Nachruf

Angel Fanjul (1927–2009) und Dora Coledesky (1928–2009)

Jan Malewski

Mit Angel Fanjul, der „Angel Heredia“ genannt wurde und am 29. März gestorben ist, und Dora Coledesky, die am 17. August gestorben ist, sind zwei exemplarische politisch Aktive aus Argentinien dahingegangen, die – wie Hugo Moreno geschrieben hat [1] – „zu jener Schar von ,Erzengeln‘ gehörten, wie Paco Ignacio Taibo II. sie in seinem Buch mit dem gleichen Titel [2] genannt hat, also so gut wie unbekannte oder vergessene Personen, mit ihrer Hartnäckigkeit, ihren Hoffnungen, ihren Illusionen, aber auch ihren Enttäuschungen in Bezug auf ihre ursprünglichen Vorhaben, mit ihren Qualitäten und ihren Mängeln. Auf alle Fälle mit einem exemplarischen Leben.“

Angel hat 1944 seine ersten politischen Erfahrungen gemacht, während er die Oberschule beendete. Er wurde zum Sekretär der „Federación de Estudiantes Secundarios“ (des Verbands der Oberschüler) gewählt. Mit Dora schloss er sich einer kleinen trotzkistischen Gruppe an, die von Esteban Rey gegründet worden war. Dann gründeten sie mit ihm zusammen die Organisation „Movimiento Obrero Marxista“ (MOR, Marxistische Arbeiterbewegung). Trotz ihrer geringen Kräfte hat die MOR 1948 in dem Streik des Verbands der Arbeiter der Zuckerindustrie eine bedeutende Rolle gespielt. Dies ging so weit, dass Perón die „trotzkistischen Drahtzieher“ anprangerte und die MOR beschuldigte, sie hätte diesen Kampf angezettelt. Nachdem die MOR zusammengebrochen war und nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in der von Hugo Bressano (genannt „Nahuel Moreno“) gegründeten Organisation traten Angel und Dora der „Grupo Cuarta Internacional“ (GCI) bei, die von Homero Cristalli (bekannter unter seinem Pseudonym „Posadas“) geführt wurde; aus der GCI wurde die „Partido Obrero Revolucionario (Trotskista)“, die POR (T), die 1951 auf dem Weltkongress als argentinische Sektion der IV. Internationale anerkannt wurde. Sie stellte eine Strömung dar, die ab 1945 das Phänomen des Peronismus zu verstehen suchte und die sich bemühte, sich in der Arbeiterklasse und in der Gewerkschaftsbewegung zu verankern, ohne ihre trotzkistische Identität zu verlieren, indem sie dort ihr Programm und eine internationalistische Perspektive vertrat. Angel war Mitglied der Leitung der Organisation, ihr rechtlicher Repräsentant und der Leiter des Parteiorgans Voz Proletaria (Proletarische Stimme).

Die POR (T) und das von Posadas geleitete Lateinamerikanische Büro (BLA) arbeiteten eng mit der Leitung der IV. Internationale und mit Michel Raptis (Pseudonym „Pablo“) zusammen. Sie legten das gleiche Gewicht auf die „koloniale Revolution“ und waren gemeinsam der Überzeugung, dass es eine „Weltpartei“ aufzubauen galt, deren nationale Sektionen Teil der realen Massenbewegungen sind. Diese Zusammenarbeit hielt 10 Jahre an. Die Verhaftung von Michel Raptis und Sal Santen 1960/61 in den Niederlanden wegen ihres Engagements für die algerische FLN führte zur Lockerung dieser Verbindung. 1962 berief das BLA eine internationale Konferenz nach Montevideo ein, auf der es sich öffentlich von der IV. Internationale trennte.

In den von der kubanischen Revolution geprägten Jahren, deren Echo in ganz Lateinamerika zu vernehmen war, hatte die Solidarität mit Kuba einen zentralen Stellenwert. Angel Fanjul nahm Ende 1959 in Chile an der Vorbereitung der von den Kubanern einberufenen ersten internationalen Versammlung der Jugend und 1960 an einem Kongress in Havanna teil. Die trotzkistische Delegation führte dort einen harten Kampf für die Unterstützung der Revolution und stellte sich zugleich gegen das „Modell des bürokratischen Sozialismus“, was zu einer heftigen Auseinandersetzung mit den Stalinisten führte. Sie zogen nach einer Rede von Che Guevara den Kürzeren. Während der drei Monate, die er in Havanna verbrachte, konnte Angel lange mit Che diskutieren, und als er die Insel verließ, wurde er von Che zum Flughafen begleitet.

Das Jahr 1968 brachte den Bruch von Angel und Dora mit Posadas. Bis dahin hatte es in dem zentralen Kern des BLA keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten gegeben. Die positive Art des Zusammenwirkens von dem „Chef“ Posadas und seiner Umgebung macht es möglich zu verstehen, warum wertvolle politisch aktive ArbeiterInnen und Intellektuelle Posadas auf seinem Weg blind gefolgt sind. Aber Angel und Dora haben es nicht widerspruchslos hingenommen, als er die sowjetische Intervention in die Tschechoslowakei unterstützte, mit der der „Prager Frühling“ beendet wurde und die den Hoffnungen auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ ein Ende setzte. Sie wurden mit Schimpf und Schande aus der POR (T) ausgeschlossen. Als Posadas mit einer Gruppe von Genossen Ende 1968 in Montevideo verhaftet wurden, fuhr Angel Fanjul dort hin, übernahm als Rechtanwalt ihre Verteidigung und erreichte ihre Freilassung. Hugo Moreno hat später geschrieben: „Während der Verteidigung hat Posadas Fanjul die Wiederaufnahme in die Organisation angeboten, was dieser kategorisch ablehnte. Diese Haltung sagt mehr über seine politische und menschliche Qualität als viele Texte und Resolutionen.“

1970 bildeten Angel und Dora mit anderen eine Gruppe mit dem Namen „Fracción bolchevique“, später „Curso nuevo“ (Neuer Kurs), die eine Zeitschrift mit dem gleichen Titel herausgab. Sie stellten sich gegen die Orientierung der IV. Internationale und die der argentinischen PRT unter der Leitung von Roberto Santucho, insbesondere in der Frage des bewaffneten Kampfs in Lateinamerika. Argentinien war zu dieser Zeit von den Kämpfen gegen die Diktatur (1966–1973), dem Aufstieg der Arbeiterbewegung und dem Auftreten der ersten bewaffneten politischen Organisationen geprägt. 1969 führte dies zum „Cordobazo“, dem Aufstand in der Stadt Cordoba, dem weitere folgten. Aber der Sturz der Diktatur 1973 und die Rückkehr von Perón führten zwar zu einem Zerfall und einer Krise des Peronismus, nicht aber zu einem Ende der Repression, die von dem Staatsapparat, den Führungen der peronistischen Gewerkschaften und dann der „Triple A“ (Alianza Anticomunista Argentina) organisiert wurde, die dann in einigen wenigen Monaten hunderte von RevolutionärInnen ermordete. Im März 1976 begann eine neue Militärdiktatur, die 30 000 fortschrittliche AktivistInnen ermordete und „verschwinden“ ließ. GenossInnen von Angel und Dora gehörten zu den Opfern. Ihrer kleinen Organisation gelang es nicht, ihre Mitglieder in der Illegalität zu schützen. Angel und Dora mussten ins Exil gehen, 1976 kamen sie nach Frankreich. Sie blieben bis 1984 dort und waren in der LCR politisch aktiv. Sie beteiligten sich an den Diskussionen, Angel war für die „Tendenz 3“ Mitglied des Zentralkomitees, sie stellten sich insbesondere gegen die Mehrheitsposition zur sowjetischen Intervention in Afghanistan (1980), die sie zu „campistisch“ (im Blockdenken befangen) fanden, und zum Malwinenkrieg (1982) – sie gehörten zu den wenigen argentinischen Antiimperialisten, die zu dem chauvinistischen Abenteuer der Diktatur, die kurz vor dem Ende stand, Abstand zu halten wussten. Sie arbeiteten in Solidaritätsorganisationen wie der Gruppe der Rechtsanwälte im Exil mit, Dora war in der Gruppe der lateinamerikanischen Frauen aktiv. Sie halfen bei der Redaktionsarbeit von Inprecor und gaben eine für Argentinien bestimmte Zeitschrift mit dem Titel Divergencia heraus (Divergenz – immer kritisch, niemals nachplappernd, während viele andere zu dieser Zeit Zeitschriften mit dem Titel „Konvergenz“ herausgaben).

Nachdem sie nach Argentinien zurückgekehrt waren, bauten sie die Gruppe „Curso nuevo“ wieder auf. Dora engagierte sich für die Frauenbewegung, insbesondere in dem Kampf für das Recht auf Abtreibung, dem sie den Rest ihres Lebens widmete. Im Januar 2003 erklärte sie auf der Versammlung für das Recht auf Abtreibung, die im Rahmen der nationalen Frauenversammlung in Rosario stattfand: „Ich denke, dass wir nicht für einen Teilbereich kämpfen, dass die Abtreibung nicht eine besondere Frage ist, die nur uns betrifft. Wir kämpfen für eine Veränderung der Welt, für eine Veränderung der Menschheit. Uns muss also klar sein, wir kämpfen für die Menschenwürde, für eine andere Welt, die nicht nur möglich, sondern notwendig und unabdingbar ist, wenn wir die Menschenwürde erringen wollen.“

Angel und Dora, die von ihrer Jugend an für eine bessere Welt gekämpft haben, haben uns im Abstand von einigen Monaten verlassen, wie sie gelebt haben: engagiert, kritisch, uneigennützig, sie drängten sich nie in den Vordergrund.

Aus dem Französischen übersetzt von Friedrich Dorn.



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 458/459 (Januar/Februar 2010) (nur online).


[1] Ich danke Hugo Moreno, der nach dem Tod von Angel einen langen Artikel geschrieben hat, den ich für diesen kurzen Nachruf verwendet habe. [http://www.argenpress.info/2009/05/angel-fanjul-otro-arcangel-que-se-va.html]

[2] Deutsche Ausgabe: Paco Ignacio Taibo II, Erzengel. Geschichten von 12 Häretikern der Revolution im 20. Jahrhundert, Hamburg: Verlag Libertäre Assoziation; Berlin: Schwarze Risse, Rote Straße, 1999. (Anm. d. Übers.)