Ökologie

Die Grundlagen einer ökosozialistischen Strategie

Daniel Tanuro

Im Gegensatz zur Vorstellung, die die falsche, aber sehr populäre Metapher von den Osterinseln, wie sie von Jared Diamond [1] verwandt wurde, nahe legt, ist die Verschlechterung der Umweltbedingungen, die wir heute beobachten können, überhaupt nicht mit Krisen in früheren Zeiten vergleichbar. Die Unterschiede sind nicht nur quantitativ (der Umfang und die Globalisierung der ökologischen Probleme), sondern auch und vor allem qualitativ: Während sich alle ökologischen Krisen der Vergangenheit aus den gesellschaftlichen Tendenzen einer chronischen Unterproduktion ergaben, also aus der Angst vor Armut, haben die gegenwärtigen Probleme ihren Ursprung in der gegenteiligen Tendenz zur Überproduktion und Überkonsumption, was für eine verallgemeinerte Warenproduktion kennzeichnend ist. Daher ist der Ausdruck „ökologische Krise“ ungenau. Denn nicht die Natur befindet sich in einer Krise, sondern die historisch bestimmte Beziehung der Menschheit zu ihrer Umwelt. Diese Krise ist nicht der inhärenten Natur des Menschengeschlechts geschuldet, sondern der Produktionsweise, die vor gut zweihundert Jahren zur dominierenden aufrückte – dem Kapitalismus –, sowie der Art und Weise des Konsums und der Mobilität, die sich aus ihm ergeben. Die schlimmen Auswirkungen auf das Ökosystem (Klimawandel, chemische Verseuchung, rasche Abnahme der Biodiversität, Verschlechterung der Böden, Vernichtung der tropischen Regenwälder usw.) stellen eine Dimension der globalen Systemkrise dar. Insgesamt drücken sie die Unvereinbarkeit von Kapitalismus und Respektierung der natürlichen Grenzen aus.


Grenzenloser Produktivismus


Der wesentliche Grund für diese Unvereinbarkeit ist einfach: Unter der Peitsche der Konkurrenz versucht jeder Kapitaleigner jederzeit, lebendige Arbeit durch tote Arbeit zu ersetzen, in anderen Worten Beschäftigte durch produktivere Maschinen, denn nur dadurch kann er einen über dem Durchschnittsprofit liegenden Surplus-Profit erlangen. Selbstverständlich wäre eine solche Ausrichtung für den Kapitalisten sinnlos, wäre sie nicht vom Versuch begleitet, die schwächsten Konkurrenten loszuwerden, etwa durch eine Steigerung der Warenmasse, die zu günstigen Preisen auf den Markt geworfen werden. In dieser Produktionsweise dient die Innovation nicht der Erleichterung der Arbeit, sondern den Interessen der Kapitalakkumulation. Daher führt die permanente Suche nach neuen Feldern der Inwertsetzung das Kapital dazu, eine immer größere Menge an unnützen und schädlichen Waren zu produzieren. Damit der Mehrwert realisiert werden kann, müssen immer neue Abnehmer und Bedürfnisse geschaffen werden, die immer künstlicher werden. Der „Produktivismus“ (Produktion um der Produktion willen) führt auch zu einem „Konsum um des Konsums willen“ und gehört zum „genetischen Code“ dieser Produktionsweise, ebenso wie der Warenfetischismus. „Der Kapitalismus ist (…) nicht nur nie stationär, sondern kann es auch nie sein“, sagte Schumpeter. [2] Und in der Tat, damit ein Kapitalismus „stationär“ werden könnte, müsste man die Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalen abschaffen, die das Kapital darstellen, was natürlich absurd ist.

Aber, wird man einwenden, wenn die Effizienz beim Einsatz von Ressourcen schneller anstiege als die Masse der produzierten Waren, wäre die erweiterte Reproduktion des Kapitals nicht von einem gesteigerten Ressourcenverbrauch begleitet. Dann wäre der Kapitalismus ökologisch nachhaltig. In der Tat! Dahinter steckt die These von der Abkoppelung des Wachstums des BIP vom ökologischen Fußabdruck. Sie wird mit der glockenartigen „Kuznets-Kurve“ illustriert, laut der die Umweltbelastung einer gegebenen Gesellschaft bis zu einem bestimmten Höhepunkt zunehme und dann in Funktion ihres Reichtums, also der Produktivkräfte, wieder falle. Es stimmt, dass im Vergleich zu allen Produktionsweisen, die es in der Geschichte gegeben hat, der Kapitalismus die Arbeitsproduktivität am spektakulärsten gesteigert hat und damit auch die Effizienz im Ressourcenverbrauch. Dies deswegen, weil die Suche nach dem Surplus-Profit zur Mechanisierung drängt und damit gleichzeitig auch zu einer wachsenden Sparsamkeit im Umgang mit natürlichen Reichtümern. Doch diese Feststellung stellt die umweltzerstörende Natur des Systems nicht in Frage; die Kuznets-Kurve ist schlicht falsch. Denn einerseits hat der Anstieg der Effizienz zwangsläufig die Form einer Asymptote und ist nicht lineare Funktion der Zunahme des fixen Kapitals; wenn das nicht so wäre, käme man zum Ergebnis, ein Perpetuum mobile sei möglich, denn es könnte demnach Arbeit ohne Energieverbrauch verausgabt werden. (Diesen groben Fehler haben auch die Experten begangen, die den möglichen Anteil des europäischen Stromverbrauchs geschätzt haben, den man durch das Desertec-Projekt der Nutzung der Sonnenenergie in der Sahara gewinnen könnte. [3]) Andererseits kann man empirisch feststellen, dass die Zunahme des Produktionsvolumens stärker ausfällt als die Steigerung der Effizienz, die somit nur relativ ist. Bezeichnend ist das Auto: Die Sparsamkeit der Motoren nimmt zu, doch die globalen Bedürfnisse an Kraftstoffen und der Ausstoß an Treibhausgasen des Transports explodiert, weil es immer mehr Fahrzeuge gibt. Das kapitalistische Wachstum führt unvermeidlich zu einem wachsenden Ressourcenverbrauch, was mit deren Endlichkeit und den Rhythmen der Erneuerung unvereinbar ist.

Angesichts der beängstigenden Zunahme schwerer ökologischer Probleme müssen wir die Frage stellen: Welches sind die theoretischen Grenzen des kapitalistischen Wachstums und somit der kapitalistischen Umweltzerstörung? In der Antwort müssen wir genau begreifen, dass das Kapital keine Sache ist, sondern eine Beziehung gesellschaftlicher Ausbeutung, dessen Entwicklung historisch durch die vorherige Aneignung von natürlichen Ressourcen (Land, Wasser, Wälder usw.) durch die herrschenden Klassen im Namen des Profits möglich wurde. Diese Aneignung hatte sodann die der Arbeitskraft zur Folge, die in eine bezahlte Ware verwandelt wurde. Plünderung der Ressourcen und Ausbeutung der Arbeit – wenn man sie unter dem gesellschaftlichen Blickwinkel betrachte – sind daher zwei Seiten derselben Medaille. Aber wenn man die gesellschaftliche Zusammensetzung beiseitelässt (die Kooperation und ihre Formen), kann man die menschliche Arbeitskraft auch unter dem thermodynamischen Gesichtspunkt als Naturressource unter anderen betrachten (der menschliche Körper wandelt Energie um). In diesem Fall sind die Plünderung und Ausbeutung tatsächlich nur der eine und gleiche Zerstörungsprozess; die Mehrarbeit kann dann als die Energie verstanden werden, die der Unternehmer sich aneignet. Davon ausgehend kann man auf die Frage nach den theoretischen Grenzen des Kapitals antworten. Einerseits hat die Ausbeutung der direkten ProduzentInnen, ihre Entfremdung von der sie direkt nährenden Erde, eine Gesellschaftsklasse geschaffen, deren einziges Subsistenzmittel der Verkauf der Arbeitskraft gegen Lohn darstellt. Andererseits findet der angestellte Arbeiter/die Arbeiterin alles vor; es wird vom Unternehmer als Elemente zur produktiven Tätigkeit zur Verfügung gestellt (Gebäude, Handwerkzeug und Energie); sie kommen direkt oder indirekt von durch die Arbeit der Natur entnommenen oder durch sie verwandelten Ressourcen. Wenn man in diesem Rahmen in Rechnung stellt, dass die Steigerung der Effizienz nur relativ sein kann, ergibt sich von selbst, dass die unaufhörliche Suche des kapitalistischen Produktivismus nach Surplus-Profit gleichzeitig auf den konstanten und variablen Teil des Kapitals drückt, so dass dieses fataler Weise eine absolut immer größere Menge an Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen verbrauchen muss, obwohl es zu relativen Einsparungen kommt. Marx’ rätselhafte Formulierung, dass das Kapital keine andere Grenze kenne als das Kapital selbst, klärt sich auf: Sie bedeutet ganz einfach, dass diese Produktionsweise von selbst erst zu einem Ende kommen wird, wenn sie die „beiden Springquellen alles Reichtums“ erschöpft haben wird, „die Erde und den Arbeiter“. [4]

Diese Schlussfolgerung lässt für den Optimismus von einigen wenig Platz, die sich um jeden Preis an die Idee klammern, ein noch nicht identifizierter endogener Mechanismus könnte das System aufhalten, bevor es diese theoretische Grenze erreicht. Man muss sich damit bescheiden, festzuhalten, dass es nichts Derartiges gibt noch geben kann. Der Grund – wir wiederholen uns – ist einfach und führt uns zu den grundlegenden Gesetzen des Kapitalismus zurück: Diese Produktionsweise basiert ausschließlich auf dem Gesetz des Arbeitswertes; ihr einziges Ziel ist die Produktion von Tauschwerten und nicht von Gebrauchswerten. Da aber der Wert durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit determiniert wird, ist offensichtlich, dass das Kapital über keinerlei Mittel verfügt, die es ihm ermöglichen würden, den Zustand der natürlichen Reichtümer zu berücksichtigen, die die Natur der Menschheit gratis zur Verfügung stellt. Als Symbol und Wesen des Wertes schafft die Geldform wegen ihrer Abstraktion und der mit ihr verbundenen völligen Verkehrung der Perspektive (das Geld macht glauben, den Waren ihren Wert zu geben, während es doch die Waren sind, die dem Geld seinen Wert geben) die Illusion, dass eine unbegrenzte materielle Produktion möglich sei. Man muss präzisieren, dass das Kapital – wiewohl es alles zählt und misst – nicht nur unfähig ist, die natürlichen Reichtümer qualitativ zu berücksichtigen, sondern auch nicht quantitativ, wie die Sorglosigkeit zeigt, mit welcher es trotz der Warnungen aus vielen Richtungen die Vorräte an natürlichen Ressourcen unumkehrbar zerstört. Dieser Wahnsinn hat sogar in den Personen der Ultraliberalen seine Theoretiker gefunden, die gegen jede Evidenz die These von der integralen Ersetzbarkeit der natürlichen Ressourcen durch Produkte menschlicher Aktivität vertreten.


Eine politische Antwort?


Sicherlich investieren gewisse Kapitale massiv in die sogenannte grüne Ökonomie, denn dort sind die Profite attraktiv, vor allem wegen der Subventionen des Staates. Doch der „grüne Kapitalismus“ als solcher ist ein Widerspruch in sich. Die einzig interessante Frage ist, inwieweit die ökologische Blindheit der marktwirtschaftlichen Produktion durch politische Maßnahmen, die außerhalb der eigentlichen ökonomischen Sphäre liegen, kompensiert werden kann. Wenn man das oben Gesagte berücksichtigt, dann ist die Antwort offensichtlich: Die Wirksamkeit einer ökologischen Politik hängt ganz und gar von der Entschlossenheit ab, mit der jene, die sie vertreten, die Freiheit des Kapitals einzuschränken wagen, also das gesellschaftlich notwendige Kräfteverhältnis aufbauen, sie durchzusetzen (was seinerseits bedeutet, die Lösung der ökologischen Frage mit dem Kampf der Ausgebeuteten zu verbinden, mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, das Elend, die soziale Ungleichheit, die Diskriminierungen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen). Und hier drückt der Schuh. Beispielsweise ist Tim Jackson einer der wenigen nicht-marxistischen Autoren, der die produktivistische Logik des Kapitalismus als wesentlichen Grund für die Verschlechterung der Umweltbedingungen begreift. In seinem Buch Wohlstand ohne Wachstum wendet er sich gegen oberflächliche Erklärungen und beschreibt überzeugend, dass „diese Gesellschaft, die alles auf den Müll wirft, nicht so sehr eine Folge der Gier der Konsumenten, sondern eine Überlebensbedingung des Systems“ ist, denn dieses muss „immer mehr Güter verkaufen, sich permanent erneuern“. [5] Aber Jackson weicht einer klaren Antwort auf seine Analyse aus: Statt die Produktionsweise in Frage zu stellen, behauptet er „ein Verlangen nach Neuerung und Konsum“, das sich seiner Meinung nach aus der menschlichen Natur ergebe. Plötzlich kreißte der Berg und gebar eine Maus:

Allgemein betrachtet stoßen alle Vorschläge, die vorgetragen werden, die ökozidäre (die Umwelt mordende) Natur des Kapitals politisch korrigieren zu wollen, auf dieselben Hindernisse: die Profitlogik und die Klassennatur der Institutionen. [7]


Die Fata Morgana der Internalisierung


Einstein soll einmal gesagt haben: „Man kann ein Problem nicht mit der Art des Denkens lösen, das zu dem Problem geführt hat.“ Dieses Theorem kann man ganz und gar auf die Idee anwenden, der Kapitalismus könnte sich auf den Weg der Nachhaltigkeit machen, wenn die politischen Instanzen den natürlichen Ressourcen einen Preis zuteilen würden. Da die ökologische Krise eine Folge der verallgemeinerten Warenproduktion ist, kann man die Zerstörung der Umwelt nicht durch die Verwandlung von Wasser, Luft, Kohle, Genen oder anderen Naturreichtümern in Waren aufhalten. Nicht nur bringt uns diese „Internalisierung der äußeren Gegebenheiten“ keiner Lösung näher, sondern sie führt uns davon weiter weg. Denn es versteht sich von selbst, dass die Umwandlung von natürlichem Reichtum in Waren ihre Aneignung durch das Kapital bedeutet. Danach ist die Sache gegessen, denn wenn man sie dem Gesetz des Arbeitswertes unterwirft, entzieht man sie gleichzeitig jedem anderen Kriterium der Lenkung als dem durch den Profit. Außerdem sind die Versuche, den natürlichen Reichtümern einen Preis zu geben, unabhängig von den vorigen Überlegungen und noch grundsätzlicher, mit einer unüberwindbaren theoretischen Schwierigkeit konfrontiert: Wie kann man in Geldgrößen Güter evaluieren, deren Produktion nicht in Arbeitsstunden messbar ist, die somit keinen Wert haben und deren Zerstörung darüber hinaus noch zeitlich aufgeschoben ist? Um eine Lösung für diese harte Nuss zu finden, zanken sich die neoliberalen Ökonomen über die Aktualisierungsraten (wann werden die Preise nachjustiert?) und die Bereitschaft der KonsumentInnen, für die Umwelt zu bezahlen oder ihre Beschädigung hinzunehmen. Der Preis für die natürlichen Reichtümer variiert daher, je nachdem ob die Befragten arm oder reich sind. Wenn man sie bis zum Ende durchdenkt, dann führt diese Methode zu einer Absurdität: Welchen Marktwert soll man den Sonnenstrahlen zuerkennen, wenn man weiß, dass alles Leben auf der Erde von ihnen abhängt?

Die Sackgasse der warenförmigen Kalkulation zeigt sich klar und deutlich im Vorschlag, eine Steuer auf CO2 zu erheben, um die fossilen Energien teurer zu machen als die erneuerbaren und somit den Ausstoß an CO2 zu verringern. Wir wissen, dass man diese Emissionen in den entwickelten kapitalistischen Ländern bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 Prozent und auf Weltebene um 50 bis 85 Prozent absenken muss, wenn wir eine vernünftige Chance haben möchten, den Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Periode zu begrenzen; mit den Maßnahmen muss man spätestens 2015 beginnen. [8] Beim Zahlenspektrum der Voraussagen sollte man sich vorsichtigerweise in den oberen Rängen bewegen, was bedeutete, die Vernutzung von fossilen Energieträgern binnen zwei Generationen aufzugeben, während sie heute noch etwa 80 Prozent der Energiebedürfnisse abdecken (das „schwarze Gold“ ist der wichtigste Rohstoff der Chemieindustrie). Das Ausmaß der baldmöglichst zu realisierenden Einsparungen und die Bedeutung der Kostendifferenz zwischen fossilen und erneuerbaren Energieträgern sind so groß, dass sogar eine Steuer von 600 Dollar pro Tonne CO2 nicht ausreichen würde (sie würde es laut der Internationalen Energieagentur ermöglichen, die globalen Emissionen bis 2050 um die Hälfte zu reduzieren). [9] Wenn man weiß, dass die Verbrennung von tausend Litern Erdöl 2,7 Tonnen CO2 produziert, dann versteht man, dass eine solche Maßnahme aus sozialen Gründen nicht umsetzbar ist: Die Kapitalisten könnten sich darauf nur einlassen, wenn diese Kosten gänzlich auf die EndverbraucherInnen übergewälzt würden, während die Mehrheit der Bevölkerung, die bereits über die seit dreißig Jahren vorherrschende Sparpolitik erzürnt ist, sich natürlich gegen eine solche Verschlechterung der Lebensbedingungen wehren würde.

Aus diesem Grund sind die politischen Vorschläge einer Internalisierung der Kosten der Verschmutzung, trotz aller spitzfindigen Theorien der Ecological Economics, ökologisch unzureichend und gesellschaftlich unerträglich. Auch wenn man annähme, die theoretischen und praktischen Hindernisse könnten aus dem Weg geräumt werden, wäre die Wirkung der Internalisierung im Übrigen zufällig, weil der Preis ein rein quantitativer Indikator ist, der nicht in der Lage ist, die qualitativen Unterschiede zwischen den durch so verschiedene Maßnahmen wie die Isolierung von Wohnungen, die Installierung von Photovoltaik, das Pflanzen von Bäumen oder das Verbot des großen Preises in der Formel 1 vermiedenen Tonnen CO2 zu erfassen. Quantitativ gibt es natürlich keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Tonnen CO2. Doch sind gerade die qualitativen Unterschiede entscheidend für die Ausarbeitung von adäquaten ökologischen Strategien, in denen die eingesetzten Mittel mit dem Ziel im Einklang stehen – dem Übergang zu einem nachhaltigen und dezentralisierten Energiesystem, das ausschließlich auf erneuerbaren Energien beruht.


Rationale Lenkung des Stoffwechsels und Klassenkampf


Der ökozidäre Charakter des Kapitals zeigte sich bereits seit Beginn dieser Produktionsweise. Im 19. Jahrhundert hat der Begründer der Chemie der Böden, Liebig, bereits die Alarmglocke geläutet: Wegen der kapitalistischen Urbanisierung kehrten die menschlichen Exkremente nicht mehr auf die Felder zurück, und dieser Bruch in der Kette der Nährstoffe drohte zu einer starken Verarmung der Böden zu führen. Marx hat in seinen Arbeiten dieses Problem auf die konzeptionelle Ebene gehoben, indem er eine allgemeine Notwendigkeit einer „vernünftigen Regulierung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Erde“ postulierte. [10] Mit diesem ökologischen Konzept avant la lettre Avant la lettre – svw. „wobei es den Begriff selbst (hier: ökologisch) zu der Zeit noch nicht gab“ [Anm. d. Red.] bewaffnet, kehrte er zur Bodenfrage zurück, um einen radikalen programmatischen Vorschlag zu machen: Die Abschaffung der Trennung zwischen Stadt und Land, die in seinen Augen untrennbar zum progressiven Verschwinden der Trennung von Hand- und Kopfarbeit gehörte. Wir müssen darauf beharren: Der Begriff „vernünftige Regulierung“ darf nicht zur Verwirrung führen. Die Natur ist für Marx der „unorganische Leib des Menschen“. Ein guter Stoffwechsel verläuft nicht über eine Bürokratie von grünen Technokraten, sondern die Abschaffung der gesellschaftlichen Klassen. Denn die Klassenspaltung der Gesellschaft machte jede bewusste und organisierte Meisterung des materiellen Austausches mit der Umwelt unmöglich. Nicht nur weil das Profitstreben die Kapitalisten dazu drängt, die Natur auszubeuten, sondern auch weil die kapitalistische Aneignung bewirkt, dass die Ressourcen gegenüber den Ausgebeuteten zu feindlichen Kräften werden, von denen sie entfremdet sind. Wir möchten hinzufügen, dass die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen und die Angst vor Arbeitslosigkeit jede/n dazu führt, sich eine gute Entwicklung „seines/ihres“ Betriebes zu wünschen und so ungewollt am Produktivismus mitzuwirken. Schließlich verschafft der Konsum von Waren ab einem gewissen Entwicklungsniveau des Kapitals den Arbeitenden eine gewisse elende Kompensation für die Entfremdung in der Produktion. Alle diese Mechanismen können nur durch eine immer stärkere Entwicklung der Klassensolidarität gebrochen werden. Daher ist für Marx die rationale Steuerung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur nur durch die „assoziierten Produzenten“ zu erreichen. Und Marx fügte hinzu, allein darin liege die „einzig mögliche Freiheit“.

Obwohl sich Lenin in einigen politischen Stellungnahmen, die die Landfrage betrafen, darauf bezog [12] und obwohl Bucharin in seinem Lehrbuch über den historischen Materialismus [13] dazu eine intelligente Darstellung schrieb, fiel das marxistische Konzept einer vernünftigen Regulierung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur in Vergessenheit. Kein marxistischer Denker hat ihm die verdiente Anerkennung zuteilwerden lassen und keiner sah ein Interesse daran, sich darauf zu beziehen, als die ökologische Frage seit den 1960er Jahren zu einem gesellschaftlichen Problem wurde. Hier ist nicht der Platz, die Gründe für diesen Bruch der Kontinuität im revolutionären Marxismus [14] aufzuspüren. Wir möchten den Leser/die Leserin nur davor warnen, zu vereinfachenden Interpretationen zu greifen: Der Stalinismus ist nicht der einzige Grund, auch wenn er auch in diesem Bereich zu einer schlimmen theoretischen Regression geführt hat. [15] Man sollte vielleicht den Finger auf die Tatsache legen, dass die „Ökologie von Marx“ schnellstmöglich einen zentralen Platz im theoretischen Denken und der programmatischen Arbeit von MarxistInnen einnehmen sollte.

Das Problem der Klimaerwärmung zeigt diese Notwendigkeit. Denn die Sättigung der Atmosphäre mit CO2, die vor allem eine Folge der Verbrennung fossiler Brennstoffe ist – also eines Kurzschlusses im langfristigen CO2-Zyklus –, stellt einen klaren Fall einer irrationalen Lenkung des Stoffwechsels dar, und diese Irrationalität stellt die Menschheit vor ein fürchterliches Dilemma:

In dem kurzen Zeitraum von 40 Jahren, der uns laut dem „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) noch bleibt, und sofern es nicht zu einer außerordentlichen wissenschaftlichen Revolution im Energiebereich kommt, kann das System ganz einfach keine akzeptable kapitalistische Lösung finden. Denn in der Tat ist ein auf der Konkurrenz für den Profit gebautes System ganz und gar unfähig, die nicht kaufkräftigen menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen und gleichzeitig dauerhaft den Energieverbrauch und die materielle Produktion abzusenken. Diese Ziele eins nach dem anderen zu erreichen, wäre bereits mit der Logik des Kapitals unvereinbar, was ist dann erst, wenn man sie zusammen erreichen muss? Diese Unmöglichkeit erscheint in aller Deutlichkeit bei der Prüfung der von den Regierungen und den internationalen Institutionen vorgeschlagenen Klimaszenarien. Das Blue-Map-Szenario der Internationalen Energieagentur zum Beispiel möchte die globalen Emissionen bis 2050 um 50 Prozent senken. [16] Einerseits ist dieses Ziel aller Wahrscheinlichkeit nach unzureichend; andererseits soll es mittels eines massiven Einsatzes von Atomenergie, Agrobrennstoffen und angeblich „sauberer“ Kohle (durch CO2-Verpressung, CCS) (gar nicht zu reden vom Gas aus Schiefer oder von den Ölsanden) erreicht werden. Die Umsetzung von Blue Map würde bedeuten, dass 40 Jahre lang jedes Jahr 32 Atomkraftwerke mit einer Leistung von 1000 MW und 45 neue Kohlekraftwerke mit CCS und 500 MW gebaut werden. Die schreckliche Katastrophe von Fukushima in Japan genügt, um den Wahnsinn solcher Projekte zu zeigen.

Die strategische Entscheidung muss daher wie folgt lauten:

Wir werden uns natürlich für die erste Option entscheiden, doch müssen wir auf der Tatsache beharren, dass die Zwänge der Umwelt den Übergang zum Sozialismus bislang nicht dagewesenen Bedingungen unterwerfen. Das Ausmaß der Herausforderung kann nicht überschätzt werden. In der Europäischen Union z. B. bedeutete die Reduzierung der Emissionen um 60 Prozent (und sie müssen um 95 % reduziert werden!), ohne auf die Atomkraft zu setzen, etwa 40 Prozent des (heutigen) Energiebedarfs der Endverbraucher einzusparen. [17] Es ist nicht einfach, die kaskadenartigen Auswirkungen auf die Produktion und die Transporte zu ermessen, doch es scheint offensichtlich zu sein, dass das Ziel nicht einfach dadurch erreicht werden kann, indem man die unnütze und gefährliche Produktion aufgibt (Waffen, Werbung, Luxusyachten, Privatflugzeuge usw.), indem man gegen die geplante Kurzlebigkeit von Produkten kämpft oder indem man den Luxuskonsum der reichsten Schichten der herrschenden Klasse abschafft. Es werden noch radikalere Maßnahmen nötig sein, die sich auf die ganze Bevölkerung auswirken, zumindest in den entwickelten kapitalistischen Ländern. In anderen Worten, der Übergang zum Sozialismus muss unter ganz anderen Bedingungen vonstattengehen als im 20. Jahrhundert.

Ein Hinweis liegt in einer Schätzung des Anteils des Agrobusiness an den Treibhausgasemissionen. Laut der Kampagne „Ne mange pas le monde“ (Esst nicht die Welt auf!) sollen 44 bis 57 Prozent der Treibhausgasemissionen auf das gegenwärtige Modell der Produktion, Verteilung und Konsumierung von landwirtschaftlichen und aus dem Wald stammenden Produkten zurückzuführen sein. Diese Zahl erhält man durch Addition der rein aus der Landwirtschaft stammende Emissionen (11–15 %), der Entwaldung (15–18 %), dem Anbau, Transport und der Hortung von Lebensmitteln (15–20 %) und den organischen Abfällen (3–4 %). [18] Der Kampf für die Stabilisierung des Klimas auf einem möglichst guten Niveau kann sich daher nicht auf die Enteignung der Enteigner/Verschmutzer/Verschwender beschränken: Die Änderung der Eigentumsverhältnisse stellt nur eine notwendige – aber nicht hinreichende – Bedingung für einen äußerst tiefen gesellschaftlichen Wandel dar, der grundlegende Veränderungen in der gesellschaftlichen Art und Weise des Konsums und der Mobilität abverlangt.

Diese Veränderungen – z. B. eine andere Mobilität, weniger Fleisch und mehr Gemüse der Saison – müssen unverzüglich angegangen werden, denn die Zeit drängt und sie haben unmittelbare Auswirkungen. Sie setzen kulturelle und ideologische Mechanismen ins Werk, die über eine gewisse Autonomie im Hinblick auf die produktive Basis der Gesellschaft verfügen. Auch wenn sie keine strukturelle Änderung mit sich bringen, muss man sie doch als integralen Bestandteil einer antikapitalistischen Alternative ansehen. In dem Maße, wie sie zu kollektiven Praktiken führen, können sie die Bewusstwerdung und Organisierung begünstigen.


Eine neue Periode


Das von Leo Trotzki 1938 geschriebene „Übergangsprogramm“ beginnt mit der Behauptung, „die ökonomischen Voraussetzungen für die proletarische Revolution haben schon längst den höchsten Punkt erreicht, der unter dem Kapitalismus überhaupt erreicht werden kann“. Und es schließt: „Die objektiven Voraussetzungen der sozialistischen Revolution sind nicht nur ,reif‘, sie beginnen bereits zu faulen. Ohne eine sozialistische Revolution, und zwar in allernächster Zeit, droht der gesamten Menschheits-Kultur eine Katastrophe.“ [19] Sicherlich bezieht sich der Gründer der Roten Armee vor allem auf den historischen Kontext, auf den Sieg des Faschismus und des Nationalsozialismus, die Niederwerfung der spanischen Revolution und den drohenden Weltkrieg. Aber sein Urteil über das Verfaulen der objektiven Bedingungen scheint von historisch größerer Reichweite zu sein. Dieses Thema sollte auch bei Ernest Mandel wiederkehren: „Wachsende Produktivkräfte mit wachsenden Ware-Geld-Beziehungen können eine Gesellschaft durchaus vom sozialistischen Ziel entfernen statt sie ihm anzunähern“. [20]

Ein bemerkenswertes Zitat, dessen strategische Implikationen es verdienen, erkundet zu werden. Denn wir sind mit folgender Lage ohne historisches Vorbild konfrontiert: Auf der Ebene der entwickelten Länder ist der Kapitalismus in der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte zu weit gegangen, so dass die sozialistische Alternative, die ihren Namen verdient, nicht durch eine Weiterführung, sondern eine Form des Zurückschreitens gehen wird. (Wir reden hier von den materiellen Produktivkräften; es geht natürlich nicht um die Entwicklung des Wissens und der Kooperation zwischen den ProduzentInnen.) Die neue historische Konjunktur zeigt sich in der dringlichen Notwendigkeit, weniger zu produzieren und zu transportieren, um viel weniger Energie zu konsumieren und die fossilen CO2-Emissionen bis zum Ende des Jahrhunderts völlig zum Verschwinden zu bringen.

Die Tatsache, dass die Entwicklung der Produktivkräfte uns objektiv von einer sozialistischen Alternative wegführt, ist von größter Bedeutung und begründet und rechtfertigt das Konzept des „Ökosozialismus“. Bei diesem Konzept handelt es sich nicht um neuen Wein in alten Schläuchen, sondern um mindestens fünf Neuerungen, die ich in meinem Buch L’impossible capitalisme vert (Der unmögliche grüne Kapitalismus) [21] entfaltet habe und die ich hier kurz zusammenfassen möchte:

  1. Der Begriff der „Beherrschung der Natur“ muss aufgegeben werden. Die Komplexität, die unbekannten Prozesse und der evolutionäre Charakter der Biosphäre bringen einen nicht reduzierbaren Grad an Unsicherheit mit sich. Die Wechselwirkung von Umwelt und sozialen Verhältnissen muss als Prozess fortwährender Bewegung, als eine Art Produktion von Natur, gedacht werden.

  2. Die klassische Definition des Sozialismus muss vervollständigt werden. Der einzig mögliche Sozialismus ist nunmehr derjenige, der die wirklichen menschlichen Bedürfnisse (die von der Entfremdung durch die Warenwelt befreit sind) befriedigt.

  3. Man muss eine geschlossene, utilitaristische und lineare Sicht der Natur als einer physischen Plattform, auf der die Menschheit handelt, als eines Ladens, aus dem sie die notwendigen Ressourcen für die Produktion ihrer gesellschaftlichen Existenz entnimmt, und als Müllkippe, auf der sie ihre Abfälle los wird, überwinden. Die Natur ist gleichzeitig Plattform, Laden, Müllkippe und das Ensemble der lebenden Prozesse, die – dank der Zuführung der Sonnenenergie – die Materie zwischen diesen Polen zirkulieren lässt, indem sie sie permanent reorganisiert. Die Abfälle und die Art ihrer Lagerung müssen qualitativ und quantitativ mit den Kapazitäten und den Rhythmen des Recycling durch die Ökosysteme verträglich sein.

  4. Die Energiequellen und die Methoden ihrer Anwendung sind gesellschaftlich nicht neutral. Daher kann der Sozialismus nicht à la Lenin als „Sowjets plus Elektrifizierung“ definiert werden. Das kapitalistische Energiesystem ist zentralisiert, anarchisch, verschwenderisch, ineffizient, gebraucht massiv tote Arbeit (Maschinen), die auf nicht erneuerbaren Quellen beruht und auf die Akkumulation hin ausgerichtet ist. Eine sozialistische Transformation, die diesen Namen verdient, braucht eine schrittweise Ersetzung dieses Systems durch ein dezentrales, geplantes, sparsames, effizientes, die lebende Arbeit einsetzendes System, das ausschließlich auf erneuerbaren Energien beruht und auf die Herstellung von dauerhaften, recyclebaren und neuerlich verwendbaren Gebrauchswerten orientiert ist. Dies betrifft nicht nur die Energieproduktion im engeren Sinne, sondern den gesamten industriellen Apparat, die Landwirtschaft, das Transportwesen, die Freizeitgestaltung und die Verteilung von Ländereien. Diese äußerst tiefgehende Transformation kann erst auf Weltebene vollendet werden.

  5. Das Überschreiten der Schwelle, von der an das Wachstum der materiellen Produktivkräfte den Übergang zum Sozialismus schwieriger macht, führt zu einer kritischen Haltung im Hinblick auf die Zunahme der Arbeitsproduktivität. In einer Anzahl von Bereichen verlangt die Umsetzung einer antikapitalistischen Alternative, die die ökologischen Gleichgewichte respektiert, die Ersetzung von toter durch lebendige Arbeit. Das ist offensichtlich in der Landwirtschaft der Fall, wo das System des ultra-mechanisierten Agrobusiness, ein großer Verbraucher von Dünger und fossiler Energie, einer anderen Anbaumethode Platz machen muss, die mehr menschliche Arbeit einsetzt. Das gleiche gilt für den Energiesektor, denn die dezentrale Energieproduktion auf der Grundlage erneuerbarer Energien wird viel menschliche Arbeit erfordern, vor allem bei der Instandhaltung. Allgemein gesagt muss die Menge an lebendiger Arbeit in allen Bereichen, die direkt mit der Umwelt verbunden sind, radikal zunehmen. Ähnliches gilt auch für die Dienste am Menschen, die Ausbildung und andere Bereiche, bei denen die Linke selbstverständlich annimmt, dass hier öffentliche Dienste entwickelt gehören: In der Tat sind in den Bereichen, wo es einen direkten Austausch mit der Biosphäre gibt, menschlicher Geist und Gefühl erforderlich, die mit einer Kultur der „Vor- und Nachsorge“ verbunden werden müssen.

Dogmatische Köpfe werden befürchten, dass diese Überlegungen die Tür zu einer Revision des revolutionären Marxismus in Form von Zugeständnissen an die Sparoffensive gegen die Arbeiterklasse in den entwickelten Ländern öffnen. Das ist Unsinn. Es geht nicht darum, den Selbstbeschuldigungsdiskursen, die die ökologische Krise dafür hernehmen, die Welt der Arbeit und ihre VertreterInnen zu entwaffnen, auch nur einen Fußbreit nachzugeben. Eine Demarkationslinie zwischen dem Ökosozialismus auf der einen und der politischen Ökologie und der Décroissance-Bewegung (Schrumpfung) auf der anderen Seite, stellt die Haltung zum Klassenkampf dar. Wir sind ganz und gar überzeugt, dass die Ausgebeuteten durch die Erfahrungen der kollektiven Kämpfe lernen, die mit der Verteidigung der Löhne, der Beschäftigung und der Arbeitsbedingungen beginnen. Jeder Kampf der Beschäftigten, auch um unmittelbare Forderungen, muss unterstützt und als Chance gesehen werden, das Bewusstseinsniveau zu heben, um auf eine sozialistische Perspektive hin zu orientieren. In diesem strategischen Rahmen schwächt die Feststellung, dass der Übergang zum Sozialismus nunmehr unter den Zwängen der Umweltbedingungen zu erfolgen hat, keineswegs die antikapitalistischen Überzeugungen – sie stärkt sie sogar. Denn nur die Wahrheit ist revolutionär. Man kann die Tatsache, dass der Übergang zum Sozialismus höchst wahrscheinlich den Verzicht auf bestimmte Güter, Dienstleistungen und Gewohnheiten erforderlich macht, die das tagtägliche Leben breiter Teile der Bevölkerung tief prägen, zumindest in den entwickelten kapitalistischen Ländern, nicht unter den Tisch kehren. Wir müssen also Ziele in den Vordergrund stellen, die diese Verluste durch substantielle Gewinne an Lebensqualität auffangen können. Wir meinen, dass man zwei Wege privilegieren sollte: 1. Basisgüter (Wasser, Strom, Mobilität) sollten bis zu einem mittleren Verbrauch kostenlos zur Verfügung stehen (dazu müssen die öffentlichen Dienste ausgebaut werden); 2. eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit (um 50 Prozent) ohne Lohnabbau bei gleichzeitigen Neueinstellungen und Verminderung des Arbeitstempos.

Marx sagte: „Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf“. [22] Zu unterstreichen, dass es notwendig ist, weniger zu produzieren und zu konsumieren, bedeutet mehr Zeit zum Leben, für ein besseres Leben. Die grundlegende Diskussion über die Verwendung der gesellschaftlichen Zeit, darüber, was für wen warum und in welchem Umfang nötig ist, ist eröffnet. Wir müssen die Sehnsucht nach einer Welt ohne Kriege, in der man weniger und anders arbeitet, weniger verschmutzt, die sozialen Beziehungen entwickelt, in der man das Wohlergehen, die öffentliche Gesundheit, die Erziehung und die demokratische Partizipation substanziell steigert, neu entfachen. Eine Welt, in der die assoziierten ProduzentInnen neu lernen, kollektiv einen „Dialog mit der Natur“ zu führen. Diese Welt wird nicht weniger reich sein als die heutige – wie die Rechte behauptet, noch „genauso reich für die große Mehrheit der Bevölkerung“ – wie eine gewisse Linke sagt. Sie wird viel weniger flüchtig, gestresst, in Eile sein – in einem Wort: viel reicher.

Aus dem Französischen von Paul B. Kleiser

Der Artikel wurde geschrieben für die Zeitschrift Nouveaux Cahiers du Socialisme, Montréal, Nr. 6, August 2011.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 6/2011 (November/Dezember 2011).


[1] Jared Diamond, Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, Frankfurt a. M.: Fischer, 2006. Kritik an der These von Diamond übten vor allem Benny Peiser, „From ecocide to genocide: the rape of Rapa Nui“, in: Energy and Environment, Bd. 16, Nr. 3/4, 2005; Terry L. Hunt, „Rethinking Easter Island’s ecological catastrophe“, in: Journal of Archaeological Science, Nr. 34, 2007, S. 485–502; sowie Daniel Tanuro, „Catastrophes écologiques d’hier et d’aujourd’hui. La fausse métaphore de l’île de Pâques“, in: Critiquecommuniste, Nr. 185, Dezember 2007, S. 138–149.

[2] Joseph Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 4. Aufl., München: Francke, 1975 (zuerst New York 1942), S. 136.

[3] L. Possoz und H. Jeanmart, Comments on the electricity demand scenario in two studies from the DLR. MED-CSP & Trans-CSP, ORMEE & MITEC engineering consultancy, Belgien, http://tinyurl.com/65fzvqs.

[4] Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Buch I, MEW, Bd. 23, S. 530.

[5] Jim Jackson, Prospérité sans croissance, Brüssel: Etopia, 2010 (Originalausgabe: Prosperity without Growth.Economics for a Finite Planet, London: Earthscan, 2009; auf Deutsch: Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt, München: oekom, 2011).

[6] Daniel Tanuro, „,Prospérité sans croissance‘: Un ouvrage sous tension“ (Besprechung des Buchs von Tim Jackson, verfasst für Etopia, das Forschungsinstitut der frankophonen belgischen Grünen), http://www.europe-solidaire.org/spip.php?article18986.

[7] Das gilt auch für die Vorschläge alternativer oder ergänzender Indikatoren für das BIP. Dass das BIP nicht die Qualität der Umwelt misst, ist eine Binsenweisheit, denn dies ist nicht sein Ziel noch das des Kapitalismus. Das BIP misst die Akkumulation des Kapitals. Daher stimmt es voll und ganz mit dem Kapitalismus überein. Glauben zu machen, es genügte, die Maßeinheit zu ändern, damit das System seine Logik ändere, zeugt entweder von Naivität oder intellektuellem Schwindel.

[8] GIEC [Groupe d’experts intergouvernemental sur l’évolution du climat; engl.: IPCC], Contribution du Groupe de travail III au rapport 2007, S. 776.

[9] IEA, Perspectives des technologies de l’énergie. Au service du plan d’action du G 8. Scénarios et stratégies à l’horizon 2050, 2008.

[10] K. Marx, Das Kapital, Erster Band, MEW, Bd. 23, S. 528.

[11] Avant la lettre – svw. „wobei es den Begriff selbst (hier: ökologisch) zu der Zeit noch nicht gab“ [Anm. d. Red.]

[12] W. I. Lenin, „Die Agrarfrage und die ,Marxkritiker‘“ (1901), Abschnitt IV, in: Werke, Berlin: Dietz, 1955, Bd. 5, S. 141–155.

[13] N. Bucharin, Theorie des historischen Materialismus. Gemeinverständliches Lehrbuch der Marxistischen Soziologie, o. O. [Petrograd]: Verlag der Kommunistischen Internationale, 1922.

[14] Daniel Tanuro, „Marxism, Energy, and Ecology: The Moment of Truth“, in: Capitalism, Nature, Socialism, Bd. 21, Nr. 4, Dezember 2010, S. 89–101.

[15] Daniel Tanuro, „Ecologie: le lourd héritage de Léon Trotsky“, http://www.europe-solidaire.org/spip.php?article18418.

[16] IEA, op. cit.

[17] Wolfram Krewitt (mit Uwe Klann u. Stefan Kronshage), Energy Revolution. A Sustainable Pathway to a Clean Energy Future for Europe, Stuttgart, hrsg. vom Institute of Technical Thermodynamics und Greenpeace, September 2005 (Beitrag für internationale Konferenz, Paris, Dezember 2005, veranstaltet von Ministère de l’Écologie et du Developpement Durable).

[18] Laut Esther Vivas, „,Ne mange pas le monde‘: Un autre agriculture pour un autre climat“ (Artikel, veröffentlicht in der spanischen Tageszeitung Público, 3. November 2009, http://blogs.publico.es/dominiopublico/1642/otra-agricultura-para-otro-clima), http://www.cadtm.org/Une-autre-agriculture-pour-un.

[19] Zitiert nach: Leo Trotzki, Denkzettel. Politische Erfahrungen im Zeitalter der permanenten Revolution, hrsg. von Isaac Deutscher, George Novack und Helmut Dahmer, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1981, S. 293f., 294.

[20] Ernest Mandel, „Zehn Thesen zur sozialökonomischen Gesetzmäßigkeit der Übergangsgesellschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus“, in: Peter Hennicke (Hrsg.), Probleme des Sozialismus und der Übergangsgesellschaften, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1973, S. 37.

[21] Daniel Tanuro, L’impossible capitalisme vert, Paris: La Découverte, 2010. Erscheint voraussichtlich im kommenden Jahr im Neuen ISP Verlag auf Deutsch.

[22] Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW, Bd. 42, S. 105 (Anm. d. Red.).