Israel/Palästina

Hintergründe des israelischen Angriffskrieges

„Low intensity wars“ auf israelisch im Interesse eines florierenden Rüstungsexports und zur Übertünchung der sich immer deutlicher zeigenden Risse in der israelischen Gesellschaft könnten die arabische Bevölkerung Palästinas noch lange heimsuchen.

Charles-André Udry

Der Angriffskrieg des israelischen Staates zielt auf das palästinensische Volk und seine ohnehin hartnäckig ignorierten Rechte. Es handelt sich also mitnichten um einen „Krieg gegen die Hamas“, wie die blutige Repression seitens der israelischen Polizei und die Aggressivität der „extremistischen“ Siedler gegenüber den zahlreichen und breit befolgten Demonstrationen der Palästinenser, die aktuell im besetzten Westjordanland stattfinden, zeigen – ganz zu schweigen von den Massakern an den Zivilisten und der Zerstörung der Infrastruktur und des Wohnraums in Gaza. Für diesen Krieg, den eine vorgebliche Verteidigungsarmee führt, sind vielfältige Faktoren verantwortlich, von denen zwei besonders hervorgehoben werden sollen.

In der französischsprachigen Ausgabe des ausgewiesen pro-zionistischen Senders I24News wurde in seltener Offenheit und gar mit Stolz darauf verwiesen, dass sich die israelischen Waffenexporte insgesamt auf 7,5 Milliarden Euro belaufen. Damit lagen sie 2013 bei 3 % aller weltweit getätigten Rüstungsexporte und somit unter den Top Ten, wie Le Monde Juif.info vom 27.Juli 2014 unter Verweis auf die Londoner Wochenzeitung The Economist stolz bemerkt.

Wie ein einschlägiger Experte in einer Diskussionssendung auf I24News am 26. Juli 2014 zu Recht bemerkte, liegen die Gründe für diese steigenden Exportzahlen in der zunehmenden Komplexität der Waffenfertigung. Für die Beherrschung dieser aufwändigen Technologie ist es – mit den Worten eben jenes Spezialisten – erforderlich, „auf praktische Erkenntnisse aus der eigenen Kriegsführung und daraus gewonnener Erfahrungen zurückzugreifen“. Dies bedeutet, dass mit jeder „Operation“ – von „Vergossenes Blei“ bis zu „Fels in der Brandung“ – die Waffenindustrie gestärkt wird, die mit all ihren Verästelungen eine herausragende Rolle in der israelischen Industrie einnimmt.

Außerdem ist nach Meinung dieses Rüstungsexperten Israel durch das Wachstum der eigenen Waffenindustrie unabhängiger von Waffenlieferungen seitens der „Größeren“ – will heißen der USA – geworden. Dies wiederum bedeutet, dass der Spielraum der Regierung in den „Verhandlungen“ mit dem ohnehin treuen Partner USA breiter wird. Jüngstes Zeugnis davon war die scharfe Ablehnung des von Kerry protegierten Waffenstillstandsabkommens, das – freilich ein gewohnter Reflex seitens der ultrarechten Regierungskoalitionäre – als einseitige „Parteinahme für Hamas“ [1] gewertet wurde.

Diese Argumentation beißt sich gewissermaßen mit den „militärischen Erfolgen“ der „Operation Fels in der Brandung“ und des vielgerühmten „Iron dome“, mit dem fast alle Raketen der Hamas abgefangen werden. Dieses Abwehrsystem lässt sich – zumindest teilweise – in einige Länder verkaufen. Daneben sind die Komplimente, die die Regierung Netanyahu dem ägyptischen Diktator Abd al-Fattah as-Sisi im Zuge seiner Repression gegenüber den Muslimbrüdern entgegen bringt, keinesfalls nur Anerkennung für die Zerstörung des Tunnelsystems der Hamas an der Grenze zu Sinai und für die diplomatischen Bemühungen, die so gewertet werden, als stünden sie im Gegensatz zu Kerry. Vielmehr steckt hinter den ägyptischen Militärs eine Wirtschaftsmacht, die sie als Abnehmer für israelische Waffen interessant macht. Die französisch-israelische Handelskammer teilte im Juni 2014 mit, dass nach 2010 elektronisches Ausrüstungsmaterial geliefert wurde. Mit Sisi könnte man wieder ins Geschäft kommen. [2]

Fakt ist, dass es einen israelisch-amerikanischen militärisch- industriellen Komplex gibt. Auf israelischer Seite wären bspw. als Firmen, die engstens mit dem Staat und dem Verteidigungsministerium verbunden sind, zu nennen: Elbit Systems, Israel Aerospace Industries (IAI), Israel Military Industries (IMI), Israel Weapon Industrie (IWI), Rafael Advanced Defense Systems, letztere federführend bei der Herstellung der Iron Domes. Einige dieser Firmen wie Elbit oder IWI sind auf dem internationalen Parkett aktiv. Ein wichtiges Brückenglied in diesem Komplex sind jedoch US-amerikanische Firmen wie Raytheon, deren Nettoabsatz allein im 2. Quartal 2014 bei 5,7 Milliarden Dollar lag.

Hier liegt der Zusammenhang zwischen Krieg und Kapitalakkumulation, nämlich einen dauerhaften Konflikt zu unterhalten, der von Kriegen niedriger Intensität auf Basis der Besatzungspolitik über regionale „Kontrolle“ und punktuelle Interventionen (wie in Syrien) bis hin zu Angriffskriegen auf den Gazastreifen reicht. Außerdem gehören die Drohkampagnen gegen den Iran in diesen Zusammenhang, die auch dazu dienen, die Auftragsbücher der israelischen und US-amerikanischen Rüstungsfirmen zu füllen. Hierbei funktioniert der beidseitige militärisch-industrielle Komplex besser als die iranischen Zentrifugen.

Diese wirtschaftlichen Grundfesten haben ihre politich-ideologische Entsprechung, indem nämlich durch den Kriegszustand und die Kriege – die den Status Israels als Kolonialstaat mit den Siedlern und Siedlungen als Speerspitze widerspiegeln – die Bruchlinien in der israelischen Gesellschaft übertüncht oder gar gekittet werden können. Denn außer den diversen Diskriminierungen je nach Status findet eine nachweisliche Verarmung in der israelischen Gesellschaft statt, die Ausdruck der sozialen Polarisierung infolge der neoliberalen Reformen ist. Nach offiziellen Angaben „leben 13,7 % der Haushalte mit einem erwerbstätigen Mitglied unterhalb der Armutsschwelle“ (Le Monde vom 12.7.2014). Eine der Antworten der Herrschenden – i.W. die Mitglieder des Militärapparats im weiteren Sinne und ihrer politischen Statthalter sowie die 100 Reichsten, die zusammen so viel besitzen wie 850 000 Durchschnittsisraelis (Le Monde, ebenda) – darauf besteht eben in den „Kriegsoperationen“ und der dauerhaften Beschwörung der „terroristischen“ Bedrohung, die mit den Palästinensern und den Arabern in eins gesetzt wird. Zu der rituellen Beschwörung, dass „das israelische Volk den terroristischen Angriffen vereint gegenübertreten müsse“ kommt ein ständig wachsender Rassismus von oben hinzu. Bei der kürzlichen Beerdigung eines Soldaten, der den Falaschen – was „Exilierte“ bedeutet und negativ konnotiert ist – angehörte, wurde deren Status in der öffentlichen Wahrnehmung als „Eindringling auf heiligem Boden“ unmissverständlich deutlich. Dies zeigt im Umkehrschluss, wie diese wachsende Spaltung der sozialen Verhältnisse die dortige kapitalistische und kolonialistische Gesellschaft unter der Kontrolle des zionistischen Staates aushöhlt. Deutlicher noch zeigt sich dies in der Einkerkerung und Vertreibung der Palästinenser, in der dieser Staat jenseits aller impliziten ideologischen und teleologischen Rechtfertigungen konkrete Gestalt annimmt.

Übersetzung: MiWe



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 5/2014 (September/Oktober 2014). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Der Gründer und Herausgeber von The Times of Israel David Horovitz schrieb am 27.7.2014: „Entgegen seiner öffentlichen Verlautbarung auf der Pressekonferenz in Kairo, wonach sein Vorschlag für einen Waffenstillstand auf den ägyptischen Vorgaben beruht, ist dies offensichtlich keineswegs der Fall. Wie Avi Issacharoff und weitere Quellen mitteilten, konterkariert dieser Vorschlag den ägyptischen und liest sich …, als wäre es für oder gar von Chalid Masch‘al von der Hamas geschrieben worden. Doch dabei nicht genug. Anschließend flog Kerry nach Paris, um … weitere Verhandlungen aufzunehmen, die von offenen Feinden Israels dominiert wurden. So traf er sich mit seinen Amtskollegen aus der Türkei – deren Führung hinter der Hamas steht und kürzlich Israel beschuldigte, einen Völkermord in Gaza zu begehen, und Netanyahu gar mit Hitler verglich – und aus Katar, dem Hauptfinanzier der Hamas…. Es ist unglaublich, dass er weder Israel noch Ägypten noch die Palästinensische Autonomiebehörde zu den Gesprächen eingeladen hat. Netanyahu und sein Kabinett hielten sich mit ihrer einhelligen Ablehnung von Kerrys Vorschlag nur deswegen zurück, um keinen diplomatischen Eklat mit Israels Hauptverbündeten zu provozieren. Dies ist umso befremdlicher, als ein solch offensichtliches Zerwürfnis in den israelisch-amerikanischen Beziehungen in eine Zeit fällt, wo sich Israel inmitten eines komplexen und kostspieligen Krieges befindet. Als sich Kerrys Vorgängerin Hillary Clinton einschaltete, um die „Operation Wolkensäule“ im November 2012 zu beenden, war es selbstverständlich, dass nicht nur ein Waffenstillstand erreichbar war, sondern dass die Diplomatie eng mit den vitalen Sicherheitsinteressen Israels abgestimmt wurde. Es zeugt von Kerrys Inkompetenz (oder schlimmer) und dem Vertrauensbruch zwischen ihm und Israel, dass er anschließend nach Hause flog … Letztlich handelte es sich um offenen Verrat.“

[2] Das Online-Magazin Slate schrieb am 12.6.2014: „In den vergangenen fünf Jahren hat Israel militärisches Material an Pakistan und vier arabische Länder geliefert: Ägypten, Algerien, VAE und Marokko. Eine detaillierte Aufstellung der gelieferten Materialien ist in Haaretz erschienen: im Jahr 2010 hat Israel um eine Ausfuhrgenehmigung für elektronische Waffensysteme nach Ägypten und Marokko ersucht.“