Der traurige Abgang von Rifondazione hat für diejenigen, die den gesamten Werdegang miterlebt haben, den bitteren Nachgeschmack einer Liebesbeziehung, die zwar lange gehalten hat, an deren Ende aber der Verrat an den aufrichtigsten gegenseitigen Versprechungen und gemeinsamen Idealen stand. Die Aufarbeitung der Trauer darüber soll nicht nur das Schlusswort einer gerade erst verflossenen Beziehung darstellen, sondert bietet die einzige Möglichkeit, den Blick nach vorne zu lenken und tunlichst zu vermeiden, dass sich die Geschichte noch einmal in gleicher Weise wiederholt. Die grundlegende Voraussetzung für diese Aufarbeitung ist das Verständnis – oder zumindest das Bemühen darum – für die Gründe dieser Entwicklung. Eine ernsthafte Darlegung der gesamten Geschichte der PRC wird vielleicht erst im Abstand von einigen Jahren möglich sein. Insofern kann der folgende Beitrag lediglich einen ausschnitthaften und subjektiven Rückblick auf die vergangenen siebzehn Jahre liefern.
Aus Sicht der Verfasserin bot Rifondazione eine Gelegenheit zum Aufbau einer antikapitalistischen Linken und dafür haben wir Energie, Engagement und gedankliche Arbeit auf diese Partei verwandt. Für uns bestand die Chance, zu verhindern, dass die politischen Verhältnisse in Italien nach rechts rückten und von der jeweiligen Parlamentsmehrheit bzw. dem späteren Zweiparteiensystem dominiert würden – wofür Rifondazione auch mehr oder weniger erfolgreich eingetreten ist – aber auch um „vom bloßen Widerstand zur aktiven Politik“ überzugehen, um ein lange Zeit populäres Bonmot der Partei zu zitieren. Mit anderen Worten: ein Versuch, eine aktive linke und antikapitalistische Politik zu betreiben, die konsequent ist, nach sozialer Verankerung strebt und mit der bürokratischen Tradition bricht, welche zeitlebens als Hypothek auf der KPI und ihren politischen Entscheidungen gelastet hat. Diese neue Partei sollte in der Lage sein, eine nützliche Rolle beim Wiederaufbau einer neuen Arbeiterbewegung zu spielen, die zugleich ökologisch, feministisch, antirassistisch und internationalistisch orientiert ist. Für dieses Ziel braucht man sicherlich einen langen Atem, aber es war (und ist für uns noch immer) die einzige Chance, den Propagandisten des Kapitalismus und ihrer Leier vom Ende der Geschichte mit einer eigenen Perspektive entgegen zu treten. Und diese Gelegenheit wurde verpasst.
Entstanden ist die PRC aus den Überbleibseln der Neuen Linken Italiens der 70er Jahre und einer Minderheit der KPI, die sich weigerte, den Degenerationsprozess bis hin zur heutigen Demokratischen Partei mitzumachen, den die Parteiführung durchzog und der ein in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung einmaliges Beispiel für die Wandlung einer kommunistischen zu einer neoliberalen Partei darstellt. Das ruhmlose Ende, dem die PRC entgegen sieht, war bei ihrer Entstehung keineswegs vorgezeichnet. Verantwortlich dafür waren eine Reihe struktureller Mängel und übergeordnete Entwicklungen, aber auch politische Fehlentscheidungen, die nicht unvermeidbar gewesen waren und ohne die der Verlauf hätte anders ausgehen können.
Zu den objektiven Faktoren zählt ganz sicherlich, dass die Arbeiterbewegung nach dem Ende der jahrelangen Offensive von Ende der 60er bis Anfang der 70er Jahre, in denen die politischen und sozialen Verhältnisse in Italien zum Tanzen gebracht worden waren, in die Defensive geraten ist und anhaltende Niederlagen einstecken musste. Seither ist die Arbeiterklasse frontalen Angriffen durch eine Austeritätspolitik ausgesetzt und unterliegt einem schleichenden Erosionsprozess, in dem die sozialen Errungenschaften aus den Kämpfen der Jahre zuvor von der zunehmend weniger konzessionsbereiten Bourgeoisie wieder zunichte gemacht werden. Fausto Bertinotti hätte, als ihm nach dem Bruch mit der ersten Regierung unter Prodi und auf dem nachfolgenden Parteitag dämmerte, dass in der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Globalisierung dem Reformismus kein Spielraum mehr bleibt, sicher gut daran getan, diesen – möglicherweise intuitiven – Gedanken selbst ein wenig ernster zu nehmen. Die Bestätigung dafür erhielt die italienische Bevölkerung während der beiden Jahre der zweiten Regierung Prodi, die zu einem noch unübersehbaren Ausmaß an Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz geführt hat. Dass der Reformismus ausgespielt hat, macht der italienische Kapitalismus mit seinen sozialen Gegenreformen und Attacken überdeutlich, so dass selbst eine so dynamische Bewegung wie die gegen die Globalisierung außerstande ist, adäquaten Widerstand zu leisten. Unter solchen Bedingungen daran festzuhalten, eine antikapitalistische Linke aufzubauen und gegen den Strom zu schwimmen ist nicht selbstverständlich und ganz sicher haben diese Rahmenbedingungen die innere Dynamik von Rifondazione negativ beeinflusst. Dennoch liegt darin keine ausreichende Erklärung für die politische Degeneration.
Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren mindestens drei übergeordnete Gesichtspunkte. Erstens waren die PRC und besonders ihre Führungskader nicht in der Lage, den andauernden politischen Rückschlägen und ausbleibenden Erfolgserlebnissen eine konsequente soziale Verankerung und klassenpolitische Aktivität entgegen zu setzen. Das Engagement und die Verankerung der PRC in den sozialen Bewegungen lässt sich als eine Parabel beschreiben, die ihren Höhepunkt in den zwei bis drei Jahren Aktivität in der Antiglobalisierungsbewegung erreicht hatte, um dann jäh abzustürzen und eine tiefgreifende Entfremdung zwischen der Partei und ihrer sozialen Basis zu erreichen, die dann ihren Niederschlag in den miserablen Wahlergebnissen gefunden hat, wohingegen die Parteiführung der gesellschaftlichen Entwicklung völlig verständnislos gegenüber stand. Selbst in den besten Jahren, als die Orientierung auf die Massenbewegungen vollzogen wurde – namentlich 2001 und beim Kongress 2002 – war die Führung der PRC nie in der Lage, eine konsequente Strategie zur sozialen Verankerung auszuarbeiten, die zugleich die Autonomie der sozialen Bewegungen und Organisationen respektiert und die Partei in die Lage versetzt hätte, eine klare, aber unsektiererische politische Linie ihnen gegenüber zu entwickeln. Stattdessen schwankte sie hin und her zwischen Bewegungshuberei, die oft einherging mit einer unkritischen Verherrlichung der Bewegungen in jedweder Form und einer Fetischisierung des Spontaneismus, der quasi naturwüchsig in die richtige Richtung dränge und daher auf jedwede Strategie und politische Führung verzichten könne, und dem kompletten Gegenteil, einem Politikastertum, das völlig abgehoben von den realen gesellschaftlichen Vorgängen agiert und Ziele verfolgt fernab von dem, was in den Bewegungen gerade vorgeht. Es ging offensichtlich nie in die Köpfe der PRC-Führung, dass politische Organisationen und soziale Bewegungen voneinander unabhängig existieren können, aber zugleich dialektisch miteinander verwoben sind. Das vielleicht schlagendste Beispiel für diese fehlende konsequente Linie der sozialen Verankerung war das Engagement in den Gewerkschaften, das zunehmend deutlicher machte, dass die Partei außerstande war, den Aufbau einer klassenkämpferischen Gewerkschaft anzugehen und eine gewerkschaftliche Einheit von unten zu propagieren – unabhängig von der Organisationszugehörigkeit. Die Unfähigkeit zeigte sich in besonders trostloser Weise in der Weigerung, innerhalb der Gewerkschaften eine druckvolle Kampagne für ein Nein in der Volksabstimmung über die Sozialreform durchzuführen – angeblich um die organisatorische Unabhängigkeit der Gewerkschaften zu respektieren. Mit den Jahren hat diese Problematik dazu geführt, dass man sich an diese Distanz zur Arbeiterklasse gewöhnt und sich bequem eingerichtet hat; denn Aufbauarbeit an der Basis ist mühsam und erfordert mehr Engagement als der Erwerb von Privilegien, Anerkennung und materieller Vorteile als neue Bürokratie.
Und dabei kommen wir zum zweiten Faktor. Während ihrer siebzehn Jahre hat Rifondazione nie einen wirklichen Bruch mit der bürokratischen Tradition der KPI vollzogen, v. a. was Organisationstheorie, innere Demokratie und Kaderwesen anbelangt. Die Erneuerungsversuche, die lauthals auf dem Kongress 2002 proklamiert wurden, haben sich als Seifenblase erwiesen – glücklicherweise: da es sich nämlich um klammheimliche Versuche handelte, die Rolle der Organisation zu relativieren, wäre in Wirklichkeit die Bürokratisierungstendenz noch weiter verstärkt worden, da bekanntlich eine Schwächung der Organisation ein fruchtbares Terrain für die Machtkonzentration an der Spitze ist. Das Recht auf Tendenzbildung innerhalb der Organisation wurde verweigert, Kongress um Kongress wurden unveränderliche Beschlussvorlagen diskutiert und die Wahl der Leitungsorgane erfolgte zumeist durch Kooptation [1] (ob formal oder faktisch, ändert wenig), wobei Linientreue und Anpassungsfähigkeit eine größere Rolle spielten als die tatsächliche Kompetenz. Dadurch konnte ein Leitungskader entstehen, der zu Opportunismus und Anpassung neigt und auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Auch die Nachwuchskader konnten sich dieser Dynamik nicht entziehen und glänzten nicht gerade durch selbständiges Denken und Handeln. Wenn dann noch hinzu kommt, dass durch Mandate in Kommunalparlamenten und Ämter auf verschiedenster Ebene eine materielle Absicherung für eine Vielzahl von Genossen und Genossinnen und deren Familien gewährleistet wird, ist nachvollziehbar, dass hier eine wahrhafte Bürokratie entstehen konnte mit wenig eigenen Ideen aber umso größerem Beharrungsvermögen.
Der ausgebliebene Bruch mit der bürokratischen Tradition bedingt schließlich das dritte Element: die fehlende programmatische Klarheit. De facto ist das Konzept einer gesellschaftlichen Änderung auf reformistischem Wege nie aufgegeben worden. Das Haupthindernis hierbei war das fehlende Geschichtsbewusstsein in der Organisation, die Unfähigkeit, die Geschichte der Arbeiterbewegung aufzuarbeiten und eine offene und umfassende Debatte über Vergangenheit und Perspektiven zwischen den verschiedenen ideologischen Strömungen, aus denen Rifondazione sich zusammensetzt, in Gang zu bringen und eine wirklich grundsätzliche programmatische Diskussion zu führen, die der Partei ein eigenes Gesicht hätte verschaffen können. Auf jedem Kongress ging es aufs Neue um die Frage des Verhältnisses zur sozialliberalen Linken (die inzwischen offen neoliberal gewendet ist), die die Wogen hoch kochen ließ und zu tief greifenden Zerwürfnissen führte: angefangen bei der Abspaltung der „Comunisti unitari“ über die von Bacciardi und Cossutta (auf jeweils entgegen gesetzter Grundlage) bis hin zum Aderlass der letzten Jahre. Trotzdem wurde das Verhältnis zum Sozialliberalismus nie ernsthaft diskutiert oder in programmatischer Hinsicht gelöst. Stattdessen schwankte die Partei hin und her zwischen einer Orientierung auf die sozialen Bewegungen und Regierungsambitionen und verlor dadurch nach links und nach rechts Mitglieder und Aktivisten sowie Energie und Glaubwürdigkeit. Die Krönung des Ganzen war die in den letzten Jahren vollzogene Revision der geschichtlichen und theoretischen Grundlagen, die soweit ging, alles in einen Topf zu werfen: Oktoberrevolution und Stalinismus, geglückte Beispiele von Arbeitermacht und bürokratische Degeneration, Recht der Revolution auf Selbstverteidigung und militaristisches Abenteurertum in den Bewegungen. Alles im Namen wohlmeinender Aufrufe, die Welt zu ändern ohne die Macht zu ergreifen und die Blutflecken vom Sonntagsstaat der Arbeiterbewegung zu waschen, um sich anschließend umso beharrlicher an die Rockschöße der Macht zu hängen und diejenigen der politikunfähigen Schöngeisterei zu bezichtigen, die sich weigerten, für die Besatzung von Afghanistan zu stimmen.
Dennoch mussten diese strukturellen Mängel und ungelösten Probleme von Rifondazione nicht zwangsläufig zu dem jetzt erlebten Niedergang führen. Es war keineswegs absehbar, dass Leitungsmitglieder, die aus der Neuen Linken und namentlich aus Democrazia Proletaria stammten, so degenerieren würden, dass sie wie Paolo Ferrero als Ministerialberater endeten. Man hätte den linken Flügel der KPI aus seiner reformistischen Tradition lösen müssen. Stattdessen haben sich die DPler dem Reformismus angepasst und nicht nur die Organisationsformen übernommen sondern auch die alte Leier von der Partei, die zugleich für Kampf und Regierungsfähigkeit steht, wie der unrühmliche Verlauf der beiden vergangenen Jahre zeigt. Wahrscheinlich hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen, wenn sich diese politischen Kader dazu entschlossen hätten, sich zu einer starken linken Strömung in der Partei zusammen zu schließen. Insofern lag die Verantwortung auch an individuellen politischen Entscheidungen. Mit gewissen Einschränkungen hätte auch von der Antiglobalisierungsbewegung in ihren Hochzeiten ein positiver und richtungsweisender Impuls ausgehen können, der den Aufbau einer starken linken Alternative ermöglicht hätte. Die sozialen Bedingungen dafür waren da gewesen, und es gab eine neue Generation, die sich auf Demonstrationen, Sozialforen und in diversen Basisinitiativen politisiert hatte und die der Partei, die ja immerhin die größte Organisation der radikalen Linken in Europa war, frisches Blut zuführte. Damals schien die Partei für Grundsatzdiskussionen offen zu sein, und die Genossen und Genossinnen der heutigen Sinistra Critica übernahmen daher auch konkrete Leitungsfunktionen auf Seiten der Mehrheit, um diese nach links zu drängen, hin zu einer klassenkämpferischen Orientierung statt des zweifelhaften Marsches durch die Institutionen. Und es war beileibe nicht von Anfang an ausgemacht, dass am Ende dieser Episode ein so tristes Schauspiel stehen würde, wie gerade jetzt, wo die Parteispitzen angesichts des Wiederauflebens von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nichts anderes zu tun haben, als die bis dahin ostentativ gepflegte Harmonie abzustreifen und aufeinander einzuprügeln. Diese politischen Kehrtwendungen haben Ross und Reiter, und 2003 waren Fausto Bertinotti und die Leitungsriege dafür verantwortlich, dass Rifondazione umstandslos nach rechts ruderte und sich dem Mitte-Links-Bündnis in die Arme warf. Mögen die objektiven Umstände und die erlittenen Niederlagen noch so schwer wiegen und auch strukturelle Grenzen gesetzt sein, bleibt doch immer noch ein Spielraum, innerhalb dessen subjektive Entscheidungen getroffen werden können, die den Ausschlag in diese oder jene Richtung geben können. Rifondazione hat seine Chance wahrhaft verpasst, denn die Geschichte hätte anders verlaufen können und unser Engagement war durchaus berechtigt.
Wir werden daraus sicherlich etliche Lehren für die Zukunft zu ziehen haben. Um die Linke in diesem Land wieder aufzubauen, müssen die Fragen der sozialen Verankerung, der Organisationsweise und der programmatischen Klarheit – v. a. was das Verhältnis zum Sozialliberalismus anbelangt – unbedingt diskutiert werden. Wir müssen nicht bei Null wieder anfangen, aber bei Drei, wie Massimo Troisi meinte. Insofern sind improvisierte Manöver, nostalgische Versammlungen von AltkommunistInnen und unbestimmte Appelle zum „Ärmelhochkrempeln und Zusammenstehen in schwierigen Zeiten“ nicht nur überflüssig, sondern lenken letztlich von den Prioritäten ab, die vor uns liegen und die wir uns nicht aussuchen können.
Übersetzung: MiWe |
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 446/447 (Januar/Februar 2009).