Liebe Genossinnen und Genossen, Mai 1968 – Mai 2008: Vor 40 Jahren veränderte sich die Situation in Europa schlagartig. Mai 1968 in Frankreich, der schleichende Mai in Italien, der Prager Frühling, die Studenten und Arbeiterrevolten in fast allen Ländern Europas. Die revolutionären Ideen betraten mit Macht wieder die gesellschaftliche und politische Szene in Europa. Heute geht es nicht in erster Linie um ein Gedenken, sondern um die politische Notwendigkeit, an einer radikalen Bewegung des Klassenkampfes, für Demokratie und für den Sozialismus wieder anzuknüpfen.
Die Welt hat sich seitdem verändert. Die Gegenoffensive der herrschenden Klassen, die Ende der 1970er Jahre einsetzte, hat zur kapitalistischen Globalisierung geführt, in der die neoliberalen kapitalistischen Konterreformen die Szene beherrschen. Die Sozialdemokratie hat sich an den neoliberalen Kapitalismus angepasst und sich in eine sozialliberale bzw. neoliberale Kraft transformiert. China ist zu einem der Schlüsselländer der kapitalistischen Globalisierung geworden. Aber trotz der imperialistischen Dampfwalze existiert der gesellschaftliche und politische Widerstand weiter: hier und da Streiks der ArbeiterInnen, ein Auflehnen der Jugend, das sich in der Antiglobalisierungsbewegung ausdrückt, Antikriegsbewegungen gegen die Intervention der USA im Irak und in anderen Teilen der Welt – kurz die Ablehnung dieser neuen Weltordnung durch Millionen und Abermillionen von Menschen.
In den Parteien, die sich auf den Sozialismus beziehen, gibt es viele Menschen, die meinen, dass der Realismus es gebietet, sich mit den Kräften des Kapitals zu arrangieren und einen Kompromiss mit dem System zu finden und schließlich – mit dem Verweis auf das angeblich kleinere Übel – Regierungen zu unterstützen, die sich zwar links nennen, aber in Wirklichkeit die bürgerliche Ordnung aufrecht erhalten und eine neoliberale Politik umsetzen.
Sicherlich sind die Bedingungen des Klassenkampfes für die ArbeiterInnenklasse ungünstiger, aber inzwischen haben neue Generationen von AktivistInnen neue Erfahrungen gesammelt. In jedem Land gibt es AktivistInnen, Strömungen, Organisationen, die eigenständige Wege suchen, um eine politische Alternative zum Kapitalismus aufzubauen oder wieder aufzubauen, eine Alternative auch zur traditionellen Linken, die den Neoliberalismus akzeptiert hat.
Wir sind viele in Europa, die wir diese Herausforderung aufgreifen. Im Gegensatz zu all dem Abschwören und Anpassen bekräftigen wir, dass die Antwort, die den sozialen Kämpfen gerecht wird, darin besteht, eine Gesellschaft aufzubauen, die frei ist von Ausbeutung und jeglicher Form der Unterdrückung, in der an die Stelle des Profits die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse tritt. Das war die Hoffnung in den revolutionären Kämpfen der 60er Jahre und mehr denn je steht dies heute in der Zeit der Dampfwalze des neoliberalen Kapitalismus auf der Tagesordnung.
Der Jahrestag von 1968 ist eine gute Gelegenheit, sich zu treffen, um die in Europa stattfindenden Kämpfe zu unterstützen und die antikapitalistische Linke in all ihren Komponenten zu versammeln.
Wir müssen feststellen, dass diese antikapitalistische Linke – trotz einiger Erfolge – gespalten und zersplittert ist. Politischer Austausch und erst recht gemeinsame Aktionen sind äußerst begrenzt. Sicherlich, es gab internationale Treffen anlässlich der Weltsozialforen in Mumbai und Porto Alegre. In Europa hat die antikapitalistische Linke (Konferenz der Europäischen Antikapitalistischen Linken, EAL) mehrere Versammlungen mit einer Reihe von Strömungen und Organisationen durchgeführt. Aber wir denken, dass in der heutigen Situation in Europa neue Gelegenheiten existieren, um sich zu treffen, sich auszutauschen und zu debattieren, vorausgesetzt, dass diejenigen es wünschen, und dazu wollen wir den Jahrestag des „Mai 68“ nutzen. Wir brauchen unbedingt eine freie und offene Diskussion all der Kräfte, die heute die Welt radikal verändern wollen.
Diese Diskussion könnte den Austausch über die Möglichkeiten gemeinsamer Aktionen in sozialen und Umweltfragen verbinden mit denen des Kampfes gegen den Krieg und den Möglichkeiten gemeinsamer Initiativen bei den nächsten europäischen Wahlen sowie mit einer Diskussion zu grundsätzlichen Fragen:
Welches Programm gegen die kapitalistischen Umstrukturierungen?
Welche neuen Methoden, Formen und Inhalte, um eine Arbeiterbewegung und soziale Bewegungen neu aufzubauen?
Wie können wir eine Politik der Aktionseinheit der linken Kräfte verbinden mit der Absage, sich an Mitte-Links-Regierungen oder sozial-liberalen/ neoliberalen Regierungen zu beteiligen?
Welcher Prozess der revolutionären Transformation?
Welcher Sozialismus des 21. Jahrhunderts?
Welche neuen Parteien brauchen die ArbeiterInnen und die Jugend im Kampf gegen den Kapitalismus?
Das sind einige der Fragen, die im Zentrum einer politischen Alternative stehen und die wir mit allen fortschrittlichen, antikapitalistischen und revolutionären Kräften diskutieren möchten. Sicherlich können diese Fragen nicht alle an einem Wochenende diskutiert und noch weniger gelöst werden, aber wir möchten einen Prozess der gemeinsamen Aktion und der Diskussion wiederbeleben.
Wir richten deswegen diese Einladung für ein internationales europäisches Treffen am 30./31. Mai – 1. Juni 2008 in Paris an all die politischen Kräfte, die eine neue antikapitalistische Alternative aufbauen wollen.
Politisches Büro der LCR, Paris, den 21. Januar 2008 Übersetzung: D. B. |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 438/439 (Mai/Juni 2008).