Håkan Blomqvist
Nie zuvor wurde die Arbeiterbewegung unter friedlichen Bedingungen in Europa von einem derartigen Massaker getroffen. Eine Erkenntnis, die mit berücksichtigt werden sollte, wenn der Rechtsterror von Utøya und Oslo analysiert wird.
Der rechtsextreme Massenmord an der Jugend der norwegischen Sozialdemokratie kann das schlimmste Massaker in Friedenszeiten an Sozialisten in Europa seit Entstehen der Arbeiterbewegung sein.
In Kriegen, Bürgerkriegen oder Revolutionen waren Massaker an Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten durch Militär und Polizei an der Tagesordnung. Das Junimassaker am französischen Proletariat in Paris im Jahre 1848, ganz zu schweigen von den Massenerschießungen nach dem Fall der Pariser Kommune 1871, forderte mehr als zehntausend Tote. Auf die erste russische Revolution von 1905 folgten schreckliche Massaker und Hinrichtungen von Sozialisten und Aufständischen. In den Revolutionen und Bürgerkriegen nach dem Ersten Weltkrieg wurden Massenmorde an den „Roten“ sowohl im zerfallenden russischen Reich, wie auch in Ungarn, Bayern und anderswo verübt. Was Skandinavien betrifft, wurden in Finnland Tausende von Sozialisten und Arbeiter nach der Niederlage der Roten im Bürgerkrieg 1918 erschossen. In Südeuropa wurden Anhänger der Linken niedergemetzelt, als Mussolinis Kampfgruppen Streiks, Betriebsbesetzungen und linke Versammlungen in den frühen 1920er Jahren zerschlugen. In Osteuropa und auf dem Balkan wurden zunehmend Linke massakriert, als autoritäre Rechtskräfte versuchten, ihre Macht nach den revolutionäre Wellen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu konsolidieren.
Die wacklige Weimarer Demokratie der Zwischenkriegszeit in Deutschland wurde durch Massaker an Kommunisten und radikalen Arbeiter errichtet, als der Spartakusaufstand 1919 niedergeschlagen und die deutschen Arbeiterräte von den Freikorps besiegt worden waren. Während der 1920er Jahre wurde die Arbeiterbewegung zunehmend von nationalsozialistischen und faschistischen Morden heimgesucht. Selbst im relativ friedlichen Schweden wurde aufgedeckt, dass der Stockholmer Polizeichef Gustav Harleman in den 1920er Jahren das so genannte Munckska Korps eine große Anzahl von Maschinenpistolen und Revolvern kaufen ließ, um sie gegen kommunistische Unruhen einzusetzen. In Berlin wurden im Jahre 1929 siebenundzwanzig kommunistische Erste-Mai-Demonstranten getötet und hunderte verletzt, als die sozialdemokratischen Behörden der Stadt Demonstrationen unter freiem Himmel verboten und Polizei einsetzten.
Mit der Machtübernahme der Nazi in Deutschland und des Stalinismus in der Sowjetunion sollte der Terror zur mörderischen Waffe gegen Oppositionelle werden und neue Maßstäbe erreichen. Der stalinistische Terror und die Säuberungen der 1930er Jahre bilden mit weit mehr als 600.000 Hingerichteten – darunter Tausende von der Linken Opposition, den sogenannten „Trotzkisten“ – im schlimmsten Terrorjahr 1937 eine eigene Klasse. Der Terror in Nazi-Deutschland hatte vor dem Krieg noch nicht den gleichen Umfang, aber die Arbeiterbewegung wurde zerschlagen und ihre Mitglieder wurden in Konzentrationslager verschleppt und viele ermordet und hingerichtet.
Der Spanische Bürgerkrieg begann und endete mit Massenmorden an Anarchisten, Sozialisten und Kommunisten.
Während des Zweiten Weltkriegs erreichte die Zahl der Massentötungen von Anhängern der Arbeiterbewegung und der Linken natürlich völlig andere Dimensionen. Unter den fast 60 Millionen Opfern des Krieges befanden sich auch die Mitgliedermassen der europäischen und internationalen Arbeiterbewegung. Nicht zuletzt die mächtige jüdische Arbeiterbewegung aus Bundisten und linken Zionisten in Osteuropa gehörte zu denen, die ausgelöscht wurden.
Aber nicht einmal während der deutschen Besetzung Norwegens finden wir ein ähnliches Massaker an Sozialisten wie das auf Utøya. Als die Besetzung ab 1941 härter wurde, wurden zu verschiedenen Zeitpunkten gefangene Widerstandskämpfer hingerichtet, aber der schlimmste Massenmord geschah in der kleinen Gemeinde Telavåg im April 1942, als zwei Gestapooffiziere beim Versuch, Widerstandskämpfer festzunehmen, erschossen wurden. Die deutschen Repressalien waren schrecklich. Alle Gebäude in der Gemeinde wurden niedergebrannt, die Fischerboote versenkt, das Vieh verjagt und alle Männer verhaftet. Von den gut siebzig Deportierten wurden dreißig ermordet. Gleichzeitig wurden 18 Widerstandskämpfer in einem Internierungslager anderswo hingerichtet. Im Herbst wurden dreißig Aufständische im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand in der Region Trondheim ermordet. Auch in Dänemark wurden Widerstandskämpfer erschossen und getötet, von denen viele der Linken angehörten; etwas mehr als hundert wurden zu verschiedenen Zeitpunkten erschossen, und hunderte weitere wurden in Konzentrationslagern oder im Kampf getötet.
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In der Nachkriegszeit gab es sowjetische Massaker an Anhängern der Linken (demokratischen Sozialisten und andere) während der Aufstände in Ost-Berlin im Jahre 1953, Ungarn 1956 und 1968 in der Tschechoslowakei. In Griechenland und der Türkei wurden Anhänger der Linken mehrmals nach dem Krieg hingemetzelt. Insbesondere natürlich im griechischen Bürgerkrieg 1946–49, aber auch in Verbindung mit Militärputschen und während des Versuchs des türkischen Militärs, die Kurden zu unterdrücken. Massenmord und ethnische Säuberungen im Jugoslawien-Krieg gehören natürlich auch hier zu den dunkelsten Kapiteln.
Aber wenn es um Friedenszeiten und vor allem um Westeuropa geht, ist die Tat von Norwegen absolut herausragend. Im Oktober 1961 wurden Hunderte von Anhängern der algerischen Befreiungsbewegung FLN bei einer Demonstration in Paris von der Bereitschaftspolizei massakriert. In Nordirland wurden 26 Demonstranten und Passanten durch das britische Militär am „Bloody Sunday“ 1972 erschossen. Doch nie zuvor wurde die Arbeiterbewegung unter friedlichen Bedingungen in Europa von einem derartigen Massaker getroffen. Eine Erkenntnis, die mit berücksichtigt werden sollte, wenn der Rechtsterror von Utøya und Oslo analysiert wird.
Der Artikel erschien am 29.7.2011 in der Online-Ausgabe der schwedischen Wochenzeitung Internationalen
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Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 5/2011 (September/Oktober 2011) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz