9+1 Bemerkungen zu Syriza nach ihrem Gründungskongress
Eine breite Partei sollte es werden, eine Einheitspartei besonderen Typs scheint dabei herausgekommen zu sein. Was das unter anderem für die linke Plattform, zu der auch der Autor gehört, bedeutet, bleibt die spannende Frage der allernächsten Zukunft.
Stathis Kouvelakis
Der Syriza-Kongress hat in einem Kontext wachsender politischer Instabilität stattgefunden nach der Krise im Gefolge der Schließung des öffentlichen Rundfunks (ERT) durch die Regierung von Antonis Samaras und dem Verlassen der Regierungskoalition durch die der Partei der Demokratischen Linken (DIMAR). Die neue Regierung aus den beiden Parteien der Neuen Demokratie und der PASOK kann von nun an nur noch auf eine sehr knappe parlamentarische Mehrheit zählen (hinter ihr stehen nur noch 153 von 300 Mandaten), wie sich das bei der Abstimmung im Parlament zum neuen Sparprogramm mit weiterem Abbau des öffentlichen Dienstes am 17, Juli gezeigt hat. Mehr noch: die Stärke der Proteste gegen die Schließung von ERT hat das Ende einer relativen Apathie der Massen nach Verabschiedung der letzten Memorandumsbeschlüsse im November letzten Jahres eingeläutet. Der herrschende Block geht aus diesem Kräftemessen sichtlich geschwächt hervor. Der Sturz der Regierung unter dem Druck der Mobilisierungen von unten erscheint heute eine realistischere Möglichkeit zu sein als noch vor einigen Monaten. Gleichwohl mangelt es schmerzlich an einer Strategie und Taktik, die diese Frage grundlegend angehen würden.
Die Position von Syriza bleibt in dieser Hinsicht beschwörend im Ton und geprägt von der Kluft zwischen einer Konfliktbereitschaft andeutenden, aber vagen Rhetorik und der konkreten Linie bei Schlüsselereignissen der gesellschaftlichen Konfliktsituationen in der letzten Periode (abgebrochene oder niedergeschlagene Streiks bei der U-Bahn, den Hafenarbeitern und GymnasiallehrerInnen mit den harten Antistreikmaßnahmen der Regierung). Bei allen diesen Gelegenheiten hat die Syriza-Führung eine extreme Vorsicht an den Tag gelegt und jedes Streben nach einem machtvollen Anwachsen der Protestbewegung vermieden, was im Rückzug von der Unterstützung der Streikbewegung der Lehrerinnen und Lehrer kulminierte, die doch von den darüber beratenden Vollversammlungen mit 90 % der Stimmen beschlossen worden war.
Als die Führung im Mai die Abhaltung des Kongresses verkündet hatte, hatte sie nur ein Ziel: die Konstituierung von Syriza als Gelegenheit zu nutzen, „die Dinge wieder in die Hand zu nehmen“, um zugleich die interne Opposition an den Rand zu drängen und eine Parteiform zu stabilisieren, die in wesentlichen Punkten mit der politischen und organisatorischen Kultur der radikalen Linken bricht. Anders gesagt, ging es der Führung darum, sehr schnell eine „Parteiform“ zu schaffen, die maßgeschneidert ist, um in deren organisatorischer Realität die Reorientierung zu verankern, die die Führung seit Herbst 2012 geharnischt verfolgt – eine Linie, die sich in der zunehmenden Vernebelung der Positionen von Syriza (sowie von deren Wahrnehmung durch die gesellschaftlichen Schichten, die ihr vertrauen) zu Schlüsselfragen (wie der Außerkraftsetzung der Memorandumsbeschlüsse, der Position zur Schuldenfrage, der Ablehnung der Privatisierungen) ausgedrückt hat. [1]
Zu diesem Zweck hat die Führung der Partei einen Gewaltmarsch (mit einer Zeitspanne von weniger als einem Monat zwischen der Veröffentlichung der Texte zur Beschlussfassung und der Abstimmung in den Kreisverbänden) und eine Tagesordnung durchgesetzt, die vollständig um die internen Fragen kreist, weit entfernt von den Fragen der Strategie und der programmatischen Weiterentwicklung, die doch in einer so schnell sich ändernden Lage gefordert sind. Diese „introvertierte“ Tagesordnung war um drei Schlüsselfragen gruppiert:
-
die Frage der Bestandteile, mit einem Ultimatum von zwei oder maximal drei Monaten bis zur Auflösung der Organisationen des bisherigen Syriza-Bündnisses zum Zweck der Herstellung der „Einheit“ von Syriza als Partei; [2]
-
ein weitgehend ausgehöhltes Tendenzrecht mit Abschaffung der „getrennten“ Listen für die parteiinternen Wahlen, eine Ausdrucksweise, die davon ablenken soll, dass damit die proportionale Repräsentanz von Minderheiten in den Führungsorganen in Frage gestellt wird;
-
die Art und Weise, wie der Vorsitzende der Partei gewählt wird, nämlich vom Kongress und nicht vom Führungsorgan (vom Zentralkomitee).
Der Sinn dieser auf die internen Probleme fokussierten Tagesordnung kann nur verstanden werden im umfassenderen Kontext der Wahrnehmung von Syriza durch die VertreterInnen des herrschenden Blocks und der inneren Entwicklung dieser Partei seit einem Jahr.
Für die Medien und die dem herrschenden System verpflichteten politischen Kräfte sind die „Komponenten“ und „Strömungen“ von Syriza, ihre berühmte Kakophonie die verschlüsselte Art und Weise, den Radikalismus von Syriza zu bezeichnen, den diese „Strömungen“ gegenüber einer (von Tsipras repräsentierten) Führung verkörpern, die für „Realismus“ und für eine entsprechende Reorientierung steht. Die Führung und insbesondere Tsipras sind insofern einem anhaltenden, vom herrschenden System ausgehenden Druck ausgesetzt, „im eigenen Haus Ordnung zu schaffen“ („Tsipras, lass’ Köpfe rollen“, ist eine der beliebtesten Forderungen der führenden etablierten Kommentatoren in den Medien …) und sich von den oppositionellen Stimmen zu befreien. Im Fadenkreuz sind dabei insbesondere die kritischen Stimmen links der Führung, die als ebenso viele Hindernisse dafür dargestellt werden, das „Image“ von Syriza zu dem einer „verantwortlichen Regierungspartei“ zu machen.
Innerhalb von Syriza selbst hatten sich die spektakulären Wahlerfolge des Frühjahrs 2012 in einer widersprüchlichen Dynamik ausgedrückt. Einerseits eine bedeutende Eintrittswelle (die Mitgliederzahl hat sich in wenigen Monaten in etwa verdoppelt bis auf heute ungefähr 35 000 Mitglieder) und Erfolge in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen, vor allem in der Gewerkschaftsbewegung, einem traditionellen Schwachpunkt von Syriza – aber doch relative Erfolge, weil die Präsenz in den Gewerkschaften doch deutlich unterhalb des Niveaus der griechischen KP (der KKE) bleibt, die bei den Wahlen aber weniger als 5 % der Stimmen bekommen hat, nur ungefähr ein Sechstel so viel wie Syriza. Doch diese Welle beinhaltet auch einen anderen, sehr viel zweischneidigeren Gesichtspunkt. In einer von der ökonomischen Depression traumatisierten Gesellschaft, die von Jahrzehnten der „Parteienherrschaft“ (vom „System“, das seit dem Sturz des Obristenregimes 1974 abwechselnd regierenden Neuen Demokratie und der PASOK geschmiedet worden war) geprägt worden ist, kann der Eintritt in eine Partei auch die Bedeutung des Wiederaufbaus klientelistischer Beziehungen annehmen, wozu eine Beziehung der Gefolgschaft zum charismatischen Führer passt. Dieses Phänomen trifft sicher noch lange nicht auf die Mehrzahl der Mitglieder zu, doch verändert es bereits in charakteristischer Weise die Zusammensetzung der Parteimitgliedschaft und nährt wesentlich das Gewicht „passiver Mitglieder“, die nur zum Tag der Abstimmung auf dem Kongress kommen, und deren Beziehung zur Organisation im Wesentlichen auf ihren Bindungen mit ihnen persönlich bekannten führenden Parteimitgliedern (einem oder mehreren) vor Ort beruht.
Dieses teils spontan auftretende und für diejenigen, die mit dem Klima der griechischen politischen Realitäten vertraut sind, absolut vorhersehbare Phänomen ist seit Herbst 2012 von der Parteiführung im Namen der notwendigen „Verbreiterung“ eindeutig gefördert worden. Die von diesem Zeitpunkt an getroffenen Entscheidungen – Verzicht auf jegliche Strategie aktivistischen Eingreifens und des Parteiaufbaus, die Organisierung von Konferenzen und Kongressen in aller Eile, mit einer möglichst großen Zahl an Delegierten, ähnlich wie für die landesweiten oder regionalen Führungsebenen, Aufbau einflussreicher informeller Netzwerke rund um bestimmte führende Mitglieder (die im Allgemeinen zugleich Mandatsträger sind) – führen unvermeidlich zu einer Partei, „die alle einfängt“, eine catch-all-Partei, wie die Politologen im Gefolge Kirchheimers sagen. In anderen Worten, eine Wahlpartei mit schwindendem internen Leben, die sich wesentlich um ihren Führer und um einen Diskurs schart, der von oben kommt, die sich wesentlich – vermittelt über die Medien – an ein „nationales Publikum“ wendet und immer darauf bedacht ist, den verschiedenen Teilen des „Publikums“ zu gefallen („radikaler“ und „lyrischer“, wenn man sich an die Mitglieder wendet, „nüchterner“ und „pragmatischer“, wenn man Schäuble oder dem IWF begegnet).
Die problematischsten Aspekte des Gründungskongresses dieser „neuen Syriza“, dieser nunmehr vereinheitlichten Partei kommen von diesen schwerwiegenden Tendenzen, die zu ihrer Transformation in eine „regierungsfähige Partei führen, die zur Verwaltung der Regierungsgeschäfte im Rahmen des Systems in der Lage ist: disproportional viele Mitglieder mit Stimmrecht im Vergleich zur Zahl derjenigen, die an den internen Debatten teilnehmen, ein amorpher Haufen von 3500 Delegierten, die Abwesenheit jeglicher organisierter Diskussion während der ersten beiden Tage (wo Delegierte überhaupt das Wort ergreifen konnten), Fehlen von Rechenschaftsberichten der Führungsorgane, einleitende Rede von Tsipras im Stil der Rede auf einer Wahlkampfveranstaltung und nicht im Stil einer Einleitung zu einer Beratung und Mitgliedern der Partei.
Dazu kam die außerordentlich aggressive Stimmungsmache gegen die parteiinterne Opposition (die als Linke Plattform gemeinsam aufgetreten ist [3]), die am Abend der letzten Sitzung des Kongresses bei den Abstimmungen zu drei Schlüsselfragen des organisatorischen Funktionierens der Partei kulminierten, auf die die Auseinandersetzungen fokussiert waren (Auflösung der Gruppierungen, Repräsentierung der Strömungen und Art und Weise der Wahl des Vorsitzenden). Da gab es für einen Kongress der radikalen Linken schockierende Szenen (ausgebuhte SprecherInnen der Linken Plattform, Stinkefinger und Beschimpfungen und Beifall für Tsipras, wann immer er ans Rednerpult trat, schon bevor er überhaupt den Mund aufgemacht hatte), die zum Auszug der Delegierten der Linken Plattform und eines nicht unbeträchtlichen Teils auch von Delegierten der Mehrheit aus dem Saal geführt haben.
Wie ist dieser Kongress zu bilanzieren? Vom Gesichtspunkt des programmatischen Gehalts und der strategischen Ausarbeitung her ist das Ergebnis mager bis inexistent. Die verabschiedeten Dokumente wiederholen mehr oder weniger wörtlich (und dann noch in einer eher verwässernden Weise) die Formulierungen der nationalen Konferenz vom November letzten Jahres. Diese Texte voller zweideutiger und verschieden interpretierbarer Kompromissformulierungen sind ohnehin von der Mehrheitsfraktion der Führung nie öffentlich verbreitet oder vertreten worden – sie hat vielmehr immer „Interpretationen“ dieser Texte in Übereinstimmung mit der „Reorientierung“ und dem „Realismus“ geliefert. So haben im letzten Dezember, wenige Tage nach der Konferenz von Syriza, die die Position bekräftigt hatte, im Falle eines Wahlsiegs die Memorandumsbeschlüsse unverzüglich per mehrheitlichem Parlamentsbeschluss zu kippen, die Verantwortlichen für Wirtschaftspolitik und die wichtigsten Führungspersönlichkeiten nach Tsipras in den Medien Erklärungen verbreitet, um klarzustellen, dass Syriza „nicht einseitig handeln würde“, und dabei haben sie systematisch vermieden, Ausdrücke wie „Annullierung“ oder „Rücknahme“ zu verwenden und stattdessen sehr viel gemäßigter von „Verhandlungen“ mit „unseren europäischen Partnern“ gesprochen. Tsipras selbst hat sich immer wieder in dieser „versöhnlerischen“ Weise geäußert, vor allem bei seinen Auslandsreisen, insbesondere in Deutschland, wo er sich mit Schäuble getroffen hat, und in den USA, wo er mit VertreterInnen des State Department und des IWF gesprochen hat.
Die Linke Plattform hat versucht, der fast gar nicht stattfindenden programmatischen Debatte einen politischen Gehalt zu geben, und vier Änderungsanträge eingebracht, die auf die empfindlichsten strategischen Gesichtspunkte abzielten: die Schuldenfrage (Infragestellung der Legitimität der Schulden überhaupt, Denunzierung der formell gültigen Verträge und, wenn notwendig, Aussetzung der Ableistung des Schuldendienstes mit dem Ziel der Streichung der Schulden); mögliches Ausscheiden aus der Eurozone (denkbare Option, auf die man sich ernsthaft vorbereiten muss, wenn eine Syriza-Regierung in ähnlicher Weise wie Zypern von der EU und der EZB erpresst wird); Verstaatlichung des Bankensektors insgesamt, klare Zusage, die laufenden Privatisierungen zurückzunehmen und die Schlüsselbereiche der Ökonomie (Telekommunikation, Energie, Infrastruktur der Straßen und der Flughäfen) unter demokratischer Kontrolle wieder zu vergesellschaften; eine Bündnisstrategie, die den Willen zu einer Linksregierung gegen die Sparpolitik bekräftigt und eine Öffnung zum „Zentrum“ oder zur souveränistischen Rechten des Parteienspektrums ausschließt. Alle diese Änderungsanträge sind zurückgewiesen worden, konnten aber zwischen einem Drittel und 40 % der Delegiertenstimmen auf sich ziehen, wobei die Änderungsanträge zu den Schulden und zum Euro am meisten Unterstützung gefunden haben. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Führung zur Frage der politischen Linie ihren Standpunkt durchsetzen konnte.
Und doch stellt dieser Kongress gemessen an den Zielen, die sich diese Führung gesetzt hatte, einen bedeutenden Rückschlag dar. Die drei weiter oben erwähnten Punkte, die in der Partei „Ordnung schaffen“ sollten, sind doch aus diesem Moment der Gründung der „neuen Syriza“ ziemlich zerfleddert herausgekommen. Zur Frage der Auflösung der Komponenten und dem entsprechenden Ultimatum an die Adresse der Organisationen, aus denen das bisherige Bündnis Syriza zusammengesetzt war, musste sich die Führung auf einen Kompromiss einlassen (die verabschiedete Formulierung spricht von einer „Auflösung in einem vernünftigen zeitlichen Rahmen und nach Beratungen“), und zwar wegen der sehr aufrechten Haltung von Manolis Glezos. Als emblematische Figur des Widerstands, mit seinem immensen Prestige und seiner Statur als der nationale Held, der er ist, hat er sich nicht darauf beschränkt, das Recht der Organisationen des Syriza-Bündnisses zu verteidigen, ihre Autonomie zu behalten. Er hat Tsipras direkt und persönlich angegriffen und das Modell der „Präsidentenpartei“ entschieden zurückgewiesen, was die moralische und symbolische Autorität der Führung und ihrer führenden Hauptperson ordentlich untergraben hat.
Zur Frage der Repräsentierung von Minderheiten hat diese Führung allerdings alles in die Waagschale geworfen und ein Vorgehen gewählt, das durchaus als Handstreich gekennzeichnet werden kann, den Tsipras persönlich ausgeführt hat: Nachdem er ein System vorgeschlagen hatte, das mit einer „technischen“ Regelung automatisch die Mehrheitsliste begünstigt, hat der Mehrheitsblock den (minderheitlichen) Strömungen, die gerne als solche repräsentiert sein wollen, aufgezwungen, getrennte Listen zu konstituieren, die auf einem eigenen Wahlzettel stehen.
Die bis dahin bestehende Möglichkeit, auf demselben Wahlzettel eine Liste auszuwählen und dann bis zu einem gewissen Grad KandidatInnen, die auf verschiedenen Listen kandidieren, zu panaschieren, ist somit eliminiert worden. Was die Liste der Mehrheit betrifft, so präsentiert sie sich nicht als Strömungsliste oder als Liste eines Blocks von Strömungen (was sie aber faktisch ist), sondern als „Einheitsliste“, als einfache Addition von kandidierenden Mitgliedern der Partei, die „die Vielfalt der Partei“ als solche repräsentieren. Es handelte sich offensichtlich darum, die Minderheiten als bloß tolerierte „Fremdkörper“ erscheinen zu lassen und der Mehrheitsliste einen symbolischen Status als einzigen Gralshüter der legitimen Parteiidentität zu verschaffen.
Und doch hat sich diese Operation gegen ihre Urheber gedreht. Anstatt schwächer zu werden, ist die Linke Plattform deutlich stärker geworden (siehe weiter unten) und konnte mit Hilfe der Präsenz kleiner „unabhängiger“ Listen die Liste der Mehrheit auf 67,5 % zurückführen, und das sind sieben Prozentpunkte weniger als auf der nationalen Konferenz im November letzten Jahres.
Und schließlich, zur Frage der Wahl des Vorsitzenden durch den Kongress, konnte sich die Führung durchsetzen, aber um den Preis der Annahme einer „flexiblen“ Regelung in den Statuten, die jedem Kongress erlaubt, die Art und Weise der Wahl des Vorsitzenden souverän festzulegen. Nicht überraschend hat sich dieser Kongress danach für die Direktwahl des Vorsitzenden ausgesprochen. Doch bei der geheimen Wahl hat Tsipras dann ein wenig überzeugendes Ergebnis von 72 % erreicht (74 % der gültigen Stimmen, wobei fast alle ungültigen Stimmzettel entweder Ausdruck der Ablehnung des Verfahrens oder der Person von Tsipras waren).
Man kann gleichwohl davon ausgehen, dass der wichtigste Rückschlag für die Führung die Stärkung der Linken Plattform ist, die die symbolische Schwelle der 30 % überschritten hat, was gemessen an der nationalen Konferenz im November des letzten Jahres einem Zuwachs um fast fünf Prozentpunkte entspricht (30,16 % gegenüber 25,6 %), und das in einem stark konfliktgeprägten Rahmen, wo die Regie vollständig darauf abgestellt war, die Marginalisierung der Opposition zu erreichen. Ohne Zweifel hat das Klima der Einschüchterung bei einem Teil der Delegierten einen starken Widerstand hervorgerufen, über den Kreis derer hinaus, die von vornherein die Positionen der Plattform unterstützt hatten.
Das Ergebnis hat die Führung regelrecht schockiert; sie hat jeden offiziellen Kommentar vermieden (ihre RepräsentantInnen wurden mit der Verkündung der ersten Ergebnisse regelrecht unsichtbar). Die Presse und die Medien registrieren die manifeste Verlegenheit in den Reihen der MehrheitlerInnen, wenn sie auch, im Allgemeinen, Tsipras zu schonen versuchten. Die Fragen nach der Linie, die er in der nun beginnenden Periode verfolgen will, werden immer drängender: Anstreben von Kompromissen oder Weiterführen der innerparteilichen Konfrontation, womit er dieses Mal riskieren würde, eine lang andauernde interne Krise zu provozieren.
Die Linke Plattform hat ihrerseits zum ersten Mal eine eigene Erklärung öffentlich gemacht und mit ihr ihre Meinung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ihre Bemühungen um eine „Radikalisierung und Verankerung von Syriza auf linken Positionen und für die Einheit der radikalen Linken insgesamt unter verbesserten Bedingungen fortgesetzt werden.“ Das ist ein Zeichen dafür, dass ihr Erfolg als Ermutigung dafür verstanden wird, ihre Intervention in der Partei und sogar über die Partei hinaus sichtbarer zu machen.
Schlussfolgernd kann man sagen, dass der Gründungskongress mehr Probleme geschaffen als gelöst hat oder versucht hat zu lösen. Nunmehr konstituiert als vereinheitlichte Partei mit ihren Statuten und programmatischen Dokumenten und ihrer gewählten Führung, erscheint Syriza nichtsdestoweniger als eine Partei, die zu wesentlichen strategischen Fragen, die im Mittelpunkt der landesweiten und der europaweiten Debatte stehen, tief gespalten ist. Offensichtlich führt die Konfrontation zwischen den AnhängerInnen eines „realistischen“ Herangehens, das bestrebt ist, auf „kalte“ Weise an die Regierung zu kommen und nicht mit dem von der EU gesetzten Rahmen zu brechen und strategische Sektoren der herrschenden Kräfte zu schonen, und denjenigen, die die offene Konfrontation und den Bruch mit dem gegenwärtigen Rahmen der EU wollen, ins Herz der Fragen, die sich der radikalen Linken in Europa stellen.
Der entscheidende Beitrag von Syriza und die Dynamik, die sie im Frühjahr des vergangenen Jahres in Gang zu setzen in der Lage war, ist, dass sie in der radikalen Linken die Frage einer Machtalternative in konkreter Weise stellen konnte. Bleibt zu erfahren, ob dieses Unternehmen auf Kosten der Radikalität fortgeführt wird und ob es sich in die lange Liste der Erfahrungen mit Linksregierungen einreiht, die im Morast der loyalen Verwaltung des Systems stecken geblieben sind. Der Kongress von Syriza ist wohl nützlich dafür gewesen, dass er zumindest die Konturen des Problems für die im Sinne eines emanzipatorischen Projekts engagierten gesellschaftlichen und politischen Kräfte klarer und einfacher verständlich zu formulieren erlaubt hat.
Athen, 18, Juli 2013
Stathis Kouvelakis, Universitätsprofessor und Mitglied des Zentralkomitees von Syriza und führendes Mitglied der linken Strömung [4], deren bekannteste Persönlichkeit Panagiotis Lafazanis ist. Stathis Kouvelakis hat unter anderem das Buch Philosophie et révolution: de Kant à Marx (Presses Universitaires de France, 2003 [englischsprachige Ausgabe: Philosophy and Revolution. From Kant to Marx, 2003] veröffentlicht. Er unterrichtet am Londoner King’s College. (Redaktion der Webseite A l’Encontre)
Übersetzung: Manuell Kellner
|
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 5/2013 (September/Oktober ).
| Startseite
| Impressum
| Datenschutz
[1] Zur Entwicklung von Syriza siehe den Artikel von Baptiste Dericquebourg „Prendre le pouvoir sans perdre son âme“ (Die Macht übernehmen, ohne die Seele zu verlieren) in der Ausgabe von Juni 2013 von Le Monde diplomatique [auf Englisch: „Where Syriza stands“, http://mondediplo. com/2013/07/07syriza] sowie Philippe Marlières Text „Alexis Tsipras entre radicalisme et réalisme“ (Alexis Tsipras zwischen Radikalismus und Realismus) in http://blogs.mediapart.fr/ blog/philippe-marliere/220313/alexis-tsipras-entre-radicalisme- et-realisme.
[2] Von 2004, dem Datum der Gründung, bis zu der nationalen Konferenz von November 2012, existierte Syriza als Bündnis eines Dutzends unterschiedlicher Komponenten, die quasi das gesamte Spektrum der radikalen Linken abdeckten. Wichtigste Komponente war Synaspismos, die Partei von Alexis Tsipras, wobei diese Partei selber aus unterschiedlichen Strömungen bestand, die von der gemäßigten Sozialdemokratie (daraus ist die gegenwärtige Demokratische Linke, DIMAR, hervorgegangen, doch ist ein beträchtlicher Teil dieser Strömung in Synaspismos geblieben) bis zum Neokommunismus der Linken Strömung (siehe nächste Anmerkung) reicht.
[3] Die linke Plattform hat sich in ihrer gegenwärtigen Form zu der nationalen Konferenz von November 2012 gebildet, und zwar durch das Zusammengehen der zwei Hauptkomponenten, die in verschiedenen Konfigurationen seit über einem Jahrzehnt existieren: 1. der linken Strömung in Synaspismos, die im Wesentlichen von AktivistInnen gebildet worden ist, die bei der Spaltung 1991 aus der griechischen kommunistischen Partei (KKE) ausgetreten sind; sie kontrolliert die Mehrzahl der Betriebsgruppen und den Gewerkschaftssektor und verfügt in bestimmten Kreis- und Regionalverbänden, im Wesentlichen im Norden von Griechenland, über eine starke Präsenz; 2. den drei Syriza- Komponenten trotzkistischer Herkunft (Kokkino, DEA und APO), die sich inzwischen unter dem Schirm von Rproject/Rotes Netzwerk zusammengetan haben. Auf dem Kongress haben sich eine Komponente, die aus der PASOK stammt, DIKKI, sowie eine Organisation aus Gewerkschaftskadern, die 1995 die KKE verlassen haben, KEDA, der Plattform angeschlossen. Etwa ein Dutzend der insgesamt 70 ParlamentarierInnen von Syriza zählen sich zur linken Plattform, darunter einer der drei SprecherInnen der Parlamentsfraktion, nämlich Panagiotis Lafazanis, ehemaliges Leitungsmitglied der KKE und langjähriger Abgeordneter für den Wahlkreis Piräus, dem am stärksten von IndustriearbeiterInnen geprägten im Land, zugleich die bekannteste öffentliche Persönlichkeit dieses Orts.
[4] Stathis Kouvelakis hat auf dem Gründungskongress gesprochen und während des Kongresses an der gemeinsamen Versammlung der linken Plattform teilgenommen, zu der ein großer Teil der Delegierten der linken Strömung und von Rproject, also DEA, Kokkino und APO, zusammenkamen. Zu dieser Versammlung, die am Freitag, den 12, Juli, sehr kurzfristig für 22 Uhr einberufen wurde, kamen rund 1000 Personen, also auch Nichtmitglieder der beiden erwähnten „Strömungen“, d. h. Delegierte, die erfasst hatten, worauf es für die Tsipras-Führung auf dem Kongress wirklich ankam: nämlich den „Staatsstreich“, wie die von Stathis Kouvelakis auf dieser Versammlung verwendete Formulierung lautete, von Tsipras, um die 14 Organisationen zu zerbrechen, aus denen Syriza besteht und daraus eine, wie es heißt, vereinigte Partei zu machen, mit Auflösung der Organisationen im Namen einer aus einer Summe von Individuen bestehenden „Demokratie“. Danach verbleibt als einzige „organisierte Fraktion“ der Kern von und um Tsipras. Dies verleiht der Charakterisierung des Gewaltstreichs, den die Tsipras-Führung versucht hat und der weitgehend fehlgeschlagen ist, durch Stathis Kouvelakis Gültigkeit.
Doch wird mit Sicherheit ein Krieg niedrigerer Intensität gegen die Syriza-Linke fortgesetzt werden. Diese kann jedoch im Rahmen der sozialen Mobilisierungen stärker werden und ein paar Steinchen in die Schuhe der, wie Antonis Ntavanellos sie genannt hat, „neuen golden boys von Syriza“ praktizieren, die glauben, ihren Realismus den griechischen herrschenden Eliten verkaufen zu können, ganz zu schweigen von der Troika oder Wolfgang Schäuble. Dieser hat in enger Zusammenarbeit mit der Regierung Samaras bei seinem Besuch vom 18, Juli eine gigantische Abriegelung des Athener Stadtzentrums und ein Verbot jedweder Demonstration durchgesetzt