Chronologischer Überblick
November 1989: Drei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer kündigt der Sekretär (Vorsitzende) der italienischen Kommunistischen Partei, Achille Occhetto, an, man müsse anstelle der KPI eine neue Partei gründen.
März 1990: Auf dem 19. Parteitag der KPI bekommt der Vorschlag von Occhetto 67 % der Mandate. Die KPI soll in eine Art Fortschrittspartei umgewandelt werden, deren Programmatik es wäre, „die Anti-Christdemokraten nicht mehr den Antikommunisten” gegenüber zu stellen, sondern sie zu vereinen. Zwei Gegentendenzen treten auf: Die eine um Ingrao und Natte verweigert sich der Umbenennung und erhält 33 %, die andere um Armando Cossutta, die radikaler ist und sich auf die kommunistische Tradition (aber nicht den Stalinismus) beruft, erhält 3 %.
Januar 1991: Ein Parteitag der KPI nimmt die Namensänderung vor und gründet die Demokratische Linkspartei (PDS). Eine von Cossutta und Sergio Garavini geführte Minderheit, der auch 11 Senatoren und drei Abgeordnete angehören, spaltet sich ab und beginnt mit dem Aufbau einer Bewegung der kommunistischen Neugründung (MRC).
Mai 1991: Erstes nationales Treffen der MRC. Bei den Kommunalwahlen erhalten ihre KandidatInnen im Mittel 2,6 %, sind aber nicht in allen Kommunen vertreten. In einigen Arbeiterhochburgen bekommt die MRC über 10 % und in einer sogar mehr als die PDS.
Oktober 1991: Eine nationale Demonstration der MRC gegen das Finanzgesetz (den Haushalt) bringt 50 000 Menschen nach Rom. „Die Opposition ist wieder auf der Straße”, meint die MRC.
Dezember 1991: Parteitag zur Gründung der Partei der kommunistischen Erneuerung, an dem außer den aus der KPI kommenden Mitgliedern auch die von der „Proletarischen Demokratie“ (darunter die italienische Sektion der IV. Internationale), weitere trotzkistische Organisationen usw. teilnehmen. Es gibt 1178 Delegierte (einer pro 100 Mitglieder), davon 532 frühere KPI-Mitglieder und 113 frühere Mitglieder anderer Parteien.
April 1992: Bei den Wahlen erhält die PRC 5,6 % der Stimmen für die Abgeordnetenkammer und 6,5 % für den Senat (für den nur WählerInnen ab 25 Jahren stimmberechtigt sind). Mit 35 Abgeordneten und 20 Senatoren hat die PRC in der italienischen Politik-Szene ein bestimmtes Gewicht. Bei den Europawahlen von 1994 erhält die PRC 6,1 % der Stimmen.
März 1995: Fünfzehn Abgeordnete der PRC stimmen für das neoliberale Finanzgesetz der „technischen” Regierung von Lamberto Dini (der mit der Konterreform der Renten beginnt). Dies führt zu einer Krise in der Partei. Im Juni 1995 spalten sich diese Leute mit Garvini und Lucio Magri ab und gründen die Bewegung der unitarischen Kommunisten, die sich der PDS anschließen wird.
April 1996: Um das Gesetz zu unterlaufen, das das Verhältniswahlrecht nur noch für ein Viertel der Abgeordneten anwenden möchte, schließt die PRC ein Abkommen mit dem „Olivenbaum” (einer Koalition aus PDS und dem christdemokratischen Zentrum plus kleine Parteien). Sie erhält 8,6 % der Stimmen, 35 Abgeordnete und 11 Senatoren. Diese VertreterInnen unterstützen die Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi, ohne ihr anzugehören. Aber ab Juni 1996 sehen sie sich als Teil dieser parlamentarischen Mehrheit.
Dezember 1996: Auf dem Parteitag der PRC erhält ein Text der Opposition – der als „trotzkistisch” gilt, wiewohl die Mehrheit der UnterzeichnerInnen der Führung aus der Tradition der KPI kommen – 15 % der Mandate.
Oktober 1997: Die PRC verweigert dem Haushaltsentwurf der Regierung Prodi ihre Unterstützung, was zu eine Regierungskrise führt. Nach Prodis Rücktritt beginnen Verhandlungen, die auch zu einem Ergebnis führen: die PRC unterstützt die Regierung während eines Jahres im Austausch für ein Gesetzesvorhaben zur Einführung der 35 Stunden-Woche … im Jahr 2000.
Oktober 1998: Nachdem Fausto Bertinotti die Partei mehrere Monate darauf vorbereitet hat, übernimmt er gegen Armando Cossutta (der auf dem vorangegangenen Parteitag zur Mehrheit gehörte) mit Unterstützung eines Teils der Minderheit (Maitan, Turigliatto usw.) die Initiative zur Ablehnung des Haushaltsentwurfs der Regierung Prodi, was die Regierung zu Fall bringt. Der andere Teil der Minderheit (Ferrando, Grisolia …) bringt einen eigenen Text mit gleicher Stoßrichtung ein, doch insgesamt kommt es zu keiner Mehrheit für einen Bruch mit der Regierung Prodi. Da er in der Minderheit ist, bricht Cossutta mit der Partei und gründet die Partei der italienischen Kommunisten (PdCI). Er unterstützt die Mitte-Links-Regierung von D’Alema (dem Nachfolger von Prodi) und wirft der PRC vor, die „Mehrheit Cossutta-Bertinotti durch eine Mehrheit Bertinotti-Maitan” ersetzt zu haben. Tatsächlich beginnt eine Linkswende der PRC, die sie dazu führt, einen bedeutenden Platz in der aufkommenden globalisierungskritischen Bewegung einzunehmen und eine große Rolle in der Mobilisierung gegen den G-8-Gipfel im Juli 2001 in Genua und später in der Bewegung gegen den Krieg zu spielen. Bei den Europawahlen von 1999 erhält die PRC zwar nur 4,3 % der Stimmen (die PdCI 2 %), aber bei den Regionalwahlen von 2000 und den Parlamentswahlen 2001 stabilisiert sie sich – trotz eines allgemeinen Rückgangs der Linken – bei 5 % der Stimmen. Wir möchten anmerken, dass die Parteiführung Gigi Malabarba, einem weithin bekannten Mitglied der IV. Internationale, die Leitung der Fraktion im Senat anvertraut.
April 2002: Der Parteitag der PRC nimmt eine Orientierung auf den Aufbau der sozialen Bewegungen und einer linken Alternative an. Eine von Ferrando und Grisolia geführte Minderheit erhält 16 % der Mandate; die Mitglieder der IV. Internationale bringen Änderungsvorschläge zur Resolution der Mehrheit ein und beteiligen sich am Aufbau einer einheitlichen Parteiführung.
Juni 2003: Über 10 Mio. Menschen (87,3 % der abgegebenen Stimmen) stimmen bei einem Referendum zugunsten der Ausweitung der Rechte der Arbeitenden, besonders in den Kleinunternehmen. Aber die Beteiligung liegt bei unter 50 %, so dass sich die Regierung Berlusconi nicht an das Abstimmungsergebnis halten muss. Denn die Kampagne für dieses Referendum wurde nur von der PRC und den sozialen Bewegungen getragen, mit später Unterstützung ohne Mobilisierung der Führung der CGIL, des wichtigsten Gewerkschaftsverbandes, sowie einer negativen Haltung der Mitte-Links-Parteien. Für Bertinotti ist dies der Beweis für das Scheitern der 2002 angenommenen Orientierung. Am Vorabend eines Treffens der nationalen Führung kündigt er in der Presse eine Änderung der Parteilinie hin zu einer programmatischen Einigung mit dem „Olivenbaum” im Hinblick auf die Wahlen von 2006 an. Bei den Europawahlen von 2004, wo sie noch von ihrer linken Orientierung profitiert, erhält die PRC 1,926 Mio. Stimmen (= 6,1 %).
Februar 2005: Die PRC bringt sich in das Mitte-Links-Bündnis, das nun „Unione” (Union) heißt, ein. Die Führung dieses Bündnisses soll in Vorwahlen gewählt werden, die von Romano Prodi im Oktober 2005 mit drei Vierteln der Stimmen gewonnen werden. (An zweiter Stelle folgte Bertinotti mit 14,7 % der Stimmen.)
März 2005: Auf dem Parteitag der PRC erhält Bertinotti eine Mehrheit von 59,17 % der Mandate. Vier minoritäre Strömungen bekämpfen seine Orientierung: „Essere comunisti”, die sich auf die Tradition des KPI-Führers Palmiro Togliatti berufen, erhält 26 %; das „kommunistische Projekt” von Ferrando und Grisolia (die sich gespalten haben und noch vor den Wahlen vom April 2006 in mehreren Wellen die PRC verlassen haben) 6,5 %, die Sinistra critica (kritische Linke) ebenfalls 6,5 % und „Hammer und Sichel”, die mit der internationalen trotzkistischen Strömung von Ted Grant verbunden ist, 1,6 %.
April 2006: Die Unione fährt einen knappen Wahlsieg ein und verfügt im Senat nur über zwei Stimmen Mehrheit. Die aufgeblasene Regierung Prodi (101 Mitglieder, wenn man die Vize-Minister und die Staatssekretäre hinzurechnet) hat auch einen Minister der PRC: Paolo Ferrero ist Minister für gesellschaftliche Solidarität.
Juli 2006: Erste Regierungskrise wegen der Abstimmung zu den auswärtigen Militärmissionen, denn Prodi zieht zwar die Truppen aus dem Irak ab, möchte aber die italienische Militärpräsenz in Afghanistan verstärken. Außerdem stellt Prodi die Vertrauensfrage, um die gesamte Linke zu zwingen, zugunsten des Krieges in Afghanistan zu stimmen oder die gerade gewählte Regierung stürzen zu lassen. Die Friedensbewegung kommt langsam auf Touren; die gewählten Vertreter der Sinistra critica – Salvatore Cannavò in der Kammer, Gigi Malabarba (der seinen Platz ab August wie vorgesehen Frau Heidi Giuliani, deren Sohn Carlo bei der Demonstration im Juli 2001 in Genua von der Polizei ermordet wurde, überließ) und Franco Turigliatto übernahmen die Initiative für eine Petition gegen den Krieg, die von 16 SenatorInnen unterzeichnet wurde und die auch ankündigten, diesmal nochmals für das Vertrauensvotum – und somit den Krieg – zu stimmen, aber kein zweites Mal mehr für den Krieg votieren zu wollen.
Februar 2007: Über 100 000 Menschen demonstrieren gegen die Vergrößerung der Militärbasis der USA bei Vicenza. Franco Turigliatto von der PRC-Sinistra critica wie auch der Senator der PdCI, Fernando Rossi, stimmen diesmal gegen den Krieg in Afghanistan und gegen die Militärbasis in Vicenza. Diese Stimmen fehlen Prodi zur Mehrheit und damit ist die Regierungskrise da. Turigliatto tritt aus dem Senat zurück. Die Führung der PRC schließt ihn aus der Partei aus.
März 2007: Auf Initiative von Sinistra critica beteiligen sich über 1 000 Menschen am Treffen der „Unvereinbarkeit mit Krieg und Neoliberalismus”, die im ganzen Land in Solidarität mit den politischen Entscheidungen von Franco Turigliatto stattfinden: 400 in Turin (wo Turigliatto gewählt wurde), 350 in Rom, einige Hundert in Brescia, Mailand, Riccione, Bari …
14. April 2007: Nationale Versammlung von über Tausend AktivistInnen auf Initiative von Sinistra critica in Rom. Eine Linksopposition gegen die Regierung Prodi beginnt sich zu bilden. Eine gesellschaftliche und politische Opposition.
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 428/429 (Juli/August 2007).