionen, weil sie alleine handelte.

Linke Knesset-Abgeordnete waren nicht besonders engagiert, sie zu unterstützen, und sogar radikalen Friedensaktivisten waren ihre Motive suspekt. In persönlichen Gesprächen, die ich mit verschiedenen erfahrenen AktivistInnen nach ihren Verhaftungen hatte, wurden Fragen aufgeworfen, die man als extrem unangebracht empfunden hätte, wenn eine unbekannte organisierte Person in einem ähnlichen Fall betroffen gewesen wäre. Die fehlende Bereitschaft politischer Gruppen, mit ihrem Namen in Verbindung gebracht zu werden, schien einen Schatten über all ihre Aktionen zu werfen, die sonst als kühn und sogar großartig im Verhältnis zu den Normen der Bewegungen betrachtet worden wären. Dass sie ein GSS-Spitzel oder einfach eine verrückte Frau mit einem sexuellen Komplex sein könnte, wurde mehr als einmal vermutet.


INDIVIDUUM UND GRUPPE


Politik muss in Gruppen gemacht werden. Von dominanten und individualistischen Aktiven wird erwartet, dass sie ihre eigenen Gruppen gründen, aber nicht einfach alleine handeln. Trotzdem betont das ethisch-politische Modell der westlichen Gesellschaften, wie es in Kants „Was ist Aufklärung” entwickelt wurde, die Bedeutung der individuellen Verantwortung im politischen Raum. Im Zeitalter der Aufklärung müsse jeder Mensch sich aus „aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit” lösen und „sich seines Verstandes ohne die Leitung eines anderen […] bedienen”.

Das Wesen des politischen Aspekts des menschlichen Seins wird dann aus dem soziologischen Raum in den einer sehr persönlichen (und trotzdem universellen) Antwort auf ein ideales und kategorisches Konzept der Reife verlegt. Politische Aktivität, das Verwalten der Angelegenheiten der Polis, wurde immer als die edelste betrachtet, aber Modernität verändert ihre Essenz – sie stammt jetzt aus einem anderen Ursprung – dem Auftreten des Subjekts.

Dieses Auftreten ist ebenso wunderbar wie Athenes Geburt aus dem Kopf des Zeus, denn es ist das Subjekt selbst, das seine eigene Geburt bewirkt. Wenn die Verpflichtung, als politisch Tätiger zu handeln ihre essentielle Grundlage im Begriff der Subjektivität findet, dann übersetzt sich ethische Reife zuerst selbst in einen individuellen Akt. Überraschend und etwas inkonsistent mit dem weithin akzeptierten kantianisch-modernistischen Modell wird von Individuen erwartet, dass sie ihre politische Subjektivität nur im Rahmen anerkannter Institutionen und unter Kontrolle der Meinungen und Normen ihrer jeweiligen Gruppen entfalten.

Für Intellektuelle ist es immer noch extrem schwierig, gehört zu werden, wenn sie nicht an der Universität lehren oder als Journalisten arbeiten. Das Parteipolitikmodell mag durch Einbeziehung von Bewegungen, Bündnissen und des eher kapitalistischen NGO-Modells (wo Individuen für ihre politische Arbeit bezahlt werden) erweitert worden sein, aber soziologisch gesprochen ist die übliche Formulierung und Ausübung von Politik einige wichtigen Stammesritualen geprägt: Um sich selbst öffentlich ausdrücken zu können, muss der Name eines in der politischen Sphäre Tätigen vom Namen der akademischen Institution oder der NGO, für die sie tätig ist, oder der politischen Gruppe, der er angehört, begleitet sein.

Die Aufnahmebedingungen variieren von einer politischen Gruppe zur anderen, aber sie sind offenkundig nicht begrenzte auf die veröffentlichten Regeln oder gar die anerkannten Normen, wie sie von den Subjekten, die sich selbst als „Gruppenmitglieder” betrachten, konzeptionalisiert werden. Institutionen mit bezahltem Personal wie Verbände, Universitäten, politische Parteien und NGO’s benennen klar ihre „Mitgliedschaftsbedingungen”, während Bewegungen und Freiwilligenorganisationen der Zivilgesellschaft dazu tendieren, wesentlich lockerere formale Regelungen zu haben, wer Mitglied werden kann und wer nicht.

Ta’ayush (Arabisch-Jüdische Partnerschaft) besteht – inspiriert vom postmodernen Modell, wie es von der Antiglobalisierungsbewegung vorgeschlagen wird – darauf, keinen Mitgliedschaftsapparat zu haben. Wer immer an den Aktivitäten der Bewegung teilnimmt, ist ein Ta’ayush-Aktivist. Die Mitgliedschaft kann weder erworben, noch verloren werden, da sie einfach das Ergebnis von Initiierung, Planung und Durchführung von Aktionen ist. Aber auch dieses existenzialistische Modell kann nicht dem entscheidenden Problem entgehen: „Wer ist aktiv in der Gruppe?” Kann einfach in irgendeiner auf diesem Modell aufgebauten Gruppe teilnehmen? Prinzip und Realität scheinen eine gewisse Diskrpanz zu manifestieren, wenn multi-kulturelle und diskursive Empfindlichkeiten in der Konzeptionalisierung der tatsächlichen sozialen Realität immer relevanter werden.

Alle politischen Formate wie wir sie kennen bringen implizite Akzeptanzcodes hervor, die sicherstellen sollen, dass „Fremde” die ideologischen, diskursiven und „stammesmäßigen” Elemente, die die ursprünglichen Gruppenmitglieder binden, nicht verwässern. In einer humorvollen Passage berichtet Dorit Pankar von ihren Erlebnissen mit israelischen linken Bewegungen und Ereignissen wie Ta’ayush und dem Activism Festival (Israelisches Sozialforum): „Um Mitglied zu werden ist es anscheinend in all diesen Gruppen erforderlich, dass ich meine ganze Welt ändere und meine Hausarbeiten gut erledige, bevor ich in die Klasse komme. In jeder solchen Gruppe gibt es ‚Aufnahmeprüfungen’, und so zog ich mich von all diesen Vereinigungen zurück, da ich nicht in der Lage war, ihren Forderungen Genüge zu tun.” (Mi’Tzad Sheni, Bd. 2, Januar 2003, AIC)

Tali Fahima, aufgewachsen in der abgelegenen und verarmten Stadt Kiryat Gat und von jüdisch-arabischer Abstammung, hatte absolut keinen symbolischen oder tatsächlichen Zugang zu den ausdrücklich Aschkenasim [3]- und Mittelklasse-orientierten linken Gruppen. In persönlichen Gesprächen, die wir vor ihrer Haft hatten, erzählte sie mir, dass sie bei verschiedenen Gelegenheiten Veranstaltungen linker Vereinigungen besucht hatte, weil sie mehr über den Konflikt lernen wollte. Doch sie hatte, wie sie hinzufügte, nicht das Gefühl, dass das, was auf diesen Zusammenkünften gesagt wurde, sie ansprach oder ihre essenzielleren drängenden Fragen beantworten könnte.

Journalisten, Medienkonsumenten und Aktivisten waren der Meinung, dass die nicht organisierte Fahima, die aus dem Nichts kam, sich nicht „politisch genug ausdrückt”. Fahima war einem intensiven Presseecho ausgesetzt, und einige ihrer Äußerungen waren nicht nur extrem politisch, sondern vermittelten einige sehr verbreitete linke Positionen. In einem Interview mit dem südisraelischen Lokalblatt Qol ha-Darom („Stimme des Südens“) (4.6.04) antwortete sie Amir Schoan auf die Frage, ob sie denn die israelische Seite des Konflikts überhaupt verstehe:

„Sicher, ich stelle meine israelische Identität in den Vordergrund, aber ich bin der Beleg dafür, dass der Staat nicht demokratisch ist. Als ich freigelassen wurde, sagte ich ihnen [dem GSS], dass sie eine terroristische Organisation sind. Ein Besatzerstaat ist nicht demokratisch. Ich weiß, dass sie mich verdächtigten, aber es ist ungesetzlich, mich für eine Befragung einzukerkern. Irgendwer dort wurde nervös, weil ich als Zivilist Zbeidi erreichen konnte.

Es ist klare Politik des Verteidigungsministeriums, alle Kontakte zur Zivilbevölkerung abzuschneiden, weil sie nicht wollen, dass wir wissen, was sie da tun.” Abschließend sagt Fahima dann in dem Artikel: „Ich kam, um einem Freund zu helfen. Lasst die [Angelegenheiten der] Staaten Israels und der Palästinenser beiseite. Meiner Meinung nach war ein Freund in unmittelbarer Gefahr und ich kam, um ihm zu helfen.”

Als sie bei anderer Gelegenheit (Oren Huberman, Nana-Portal, 2.6.04) über die Gefahr sprach, die sie bei ihrem ersten Treffen mit Zbeidi spürte, fragte der Journalist sie: „Ist das nicht ein sehr hoher Preis für die Befriedigung der Neugier?” Fahimas Antwort entsprach irgendwie nicht ganz dem korrekten politischen Diskurs: „Das ist kein zu hoher Preis, um die Wahrheit zu erfahren.” Werte wie Freundschaft und Wahrheitsliebe zu priorisieren, ist alles andere als bon ton (etwa: „angesagt”) und mag von linken AktivistInnen als „apolitisch” betrachtet werden. Es sollte uns daran erinnern, dass ein sehr berühmter Philosoph mit seinem Leben bezahlt hat, weil ihm die Liebe zur Wahrheit wichtiger als die Liebe zur Polis war. Fahima mag nicht so gebildet sein wie Sokrates, nicht so weise oder eloquent. Aber sicher teilt sie mit „dem Göttlichen” die Bereitschaft, einen hohen Preis für ihre Wahrheitsliebe zu bezahlen.

Diese Art von Zeichen inspiriert andere, ihnen zu folgen. Vielleicht nicht viele, nicht die Massen. Und doch ist es klar, dass trotz aller Verachtung, Verdächtigung und Verwirrung, die Fahima auslöst, es Menschen gibt, die bereits jetzt ihr Potenzial als eine künftige Führungspersönlichkeit sehen. Ihrem Ethos nach zu urteilen, wie es in ihren Medienauftritten porträtiert wurde, scheint Fahima nicht soweit zu sein, andere Menschen auf der Suche nach Wahrheit, Freundschaft und gegenseitigen Respekt zu führen. Doch manche sagen, dass Gefängnisse gut darin sind, Führer zu schaffen.

Wir können nur hoffen, dass Fahima bei ihrem Abscheu vor fertigen Rezepten bleibt und sich mit anderen auf der Suche nach einem neuen Führungsmodell zusammenschließt, das kooperativer, wahrheitsliebender, weniger stammesmäßig und vor allem feministischer als alle die ist, die wir bisher kennen.

Dieser Artikel erschien erstmals in News from Within, der Zeitschrift des Alternative Information Centre in Jerusalem.

Lin Chalozin-Dovrat ist politisch aktiv im Frauenbündnis für gerechten Frieden und lehrt Philosophie und Rhetorik an der Kunst-Fakultät des Beit-Berl-College.

Für aktuelle Informationen siehe http://www.freetalifahima.org/eng.php?lang=en

Übersetzung und Anmerkungen: B. Mertens



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 418/419 (September/Oktober 2006) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Orientalische Juden

[2] Radikaler Flügel der Al-Fatah. Tanzim war aktiv im Straßenkampf der zweiten Intifada, hat aber auch einige Selbstmordattentäterinnen rekrutiert. – d.Üb.

[3] Mittel- und osteuropäische Juden