Millionen von AmerikanerInnen betrachten die Wahl von Barack Obama als Absage an die Ideologie der „weißen Überlegenheit“, und wir stimmen damit überein. Die rassistischen Kampagnen gegen Obama, die zum Teil verdeckt, zum Teil offen hetzerisch geführt wurden, waren erstaunlich wirkungslos. Die Wahlen 2008 sind jedoch Ergebnis einer zweifachen, unterschiedlichen Erwartungshaltung. Es ist wichtig, dass das von SozialistInnen und AktivistInnen für Frieden und soziale Gerechtigkeit wahrgenommen und begriffen wird.
Dutzende Millionen von AfroamerikanerInnen – und noch wichtiger ihre Kinder, die einen schwarzen Präsidenten sehen werden – betrachten die Wahl eines Schwarzen zum Präsidenten der USA als einen gigantischen Schritt hin zu vollem Bürgerrecht und zu voller Befreiung. Vielleicht kein Ereignis seit der legendären Nacht 1938, als Joe Louis Max Schmeling k. o. schlug, war ein solch magischer Anlass zum Feiern für die schwarze Bevölkerung. Nur war sie dieses Mal nicht nur Zuschauerin, sondern sie war direkt am Sieg beteiligt.
Nicht nur Afro-AmerikanerInnen haben das Gefühl, dass „unser langer nationaler Alptraum vorüber ist“. Junge Menschen und Angehörige der amerikanischen Arbeiterklasse, einschließlich Dutzende Millionen Weiße, Latin@s, Asian-Americans, American Indians und Menschen, die aus dem Nahen Osten stammen, teilen dieses Gefühl. Man muss nur wissen, dass Barack Obama im Vorort Macomb County, Michigan, gewann – dem urtypischen Stammland der „Reagan-Demokraten“ –, um zu begreifen, wie stark sich die politische Stimmung geändert hat. Nach einem Jahrzehnt republikanischer Vorherrschaft ist die Mehrheit der AmerikanerInnen desillusioniert von der politischen Führung des Landes und dem augenscheinlichen wirtschaftlichen Niedergang.
George W. Bush geht in die Geschichte ein (in mehr als einem Sinn). Er ist der erste Präsident, der zwei Wahlperioden regierte, ohne auch nur einmal eine Wahl mit legitimen Mitteln gewonnen zu haben. Er ist nicht der erste Präsident, der log, um einen Krieg zu führen, aber er ist der erste, der behauptete, dass dafür nicht gezahlt werden müsste, und der in Kriegszeiten Steuern senkte. Seine Regierungszeit war ein 8 Jahre andauerndes kriminelles Unterfangen, bei dem alle Machtmissbrauchsrekorde von Richard Nixon und Ronald Reagan gebrochen wurden. Am Ende sprengte seine Wirtschaftspolitik – im vollen Sinne des Wortes – die Bank. Das trug sowohl zum Niedergang der US- und der Weltwirtschaft als auch seiner eigenen politischen Partei bei.
Aber genau deshalb wurde Barack Obama nicht nur „von unten“ gewählt, das heißt von den Schwarzen, den Latinos und Latinas, der Arbeiterklasse und den jungen AmerikanerInnen. Und er erhielt seinen politischen Auftrag auch nicht nur von ihnen. Wahl und politischer Auftrag kamen auch „von oben“, von den Wirtschaftseliten der US-Wirtschaft. Sie profitieren davon, dass zwei große politische Parteien um die Macht streiten, während sie sich um das Tagesgeschäft kümmern, das da ist: Globalisierung, schlanke Produktion, Herauspressung eines Maximums von Profit aus unserer Arbeit. Aber sie wissen auch, dass die republikanische Regierung zu einem Desaster für ihr System und die imperiale Macht der USA geworden ist.
Unter Bush ging das Ansehen der USA in der Welt verloren. Irak ist eine einzige Katastrophe. Afghanistan und Pakistan drohen zu einem Debakel zu werden. Lateinamerika revoltiert gegen Neoliberalismus und US-Vorherrschaft. Die Wahl von Barack Obama führt international zu enormer Begeisterung und zu sofortiger Glaubwürdigkeit. Die Wahl von McCain und Palin wäre wohl so kommentiert worden: „Sie wollen uns wohl verarschen.“ Und wenn die Republikaner die dritte Wahl in Folge durch die Verweigerung von Wählerregistrierung und elektronischen Wahlbetrug gestohlen hätten, hätte das zu einer massiven „Legitimitätskrise“ geführt.
Welches Mandat wird Obamas Kurs bestimmen? Die Kriege in Irak und Afghanistan gehen weiter, und eine Obama-Regierung verspricht, den „Krieg gegen den Terrorismus“ in Afghanistan und Pakistan auszudehnen. Die Mainstream-Medien mögen „das Ende des Rassismus“ feiern, aber eine Million schwarzer Menschen befindet sich nach wie vor hinter Gittern, die Einkommensunterschiede wachsen, Zwangsversteigerungen und Fabrikschließungen treffen die schwarzen Gemeinden am härtesten. In einer Zeit schwerer Krise lässt Obamas Absicht, zur „Versöhnung beizutragen“, darauf schließen, dass es nur sehr kosmetische Reformen geben wird.
Rasse und Rassismus sind in der öffentlichen Debatte nie so offen diskutiert worden. In seiner Rede in Philadelphia zum Thema Rassismus hat Obama die für den „gesunden Menschenverstand“ gültige Verfälschung der Geschichte des Landes wiederholt: Amerika ist ein Land der Möglichkeiten, ab und zu vielleicht etwas beeinträchtigt, weil den großen Idealen nicht immer entsprochen wird. Die Geschichte beginnt mit dem Völkermord an den eingeborenen Völkern, der Sklaverei der AfroamerikanerInnen, dem Diebstahl des Landes und der versuchten Zerstörung der mexikanischen und indianischen Kulturen. Die gewaltsame Unterdrückung der farbigen Bevölkerung und die imperiale Ausdehnung deuten auf eine Nation hin, in der der institutionelle Rassismus tief verwurzelt ist. Jim Crow [1] ist Vergangenheit, aber die Diskriminierung existiert weiter bei Wohnungsfrage, bei der Ausbildung und bei Arbeitsplätzen. Die Subprime-Krise führte zum größten Vermögensverlust für die farbige Bevölkerung in der jüngsten Geschichte der USA. Eine schwarze Familie in dem von Sklaven erbauten Weißen Haus kann einen Einfluss auf die negativen Stereotypen haben, die in der amerikanischen Kultur tief verwurzelt sind – aber zur Beendigung der Diskriminierung bedarf es viel mehr.
Das undemokratische Monopol der zwei Parteien gibt den Wählern hauptsächlich die Möglichkeit, „die Lumpen raus zuwerfen“ – und das haben sie getan. Von da an ist es jedoch ein langer Weg bis zur Durchsetzung eines „Rettungspakets“ für die Bevölkerung und nicht für die Wall-Street-Institutionen: ein Verbot von Zwangsversteigerungen, eine Neubewertung der Hypotheken, so dass sie den realen und keinen fiktiven Wert widerspiegeln, die Einrichtung eines allgemeinen Krankenversicherungssystems, das wir so dringend brauchen, ein massives Arbeitsprogramm zum Aufbau einer nachhaltigen ökologischen Wirtschaft, eine Beendigung der Kriege, Besetzungen und der geheimen Foltergefängnisse, eine drastische Reduzierung des imperialen Militärbudgets.
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Die Demokratische Partei, die den Kongress und das Weiße Haus kontrolliert, hat die Macht, die Tagesordnung der Gesetzgebung zu bestimmen. Diejenigen, die erwarten, dass diese Partei den Wunsch nach Wandel aufgreift, der in den Wahlen im November 2008 einen so deutlichen Ausdruck gefunden hat, werden bald enttäuscht sein. Und zwar umso mehr, je mehr die neue Regierung ihre Loyalität zu den Interessen der Großkonzerne unter Beweis stellen wird.
Den realen Unterschied zwischen den Hoffnungen auf Frieden und Gerechtigkeit und der praktischen Politik der Demokratischen Partei aufzuzeigen, ist eine dringende Tagesaufgabe. Millionen von Menschen antworteten auf die Rufe nach „Wandel“; Hunderttausende erwarben durch die Arbeit für Obama organisatorische Kenntnisse und Fähigkeiten. In den kommenden Monaten und Jahren ist es die Verantwortung der Linken, daran zu arbeiten, dass es wieder soziale Bewegungen gibt, die unabhängig von den Vorgaben der Demokratischen Partei sind.
Übersetzung: Wolfgang Weitz |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 446/447 (Januar/Februar 2009).