Thadeus Pato
Time is money – Zeit ist Geld, lautet ein ebenso gängiges wie absurdes Sprichwort. Absurd deshalb, weil es außer der physikalischen ansonsten keinerlei verlässliche Definition des Begriffes „Zeit“ gibt, also gar nicht klar ist, was hier eigentlich in Geld ausgedrückt werden soll. Die Beschäftigung mit dem Thema „Zeit“, an dem sich schon zahlreiche Philosophen und Soziologen mehr oder weniger vergeblich abgearbeitet haben, mag im Zusammenhang mit der derzeitigen kombinierten ökonomischen und ökologischen Krise auf den ersten Blick etwas abseitig erscheinen. Aber sie lohnt sich. Denn wie wir im Folgenden zu zeigen versuchen werden, spielt bei dieser Krise das Phänomen der Beschleunigung eine zentrale Rolle. Und wir werden sehen, dass die gleichen gesellschaftlichen Mechanismen, die unser Verständnis von Zeit, unseren „Zeitbegriff“, geprägt haben, für das verantwortlich sind, was die derzeitige Be- und Entschleunigungsdebatte ausgelöst hat, und deshalb ist es ebenso notwendig wie nützlich, sich zunächst einmal mit dem Zeitbegriff zu befassen.
Eine Untersuchung des Zeitbegriffes und daraus folgend des Phänomens der Beschleunigung auf der Basis des historischen Materialismus gibt es meines Wissens bis dato nicht. Man findet zwar sowohl bei Marx selbst wie auch bei marxistischen Wissenschaftlern den einen oder anderen verklausulierten Hinweis [1], und auch in der bürgerlichen soziologischen Literatur Verweise auf bestimmte marxistische Versatzstücke, aber allenfalls zum Beleg mehr oder weniger „zusätzlicher“ Einflussfaktoren. Wir werden darauf noch zurückkommen. Im Folgenden soll deshalb versucht werden, die Grundlagen einer Zeit- und Beschleunigungstheorie aus marxistischer Sicht zu skizzieren. Dies erscheint notwendig, weil nach unserer Meinung sich die derzeitige kombinierte Krise ohne ein Verständnis der temporalen Dimension der Gesellschaftsentwicklung nicht vollständig verstehen lässt.
Dabei können wir den gesamten Problemkomplex nicht umfassend bearbeiten, dazu wäre eine weit umfangreichere Untersuchung erforderlich. Wir werden uns deshalb darauf beschränken, die Grundlinien einer dialektisch-materialistischen Herangehensweise zu skizzieren.
Man könnte es sich einfach machen und feststellen, dass es sich bei der Zeit schlicht gemäß der Einstein’schen allgemeinen Relativitätstheorie um eine Dimension des gekrümmten vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums handelt. Aber damit wäre nicht viel gewonnen. Und, wie der Soziologe Norbert Elias richtig feststellt, nützt es auch nichts, sozusagen den Zeitbegriff einfach in einen sozialen und einen physikalischen aufzuteilen, also eine „soziale Zeit“ einer „physikalischen Zeit“ gegenüberzustellen. [2] Denn der Mensch ist untrennbarer Bestandteil der natürlichen, oder, anders gesagt, der physikalischen Umwelt und demnach ist auch die Herausbildung seines Zeitbegriffs eine Funktion derselben. Der Mensch lässt sich ohne seine natürliche Umwelt nicht denken und seine Zeitvorstellung nicht ohne die Existenz der 4. Dimension, der physikalischen Zeit.
Letztere ist weder gerichtet noch absolut. Nach den Erkenntnissen der Relativitätstheorie ist sie abhängig von der Position respektive Bewegung des Betrachters im Raum und theoretisch durchaus umkehrbar [3]. Verkürzt ausgedrückt, kann man sagen, dass es physikalisch gesehen eine Zeit im Sinne des in der gängigen subjektiven Wahrnehmung von „Zeit“ für selbstverständlich angesehenen kontinuierlichen, gerichteten Zeitflusses, also sozusagen eines „Zeitpfeils“, nicht gibt, sondern dass lediglich an unterschiedlichen „Stellen“ der vierdimensionalen Raumzeit unterschiedliche energetische Zustände des Systems existieren, oder, anschaulicher gesagt: Jeder momentane Zustand des Universums drückt eine der dem System inhärenten Möglichkeiten aus, wie sich die vorhandene Gesamtenergie (Masse ist gemäß Einstein: E=mc² ja nichts anderes als eine der Zustandsformen von Energie) zu einem konkreten „Zeitpunkt“ (i.e. an einem bestimmten Punkt des Raumzeitkontinuums) organisiert. Unsere jeweilige momentan wahrgenommene Existenz ist im Sinne der Relativitäts- und Quantentheorie, in gewissem Sinne auch der String-Theorie, eine der verwirklichten Möglichkeiten des Gesamtsystems und nicht das Ergebnis einer temporalen, gerichteten Bewegung. [4]
Die Vorstellung eines kontinuierlichen, gerichteten „Zeitflusses“ im Sinne einer eigenen, „objektiven“ oder „absoluten“ Entität ist eine Entwicklung der Menschheitsgeschichte, die sich nicht aus dem genetischen Material erklären lässt. Es gibt zwar im menschlichen Organismus „eingebaute“ Schaltuhren, wie den so genannten circadianen Rhythmus, der auf die Tageszeiten abgestimmt ist, dabei handelt es sich jedoch nicht um Zeitbestimmungen im Sinne einer Gerichtetheit, sondern um kreisförmige Abläufe bzw. nicht bewusst steuerbare physiologische Reaktionen auf periodisch wiederkehrende Umweltveränderungen.
Man muss sich also, und das ist nicht leicht, von der dem heutigen Menschen als Selbstverständlichkeit geltenden Vorstellung verabschieden, dass die Empfindung einer gerichtet ablaufenden Zeit etwas Unwandelbares, seit jeher Existierendes sei. [5] Elias [6] und andere weisen unter Bezug auf die entsprechenden ethnologischen Untersuchungen nach, dass ein Zeitverständnis wie das unsere das Ergebnis eines langdauernden Entwicklungsprozesses ist, an dessen Anfang wohl eher ein circuläres Empfinden, eines der immerwährenden Wiederkehr, gestanden hat. Schaltenbrand, ein Neurologe, wiederum meint: „Der Zeitbegriff entsteht nur dadurch, dass bewusste Wesen ihre Erfahrungen mit Zeitmarkierungen versehen“, und, „dass es nicht richtig ist, das Dasein aus kleinsten Zeitatomen aufzubauen, sondern eher zu sagen, dass das Dasein eine ungeheure, wenn auch begrenzte Anzahl von Gegenwartssituationen verschiedener Länge enthält, die wir in eine systematische Ordnung zu bringen versuchen.“ [7]
Eine schlüssige soziologische Theorie der Zeit existiert wie gesagt bis heute nicht. Verabschiedet hat man sich spätestens seit Einstein jedenfalls von den kantianischen und cartesianischen Vorstellungen, nach denen die Zeit als absolut oder unhinterfragbar gesetzt wird. Paradox ist dabei, dass es zwar eine Unmenge von Studien zur Veränderung des (sozialen) Zeitbegriffs und insbesondere zur Frage der Beschleunigung gibt, aber die entsprechenden Autoren meist zu Beginn erst einmal darauf hinweisen, dass eine konsistente „Zeitsoziologie“ nicht existiere. [8] Paradox ist das deshalb, weil ohne eine Einbeziehung der Zeitvorstellung in die Debatte um Beschleunigung und ihre Folgen letztere auf ausgesprochen morastigem Grund stattfindet – denn schließlich ist Beschleunigung eine Funktion der Zeit und somit ist eine Betrachtung ersterer ohne eine tragfähige Bestimmung der Begrifflichkeit der letzteren ungefähr so sinnvoll, wie eine Theorie des Schwimmens ohne sichere Erkenntnisse über die Eigenschaften des Wassers. Ohne eine zumindest vorläufige Bestimmung eines Zeitbegriffs ist es wissenschaftlich unseriös, sich über das Phänomen der Beschleunigung zu verbreiten.
Eine Definition des Zeitbegriffes muss materialistisch gesehen ausgehen von der genannten physikalischen Definition. Man könnte nun annehmen, dass – wenn Zeit tatsächlich ungerichtet ist, aber von uns so empfunden wird – es sich dabei um eine simple Illusion handele. Das ist nur teilweise richtig. Richtig ist es insofern, als es selbstverständlich energetische Übergänge gibt, die messbar sind und in zeitlicher Dimension ablaufen, aber die Gerichtetheit, also die Einteilung in „Vergangenheit“, „Gegenwart“ und „Zukunft“, physikalisch in Zweifel zu ziehen und somit als Illusion anzusehen ist. Falsch ist es wiederum deshalb, weil ebendiese Gerichtetheit eine menschliche Setzung ist, und damit eine der Möglichkeiten darstellt, mit dem Phänomen der Zeit auf eine Weise umzugehen, die sie für das soziale Leben der Spezies „brauchbar“ macht.
Bei dem, was wir unter „Zeit“ verstehen, im Allgemeinen in der Soziologie als „soziale Zeit“ apostrophiert, also die Vorstellung eines gerichteten Zeitstrahls, handelt es sich folglich um die Verwirklichung einer der Möglichkeiten, subjektiv mit der physikalischen Zeit umzugehen.
Die Art dieses Umgangs hat sich dabei, wie bereits erwähnt, im Laufe der Geschichte grundlegend gewandelt. In den Urgesellschaften gab es, soweit das aus entsprechenden empirischen sozioethnologischen Untersuchungen zu entnehmen ist, nur Zeitbestimmungen, die sich aus den periodischen Veränderungen der natürlichen Umwelt herleiteten, und die auf (über)lebenswichtige Verrichtungen bezogen waren, wie zum Beispiel die jährliche Aussaat oder Ernte.
In einer agrarischen Gesellschaft ist unter bestimmten Umweltvoraussetzungen (Klima, Jahreszeitenwandel) die Bestimmung eines Zeitpunktes für Aussaat und Ernte notwendige Voraussetzung für die Subsistenz. Anders verhält es sich beispielsweise in klimatisch begünstigten Regionen oder in voragrarischen Gesellschaften, in denen eine derartige Zeitbestimmung für die Subsistenz mehr oder weniger unerheblich ist. Aber diese Bestimmung impliziert (noch) nicht die Generierung eines Zeitbewusstseins im heutigen Sinne. Sie setzt den Beginn des gesellschaftlichen Prozesses einer Entwicklung von Zeitwahrnehmung, aber sie bezieht sich immer noch nicht auf gerichtete, sondern auf kreisförmige Prozesse. Und diese Anfänge der Zeitbestimmung oder besser Zeitsetzung – denn eine absolut und objektiv bestimmbare „Zeit“ existiert wie gesagt nicht – bezogen sich auf die Beobachtung periodisch wiederkehrender Naturphänomene (Neumond, Sonnenaufgang, Sonnenwende), abstrahierten also die „Zeit“ in keiner Weise von der natürlichen Umwelt. Der damalige Zeitbegriff bezog sich ausschließlich auf kollektive naturbezogene Verrichtungen, eine „individuelle Zeit“ existierte nicht – sie war nicht notwendig. Es handelte sich (noch) um eine „integrative Zeit“ in dem Sinne, dass sie den Menschen und seine Verrichtungen nicht von der natürlichen Umwelt separierte, sondern innerhalb derselben positionierte, und zwar nicht individuell, sondern kollektiv. Das korrelierte zu den damaligen Produktionsbedingungen, denn im Rahmen der agrarischen Subsistenzwirtschaft war die Arbeit unmittelbar an die circulären Naturphänomene (Jahreszeiten) gekoppelt.
Dementsprechend war, worauf auch Elias [9] und, unter Bezug auf Ersteren, Garhammer [10] hinweisen, Zeitbestimmung außerhalb der der Subsistenz dienenden Verrichtungen nicht notwendig. (Späte Relikte dieses nach heutigen Vorstellungen extrem „laxen“ Umgangs mit der Zeit finden wir noch heute in bestimmten Gesellschaften, in denen „Pünktlichkeit“ eher unbekannt ist.) [11]
Ein weiterer Punkt, den man bei der Entwicklung des Zeitbegriffs berücksichtigen muss, ist die Nutzbarmachung technischer Möglichkeiten (damit meinen wir hier zunächst einmal nicht Zeitmesser, die ein eher sekundäres Phänomen sind, weil sie lediglich einen Reflex auf eine vorbestehende / neu auftauchende Notwendigkeit und nicht eine Ursache darstellen), die eine Dissoziation von der „natürlichen Zeit“ initiierten. Die Entdeckung des Feuers und damit z. B. der Beleuchtung ist in diesem Zusammenhang höchst relevant, weil sie erstmals eine gewisse Emanzipation des Menschen vom naturgegebenen Tag-Nacht-Zyklus ermöglichte.
Wir können also feststellen, dass die Anfänge einer Bestimmung fester Zeitpunkte in direktem Bezug zur Produktionsweise der entsprechenden Gesellschaft standen, oder, anders gesagt, zum Stand der Produktivkräfte, und zwar bezogen sowohl auf die Notwendigkeit bzw. das Ausmaß einer differenzierten Zeitbestimmung wie auch auf die technischen Möglichkeiten zur Emanzipierung von der naturbezogenen Rhythmik.
Die weitere Ausdifferenzierung des Zeitempfindens geschah dementsprechend komplementär zur zunehmenden sozialen und technischen Ausdifferenzierung der entsprechenden Gesellschaften. Jede Zunahme an gesellschaftlicher Komplexität erforderte entsprechend der immer enger werdenden Beziehungen zwischen in sich ebenfalls komplexer werdenden gesellschaftlich notwendigen Verrichtungen nicht nur eine funktionale, sondern auch eine temporale Abstimmung. Dieser Prozess lässt sich unter anderem sehr deutlich an der kontinuierlichen Weiterentwicklung von Systemen zur Zeitmessung ablesen – von der Beobachtung der Gestirne über die Wasseruhr, die mechanische Uhr, die Schiffsuhr (die ja zur Positionsbestimmung in der Schifffahrt unabdingbar war) bis hin zur Atomuhr -, die sich komplementär zu der entsprechenden Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktionen abspielte. [12]
Ein Beleg für die Abhängigkeit der Zeitsetzung von den gesellschaftlichen Erfordernissen ist auch, dass sie sehr lange regional unterschiedlich gehandhabt wurde. Die Herausbildung von, respektive die Übereinkommen betreffend Weltzeit und Zeitzonen geschah relativ spät, man kann dies als ein Resultat der beginnenden Globalisierung auffassen, also als Folge der sukzessiven Erweiterung lokaler und regionaler Interdependenzen im Bereich der Produktions- und Distributionssphäre. Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann [13] drückt das dergestalt aus, dass die Weltzeit die Synchronisierung einzelner sozialer Systeme betreffend Zeitorientierung bedeute. Das ist eine relativ späte Errungenschaft.
In den letzten Jahren ist (erneut) eine heftige Debatte über die Frage entbrannt, welche Gründe und welche Konsequenzen die beobachtbare Beschleunigung in allen Lebensbereichen hat. Rifkin hat das neu erwachte Interesse folgendermaßen charakterisiert: „Bis heute existierte Zeitbewußtsein direkt unter der Oberfläche des Bewußtseins, beeinflußte und formte immer die Erfahrung unserer Spezies, genoß aber nie viel offene Aufmerksamkeit als Schlüsselkraft im historischen Prozeß. Nun ist das Zeitbewußtsein an die Oberfläche unseres kollektiven Bewußtseins getreten und beginnt eine Vielfalt neuer, metaphorischer Chancen zu bieten, um den politischen Prozeß neu zu bedenken und zu erdenken.“ [14]
Auch hier ist es notwendig, zunächst einmal zu klären, wovon man redet, wenn man über Beschleunigung spricht.
Physikalisch gesehen ist Beschleunigung eine Exponentialfunktion: die Änderung von Geschwindigkeit pro Zeiteinheit. Aber wessen Geschwindigkeit? Es ist nötig, hier zu differenzieren. Zum einen wäre zu untersuchen die Beschleunigung im Bereich des Transports. Hier ist die Datenlage eindeutig. Wir werden darauf noch zurückkommen.
Ähnliches ist zu sagen zur Beschleunigung der Produktionsprozesse, wobei dies natürlich in untrennbarem Zusammenhang mit der Entwicklung im Bereich der Transportmittel steht. Der Fordismus wäre ohne die Entwicklung entsprechender Motoren zum Antrieb der Transportbänder nicht möglich geworden. Aber auch die Beschleunigung in der Informationsübermittlung, von der Buschtrommel und dem Läufer von Marathon, der optischen Nachrichtenübermittlung per Lichtzeichen bis hin zu Post, Telegrafie, Telefon und Internet gehört in diese Kategorie, die ich einmal die technische oder materielle Beschleunigung nennen möchte.
Die heutige Beschleunigungsdiskussion krankt zum Teil daran, dass die von Bourdieu [15] festgestellte „Entzeitlichung“ der sozialtheoretischen Praxis sich paradoxerweise teilweise gerade bei denen wiederfindet, die sich mit dem Phänomen der Beschleunigung beschäftigen, dergestalt, dass sie sich in ihrer Betrachtung wie Rosa auf bestimmte Zeitabschnitte kaprizieren und aufgrund dieser teilweise ahistorischen Betrachtung zu entsprechend absurden Schlussfolgerungen kommen.
Denn, wie z. B. Rosa [16] selbst feststellt, hat es in den letzten 200 Jahren periodisch wiederkehrende Debatten (und Klagen) über die zunehmende Beschleunigung „des Lebens“ gegeben. Meist bezogen sie sich zunächst auf die befürchteten gesundheitlichen Folgen der Geschwindigkeitszunahme der jeweiligen Verkehrsmittel (Eisenbahn, Automobil und sogar Fahrrad), aber im letzten Jahrhundert begann dann mit der Ausdifferenzierung der entsprechenden sozialwissenschaftlichen Disziplinen auch eine Diskussion über die sozialpsychologischen und damit gesellschaftspolitischen Folgewirkungen der Beschleunigung. Jeweils wurde von den verschiedenen Protagonisten dann eine mehr oder weniger besorgniserregende neue Dimension der Akzeleration konstatiert.
Tatsache ist, dass man mit Fug und Recht die Geschichte der Menschheit auch als eine Geschichte der Beschleunigung auffassen kann. Allerdings ist letztere, wie wir im Abschnitt über die Zeit bereits nachwiesen, nicht als Phänomen sui generis aufzufassen, also etwa als menschlicher „Trieb“ oder objektives Naturphänomen. Ebenso wie die Herausbildung eines Zeitbegriffes einen Reflex auf die Notwendigkeiten, die sich aus bestimmten Produktions- und Subsistenzbedingungen ergaben, darstellte, stellt auch die Beschleunigung einen solchen dar. Dabei sind zwei Punkte zentral: Zum einen die Generierung eines gesellschaftlichen Mehrprodukts und zum anderen das Privateigentum an Produktionsmitteln und seine Konsequenzen. Die erstmalige Generierung eines gesellschaftlichen Mehrprodukts als Voraussetzung für die Ausdifferenzierung von Gesellschaften im Sinne der Arbeitsteilung kann als eine erste Beschleunigungsphase aufgefasst werden, insofern, als diese Ausdifferenzierung wiederum eine weitere Erhöhung des gesellschaftlichen Mehrproduktes z. B. durch die Zurverfügungstellung von besseren Werkzeugen, nach sich zog.
Dabei handelte es sich zunächst noch um Vorgänge, die zwar auf der Ebene der Produktion eine Beschleunigung generierten, da aufgrund der positiven Effekte der Arbeitsteilung/Spezialisierung das zur Subsistenz notwendige Produkt in kürzerer Zeit als zuvor produziert werden konnte. Eine Beschleunigung im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Geschwindigkeitszunahme bedeutete es allerdings nicht, im heutigen Sprachgebrauch würden wir sagen, es entstand schlicht mehr „Freizeit“.
Den nächsten „Beschleunigungsschub“ könnte man grob gesagt an dem beginnenden Austausch zwischen verschiedenen Populationen festmachen. Hiermit war der Anreiz zur Entwicklung von Transportmitteln gegeben, mittels derer sich die zum Tausch bestimmten Güter leichter und schneller transportieren ließen, seien es die Herauszüchtung entsprechender Haustiere oder die Entwicklung des Rades.
Bis zu diesem Zeitpunkt allerdings können wir noch nicht von einem „Zwang zur Beschleunigung“ sprechen, sieht man einmal von temporären Phänomenen ab, wie z. B. dem unmittelbaren Zwang zum Einbringen einer Ernte vor dem großen Regen o. ä., denn dabei handelt es sich im eingangs genannten Sinne ja ebenfalls um allenfalls zyklische Phänomene und nicht um eine kontinuierliche Akzeleration.
Ein regelrechter Zwang zur Beschleunigung entstand erst mit der Herausbildung des Handelskapitals und des Privateigentums an Produktionsmitteln. Die wesentliche Triebfeder dabei stellt das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate [17] und das daraus folgende Bestreben zur Erhöhung der Umschlaggeschwindigkeit des variablen Kapitals dar. Dabei handelt es sich um im Rahmen dieser Produktionsweise objektive Zwänge, die nicht mehr der individuellen oder kollektiven Entscheidungsfreiheit unterworfen sind.
Das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate hat zur Folge, dass von den entsprechenden Kapitaleignern versucht wird, ihm durch verschiedene Maßnahmen entgegenzuwirken. Neben anderen Mitteln wie z. B. der Minimierung der Arbeitskosten ist das für die Frage der Beschleunigung wesentliche Instrument die Verkürzung der Zeit zwischen der Produktion der entsprechenden Güter und dem Verkauf derselben. Damit verkürzt sich die Zeit, in der der Kapitalist nicht über das – in dieser Phase für ihn „tote“ - Kapital verfügen kann.
Der Unternehmer, der etwa heute noch seine Produkte mit dem Segelschiff oder dem Ochsenkarren zum Markt befördern würde, geriete gegenüber dem entsprechenden, mit Flugzeug oder Truck arbeitenden Konkurrenten in einen entscheidenden Konkurrenznachteil, denn er würde sein für die Produktion der entsprechenden Waren eingesetztes Kapital erst mit einer um ein Mehrfaches größeren Zeitverzögerung über den Verkauf wiederbekommen und in der Zwischenzeit weder den erzeugten Mehrwert realisieren können, noch Zinsen für das eingesetzte Kapital erhalten (bzw. u. U. in der Zwischenzeit im Gegenteil Zinsen für einen eventuellen Kredit bezahlen müssen).
Wie erheblich seit den Handelsimperien des Mittelalters, z. B. Venedigs, die entsprechende Umschlaggeschwindigkeit gesteigert wurde, lässt sich ermessen, wenn man sich vor Augen hält, dass seinerzeit die venezianischen Kaufleute, die ein Schiff ausrüsteten, je nach anzusteuernder Region bis zu zwei Jahre (und länger) warten mussten, bis sie ihre Gewinne realisieren bzw. das eingesetzte Kapital zurückbekommen konnten, von den damaligen Transportrisiken einmal ganz abgesehen. [18]
Darauf hat auch Marx bereits hingewiesen: „Das Hauptmittel zur Verkürzung der Zirkulationszeit sind verbesserte Kommunikationen. Und hierin haben die letzten fünfzig Jahre eine Revolution gebracht, die sich nur mit der industriellen Revolution der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vergleichen läßt. Auf dem Lande ist die makadamisierte Straße durch die Eisenbahn, auf der See das langsame und unregelmäßige Segelschiff durch die rasche und regelmäßige Dampferlinie in den Hintergrund gedrängt worden, und der ganze Erdball wird umspannt von Telegraphendrähten. Der Suezkanal hat Ostasien und Australien dem Dampferverkehr erst eigentlich erschlossen. Die Zirkulationszeit einer Warensendung nach Ostasien, 1847 noch mindestens zwölf Monate, ist jetzt ungefähr auf ungefähr ebensoviel Wochen reduzierbar geworden.“ [19]
Komplementär zur schubweise durch die Entwicklung jeweils eine neue Qualität darstellender Transportmittel zur Distribution von zur Produktion notwendigen Grundstoffen oder Vorprodukten ebenso wie von produzierten Waren (Ruderboot / Segelschiff / Dampfschiff / Motorschiff; Ochsenkarren / Pferdefuhrwerk / Eisenbahn / Automobil; Luftschiff / Flugzeug / Rakete) erzeugten Beschleunigung fand auch eine solche im Bereich der Produktion selbst statt. Von der handwerklichen Produktion über die Manufaktur bis hin zum Fordismus und zur Vollautomatisierung hat eine atemberaubende Beschleunigung der Produktionszyklen stattgefunden. [20] Und als Produktion und Distribution kaum mehr beschleunigt werden konnten, kam als nächste Entwicklung die „just in time“-Produktion, durch die die Lagerhaltung für die Grundstoffe und Vorprodukte reduziert und damit die temporäre Anhäufung toten Kapitals minimiert wurde.
Ein weiterer Punkt, der den Zwang zur höheren Umschlagsgeschwindigkeit determiniert, ist die Beschleunigung der Innovationszyklen. Nimmt man das genannte Beispiel eines Produzenten, der seine Produkte, sagen wir einmal modische Kleidung, heute mit einem Segelschiff um das Kap der guten Hoffnung nach Asien beförderte, würde dieser sich nicht nur den oben genannten Nachteil der niedrigen Umschlaggeschwindigkeit in Form „toten Kapitals“ einhandeln, sondern unter Umständen feststellen, dass sich in der Zwischenzeit längst die Mode geändert hat und er einen Totalverlust seines eingesetzten Kapitals gewärtigen muss.
Auch die Beschleunigung im Bereich der Kommunikation ist eine direkte Folge dieses grundlegenden Zwanges, der aus den bewusstlosen Zwangsläufigkeiten der Entwicklung der Produktionsmittel und der entsprechenden Produktionsweise resultiert. Der Beginn der Informationsübermittlung mittels Artefakten (vom Rauchzeichen über die Postkutsche bis zum Satellitentelefon und Internet) war nicht durch den Wunsch nach privater Kommunikation, sondern in erster Linie durch gesellschaftliche Aktivitäten wie Handel, aber auch Krieg, gesetzt. [21]
Dass sekundär eine Diffusion der Beschleunigungstechnologien in die Gesamtbevölkerung stattfand, hat wiederum drei wesentliche Gründe, die hier nicht tiefer gehend erläutert, aber der Vollständigkeit halber zumindest erwähnt werden sollen:
Zum einen haben die Beschleunigungsprozesse im Bereich der materiellen Sphäre ihre Rückwirkungen auf das Bewusstsein der im entsprechenden gesellschaftlichen Kontext Agierenden. [22] In einer Gesellschaft, in der eine Zunahme an Geschwindigkeit sich mehr oder weniger unmittelbar in materielle Vorteile umsetzen lässt, und in der dieser materielle Vorteil die Messlatte für die Positionierung innerhalb des gesellschaftlichen Kontextes ist, werden „Zeit“, Geschwindigkeit und Beschleunigung zu (mehr oder weniger unhinterfragten) Werten an sich. Und so kommt es zu einer klassischen dialektischen Wechselwirkung zwischen den aus den geschilderten objektiven Zwängen folgenden Beschleunigungsprozessen und dem daraus folgenden Bewusstsein, das wiederum auf die materielle Sphäre zurückwirkt. [23]
Zum Zweiten folgt die Diffusion der für die allgemeine Beschleunigung sorgenden Artefakte über die ursprünglich beabsichtigte Nutzanwendung hinaus in die Gesamtbevölkerung dem Prinzip, dass für eine Beschleunigung der Umschlaggeschwindigkeit des Kapitals auch derjenige, der für die Mehrwertrealisierung unabdingbar ist, nämlich der „Kunde“, ebenfalls „beschleunigt“ werden muss, und zwar auf mehrerlei Ebenen. Zum einen ganz real dadurch, dass man ihm zum Beispiel die Transportmittel, seien es öffentliche oder individuelle, anbietet, um ihm in möglichst kurzer Zeit die Möglichkeit zum Erwerb der entsprechenden Produkte zu verschaffen. [24] Zum anderen, indem man ihm durch entsprechende Manipulationsmechanismen, im allgemeinen Sprachgebrauch als Werbung bezeichnet, vorspiegelt, dass schneller auch besser sei (als Beispiel sei hier die Entwicklung im Bereich der Informationstechnologie genannt, wo mit der jeweils höheren Geschwindigkeit von Mikroprozessoren geworben wird, die 90 % der Nutzer wahrscheinlich nicht einmal wahrnehmen). Dies geschieht, traun fürwahr, unter Ausnutzung der aus dem geschilderten dialektischen Beschleunigungsprozess folgenden Bewusstseinslage.
Der dritte Punkt ist das Bestreben des Kapitals, für nun einmal mit nicht unerheblichem Aufwand entwickelte (Beschleunigungs)produkte einen möglichst großen Markt zu öffnen. (Das ist ein Phänomen, das sich selbstverständlich nicht nur im Bereich der Beschleunigungstechnologien findet, aber dort, wie wir noch sehen werden, besonders verheerende Auswirkungen zeitigt.) Dafür werden, wiederum unter Ausnutzung des genannten Bewusstseins, die entsprechenden Produkte für einen Massenmarkt zugerichtet. [25] (In diesem Zusammenhang müsste die für die Herstellung eines solchen Massenmarktes, z. B. dem der individuellen Transportmittel, notwendige sozialpsychologische Voraussetzung, nämlich die ebenfalls mit der Ausformung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung einhergehende Tendenz zur Individualisierung thematisiert werden; da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, soll hier lediglich auf diesen Sachverhalt hingewiesen werden).
Wir können also zusammenfassend konstatieren, dass es sich bei der allgemein festzustellenden und da und dort beklagten Beschleunigung aller Lebensbereiche, sei es in Basis oder Überbau, unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise nicht um einen willentlich gesteuerten Prozess, sondern um der Struktur dieses Produktionssystems inhärente Zwänge handelt, denen der Einzelne in diesem System Agierende sozusagen bei Strafe des Unterganges gehorchen muss.
Was hat das Ganze nun mit der derzeitigen Krise zu tun?
Um diese Frage zu beantworten, muss man zuerst einmal auf den Charakter der Krise eingehen. Sie hat zwei Aspekte:
Zum einen handelt es sich um eine klassische Überproduktionskrise. Dass sie auf der Erscheinungsebene und im Bewusstsein der Masse der Bevölkerung als Finanzkrise imponiert, hat etwas damit zu tun, dass der Ausbruch der Krise mit einer erheblichen Verzögerung erfolgte. Gemäß den makroökonomischen Daten wäre die jetzt stattfindende weltweite Depression eigentlich bereits vor etwa 15 Jahren zu erwarten gewesen. [26] Dass sie sich verzögerte, war kurz gesagt auf die enorme Aufblähung der privaten und öffentlichen Verschuldung in den letzten 20 Jahren zurückzuführen und das schließliche Platzen der Kreditblase erzeugte den Eindruck, es handele sich um eine Krise des „Finanzkapitalismus“. In Wirklichkeit stand bereits seit Längerem der enorm gewachsenen Produktion keine adäquate Kaufkraft mehr gegenüber, was das grundlegende Merkmal einer Überproduktionskrise ist.
Zum Zweiten handelt es sich um eine tief greifende ökologische Krise, die in erster Linie geprägt ist von den Folgen der ungehemmten Emission von klimaschädlichen sogenannten Treibhausgasen – in erster Linie Kohlendioxid – in den letzten 150 Jahren, verstärkt durch die Zerstörung der „grünen Lungen“ der Erde durch die Abholzung der Regenwälder und den Anstieg der Fleischproduktion (Methanemissionen) sowie weitere Faktoren, die hier nicht im Einzelnen beschrieben werden sollen. [27] Zusammenfassend ist zu sagen, dass ohne eine Reduktion des Treibhausgasausstoßes um mindestens 90 % bis zum Jahr 2050 ein irreversibler Prozess eintritt, der große Teile der Erde unbewohnbar machen wird, sei es durch Überflutungen, Versteppungen/Wassermangel oder andere Konsequenzen des Klimawandels.
Diese Kombination aus ökonomischer und ökologischer Krise ist aus einem offensichtlichen Grund ungeheuer brisant: Eine der Hauptursachen der drohenden Klimakatastrophe ist nämlich exakt die Beschleunigung aller Lebensbereiche in den letzten 150-200 Jahren, also in der Phase des Industriekapitalismus. Ins Auge springt natürlich die Entwicklung und exponentielle Zunahme des modernen Individualverkehrs. So machten im Jahr 2000 die CO2-Emissionen des Verkehrs etwa 14 % des Gesamtausstoßes aus, davon entfielen 76 % auf den Straßenverkehr, davon wiederum war weit über die Hälfte auf den Individualverkehr zurückzuführen. [28] In der Zwischenzeit ist durch die Zunahme des Autoverkehrs in den sogenannten Schwellenländern der Anteil weiter gestiegen.
Aber auch die irrationale Art der weltweiten Produktion und Distribution hat einen großen Anteil an der Zunahme des Nah- wie Fernverkehrs mit der entsprechenden Treibhausgasemission. [29] (Im Übrigen weniger bekannt ist, dass von der Energie- und Umweltbilanz her das mit Abstand „schmutzigste“ Verkehrsmittel derzeit das Schiff ist. Der Schiffsverkehr machte im Jahr 2000 10 % der verkehrsbedingten Emissionen aus.)
Während die soeben genannten Beispiele noch den meisten an Umweltpolitik Interessierten geläufig sind, wird über einen weiteren Sachverhalt weniger gesprochen, nämlich über das Anwachsen der Produktionsmenge, respektive die Haltbarkeit von Produkten.
Die letzteren Punkte sind deshalb von erheblicher Wichtigkeit, weil die derzeitigen Versuche der Bewältigung der ökonomischen Krise sämtlich auf Wirtschaftswachstum setzen, also auf eine erneute Erhöhung der Produktionsmengen.
Betrachten wir einmal zwei bekannte (deutsche) Beispiele für diese Strategie: die „Verschrottungsprämie“ für Alt-PKW und die diskutierte Ausgabe sogenannter Konsumgutscheine:
Was die mit der ersteren Maßnahme erfolgende Subventionierung des Individualverkehrs betrifft, so wird sie damit begründet, dass man eine Umstellung auf neue, umweltfreundliche(re) Fahrzeuge befördern wolle. Das ist natürlich Unsinn. Zum einen werden von der Ökobilanz her gesehen bei der Produktion eines Neuwagens so viele Treibhausgase freigesetzt, dass es umweltschonender ist, den alten Wagen ohne Katalysator noch mindestens zehn Jahre länger zu fahren, als einen neuen zu kaufen. Es handelt sich schlicht um Subventionen für die Automobilindustrie, die noch dazu umweltpolitisch kontraproduktiv sind. Zum zweiten ist dazu zu sagen, dass eine weitere Förderung des für einen großen Teil des Treibhausgasausstoßes (s. o.) verantwortlichen Individualverkehrs klimapolitisch schlicht unverantwortlich ist.
Die sogenannten Konsumgutscheine wiederum belegen in seltener Deutlichkeit die bewusstlose Logik des herrschenden Wirtschaftssystems. Es soll und muss produziert werden, und im Zweifelsfall werden die Bürger noch animiert, für sie unter Umständen völlig nutzlosen Müll zu erwerben, um in den Genuss der Konsumgutscheine zu kommen, um unter allen Umständen die Kapitalverwertung in Gang zu halten. Jegliche Warenproduktion aber bedarf eines mehr oder weniger großen Energieeinsatzes, der wiederum auf Kosten des Klimas geht. Man kann auch nicht so argumentieren, dass das Problem mit der Umstellung auf klimaneutrale Energieformen zu lösen sei. Denn die Klimabilanz der entsprechenden Energieformen ist (mit Ausnahme der Biogasanlagen) ebenfalls in mehr oder weniger großem Maße negativ. Die für die Fortführung der derzeit geltenden Wirtschaftsordnung notwendigen Wachstumsraten lassen sich klimaneutral nicht erreichen, schon gar nicht in einer Wirtschaftsordnung, die in ihre Produkte von vornherein „Sollbruchstellen“ einarbeitet, um den Umsatz zu steigern und auf Einmalprodukte statt auf Kreislaufwirtschaft setzt.
Die Lösung liegt also, um auf unser Thema zurückzukommen, in der Rückführung der stattgehabten Beschleunigung.
Die derzeitige „Entschleunigungsdiskussion“ spielt sich bezeichnenderweise vorwiegend auf der individuellen Ebene ab, zum Beispiel was die „Verkehrsvermeidung“ betrifft, während auf der institutionellen Ebene der Teufel Klimawandel mit dem Beelzebub des CO2-Handels ausgetrieben werden soll. (Dem individualpsychologischen „Entschleunigungs“ansatz hat der Autor Oliver Schmid in seinem satirischen Roman „Der beste Roman aller Zeiten“ übrigens vor kurzem mit der Figur des „Diplomentschleunigers“ ein passendes Denkmal gesetzt).
Damit wollen wir nicht behaupten, dass es nicht sinnvoll und notwendig ist, auch auf der individualpsychologischen Ebene für einen Bewusstseinswandel einzutreten. Aber das darf nicht in der Weise geschehen, dass damit verschleiert wird, dass die wirklichen Ursachen des Umganges mit Zeit und Beschleunigung in der Verfasstheit unseres Gesellschaftssystems liegen und auf der Basis des Letzteren eine Entschleunigung im dringend notwendigen Umfang nicht zu haben ist. Im Übrigen ist angesichts des bereits erläuterten untrennbaren dialektischen Zusammenhanges zwischen Produktionsweise und „Geschwindigkeitsbewusstsein“ eine individuelle Bewusstseinsänderung auf Massenebene abgekoppelt von einer Veränderung der materiellen Grundlage, also der Produktionsweise selbst, nicht möglich.
Wir müssen uns schon etwas Intelligenteres einfallen lassen – bei Strafe des Unterganges.
Thadeus Pato ist Mitglied des RSB und des Exekutivbüros der 4. Internationale |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 456/457 (November/Dezember 2009).