Nach vielen Jahren Unruhe bis hin zu dezidierten Straßenkämpfen gibt es jetzt nur noch ein leeres Grundstück, wo bis vor kurzem ein Haus stand, das von Initiativen und Kreativität sprudelte und gleichzeitig ein Symbol für die Geschichte der Arbeiter- wie der Frauenbewegung war.
Die Verantwortung dafür tragen Sozialdemokraten und bürgerliche Parteien im Stadtrat, die das Ungdomshuset (Jugendhaus) am Jagtvej verkauften – ein Haus, von dem der konservative Kulturbürgermeister Thustrup Hansen schon 1999 sagte, es sei der Jugend geschenkt und man könne „ein Geschenk nicht erst geben und dann wieder zurücknehmen“ (TV-Lorry, 07.03.07).
Dennoch entschloss sich eine politische Mehrheit, das Haus zu verkaufen und anschließend der Christensekte Faderhuset (Vaterhaus) das Recht zu geben, die jungen Nutzerinnen und Nutzer hinauszuwerfen und das Haus niederzureißen. Diese Politiker haben das Problem geschaffen und sich jeder einleuchtenden Lösung widersetzt. Nutzerinnen und Nutzer des Jugendhauses mussten nicht nur diese politische Verstocktheit mit ansehen; sie wurden auch aus ihrer Zufluchtstätte hinausgeworfen und mussten erleben, wie das Haus von Kranen und Bulldozern zertrümmert wurde.
Gegenkultur – obdachlos„In Erinnerung: Jagtvej 69, 1897–2007“ – Das stand auf einer Kranzschleife vor dem Ungdomshus (Jugendhaus) im Kopenhagener Jagtvej 69, während Bulldozer und Abrissbirnen das Gebäude zerstören und die bisherigen Nutzerinnen und Nutzer vom gegenüberliegenden Bürgersteig heulend zusehen. Aber der Kampf für ein neues Haus wird mit täglichen Kundgebungen und Happenings fortgesetzt, und im Stadtrat fordert u.A. die rot-grüne Einheitsliste eine politische Lösung.Das historische Haus am Jagtvej 69 war immer Teil des politischen Kampfs. Es wurde 1897 von Arbeitern errichtet, die einen Platz für Versammlungen brauchten. Jahrzehntelang war es unter dem Namen „Arbeiterpalast“ Zentrum für Feste und Kämpfe. 1901 wurde die erste Frauengewerkschaft (KAD) in diesem Haus gegründet und 1910 rief Clara Zetkin hier den Internationalen Frauentag aus. Sowohl Lenin als auch Rosa Luxemburg haben hier gesprochen. Seit 1982 war das Haus ein autonomes Kulturzentrum gewesen. Unter starkem politischem Druck mit Hausbesetzungen und Demonstrationen gab die Stadtregierung das Haus der Jugend zur Nutzung. Seither war das Haus vollständig selbstverwaltet und bildete als Zentrum der autonomen politischen Kultur einen Kristallisationspunkt der alternativen Musikszene ganz Skandinaviens. 1999 traf der Stadtrat die fatale Entscheidung, das Haus zu verkaufen. Im Jahre 2000 wurde es von einer kleinen christlich-fundamentalistischen Sekte gekauft. Obwohl eine von Gewerkschaftsführern, Rechtsanwälten und früheren Nutzerinnen und Nutzern gegründet Stiftung anbot, das Haus zu kaufen, suchte die Sekte die Konfrontation und behauptete, die Nutzer würden auf der Seite des Satans kämpfen. Nach einer Reihe juristischer Auseinandersetzungen errangen die Christen im August den juristischen Anspruch auf das Haus. Der Kampf…Am frühen Morgen des 1. März setzte ein Militärhubschrauber eine Antiterroreinheit der Polizei auf dem Dach des Hauses ab. Die Räumung hatte begonnen. In den folgenden Stunden sammelten sich Demonstranten auf den Straßen und Plätzen um das Gebäude. An der Polizeikette kam es zu Auseinandersetzungen. Die Polizisten erklärten die Demonstration für aufgelöst, und in den nächsten zwei Tagen breiteten sich Straßenschlachten mit brennenden Autos, Barrikaden, Pflastersteinen, Tränengas und Pflastersteinen auf verschiedene Teile der Stadt aus. Mehr als 750 Personen wurden verhaftet. Ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss stürmten die Polizisten politische Organisationen, darunter die Rechtsgruppe des Jugendhauses. Die Polizisten griffen private Häuser und linke Wohngemeinschaften an und verhafteten jeden, den sie antrafen. Friedliche Demonstrationen wurden ohne Vorwarnung mit Tränengas und Schlagstöcken attackiert. Wen die Polizisten erwischten, der wanderte den Verteidigern zufolge automatisch mehrere Wochen in den Knast und Kinder unter 15 wurden zusammen mit Erwachsenen eingesperrt. „Das Gericht wurde zur juristischen Irrenanstalt“, schrieben sechs Verteidiger in einem Offenen Brief an die Zeitung Politiken.… geht weiterTausende trotzten den Polizisten und zeigten ihre Unterstützung für das Jugendhaus auf verschiedenen Demonstrationen. Aber wir brauchen noch breitere Demonstrationen, um eine noch größere Bewegung aufzubauen, um die Politiker zu einer anderen Politik zu zwingen. Und wir brauchen mehr besetzte Häuser und einen Kampf, der die Menschen nicht durch Gewalt abschreckt. Das ist der Weg zum Aufbau einer Gesellschaft mit Raum für Differenzen, Flüchtlinge und Jugendhäuser und ohne Polizeigewalt, Rassismus und Krieg.Martin Hammer, Mitglied der SAP/IV. Internationale |
Auch die Regierung hat versucht, aus dem Konflikt billige Punkte zu holen, indem sie sich als „Verteidiger des Rechtsstaats gegen verhätschelte Jungterroristen“ darstellte. Mit voller Unterstützung für die Polizei und Erklärungen über die Verantwortung der Eltern und der Androhung, sie für Zerstörungen ökonomisch verantwortlich zu machen, bestritten sie jede politische oder gesellschaftliche Verantwortung für den Konflikt, der alleine zum Ausdruck individueller Probleme einige Jugendlicher und deren mangelnder Erziehung gemacht wurde – wobei die Proteste gegen die wachsende Gleichschaltung und Individualisierung, die Jugendliche erleben, völlig ignoriert werden.
Auch die Presse trägt Verantwortung. Was dieser Konflikt für den neugegründeten Nachrichtenkanal TV2-News bedeutete, kann in Werbekronen gar nicht gemessen werden –mit „breaking news“ und einem Helikopter über [dem betroffenen Stadtteil] Nørrebro rund um die Uhr hat der Sender es verstanden, das Maximum herauszuholen. Der Rest der Presse folgte mit mehr oder weniger gut untermauerten, aber immer dramatisierenden Überschriften.
Dass die Polizei sich als Werkzeug in einem politischen Konflikt hat einsetzen lassen, kann nicht verwundern. Die Polizei trägt Mitverantwortung für die Eskalation des Konflikts durch ihre Strategie, „zuerst zuschlagen“, legale Demonstrationen aufzulösen, Verhaftungen vorzunehmen und bis dahin friedliche Demonstrationen mit Tränengas anzugreifen.
Gleichzeitig hat die Polizei die Stimmung angeheizt und versucht, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu untergraben, indem sie die Menschen aufforderte, sich von den Straßen Nørrebros fernzuhalten. Auch Durchsuchungen von Privatwohnungen und Büros politischer Organisationen – manchmal auch ohne richterliche Durchsuchungsbefehle – sowie Massenverhaftungen und Untersuchungshaftbefehle am Fließband ohne überzeugende juristische Behandlung des Einzelfalls dienten mir dazu, die Stimmung anzugeizen und den Rechtsstaat zu untergraben, den die Polizei doch schützen soll.
In dieser Situation verwundert es nicht, dass einige frustriert sind und zu Gewalt und Zerstörung greifen. Es kann auch nicht verwundern, dass einige Gruppen auf die Ideen kommen, dass dies die einzige und beste Art sei, das System zu bekämpfen. Es ist wirklich nicht schwer zu verstehen, dass manche so reagieren.
Aber dieses Verständnis ändert nichts daran, dass das Zerschlagen von Schaufensterscheiben, das Zerstören der Autos einfacher Bewohnerinnen und Bewohner von Nørrebro und das Abfackeln einer Schulbibliothek durch und durch unsolidarisch sind. Zusammen mit Bränden und Pflastersteinen hat das viele, die das Jugendhaus und seine Nutzerinnen und Nutzer unterstützt hatten, dazu gebracht, sich gegen sie zu wenden, und andere blieben zu Hause, statt an Demonstration o.Ä. teilzunehmen.
Es hätte andere Möglichkeiten gegeben.
Vielleicht wäre der Jagtvej 69 nicht zu retten gewesen. Aber man hätte mit der vorbereiteten Besetzung der anderen Gebäude reagieren können, die als neues Jugendhaus im Gespräch waren, und Unterstützer und Sympathisierende auffordern zu kommen und einen permanenten Sperrgürtel um das Haus zu bilden.
Vielleicht hätte die Polizei auch das nächste Gebäude geräumt. Doch mit jedem neuen Haus wäre es für die Polizei schwieriger und mit jeder neuen Besetzung der Druck auf die Politiker größer geworden. In gewisser Weise war das die Methode, mit der vor 25 Jahren das Ungdomshus im Jagtvej erkämpft worden war. Aber das hätte vorausgesetzt, dass Nutzerinnen und Nutzer sich kollektiv von der Idee lösen, alle hätten das Recht, auf ihre Art und mit ihren Methoden aktiv zu werden und alle Methoden seien gleich gut und akzeptabel.
Diese fast totale Freiheit kann im Alltag eines selbstverwalteten Jugendhauses funktionieren und den Freiraum schaffen, für den Bedarf besteht. Aber diese Organisationsform taugt nichts, wenn gekämpft werden muss. Sie bringt keine Erfolge, unter Anderem weil sie die Aktiven von den breiten Gruppen in der Gesellschaft trennt, die man zur Unterstützung gewinnen könnte.
Es ist nicht gelungen, den Kampf politisch zu machen. Solange die Kampfziele unklar sind, wird zu leicht die Polizei als Gegner gesehen, und so kommt die Gewalt allzu sehr in den Fokus. Und das ist destruktiv für die Unterstützung.
Es ist daher eine wichtige Lehre, dass die anarchistische Methode zwar gut ist, Kreativität zu fördern und zu stärken, aber dass sie weniger gut für eine zielgerichtete Konfrontation mit der ganzen Gesellschaftsmaschinerie geeignet ist.
Der Kampf ist nicht verloren!
Wir brauchen kreative und soziale Freiräume – auch in Kopenhagen. Wir brauchen selbstverwaltete Jugendhäuser. Die Stadt Kopenhagen hat die Verantwortung, deren Existenz zu sichern und zu finanzieren – genauso wie Sporthallen, Freizeitheime, Parks und Altentagesstätten.
Diese Verantwortung liegt bei den Politikern im Kopenhagener Stadtrat, und vor dieser Verantwortung können sie nicht fliehen, nur weil es Gewalt – auch sinnlose Gewalt – auf den Straßen gegeben hat.
Hier und jetzt können wir maximalen Druck auf die Politiker ausüben, indem wir
die Idee eines selbstverwalteten Jugendhauses unter Freundinnen und Freunden, in der Schule, der Familie und am Arbeitsplatz erklären und verteidigen
möglichst viele Menschen zu den friedlichen Demonstrationen mobilisieren
Aktionen durchführen, die normale Menschen nicht abstoßen und wo die Verantwortung für eventuelle Gewalt offenkundig bei Politikern und Polizei liegt, z.B. neue Besetzungen
die politische Arbeit fortsetzen, mit der die rot-grüne Enhedslisten schon lange versucht, eine politische Mehrheit für Einrichtung eines neuen Jugendhauses zu schaffen
Geschäftsführender Ausschuss der SAP, 9. März 2007 Quelle: http://www.sap-fi.dk/sap/ugens_kommentar/uk20070309.htm |
Die SAP ist die dänische Sektion der IV. Internationale |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 426/427 (Mai/Juni 2007).