Die ultrarechte Regierung unter Benjamin Netanyahu und Avigdor Lieberman hat einmal mehr gezeigt, dass sie noch besser als ihre Vorgängerregierungen internationales Recht und Menschenwürde mit den Füßen zu treten in der Lage ist. Ihr mörderischer Angriff in internationalen Gewässern auf die Free-Gaza-Flotille stellt eine weitere Eskalation der israelischen Aggression gegen das palästinensische Volk dar. Umso entschlossener muss die Reaktion der Solidaritätsbewegung und der Weltöffentlichkeit ausfallen.
Da auch die Arbeitspartei in der Netanyahu-Regierung sitzt, ist das gesamte zionistische Politestablishment in dieses neuerliche Verbrechen verstrickt. Der Labour-Verteidigungsminister Ehud Barak hat erklärt, dass die Regierung die Konsequenzen ihres Vorgehens vorsätzlich in Kauf genommen hat. Vorsätzlich heißt, dass sie damit gerechnet hat, dass die anderen Regierungen weltweit nicht über verbale Proteste hinaus kommen würden: ein paar diplomatische Erklärungen und missbilligende Worte an die israelischen Botschafter – wie gehabt. Diesmal jedoch müssen die Regierungen durch die Wucht der Proteste gezwungen werden, Taten auf ihre Worte folgen zu lassen.
Barrack Obama und Ban Ki-mun haben bereits von einer fälligen Aufklärung gesprochen. Welchen Wert soll eine Aufklärung haben? Die israelische Regierung gibt unumwunden zu, einen illegalen Angriff in internationalen Gewässern geführt zu haben und hält dies noch für ihr gutes Recht. Die israelische Armee sagt selbst, dass mindestens zehn Aktivisten getötet wurden. Die israelische Militärsprecherin gibt ihrerseits gerade mal vier verletzte Israelis an, die das Massaker rechtfertigen sollen. Der Korrespondent von Al Dschasira, der auf dem Führungsboot war, berichtet, dass eine weiße Flagge gehisst wurde und die Israelis trotzdem das Feuer während der Erstürmung eröffnet haben, ohne dass eine Provokation voran gegangen war. Dies alles deutet darauf hin, dass wie 2008/9 bewusst unverhältnismäßige Gewalt angewandt wurde und es keineswegs um „Selbstverteidigung“ ging.
Der Angriff auf die Flottille war de facto nur die konsequente Weiterung aus der Gaza-Blockade, gegen die der Konvoi protestieren und die er durchbrechen wollte. Keine Regierung der Welt außer der israelischen wird diese Blockade rechtfertigen, die ein eklatanter Fall von rechtswidriger Kollektivbestrafung gegenüber einer Zivilbevölkerung darstellt. Und trotzdem hat keine Regierung auch nur einen Finger gerührt, um sie zu beenden. In ihrem Zynismus gehen die israelischen Propagandabehörden soweit, den Journalisten ein Nobelrestaurant in Gaza zu empfehlen, um die Auswirkungen ihrer Blockade zu erleben.
Ganz sicher wird sich der Autor dieser Presseerklärung daran erinnern, dass auch im Warschauer Ghetto Nobelrestaurants geöffnet waren, während Juden auf der Straße an Hunger krepierten! Wohl gibt es in Gaza zurzeit keine allgemeine Hungersnot. In ihrer selbstherrlichen Willkür ist die israelische Blockade zu genau austariert, um solch verheerende Ausmaße zu erreichen. Sie führt „nur“ zu massiver Mangelernährung, „nur“ zur Traumatisierung Zehntausender von Kindern, „nur“ zur Massenarbeitslosigkeit, die 80 % der 1,5 Millionen BewohnerInnen betrifft, „nur“ zur Ohnmacht einer Bevölkerung, die versucht, in den aus den israelischen Angriffen von 2008/9 hinterbliebenen Ruinen zu überleben, und denen jedwede Mittel zum Wiederaufbau verwehrt werden, und „nur“ zum Tod von 28 Palästinensern, die auf ihre Ausreisegenehmigung für eine medizinische Notfallbehandlung warteten.
Die Proteste gegen die Angriffe auf die Flottille als Krönung der Blockade sind mehr als gerechtfertigt. Die Mahnwachen und Kundgebungen vor den Botschaften und Konsulaten dürfen nicht abreißen sondern müssen darüber hinaus gehen und sich an die Regierungen in all unseren Ländern richten, da die erst die israelischen Gräueltaten ermöglicht haben und weiter ermöglichen.
In den USA, die auch unter Obama Israels Hauptstütze sind, muss gefordert und erreicht werden, dass die jährlichen Hilfen in Höhe von 3 Mrd. US-Dollar sofort eingestellt werden, da dadurch die Verbrechen der israelischen Regierung finanziert werden.
In den EU-Ländern, die erst vor ein paar Monaten ihre Beziehungen zu Israel intensiviert haben, geht es darum, dass die Menschenrechtsklausel in den Freihandelsverträgen zwischen Israel und der EU umgehend umgesetzt werden muss und die Handelsprivilegien aufgehoben werden, die für Israel wirtschaftliche Unterstützung bedeuten.
In den arabischen Ländern, die Beziehungen zu Israel unterhalten, muss die empörte Bevölkerung ihre Regierungen zwingen, die Komplizenschaft mit Israel zu beenden, was besonders für Ägypten gilt, das eine für die Gaza-Blockade unerlässliche Funktion hat.
In Israel, wo es gleichfalls Proteste gibt, geht es um die Stärkung des Widerstands gegen die rechtsextreme Regierung.
Überall, wo die Solidaritätsbewegung noch nicht stark genug ist, die Regierung zum Bruch mit Israel zu zwingen, muss sie die Initiative selbst ergreifen und die BDS-Kampagne [1] stärken.
Schließlich muss nach diesem neuerlichen israelischen Verbrechen der Diskussionsprozess über das Scheitern des „Friedensprozesses“ wieder aufgenommen werden, dessen Ziel die Errichtung eines palästinensischen Ministaates in den 1967 besetzten Gebieten an der Seite eines intakten zionistischen Staates ist. Gegenwärtig wird die israelische Regierung für ihren Angriff auf den Konvoi in der Art „bestraft“, dass die ohnehin untauglichen indirekten Gespräche mit den palästinensischen Autonomiebehörden ausgesetzt werden. Diese Gespräche waren ohnedies nur gewollte Ablenkung von der israelischen Politik der vollendeten Tatsachen. Die Friedens- und Solidaritätsbewegungen müssen sich jetzt umso mehr um eine Alternative bemühen, die zu einem tatsächlichen Frieden führt. Das heißt, zu einer bedingungslosen Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes, dem Rückkehrrecht der Flüchtlingsbevölkerung von 1948 (80 % im Gazastreifen), zur Zerschlagung des zionistischen Staates und zu einer politischen Lösung, die der palästinensischen und jüdischen Bevölkerung Israels ermöglicht, gleichberechtigt zusammen zu leben.
Büro der IV. Internationale, Paris, 1.6.2010 |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 464/465 (Juli/August 2010).