Die radikale Linke in Westeuropa

Murray Smith

Seit einigen Jahren ist nun klar, dass auf europäischer oder zumindest westeuropäischer Ebene eine Reihe neuer politischer Formationen auf der Linken auftaucht. Der Prozess ist aus zwei Gesichtspunkten betrachtet ungleichmäßig. Erstens zwischen den Ländern: Einige Länder verfügen über neue politische Formationen mit verschiedenem Entwicklungsgrad, andere haben sich kaum bewegt, und es gab einige missglückte Ansätze. Aber der Prozess, der in den 90er Jahren begonnen und sich zur Jahrhundertwende beschleunigt hatte, entwickelte sich in den letzten Jahren weiter. Die Ungleichmäßigkeit ist auch eine politische: Einige der neuen Parteien sind radikaler und ausdrücklicher antikapitalistisch als andere. Dies unterstreicht nur, dass wir es mit realen politischen Bewegungen zu tun haben, die nicht vorgefassten Schemata entsprechen. Aber klar ist, dass wir es mit einer Tendenz zum Auftauchen einer neuen radikalen Linken in europäischem Maßstab zu tun haben. So unterschiedlich diese Tendenz in den einzelnen Ländern auch zum Ausdruck kommt, die grundlegenden Ursachen, die diese neuen politischen Kräfte hervorbringen, sind dieselben.

Wie können wir diese „radikale Linke“ definieren? Warum erscheint sie jetzt und nicht vor 20 oder 25 Jahren? Und, radikale Linke, antikapitalistische Linke, antiliberale Linke, revolutionäre Linke, ist das alles dasselbe? Eine der Debatten in Frankreich, die von außen betrachtet vielleicht etwas esoterisch scheint, aber nicht ohne Interesse ist, handelt davon, ob es eine Linke gibt oder zwei, drei oder mehr. Es gibt natürlich mehrere Linken. Es gibt Organisationen und Strömungen, die ausdrücklich revolutionär sind, es gibt Parteien und andere Kräfte, die mehr oder weniger klar antikapitalistisch sind. Es gibt eine traditionelle sozialdemokratische Linke, die nicht antikapitalistisch, aber antiliberal ist und wirklich an Reformen glaubt. Und es gibt offensichtlich die sozialliberale „Linke“. Die Grenzen zwischen diesen verschiedenen Linken sind offensichtlich nicht undurchdringlich, Menschen bewegen sich in die eine oder andere Richtung. Das ist tatsächlich die einzige Ebene, auf der es Sinn macht, von einer einzigen Linken zu sprechen.

Dennoch scheint es mir zwei Hauptscheidelinien zu geben. Die erste verläuft zwischen Strömungen, die antikapitalistisch sind – das heißt, dass sie sich klar darüber sind, dass es keinen dauerhaften Ausweg aus den Verheerungen des neoliberalen Kapitalismus gibt, ohne mit dem Kapitalismus als System zu brechen –, und denjenigen, die es nicht sind. Letztere reichen natürlich von Strömungen, die bloß die Auswirkungen der neoliberalen Politik abschwächen wollen, zu denjenigen, die sich konsequent der neoliberalen Politik widersetzen, ohne dass sie überzeugt sind, dass es eine Alternative zum Kapitalismus gibt, zumindest nicht in unmittelbarer Zukunft. Innerhalb der antikapitalistischen Linken gibt es eine Differenz zwischen denjenigen, die sich selbst revolutionär nennen, und denjenigen, die es nicht tun. Ich werde später erklären, warum ich glaube, dass diese Differenz in der Praxis weniger entscheidend ist, als viele denken.

Wenn es an die Praxis geht, gibt es eine zweite und viel unmittelbarere Scheidelinie. Sie verläuft einerseits zwischen der Linken, die die Linke verlassen hat, den Parteien, die immer noch behaupten, links zu sein, und noch als solche betrachtet werden, aber konsequent neoliberale Politik machen – die britische Labour Party, die SPD, die französische Sozialistische Partei [PS] und ihre Gesinnungsgenossen in anderen Ländern –, und andererseits der Linken, die sich dem neoliberalen Konsens verweigert und von Revolutionären bis zu ehrlichen Reformisten reicht, die denken, dass es möglich sei, auf einen humaneren Kapitalismus vom Typ des Wohlfahrtstaats zurückzugehen, ohne die Grundlagen des Systems in Frage zu stellen, d.h. sie umfasst sowohl Antikapitalisten als auch Antiliberale sowie Schattierungen zwischen den beiden. Von dieser gemeinsamen Verweigerung, von diesem Widerstand, der seinen Ausdruck sowohl bei Wahlen wie auf der Straße finden kann, müssen wir ausgehen, um Kräfte für den Aufbau von Parteien umzugruppieren, die den Kapitalismus in Frage stellen werden. Dies löst nicht alle Probleme, aber es schafft einen Rahmen, worin sie im Verlauf der Aktion gelöst werden können.

In den letzten Jahren haben wir Wahlerfolge von Parteien der radikalen Linken in einer Anzahl von Ländern erlebt – Dänemark, Portugal, Großbritannien, Italien, Niederlande, Deutschland. Aber die bemerkenswertesten Ereignisse auf Wahlebene fanden in zwei der wichtigsten Länder Europas statt. Am 29. Mai 2005 wurde beim Referendum in Frankreich der Entwurf der Europäischen Verfassung, mit der die neoliberale Politik in Stein gemeißelt werden sollte, abgelehnt. Wenngleich der aktuelle Sieg in den Wahllokalen stattfand, war er tatsächlich vor allem die Folge einer energischen und breiten Kampagne für ein „Nein von links“, einer politischen Massenkampagne über mehr als sechs Monate. Dem französischen „Nein“ folgte einige Tage später das niederländische „Nein“, nach einer Kampagne, in der die radikale Linke ebenfalls eine bedeutende Rolle spielte. Am 18. September 2005 erreichte die Allianz aus WASG und PDS 8,7 Prozent bei der Bundestagswahl und 53 Abgeordnete, womit das ein halbes Jahrhundert währende Monopol der SPD auf die politische Repräsentanz der Arbeiterklasse im früheren Westdeutschland aufgebrochen wurde. Diese Resultate lösten eine beträchtliche Beunruhigung unter den herrschenden Klassen Europas aus, und dies sollten sie auch: Auf verschiedene Weise waren die beiden Abstimmungsergebnisse Ausdruck einer beträchtlichen, den Neoliberalismus ablehnenden Strömung in der Arbeiterklasse. Sie wurden korrekt als potenzielle Hindernisse für die „Reformen“ oder vielmehr Konterreformen betrachtet, die die herrschende Klasse für notwendig hält.

Unsere Herrschenden beunruhigt, dass beide Ereignisse politischer Natur waren. Denn entgegen der ultralinken Rhetorik, die Teile der revolutionären Linken kennzeichnet, beunruhigt den Feind nicht nur oder besonders der Widerstand auf sozialer Ebene. Streiks und Demonstrationen, die gegen die eine oder andere Maßnahme protestieren, sind sie gewohnt. Außer in Ausnahmefällen machen sie dessen ungeachtet weiter. Wir gewinnen gelegentlich Schlachten, aber bislang haben sie den Krieg gewonnen. Wir können uns jedes einzelne Land anschauen, die Bilanz der sozialen Bewegungen überprüfen und sehen, wie viele von ihnen wirklich Maßnahmen gestoppt haben.

Frankreich ist zweifellos die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Der Grad des sozialen Widerstands ist wahrscheinlich der höchste in Europa gewesen. Doch er hat bestenfalls die neoliberale Agenda verlangsamt, aber nicht gestoppt. Privatisierung und Konterreformen bei Renten, Krankenversicherung usw. sind unausweichlich vorangeschritten. Ausnahmen gibt es wenige, wie die Niederlage des geplanten CIP (reduzierter Mindestlohn für junge Leute) 1994 – sogar die Streikbewegung von November/Dezember 1995 errang nur einen Teilsieg. Natürlich gab es Anfang 2006 den Sieg über den CPE – ein beträchtlicher Sieg für die Massenbewegung, aber er sollte nicht die Tatsache verbergen, dass der CPE nur ein Element in einem Arsenal von Maßnahmen zum Abbau der Arbeitsplatzsicherheit war. Natürlich, wenn es einen neuen Mai 1968 gäbe… aber das ist unwahrscheinlich und kann sicherlich nicht als eine Basis für politische Perspektiven herhalten. Und es wird oft vergessen, dass es 1968 keine glaubwürdige linke Alternative gab.

Natürlich geht es nicht darum, die Bedeutung sozialer Bewegungen zu leugnen. Tatsächlich ist es für die neuen Formationen umso wichtiger, den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten außerhalb des Parlaments zu halten, je mehr Positionen sie bei Wahlen gewinnen. Aber wir brauchen Parteien, die die beiden Formen des Kampfes kombinieren. Denn ohne Politik geht den sozialen Bewegungen der Dampf aus. Deshalb ist es vollkommen steril, wenn einige Strömungen der extremen Linken unaufhörlich Appelle an die Arbeiterinnen und Arbeiter richten, „den Kampf auszudehnen und zu stärken“, ohne ihnen eine politische Perspektive zu bieten. Wenn es eine starke soziale Bewegung gibt, sollten wir bestrebt sein, ihr eine politische Perspektive zu bieten. Angesichts von Strömungen, die die Politik auf den institutionellen Rahmen reduzieren wollen, sollten wir die Bedeutung sozialer Mobilisierung betonen. Wir müssen auf beiden Füßen gehen. Große soziale Bewegungen können Auswirkungen auf der Ebene von Wahlen haben, auch wenn sie besiegt werden. Die französischen Wähler nahmen 2004 an den Wahlurnen Rache für die Niederlage der Streikbewegung von 2003. Aber das Fehlen politischer Perspektiven wird sogar siegreiche soziale Bewegungen ohne Perspektiven lassen. Trotz der Siege über die Europäische Verfassung und den CPE stehen wir bei der Präsidentschaftswahl vor einem düsteren Szenario: Sarkozy führt eine aggressive rechte Kampagne, während Royals Kandidatur die wohl rechteste der PS in der Geschichte der Fünften Republik ist. So etwas wie eine französische Version von Thatcher gegen Blair. Und keine glaubwürdige Alternative auf der Linken.

Ob Sarkozy oder Royal gewinnt, es wird eine neue Welle neoliberaler Angriffe geben. In dieser Situation bieten die Kräfte links von der PS das traurige Schauspiel von drei Kandidaturen, die aus der vereinten Kampagne gegen die Europäische Verfassung hervorgegangen sind, plus die unvermeidliche Kandidatur von Arlette Laguiller von LO. Die französische radikale Linke hat die wohl bislang beste Chance ausgelassen, die Grundlagen für eine neue politische Kraft zu legen. Was auch immer das Resultat der Wahlen ist und wie die verschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten links von der PS auch abschneiden, so haben wir noch nicht alle Auswirkungen dieses Scheiterns gesehen.

Natürlich kann der notwendige Wiederaufbau der Arbeiterbewegung nicht auf den Aufbau neuer Parteien reduziert werden. Ein Schlüsselfaktor und sehr oft der Schlüsselfaktor bei der Niederlage sozialer Mobilisierungen ist die fehlende Bereitschaft der Gewerkschaftsführungen, voll zu mobilisieren, sei es weil sie grundsätzlich die neoliberale Politik der sozialdemokratischen Parteien teilen, sei es weil sich ihre Vision auf den bloßen Versuch beschränkt, die Schläge zu mildern. Es ist also auch nötig, die Gewerkschaften auf einer klassenkämpferischen Basis wiederaufzubauen, in Verbindung mit neuen sozialen Bewegungen, Nachbarschaftsvereinigungen usw. Aber dies kann nicht isoliert vom Aufbau einer politischen Alternative gesehen werden. Aktivistinnen und Aktivisten, die mit einer politischen Perspektive bewaffnet sind, werden auf der sozialen Ebene effektiver sein, und Parteien mit Wurzeln in den Betrieben und sozialen Bewegungen werden besser in der Lage sein, dem Druck der Institutionalisierung zu widerstehen.

Die ersten Formationen der neuen Linken entstanden um 1990. 1989 kamen mehrere Formationen zusammen, um die Rot-Grüne Allianz [Enhedslisten/De Rød-Grønne] in Dänemark zu bilden. Einige Jahre später folgte die PRC [Partito della Rifondazione Comunista], die natürlich eine substanziellere Organisation war, hervorgegangen aus einer Spaltung in der Italienischen Kommunistischen Partei [PCI]. Auf dem Höhepunkt des Tsunami des kapitalistischen Triumphalismus und des „Endes des Sozialismus“ repräsentierten diese Organisationen Punkte des Widerstands. Aber erst gegen Ende des Jahrzehnts entwickelte sich die Linke weiter. Tatsächlich waren es die Europawahlen 1999 und eine Reihe nationaler Wahlen zu ungefähr derselben Zeit, bei denen die neue Linke in einer Reihe von Ländern wirklich sichtbar wurde – in Schottland, Portugal, den Niederlanden und anderswo. Das Ergebnis der LCR-LO-Kampagne in Frankreich wurde als Teil dieses Prozesses betrachtet, wenngleich sie tatsächlich ein etwas anderes Phänomen darstellte, nämlich einen Block von zwei Organisationen der extremen Linken. Seitdem sind Parteien und Bündnisse der radikalen Linken zu ernsthaften Kräften im nationalen politischen Leben mehrerer Länder geworden.

Dies bringt uns auf die Frage zurück, wo die grundlegenden Scheidelinien liegen. Manche meinen, dass die grundlegende Scheidelinie heute, ebenso wie gestern und morgen, die zwischen Revolutionären und Reformisten ist. Nun ja, in letzter Instanz … Aber das Wesen des Leninismus ist die konkrete Analyse einer konkreten Situation. Und konkret haben wir heute in Europa keine revolutionäre Situation, sondern einen Abwehrkampf gegen die neoliberale Offensive mit ihren militaristischen und repressiven Aspekten als Begleiterscheinungen. Es ist eine Situation, wo die Masse der politischen Apparate diese Offensive anwendet oder begleitet, begleitet von einer ideologischen Offensive, deren Ziel es ist, nicht nur zu demonstrieren, dass der Kapitalismus der Horizont ist, über den man nicht hinausgehen kann, sondern auch, dass die neoliberale Politik die einzige ist, die innerhalb dieses Kapitalismus möglich ist.

Die Aufgabe des Neuaufbaus der Arbeiterbewegung stellt sich in dieser konkreten Situation. Die wesentliche Aufgabe besteht darin, die Kräfte zusammenzubringen, die sich der neoliberalen Agenda verweigern. Einige dieser neuen Parteien sind eindeutig antikapitalistisch, nicht revolutionär nach der traditionellen Definition (der extremen Linken), aber es sind Parteien, die in den heutigen Kämpfen verwurzelt sind und eine Perspektive haben, die über den Kapitalismus hinausgeht, zum Sozialismus. Beispiele sind die SSP [Scottish Socialist Party] und der portugiesische Linksblock. Aber es gibt andere Parteien, die politisch weniger eindeutig sind, aber deren Schaffung einen Schritt nach vorn darstellt und in denen die revolutionären Sozialistinnen und Sozialisten intervenieren sollten, um sie weiter zu bringen. Ein Beispiel ist die neue Linkspartei in Deutschland, die antiliberal, aber weit davon entfernt ist, eindeutig antikapitalistisch zu sein, und in der radikal unterschiedliche Herangehensweisen zur Frage der Regierungsbeteiligung mit der SPD koexistieren. Die genaue Natur dieser neuen Parteien, ihr Grad der politischen Klarheit, hängt von einer Reihe von Faktoren ab – von der Geschichte und den Traditionen der Arbeiterbewegung in ihrem Land, vom Grad des Klassenkampfs und von der politischen Landschaft, von der Natur der beteiligten politischen Kräfte. Aber diese müssen wir als unseren Ausgangspunkt nehmen.

Kurz- und mittelfristig steht nicht die sozialistische Revolution auf der Tagesordnung, sondern der Wiederaufbau einer politischen Vertretung der Arbeiterinnen und Arbeiter, die von den Antworten auf die Probleme ausgeht, mit denen sie konfrontiert sind. Da der Neoliberalismus die Form des real existierenden Kapitalismus ist, kann die Notwendigkeit, den Neoliberalismus zu bekämpfen, der Ausgangspunkt für neue Parteien sein. Somit kann es darum gehen, Parteien zur Verteidigung des öffentlichen Dienstes, gegen Privatisierungen, gegen Krieg usw. aufzubauen. Dennoch müssen die Parteien, da es unmöglich ist, den Neoliberalismus ernsthaft zu bekämpfen, ohne antikapitalistische Maßnahmen zu ergreifen, eindeutig antikapitalistisch werden. Wir können es so formulieren: Die Opposition gegen den Neoliberalismus kann die Grundlage für Aktionen, Allianzen und Fronten sein und sogar für neue Parteien – es hängt von der konkreten Situation ab. Aber tatsächlich eine antiliberale Politik anzustreben und anzuwenden, die vor Angriffen auf die Grundlagen des Kapitalismus zurückschreckt, wäre eine Sackgasse. Es macht keinen Sinn, zu vertreten, dass es möglich sei, zu einem humaneren, sozialeren Kapitalismus zurückzukehren. Noch schlimmer wäre eine Allianz mit Sozialliberalen mit der Vorstellung, sie nach links zu beeinflussen. Die Französische Kommunistische Partei [PCF] demonstrierte die Sinnlosigkeit einer solchen Perspektive von 1997 bis 2002, was die PRC in Italien nicht hinderte, in die Regierung Prodi einzutreten. Parteien, die in Bezug auf Antikapitalismus und Klassenunabhängigkeit nicht klar sind, mögen notwendige Stadien in einigen Ländern sein. Aber sie werden unstabil bleiben, solange diese Fragen nicht geklärt sind.

Eine der machtvollsten Waffen im Arsenal der herrschenden Klasse ist natürlich die Litanei, der Margaret Thatcher den Weg gebahnt hat: „Es gibt keine Alternative.“ Sie sollte nicht unterschätzt werden, wenn sie von einem Chor erschallt, der das gesamte politische Establishment – einschließlich der Sozialdemokratie – und die Medien umfasst. Sie kann zur Resignation führen, zu der Vorstellung, dass alles, was getan werden kann, die Abschwächung des Laufs der Dinge ist, nicht aber seine Umkehrung. Sogar wenn er siegreich ist, bleibt sozialer Widerstand in der Defensive. Zur politischen Opposition gehört, eine Alternative vorzuschlagen. Es geht nicht nur darum zu sagen: „Wir mögen nicht, was uns geschieht“, sondern man muss auch sagen, dass etwas anderes möglich ist. Auf der Basis der Verweigerung, des Negativen können Parteien nicht in dauerhafter Weise aufgebaut werden. Wenngleich wir damit beginnen können, dass wir sagen: „Ein anderes Europa/eine andere Welt ist möglich“, müssen wir dem einen Inhalt geben. Es ist erforderlich, die Perspektive einer Alternative zum Kapitalismus, des Sozialismus, vorzuschlagen – selbstverständlich indem wir sie von der Tragödie des Stalinismus und dem Debakel der Sozialdemokratie abgrenzen.

Das bringt uns zu der Frage, welche Arten von Parteien zu verschiedenen Stadien in der Geschichte der Arbeiterbewegung entstanden sind. Zu sagen, dass der Typ von Organisation oder Partei, der erforderlich ist, nicht stets derselbe ist, dass es keine ahistorischen Modelle gibt, die unabhängig von Zeit und Raum sind, ist eine Plattitüde. Die meisten Menschen stimmen dem gewöhnlich zu. Dennoch haben weite Teile der extremen Linken jahrzehntelang versucht, dass Modell der bolschewistischen Partei mechanisch zu reproduzieren, oftmals mit ganz winzigen Gruppen und unter sehr verschiedenen Umständen.

Es ist möglich und meiner Meinung nach korrekt, eine Weiterentwicklung von der I. über die II. zur III. Internationale zu sehen. Es gibt eine Weiterentwicklung von recht elementaren Formen proletarischer Organisation – Gewerkschaften, politische Vereinigungen usw. – zu Arbeitermassenparteien. Und schließlich, mit der Spaltung im internationalen Sozialismus während und in der Folge des Ersten Weltkriegs, zu kommunistischen Parteien, die in einer Reihe von Ländern einen Massencharakter annahmen. Da endet dann die Weiterentwicklung. Die verhärtete reformistische Degeneration der sozialdemokratischen Parteien und der Sieg des Stalinismus warfen die Frage der Schaffung neuer Massenparteien auf. Die Frage wurde gestellt, aber nicht beantwortet. Die ungünstigen Bedingungen der 30er Jahre ließen es nicht zu, und als die IV. Internationale gegründet wurde, brachte sie nur kleine Gruppen zusammen. Die Entfaltung und das Resultat des Zweiten Weltkriegs sowie der lange Nachkriegsboom schufen, auf verschiedene Weise, gleichermaßen ungünstige Bedingungen.

Die trotzkistische Bewegung lebte jahrzehntelang mit der Perspektive einer Art Rückkehr des Goldenen Zeitalters, wo die berühmten „ganzen Schichten“ der Arbeiterklasse mit ihren verräterischen Führungen brechen und sich mit dem revolutionären Kern verbinden würden, um revolutionäre Massenparteien zu schaffen. Diese Haltung koexistierte oder kam in Konflikt mit periodischen Illusionen (nach 1945, nach 1968) in die Möglichkeit, dass Gruppen von einigen hundert oder bestenfalls einigen tausend Mitgliedern auf lineare Weise zu Massenparteien wachsen können. Außerdem gab es noch eine Reihe von Theorien über die erforderliche oder mögliche Vermittlung unterwegs durch „zentristische“ Parteien. Aber der Durchbruch kam nie, weder in den 30er Jahren, noch nach 1945 oder nach 1968. Die Geschichte hatte eine Gabelung genommen und war rückwärts und seitwärts gegangen. Der vielfach benutzte Ausdruck „Umweg“ ist unbefriedigend. Er impliziert, dass es einen Hauptweg gibt, und alles, was davon abweicht, ist eben ein Umweg. Aber es gibt natürlich keinen vorherbestimmten Königsweg zum Sozialismus. Alle diesbezüglichen Illusionen sollten durch die Erfahrung der letzten zwanzig Jahre zerstreut worden sein. Als die so erwartete Scheidung zwischen den Massen und den Führungen stattzufinden begann, geschah das auf eine Weise, die niemand erwartet hatte.

Um auf unseren Ausgangspunkt zurückzukehren, warum sind in den letzten 10–15 Jahren Kräfte der radikalen Linken aufgetaucht? Und warum in Europa – oder zumindest in einem Teil Europas? Wir sollten beiläufig eines klarstellen. Die Umgruppierung der Arbeiterbewegung und der Linken ist kein rein europäisches Phänomen, bei weitem nicht. Sie geschieht im Weltmaßstab – unter dem Einfluss der Globalisierung und des Zusammenbruchs der stalinistischen Staaten sowie deren Auswirkungen auf eine ganze Reihe politischer Strömungen: reformistischer, nationalistischer, populistischer, stalinistischer usw. Aber diese Umgruppierung geschieht nicht in jedem Teil der Welt – in Lateinamerika, Asien, Afrika oder Europa – in derselben Weise und produziert nicht dieselbe Sorte von Parteien. Es geht nicht darum zu sagen, dass das, was in Westeuropa geschieht, wichtiger oder interessanter ist als anderswo. Man braucht nur heute auf Lateinamerika zu schauen, um eine solche Vorstellung zu zerstreuen. Aber Westeuropa ist wichtig, und vor allem ist dies der Ort, wo wir uns befinden. Und es bringt Parteien hervor, die mit der spezifischen Geschichte unserer Gesellschaft verbunden sind.

Wir erleben das Auftauchen einer neuen Linken in Europa aufgrund der Entwicklung der alten Linken, die mit der Wende des Kapitalismus zur neoliberalen Globalisierung und mit den Umwälzungen in den internationalen Beziehungen konfrontiert ist. Nach 1945, im Rahmen dessen, was als sozialer Kompromiss oder Nachkriegskonsens bezeichnet werden kann, wurden in einer Reihe westeuropäischer Länder Modelle des Sozial- oder Wohlfahrtsstaats errichtet. Manche waren weiter vorangeschritten als andere. Aber insgesamt war das Resultat, dass Ökonomien geschaffen wurden mit einem beträchtlichen verstaatlichten Sektor, staatlicher Intervention in die Wirtschaft, freiem oder fast freiem Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung, Erwerbslosen- und Krankenversicherung, staatlicher Altersversorgung, faktischer Vollbeschäftigung und steigenden Reallöhnen. Es war ein Kompromiss, genaugenommen nicht zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie, aber zwischen den politischen und Gewerkschaftsbürokratien der Arbeiterbewegung und der Bourgeoisie. Aber dieser Kompromiss brachte der Arbeiterklasse reale Vorteile. Es war strenggenommen kein westeuropäisches Phänomen, sondern betraf auch andere fortgeschrittene kapitalistische Länder wie Australien, Neuseeland und Kanada.

Somit war dieses Modell den meisten fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern eigen, in verschiedenem Ausmaß, aber mit einer gemeinsamen Grundlage, und es war möglich aufgrund ihres Wohlstands und der langen Periode kapitalistischer Expansion. Das Modell wurde von Regierungen der Rechten wie der Linken in die Praxis umgesetzt, ein Beweis dafür, dass es eine generelle Orientierung der herrschenden Klassen war. Tatsächlich war das neue Modell, wie es bei Reformen oft der Fall ist, ein Produkt sowohl des Kampfes von unten als auch von Konzessionen von oben. Jedoch betrachtete die Arbeiterklasse ihre eigenen Organisationen als die sicherste Garantie für die Bewahrung dessen, was erreicht worden war, und für die Ausweitung der gemachten Errungenschaften. Somit gab es eine Stärkung der Gewerkschaften und Parteien. Die Hauptausnahme waren natürlich die USA, wo gewiss Zugeständnisse gemacht wurden, aber wo es weder einen Wohlfahrtsstaat europäischen Zuschnitts gab, noch überhaupt eine Arbeitermassenpartei.

Was nach 1945 geschah, dauerte so lange wie die beispiellose Periode kapitalistischer Expansion, bis zur Krise von 1973/74. Diese ökonomische und soziale Stabilität bildete die Basis für die politische Stabilität in der Arbeiterbewegung. Revolutionäre wurden an den Rand verbannt, als sehr kleine Minderheit. Der Nachsommer des Kapitalismus war auch das Goldene Zeitalter des Reformismus. Die traditionellen Parteien behielten die Unterstützung der Arbeiterklasse, weil sie in der Lage waren, Wort zu halten. Reformistisches Bewusstsein ist für die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht „natürlich“. Der Reformismus entstand zu allererst in Großbritannien, dann in den anderen imperialistischen Ländern gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus exakten Gründen, die darzulegen hier nicht der Raum ist. Im Zeitraum 1914–1945 wurde sein Griff ernstlich erschüttert, als es eine ganze Reihe von Revolutionen und revolutionären und vorrevolutionären Krisen in Europa gab. Aber nach 1945 wurde sein Griff so stabil, dass er sogar die Welle des Klassenkampfs in mehreren Schlüsselländern während des Zeitraums 1968–1975 überlebte. Die Arbeiterinnen und Arbeiter führten häufig Kämpfe und zeigten bisweilen revolutionäre Bestrebungen, aber sie fuhren fort, nichtrevolutionären Parteien zu folgen, welche – während sie Revolutionen blockierten (auf sehr effiziente Weise von 1968 bis 1975 in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal) – weiterhin ihre Errungenschaften verteidigten. Dies setzte dem Wachstum der revolutionären Linken objektive Grenzen. Sie wuchs tatsächlich qualitativ nach 1968, zuerst durch den Zustrom seitens der Jugend und dann seitens einer Schicht von Lohnabhängigen. Aber sie errang nie eine Massenbasis, trotz der Vielfalt angewandter Taktiken. Es ist heute zweifellos deutlicher als damals, dass es dafür im Wesentlichen objektive Gründe gab.

Die Krise der 70er Jahre brachte einen Wandel in der Orientierung des Großkapitals mit sich. Die durch den Nachkriegskonsens entstandene relative soziale Stabilität wurde zu kostspielig. Angefangen mit den Angriffen von Reagan und Thatcher bis zur verallgemeinerten Offensive der letzten zwanzig Jahre im Rahmen der Europäischen Union, begann der Abbau des gesamten Nachkriegsmodells, natürlich nicht ohne Widerstand und, wenigstens bislang, nicht vollständig. Was uns hier beschäftigt, ist die von den traditionellen Parteien der Arbeiterklasse gespielte Rolle. Ohne Ausnahme traten die sozialdemokratischen Parteien der neoliberalen Offensive bei. Sie „begleiteten“ sie nicht bloß, sie wandten diese Politik an, oftmals mit Eifer. Es ist schwer, zwischen Aznar und González, Major und Blair, Jospin und Juppé einen grundlegenden Unterschied zu finden. Manchmal waren die Sozialdemokraten, wie Schröder in Deutschland, sogar mutiger als die Rechte bei der Verteidigung der Interessen der Bourgeoisie.

Somit begannen die objektiven Grundlagen für die Loslösung der Massen von den reformistischen Apparaten zu existieren. Aber da das wirkliche Leben stets reichhaltiger ist als die besten theoretischen Projektionen, war dies nicht der Fall, weil die Massen nach links gegangen waren und mit den Reformisten gebrochen hatten, sondern weil die Reformisten nach rechts gegangen waren und die Arbeitenden preisgaben. Somit ist zuerst, und noch in einem großen Ausmaß heute, ein gewisser Raum geschaffen worden, der nicht unmittelbar besetzt worden ist. Wie John Rees von der britischen SWP schrieb, „fühlen Millionen von Arbeitern, dass ihnen ihre traditionelle Heimat weggenommen wurde, und sind sich über die Alternative nicht im Klaren“. Die „traditionelle Heimat“ ist in Großbritannien natürlich die Labour Party, aber was damit zum Ausdruck kommt, gilt gleichermaßen für andere Länder.

Was könnte den so frei gewordenen Raum besetzen? Hier ist das Vokabular von Bedeutung: Es geht darum, einen Raum zu besetzen, was politische Initiative verlangt, und nicht bloß ein Vakuum zu füllen, was ein automatischer Prozess ist. Eine Reaktion, die eine Zeit lang in Frankreich offensichtlich war, bestand darin, vor der Politik zu fliehen und sich auf soziale Bewegungen und gewerkschaftliche Aktionen zu beschränken. Aber die Erfahrung betont nur die Notwendigkeit der Politik. Welche politischen Kräfte könnten nun diesen Raum füllen? Schauen wir auf die Möglichkeiten. Erstens, linke Abspaltungen von der Sozialdemokratie. Nun, was insgesamt auffällt ist das Fehlen oder die extreme Schwäche strukturierter linker Oppositionen in den sozialdemokratischen Parteien als Reaktion auf ihre sozialliberale Entwicklung. Es gibt zumindest zwei Ausnahmen. Erstens gab es in den 80er Jahren eine wirkliche Linke in der Labour Party, die gebrochen werden musste, damit die Partei wieder zu einem verlässlichen Instrument für die herrschende Klasse werden konnte. Dies wurde von Kinnock erledigt, vor dem Hintergrund der von Thatcher auferlegten Niederlagen. Dies hat den Blairismus ermöglicht. Eine linke Abspaltung von Labour und die Schaffung einer neuen Partei wären in den 80er Jahren vielleicht möglich gewesen. Der einzige, späte, Versuch, die Lancierung der SLP [Socialist Labour Party] 1995, traf auf ein reales Echo und wurde durch Scargills Sektierertum und Stalinismus ruiniert.

Zweitens haben in Frankreich linke Strömungen weiter in der PS existiert. Dies hat gewiss zu tun mit dem relativ hohen Grad des sozialen Widerstands gegen den Neoliberalismus in diesem Land. Einige dieser Strömungen, insbesondere die PRS-Strömung („Für eine soziale Republik“) von Jean-Luc Mélenchon, demonstrierten während der Kampagne zum Referendum über die Europäische Verfassung ihre Fähigkeit, konkret gegen den Neoliberalismus zu agieren. Sie können potenzielle Komponenten beim Entstehen einer neuen politischen Kraft sein, wenn eine solche entsteht. Aber es ist unwahrscheinlich, dass sie die Initiative ergreifen. Angesichts des Scheiterns, eine solche Kraft aus der Kampagne zum Referendum hervorgehen zu lassen, haben sie, zumindest für den Moment, den Rückzug in die PS angetreten.

Entscheidend ist, dass nirgendwo der durch die Sozialliberalisierung der Sozialdemokratie geschaffene Raum einfach von linken Abspaltungen dieser Parteien besetzt worden ist. Es ist wichtig, präzise zu sein. Es gibt einen Unterschied zwischen organisierten Strömungen dieser Parteien (wie in Frankreich) und Individuen und kleinen Gruppen, die in ihnen bleiben oder nirgendwo speziell hingehen, aber womöglich für eine neue politische Kraft verfügbar bleiben, bspw. in Deutschland und in einem weit geringeren Ausmaß in England. Es ist sicher, dass es noch ehrliche Aktive in den sozialdemokratischen Parteien Europas gibt. Von dem Moment an, in dem diese Parteien eine neoliberale Politik machen, stehen sie vor einer Entscheidung. Den neuen Kurs mitmachen; sich von Politik zurückziehen oder nur noch gewerkschaftlich aktiv sein; anderswo hingehen, aber wohin? Die Kommunistischen Parteien sind in der Krise. Die extreme Linke ist zu oft gekennzeichnet durch Minderheitenaktivismus und ein ideologisches Herangehen an Politik. So entscheiden sich manche zu bleiben. Aber sie stellen im Allgemeinen keine organisierten linken Strömungen dar. In Deutschland wurde die WASG von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern geschaffen, die auch Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der SPD waren, aber sie tauchten in der Partei nicht als organisierte Strömung auf. Lafontaines Beitritt half, die neue Partei zu einem Anziehungspol für enttäuschte SPD-Anhänger zu machen. Aber auch er führte keine organisierte Strömung aus dieser Partei heraus.

Dann gibt es die Kommunistischen Parteien. Bereits geschwächt durch den Misskredit des sowjetischen Modells und durch ihre jeweilige nationale Politik, wurden sie durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks frontal geschlagen. Es hat in der extremen Linken eine Tendenz gegeben, dass die KPs unausweichlich verurteilt sind zu verschwinden oder zu Satelliten der Sozialdemokratie zu werden. Fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Verschwinden der UdSSR scheint es, dass dieser Prozess länger und komplizierter ist. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren sie die Mehrheitsparteien der Arbeiterklasse in mehreren Ländern. In den 80er Jahren war nur die PCI in dieser Situation. Die PCF wurde durch die PS unter Mitterrand zu einer sekundären Rolle reduziert, und in Griechenland, Portugal und Spanien war nach dem Sturz der Diktaturen die Sozialdemokratie als dominant hervorgegangen, trotz der antifaschistischen Bilanz der KPs. Es waren somit bereits geschwächte oder sich in der Krise befindliche Parteien, die vom Zusammenbruch der Sowjetunion betroffen waren. Die kleinsten wurden wirklich randständig und manche befanden sich dicht vor dem Untergang. Aber diejenigen mit Massencharakter überlebten, und eine gründliche Analyse ihrer Entwicklung ist erforderlich. Die Mehrheit der PCI, die wichtigste Arbeiterpartei in einem Land, in dem die Sozialdemokratie schwach war, wurde in die Linksdemokraten [DS], eine Mitte-Links-Formation, verwandelt. Es ist der einzige Fall, wo die Tendenzen der Sozialdemokratisierung der KPs, die überall am Werk waren (und es noch sind), sich vollständig durchsetzten. Anderswo bewahrten Parteien wie die PCF und die KPs in Griechenland und Portugal einen Massencharakter. Man kann nicht sagen, dass diese Parteien auf konsequente Weise die Interessen der Arbeiterklasse verteidigen, aber sie sind auch nicht einfach zum Neoliberalismus übergegangen. Die PCF beteiligte sich an der sozialliberalen Regierung Jospin und wurde dafür bei den Wahlen von 2002 hart bestraft. Aber sie kam mit einer Linkswende und einer Einheitstaktik zurück, was sie befähigte, bei der Kampagne zum Referendum eine zentrale Rolle zu spielen und ein Element zu werden, das bei den Debatten darüber, was nach diesem Sieg [beim Referendum] zu tun sei, nicht umgangen werden konnte.

Die KPs in Portugal und Griechenland kombinieren ein skandalöses Sektierertum mit einem Opportunismus, der bisweilen peinlich ist, aber es sind keine neoliberalen Parteien.

Es muss daran erinnert werden, dass die KPs stets eine aktivere und militantere Basis hatten als die sozialdemokratischen Parteien. Heute ist die PCF von der PS bezüglich der Wahlen marginalisiert worden und steht auf diesem Terrain in Konkurrenz zur extremen Linken. Aber ihr Einfluss an der Basis ist noch bedeutend und steht in keinem Verhältnis zu ihren landesweiten Wahlergebnissen. Wesentlich ist, dass die KPs mit Masseneinfluss nicht zusammengebrochen oder einfach der Sozialdemokratie beigetreten sind. Wir können mit der Hypothese arbeiten, dass sie nicht einfach verschwinden werden, nicht einmal automatisch mit dem Auftauchen einer neuen radikalen linken Kraft. Je nach der Situation werden sie einen Teil von ihr bilden oder sie werden sich spalten und ein Teil von ihnen wird sich so verhalten, oder sie werden eine sektiererische Haltung bewahren und wahrscheinlich nach und nach marginalisiert werden. Aber nirgendwo, wo diese Parteien eine Kraft repräsentieren, werden wir neue Parteien aufbauen, ohne uns mit ihnen und ihren Aktiven auseinanderzusetzen.

Kehren wir zurück zur Art der Distanz zwischen den sozialdemokratischen Parteien und ihrer traditionellen sozialen Basis. Wir haben gesagt, dass es anfänglich nicht die Massen waren, die sich bewegt haben, sondern die Parteien, die ihre soziale Basis auf dem Trockenen gelassen haben. Somit entwickelte sich am Anfang die Ablehnung des Neoliberalismus ohne politische Vertretung. Sie wurde von den fortgeschrittenen Schichten durch sozialen Widerstand ausgedrückt, manchmal durch das Auftauchen neuer sozialer Bewegungen und durch eine Ablehnung oder Vermeidung von Politik. Diese Ablehnung wurde auf einer Massenebene ausgedrückt, durch den Anstieg der Wahlenthaltung in Arbeitervierteln und dadurch, dass viele andere Lohnabhängige einfach für die Sozialdemokratie als ein kleineres Übel stimmten. Erst später und allmählich wurde das Fehlen einer politischen Alternative empfunden. Für diejenigen, die eine politische Alternative zum Neoliberalismus vorschlagen wollen, geht es darum, die Menschen aufzusuchen, wo sie sich befinden, das heißt von ihrer Ablehnung des Neoliberalismus auszugehen und ihnen eine politische Perspektive zu weisen. Neben Kräften, die aus der Sozialdemokratie oder den KPs kommen, gibt es andere Kräfte, die Bestandteil von neuen Parteien sein werden – Ökoaktivisten, Gewerkschafter, Aktivisten für globale Gerechtigkeit usw., und es gibt auch die Strömungen der extremen Linken.

Die „traditionellen“ Gruppen der extremen Linken können wegen einer Anzahl von Gründen als solche keine Alternative bilden. Die Zehn- und Hunderttausende von Menschen, die auf der Suche nach einer politischen Alternative sind, werden nicht direkt für ein revolutionäres Programm gewonnen werden. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass viele Gruppen der extremen Linken Funktionsweisen bewahren, die Aktiven aus anderen Traditionen und gewöhnlichen Werktätigen zuwider sind. Sie müssen deshalb mit anderen antikapitalistischen und antiliberalen Kräften zusammenarbeiten, um Koalitionen, Fronten, Parteien zu bilden. Manche Revolutionäre argumentieren, dass es unmöglich sei, Reformisten und Revolutionäre in einer Partei zu vereinigen, und dass es „strategische Differenzen“ gebe. Aber was trennt jene, die sich als Revolutionäre definieren, tatsächlich von anderen Sozialisten? Zwei Dinge. Erstens verstehen sie, dass man nicht einfach den Apparat des kapitalistischen Staates übernehmen und für den Übergang zum Sozialismus benutzen kann. Zweitens weisen insbesondere die trotzkistischen Gruppen ein solides theoretisches Erbe auf, das, in einer nichtdogmatischen Weise angewandt, noch immer weitgehend relevant ist. Nichts davon hindert sie daran, mit anderen, die diese Charakteristika nicht aufweisen, in Parteien zusammenzuarbeiten. Es ist für viele Aktive, die sich nicht als Revolutionäre verstehen und nicht Mitglieder einer Gruppe sind, vollkommen möglich, und kann in der Praxis verifiziert werden, ein klassenkämpferisches Herangehen zu haben, das sich bspw. oft auf ein Verständnis erstreckt, dass es falsch sei, in sozialliberale Regierungen einzutreten.

Der Ausdruck „strategische Differenzen“ zwischen Reformisten und Revolutionären könnte implizieren, dass sowohl Revolutionäre als auch Reformisten eine Strategie haben. Das ist sehr fraglich. Von welchen Reformisten sprechen wir? Wenn es die Sozialliberalen sind, so haben sie keine Strategie für den Übergang zum Sozialismus, sie teilen die Strategie der Kapitalisten, der sie bestenfalls einen sozialen Anstrich verleihen. Wenn es die Antiliberalen sind, so meine ich, dass es sehr fraglich ist, ob bspw. die PCF eine Strategie hat. Das Schwanken zwischen der Mobilisierung gegen neoliberale Politik und der Zusammenarbeit mit der PS ist kaum eine Strategie. Was die Revolutionäre betrifft, so machen Klarheit über den Charakter des bürgerlichen Staates, ein Verständnis für die Notwendigkeit außerparlamentarischer Mobilisierungen und Selbstorganisation sowie ihr theoretisches Erbe noch keine Strategie. Keine revolutionäre Organisation in Westeuropa hat eine, und zwar aus einem sehr guten Grund. Wir arbeiten in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern mit einer langen Tradition bürgerlicher Demokratie, und keine sozialistische Revolution hat jemals in einem solchen Land stattgefunden. Für den Erfolg einer solchen ist es vernünftig anzunehmen, dass eine Massenpartei aufgebaut werden muss und dass diese Partei parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit zu kombinieren und eine Reihe taktischer Probleme im Verlauf dieser Erfahrung zu lösen hat, Probleme, die in einigen Fällen erst sich zu stellen begonnen haben.

Die Debatte, die in der LCR auf den Seiten von Critique Communiste und anderswo begonnen hat, unterstreicht dies. Sie wirft viele Fragen auf und kann fruchtbar sein. Aber das Resultat wird nicht darin bestehen, dass die LCR eine Strategie haben wird, um uns vom Heute zur sozialistischen Revolution zu bringen. Es ist zu hoffen, dass sie eine bessere Vorstellung haben wird von der Art der Partei und der Art der Taktik, die kombiniert werden müssen, um eine solche Strategie mit Hilfe der Praxis auszuarbeiten.

Es gibt deshalb keinen Grund, warum revolutionäre Marxistinnen und Marxisten nicht mit anderen Aktiven in einer Partei arbeiten können, die den real existierenden Kapitalismus bekämpft und versucht, eine sozialistische Alternative zu skizzieren, um diese Probleme zusammen zu lösen. Insbesondere da wir uns in einer Phase des Widerstands gegen eine kapitalistische Offensive und des Kampfes für Reformen befinden. Reformismus und revolutionäre Politik mögen Gegensätze sein, aber Reform und Revolution sind es nicht – sie sind, wie Rosa Luxemburg vor langer Zeit hervorgehoben hat und wie Claudio Katz kürzlich betont hat, zwei Phasen des Klassenkampfs.

Bestehende revolutionäre Organisationen können einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau neuer Parteien leisten, aber es gibt keine Garantie dafür, dass sie es tun werden. Die Erfahrung hat sowohl Beispiele gezeigt, wo die extreme Linke den entscheidenden oder einen bedeutenden Beitrag zum Aufbau neuer Parteien geleistet hat (Schottland, Portugal, Dänemark), als auch andere, wo sie durchweg dabei versagt hat (Frankreich…), sowie den Fall England, der zwischen diesen beiden Polen steht. Das Problem ist, dass, um solch einen Beitrag zu leisten, diese Organisationen sich in mehrerer Hinsicht ändern müssen. Sie müssen eine Mentalität hinter sich lassen, die entstanden war, als sie revolutionäre Minderheiten waren, die mit bürokratischen Apparaten konfrontiert waren, wobei sie sich als den Kern künftiger Massenparteien betrachteten, mit der Vorstellung, dass jeder und jede für ihre Politik gewonnen werden musste. Dieses Herangehen war immer mangelhaft; es ist ganz und gar unpassend für eine Periode, in der es darum geht, dass neue Massenparteien mit anderen Kräften auf einer Basis der Gleichberechtigung aufgebaut werden und dass die Revolutionäre die Tatsache berücksichtigen, dass sie womöglich von diesen anderen Kräften wirklich etwas lernen können. Es gibt auch eine grundlegende Frage, die die größeren revolutionären Organisationen betrifft. Wenn sie zum Aufbau neuer Parteien beitragen, müssen sie aufhören, als unabhängige Gebilde zu existieren, und stattdessen Strömungen innerhalb dieser Parteien werden.

Das ist ein großer Schritt, wenn man eine beträchtliche Organisation und einen Apparat (Presse, Druckerei, Büro usw.) aufgebaut hat, und es gibt einen gewissen Konservatismus, eine gewisse Zurückhaltung, Risiken einzugehen. Das ist vollständig verständlich, aber spielt eine negative Rolle.

Bei dem gegenwärtigen Stand sind die fortgeschrittensten Parteien der radikalen Linken in Europa wahrscheinlich die SSP in Schottland, der portugiesische Linksblock und die dänische Rot-Grüne Allianz. Diese Parteien sind klar antikapitalistisch, für den Sozialismus. Es sind Parteien, die sich erfolgreich in den sozialen und politischen Kämpfen ihrer Länder verankert haben, indem sie ein Bild und eine Vision von Sozialismus dargeboten haben, das mit Stalinismus und Sozialdemokratie bricht. Und sie haben erfolgreich Parteien aufgebaut, die, wenngleich sie noch keine Massenparteien sind, doch ein Massenpublikum haben, und es ist ihnen gelungen, bei Wahlen Positionen in Parlamenten und kommunalen Räten zu gewinnen. In Schottland und Portugal wurde die Initiative für neue Parteien von revolutionär-marxistischen Organisationen ergriffen – SML in Schottland, UDP und PSR in Portugal –, die erstens den Willen und dann genug Gewicht hatten, um diese Rolle zu spielen und andere Bestandteile (in Portugal aus der KP, in Schottland aus verschiedenen Ursprüngen) anzuziehen, die allein diese Initiative nicht hätten ergreifen können und deren Kräfte andernfalls zweifellos zerstreut worden wären. Diese Organisationen sind ganz ausdrücklich antikapitalistisch und sie haben das Potenzial zum Wachstum, was zukünftige Umgruppierungen nicht ausschließt. Aber es gibt andere Fälle, wo der Bogen der Organisationen weiter ist und die Politik weniger in einem antikapitalistischen Sinn definiert ist. Das ist am deutlichsten in Deutschland der Fall. Wenn diese Parteien breite Kräfte umfassen, kann es sein, dass nicht nur die Revolutionäre, sondern auch konsequente Antikapitalisten in der Minderheit sein werden und scharfe Auseinandersetzungen zu führen sind.

Es geht hier nicht darum, eine erschöpfende Liste der gesamten europäischen radikalen Linken aufzustellen, sondern einige spezifische Fälle zu betrachten. Wir haben gesagt, dass die fortgeschrittensten Fälle jene sind, bei deren Entstehung die revolutionären Marxistinnen und Marxisten eine führende Rolle spielten. Dies sind keine Modelle, denen unabhängig von den nationalen Bedingungen sklavisch zu folgen wäre, sondern Beispiele erfolgreicher Initiativen. Es gibt offensichtlich andere Fälle, andere Typen von Parteien, Fehlschläge und halbe Erfolge. Schauen wir uns einige davon an.

In England hat der Aufbau einer Kraft der radikalen Linken Fehlschläge und halbe Erfolge erfahren – das Scheitern der SLP, die Erfahrung der Socialist Alliance, die nicht ihr gesamtes Potenzial erfüllte. Die Schaffung von Respect kennzeichnete ein neues Stadium. Respect ist das Produkt der Antikriegsbewegung, nicht in dem Sinne, dass es alle Kräfte dieser Bewegung einbezog, sondern in dem Sinne, dass die Kräfte, aus denen Respect besteht, in dieser Bewegung anfingen zusammenzuarbeiten. Wenngleich die politische Hauptkraft die SWP ist (die Sektion der IV. Internationale ist ebenfalls darin präsent), ist das Element, das Respect von der Socialist Alliance qualitativ unterscheidet, die Beteiligung bedeutender Kräfte, die aus der muslimischen Bevölkerung kommen. Dies hat zu mancher Kritik in England und zu viel Kritik in der französischen Linken geführt, deren Bilanz ihrer Beziehung zur muslimischen Bevölkerung sie kaum dazu berechtigt, jemandem diesbezüglich irgendwelche Lehren zu erteilen. Es ist wahr, dass die meisten der Regionen, in denen Respect seine besten Resultate erzielte, bedeutende muslimische Bevölkerungen aufweisen, die stark in der Antikriegsbewegung engagiert waren. Doch ist klar, dass das Programm von Respect sich nicht nur an Muslime richtet und nicht nur über den Krieg spricht, sondern auch über soziale Fragen (die auch Muslime betreffen…). Die Bezugnahmen von Respect auf den Sozialismus sind mehr als vage (dies scheint seitens der SWP beabsichtigt zu sein), aber Respect ist eindeutig gegen den real existierenden neoliberalen Kapitalismus, und dies ist ein guter Ausgangspunkt.

Das wirkliche Problem liegt anderswo. Es scheint, dass es die Politik der SWP ist, Respect als lockeres Bündnis zu bewahren, trotz solcher Äußerungen wie der von John Rees am Ende der Veranstaltung „Marxism 2005“, wonach „Respect eine Massenpartei der Arbeiterklasse werden muss“. Als Resultat hat sich das Programm von Respect nicht sehr entwickelt und die interne Demokratie lässt eine Menge zu wünschen übrig. Respect scheint nicht zu wachsen und insbesondere keine ernsthafte gewerkschaftliche Unterstützung anzuziehen. Es muss eine wirkliche Partei werden, mit einem Programm und mit demokratischen Strukturen und einem Respekt für den Pluralismus. Die von der „Respect Party Platform“ und von Socialist Resistance diesbezüglich geleistete Kritik ist richtig.

Die PRC in Italien ist eine Partei von Zehntausenden Mitgliedern mit einer bedeutenden Gruppe von Abgeordneten. Sie bleibt stark durch ihren Ursprung in der PCI gekennzeichnet, aber war fähig, bedeutende Kräfte aus der extremen Linken wie auch viele neue Mitglieder zu integrieren und sich mit der Bewegung für globale Gerechtigkeit zu verbinden. Ihre nahe bevorstehende Degeneration wurde oft von denjenigen angekündigt, die auf solche Vorhersagen spezialisiert sind. Aber bis 2004 ging ihre Entwicklung generell nach links und zu einem – nicht kompletten, aber realen – Bruch mit der stalinistischen Kultur. Doch in der Folge hat sie sich nach rechts entwickelt und ist der Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi beigetreten. Dies hat zu starken Spannungen und einer Krise in der Partei geführt, was ihrem linken Flügel eine große Verantwortung auferlegt.

Ein besonderer Fall ist der der Sozialistischen Partei [SP] in den Niederlanden. Sie ist, was ihr Name nicht notwendigerweise nahelegt, eine Formation der radikalen Linken. Sie war ursprünglich eine maoistische Gruppe, die in den 80er Jahren die Entscheidung traf, eine breite sozialistische Partei aufzubauen. Sie spielte eine führende Rolle beim Sieg des „Nein“ beim Referendum über die Europäische Verfassung. Die SP behauptet heute, dass sie 50 000 Mitglieder hat. Sie hat im letzten Jahr große Gewinne bei lokalen und nationalen Wahlen erzielt und verfügt über 25 Abgeordnete in einem Parlament von 150 Abgeordneten. Mit einer solchen Entwicklung des Kräfteverhältnisses beginnt sich das Problem des Übergangs von einer radikalen Opposition gegen den Neoliberalismus zu der Notwendigkeit, eine Alternative dazu zu repräsentieren, zu stellen, ohne es zu lösen. Die SP hat sich entschieden, ihre Bereitschaft zu regieren zu verkünden, vorzugsweise in einer Koalition mit den Sozialdemokraten, möglicherweise aber auch mit den Christdemokraten, wenngleich nicht zu allen Bedingungen. Sie ist deshalb außerhalb der sozialdemokratisch-christdemokratischen Regierungskoalition geblieben. Aber welche Kritik man auch immer gegen die SP vorbringen kann, ihr Erfolg unterstreicht eines: Wenn man die Sozialdemokraten ernsthaft als die erste Partei der Linken (wie es der Fall ist) herausfordert, ist es ganz unmöglich die Frage der Regierungsbeteiligung zu umgehen, und man muss klar sagen, warum man nicht in die Regierung gehen wird und unter welchen Bedingungen man es tun würde.

Bedeutende Entwicklungen finden nun in einem Schlüsselland statt, in Deutschland. Seit der Vereinigung des Landes hat die PDS den Widerstand eines großen Teils der Bevölkerung der ehemaligen DDR gegen die Folgen der Restauration des Kapitalismus verkörpert. Diese Partei hat viele Mängel – sie nimmt an regionalen Koalitionsregierungen mit der SPD teil; ihre Kader bleiben im Wesentlichen jene der alten Einheitspartei SED. Sie erhält jedoch weiterhin eine bedeutende Unterstützung in der Ex-DDR. Aber ihre besondere Geschichte bedeutet, dass die PDS nie in bedeutender Weise im Westen Fuß gefasst hat, worin die Bedeutung des Auftauchens der WASG liegt: Das Bündnis erhielt 8,7 Prozent der Stimmen und 53 Abgeordnete bei der Bundestagswahl im September 2005. Die endgültige Fusion von WASG und PDS steht für Juni an. Es handelt sich keinesfalls um eine antikapitalistische Kraft, aber sie ist eindeutig antiliberal. Und so wie die SSP und der Linksblock fortgeschrittene Beispiele sind, so bestimmen auch die Kräfte, die die neue Partei lanciert haben, ihren politischen Inhalt, aber in Richtung auf seine Beschränkung auf einen linkskeynesianischen Reformismus. Wesentlich ist jedoch, dass sich etwas in einem Raum bewegt, der zuvor eine politische Wüste war, und dass diese Partei auf ein wirkliches Echo bei Arbeiterinnen und Arbeitern stößt. Die Bestandteile der extremen Linken in Deutschland, die sich daran beteiligen, tun dies zu Recht.

Gewiss ist Frankreich das Land, wo der Widerspruch zwischen dem hohen Grad sozialen Widerstands – aber auch politischen Widerstands, wie sich bei der Kampagne zum Referendum zeigte – gegen den Neoliberalismus und dem Fehlen einer breiten antikapitalistischen Kraft am offensichtlichsten ist. Die Nein-Kampagne wurde von einer breiten Koalition durchgeführt, mit einer Bewegung aus Hunderten von Einheitskollektiven, die bis zu 15 000 Menschen umfassten. Im Vorfeld der Wahlen von 2007 erwachten sie zu neuem Leben und dehnten sich aus, wobei sie programmatische Dokumente verabschiedeten und Kandidaten bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen aufstellen wollten. Aber zuerst zog sich die LCR zurück, um ihren eigenen Kandidaten zu präsentieren, und anschließend machte die PCF einen plumpen Versuch, ihre Generalsekretärin zur Präsidentschaftskandidatin küren zu lassen, was die Bewegung verweigerte. Das führte zu scharfen Konflikten und Krisensituationen in LCR wie PCF und warf die Bewegung ernsthaft aus der Bahn. Der Versuch, diese Situation durch die Kandidatur von José Bové zu überwinden, ist löblich, aber vielleicht zu beschränkt und zu spät. Doch ist die Bewegung für die Einheit der antiliberalen Linken nicht tot und wird in der kommenden Periode wieder auftauchen. Und welche Resultate ihre Kandidaturen auch immer erzielen, die Konflikte in LCR und PCF sind nicht vorbei. Es besteht kein Zweifel, dass die LCR für diese Situation einen Teil der Verantwortung trägt. Prinzipiell ist sie auf die Perspektive des Aufbaus einer neuen antikapitalistischen Kraft orientiert. Doch schon vor den Wahlen hatte sie nie Erfolg, weder bei der Konkretisierung dieser Perspektive, noch beim Ergreifen einer Initiative, die auch nur ein wenig ernsthaft ist. Die Gründe, die dafür vorgebracht werden – die objektive Situation und politische Hindernisse –, sind sehr fraglich.

Es gibt eine Koordination antikapitalistischer Parteien, die Europäische Antikapitalistische Linke (EAL), deren Koordinationsgruppe aus der SSP, dem Linksblock, der Rot-Grünen Allianz und der LCR besteht. Es gibt auch die Europäische Linkspartei (ELP), die einige der ehemaligen KPs (und einige, die es immer noch sind) und linksreformistische Parteien zusammenbringt, die nicht notwendigerweise sehr radikal sind – nicht neoliberal, aber nicht wirklich unabhängig von der Sozialdemokratie. Aber die Grenzen zwischen diesen beiden internationalen Strömungen sind nicht undurchlässig. Die PRC und das griechische Bündnis Synaspismos sind Teil der ELP, aber haben manchmal als Beobachter an Versammlungen der EAL teilgenommen. Der Linksblock ist jetzt auch Mitglied der ELP, ebenso Respect. Wenngleich es gewiss die EAL ist, dass die aufzubauen ist, ist es auch erforderlich, eine flexible Beziehung zu Bestandteilen der ELP zu bewahren. Und es gibt jetzt eine Initiative der niederländischen SP, welche weder der EAL noch der ELP angeschlossen ist, im Sommer eine internationale Versammlung einzuberufen.

Was radikale Linke genannt wird, umfasst also sehr unterschiedliche Realitäten. Wir können sie so definieren, dass sie aus allen Kräften und Strömungen besteht, die sich dem Neoliberalismus verweigern. Zu ihr gehören Parteien, die explizit antikapitalistisch sind, aber es gibt nicht immer eine klare Trennlinie zwischen antikapitalistisch und antiliberal. Zwischen eher allgemeinen antikapitalistischen und sozialistischen Bezugnahmen und der Integration der antikapitalistischen Dimension in das Alltagsleben der Parteien kann ein gewisser Abstand und sogar eine Reihe von Situationen liegen.

Das Endziel ist nicht der Aufbau breiter Parteien um ihrer selbst willen, sondern der Aufbau von Parteien, die bedeutende Kräfte umfassen und langfristig, zweifellos nach vielen Differenzierungen und Konflikten, in der Lage sein werden, Prozesse sozialistischer Transformation zu führen, also revolutionäre Parteien zu werden. Aber diese Entwicklung kann nicht gegen den Rhythmus der Entwicklung des Klassenkampfs und des politischen Bewusstseins erzwungen werden. Es geht darum, zu solchen Parteien durch die Ausarbeitung einer politischen Strategie über zahlreiche soziale und politische Kämpfe voranzuschreiten. Die Rolle der revolutionären Marxistinnen und Marxisten besteht darin, die Dinge in diese Richtung zu treiben, diese Parteien aufzubauen und dabei ihren Teil auf den Gebieten des Programms und der Praxis beizutragen. Zu Beginn schien es, diese Aufgabe bestehe einfach nur darin, Kräfte zusammenzubringen und antikapitalistische Parteien aufzubauen. Aber die Wirklichkeit hat gezeigt, dass in einigen Fällen – gewiss in Deutschland; in Frankreich, wenn der Prozess wieder beginnt – diese Aufgabe weniger klar umrissen sein wird als zu Beginn. Damit lässt sich leben, wenn eine wirkliche politische Kraft aufgebaut werden kann. Nach einem französischem Sprichwort „ist das Beste der Feind des Besseren“, das heißt, wenn man das Maximum zu erreichen versucht, versäumt man die Gelegenheit eines wirklichen Schritts nach vorn für die Bewegung, der, wie Marx sagt, wichtiger ist als ein Dutzend Programme. Viele Debatten, und sogar scharfe Auseinandersetzungen, können innerhalb eines gemeinsamen Rahmens ausgetragen werden.

Wie die revolutionären Marxistinnen und Marxisten in diesen Parteien intervenieren, wird in großem Ausmaß von dem konkreten Kontext abhängigen, in dem sie agieren müssen. Die Intervention einer revolutionär-marxistischen Strömung wird in der SSP oder im Linksblock oder in der Rot-Grünen Allianz nicht dieselbe sein wie in der PRC, wo es darum geht eine irrige Orientierung zu bekämpfen. Sie wird in der neuen Partei in Deutschland wieder eine andere sein. Aber es sind diese realen Prozesse, welche anfangen, die Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter zu berühren und zu einer Änderung der Dinge führen, in denen sich die Revolutionäre heute engagieren müssen.

6.4.2007



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 428/429 (Juli/August 2007).