Für die Bekämpfung einer Massenerkrankung wie der aktuellen Ebola-Epidemie gibt es relativ simple Regeln: Erkennung, Identifizierung und Isolation der Betroffenen sowie der möglichen Kontaktpersonen, medizinische Versorgung und, soweit möglich, Ausschaltung der Infektionsquelle. Jeder Epidemiologe weiß das. Was also ist schiefgelaufen bzw. was alarmiert die „Weltgemeinschaft“ so?
Thadeus Pato
Eine Neuentdeckung ist das Ebola-Virus nicht: Benannt ist es nach dem kongolesischen Fluss Ebola, wo es 1976 entdeckt wurde: Bei der damaligen Epidemie gab es knapp dreihundert Todesfälle. Seitdem sind immer wieder Ausbrüche der Erkrankung in unterschiedlichen afrikanischen Ländern zu verzeichnen gewesen, die letzten größeren in Uganda und (erneut) in der demokratischen Republik Kongo.
Das Ebolavirus ist aus epidemiologischer Sicht eigentlich nicht übermäßig problematisch. Die Übertragung erfolgt praktisch ausschließlich über den Kontakt mit den Körperflüssigkeiten der Infizierten, ob Menschen oder Tiere, so dass es im Gegensatz beispielsweise zum Grippevirus, das auch über die Luft übertragen werden kann, relativ einfach ist, sich zu schützen. Hinzu kommt, dass das Virus gegen Umwelteinflüsse im Vergleich mit anderen Viren wie dem Influenzavirus sehr empfindlich ist, also im Freien sofort abstirbt, und durch die intakte Haut nicht eindringen kann, sondern ausschließlich über die Schleimhäute oder über offene Wunden. Wäre das Virus so ansteckend wie bspw. das Influenzavirus, so müsste man jetzt bereits mit Hunderttausenden von Fällen rechnen.
Gefährlich ist das Virus allerdings, weil die Sterblichkeit bei den erkrankten Menschen sehr hoch ist – je nach Virenstamm zwischen 50 % und 80 % – und weil ein einigermaßen wirksames Heilmittel oder eine Impfung bisher nicht verfügbar sind.
Eigentlich ist der Erreger, ein sog. RNA-Virus, nicht für den Menschen „gedacht“: Kein Bakterium, Virus oder Parasit tötet seinen originären Wirt so rasch und in einem derart hohen Prozentsatz – er will sich vermehren, nicht aussterben. Die eigentlichen Wirte des Erregers sind vermutlich bestimmte Flughundarten, die Übertragung auf Menschen oder auch bestimmte Wildtiere stellt also eher eine Art Unfall dar. Der Schutz gegen eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist, wie gesagt, im Prinzip relativ simpel. Das ist auch einer der Gründe, warum die bisherigen Epidemien relativ schnell eingegrenzt und eingedämmt werden konnten, neben der Tatsache, dass sie in abgelegenen Gegenden mit geringer Mobilität stattfanden.
Das hat sich nun geändert. Die Furcht vor einer Ausbreitung der Ebolaepidemie wächst rasant – insbesondere in den industrialisierten Staaten des globalen Nordens, die sich bisher relativ sicher wähnten – und deshalb bisher auch wenig bereit waren, die dringend notwendige Unterstützung für die betroffenen Länder zu organisieren und stattdessen das Feld mehr oder weniger kompetenten und zuverlässigen privaten Hilfsorganisationen überließen, die damit hoffnungslos überfordert waren.
Warum hat sich, nachdem die wiederkehrenden Ebola-Ausbrüche bisher immer relativ begrenzt blieben, das Virus in Westafrika so rasant ausgebreitet? Und warum wurde gegen ein Virus, das höchst gefährlich und bereits seit fast vierzig Jahren bekannt ist, nicht längst zumindest ein Impfstoff auf den Markt gebracht?
Das hat eine ganze Reihe von Ursachen, die mit dem Virus selbst relativ wenig, mit der Situation in den entsprechenden Ländern und der Politik der imperialistischen Staaten aber sehr viel zu tun haben. Grob gesagt, kann man immer davon ausgehen, dass in armen Ländern Epidemien jedweder Art sich leichter und schneller ausbreiten. Sierra Leone liegt, was das betrifft, im Entwicklungs- oder besser Armutsindex (Human Development Index) auf Platz 177, Liberia auf Platz 174, Guinea auf Platz 178 und Nigeria, in dem die Situation bisher noch (halbwegs) unter Kontrolle ist, auf Platz 153.
Zum einen ist die medizinische Infrastruktur wenig verlässlich. In Sierra Leone war nach dem von 1991 bis 2002 andauernden Bürgerkrieg das medizinische System weitgehend zerstört und in manchen Landesteilen praktisch nicht mehr präsent. Ähnliches gilt für Liberia. Nach zwei Bürgerkriegen war die medizinische Infrastruktur zerstört und ist bis heute nicht annähernd wiederhergestellt. In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass an den jeweiligen Bürgerkriegen bzw. deren Ursachen die Großmächte einen nicht unerheblichen Anteil hatten – die USA unterhielten z.B. seit jeher Militärbasen in Liberia und unterstützten je nach Opportunität die jeweiligen Diktatoren, und die Geschichte der „Blutdiamanten“, die den Krieg in Sierra Leone mitfinanzierten, ist ja inzwischen auch cineastisch und literarisch verarbeitet worden. Der desaströse Zustand der medizinischen und ebenfalls für Seuchenbekämpfung entscheidend wichtigen Bildungseinrichtungen ist also nicht etwa die Folge irgendwelcher „innerer Auseinandersetzungen“, sondern auch und zuvörderst der Auswirkungen der Macht- und Rohstoffinteressen der Großmächte.
Zum anderen treffen bestimmte empfohlene präventive Maßnahmen nicht ohne Grund bei der Bevölkerung auf taube Ohren: Wenn man den Verzehr von sog. „bushmeat“, also von Wildtieren einschließlich Fledermäusen, die einen wesentlichen Übertragungsweg darstellen, verhindern will, dann nützen Aufklärung und Empfehlungen gar nichts, solange die Menschen keine (bezahlbare) Ernährungsalternative haben. Und das ist in vielen, besonders in abgelegeneren, Gegenden der Fall.
Zum dritten spielt gerade bei der Bekämpfung von Epidemien der Bildungsstand der Allgemeinbevölkerung eine große Rolle. Und der ist in allen betroffenen Gebieten sehr niedrig – ebenfalls eine Folge der oben genannten Zerstörungen durch die Bürgerkriege. Das leistet allen möglichen im besten Falle sinnlosen, im schlechten gefährlichen Legenden Vorschub. In Nigeria beispielsweise geisterte Anfang August, nachdem die ersten Fälle (eingeschleppt aus Liberia) aufgetreten waren, eine Empfehlung durch die sozialen Medien, man solle in Salzwasser baden und Salzlösung trinken. Trotz sofortiger offizieller Dementis befolgten die Menschen den Rat massenhaft. Ergebnis waren zahllose Krankenhausaufnahmen wegen schwerer Durchfallerkrankungen und (mindestens) ein Todesfall. Dass selbst die Verantwortlichen in der Regierung allen möglichen Falschinformationen aufsitzen und diese auch noch eilfertig weiterverbreiten, belegt der Fall des nigerianischen Gesundheitsministers, Herrn Prof. Chukwu, der am 15. August groß ankündigte, man werde ein „neues Medikament“ gegen Ebola importieren. Dabei handelt es sich schlicht um sogenanntes „Nano-Silber“, das als Beschichtung für Waschmaschinen und Zusatz in Kleidung, z.B. Socken, als Bakterienkiller Verwendung findet (und in Deutschland, da als Medikament ausdrücklich – und zu Recht – nicht zugelassen, ausschließlich von dubiosen Heilern vermarktet wird), aber zur inneren Behandlung einer Viruserkrankung völlig nutzlos ist. Und z.B. gegen bestimmte traditionelle Bestattungsriten vorzugehen, eventuell sogar noch mit unmittelbarem Zwang, wenn die entsprechende Aufklärung und die entsprechende minimale Vorbildung fehlt, führt allenfalls zu dem, was jetzt stattfindet: Die Toten werden verschwiegen und/oder versteckt, die Helfer bekämpft.
Zum vierten, und das steht mit dem vorherigen Punkt in Zusammenhang, traut ein großer Teil der Bevölkerung den Verlautbarungen der offiziellen Stellen nicht über den Weg. Und auch dafür gibt es, wie eben am Beispiel Nigeria belegt, gute Gründe. Betrachtet man die von der WHO derzeit gelieferten Zahlen, dann muss man feststellen, dass zwar die Bevölkerung aufgefordert wird, die Kranken in den Hospitälern und eilig eingerichteten provisorischen Isolierungszentren abzuliefern, diese aber z.B. in Liberia bis zu 80 % davon gar nicht mehr aufnehmen können (Stand: 15.10.2014).
Zum fünften sind die notwendigen präventiven Maßnahmen zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung (u.a. Isolierung, Quarantäne, Beschränkung von Mobilität) aus verschiedenen Gründen nur eingeschränkt implementierbar. Neben der fehlenden Infrastruktur, dem bereits genannten desolaten Zustand der Gesundheitseinrichtungen und dem Misstrauen spielt dabei z.B. gerade in Nigeria die verbreitete Korruption eine Rolle: Die Frage, ob man entsprechende Restriktionen umgehen kann, ist hauptsächlich eine Frage der Höhe des Bestechungsgeldes – insbesondere beim Grenzübertritt. Die zunehmende Mobilität darf dabei nicht vergessen werden, doch dazu weiter unten mehr.
Und zum sechsten ist bei dem Kollektiv der Erkrankten die Sterblichkeit in armen Ländern generell höher: Die Frage, ob jemand Ebola überlebt, hängt nicht nur vom Virus ab, sondern nicht zuletzt auch vom Zustand des Immunsystems, also der individuellen Widerstandskraft. Vergegenwärtigt man sich, dass die Lebenserwartung z.B. in Sierra Leone nur zwischen 48 und 49 Jahren beträgt und die Säuglingssterblichkeit bei 158 von 1000 Geburten liegt, so wird deutlich, dass das Virus hier bei einer geschwächten und mangelernährten Population leichtes Spiel hat.
Beim Umgang der „internationalen Gemeinschaft“ mit der jetzigen Ebola-Epidemie kann man sich des Eindrucks eines gewissen Rassismus nicht erwehren. Selbstverständlich werden die betroffenen AusländerInnen nicht wie die lokale Bevölkerung behandelt – die muss in den einheimischen, unzulänglich ausgerüsteten Gesundheitseinrichtungen verbleiben und wird nicht in Spezialeinrichtungen in Nordamerika oder Europa transferiert. Die kürzlich freigegebenen experimentellen Therapien wiederum stehen nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Und da stellt sich sofort die Frage der Verteilungsgerechtigkeit – wenn sie denn wirken. Denn die angeblichen Erfolge (die entsprechenden Zahlen lassen statistisch keine verlässlichen Schlüsse zu) könnten auch zwanglos darauf zurückgeführt werden, dass die ausgeflogenen internationalen HelferInnen, die in den zweifelhaften Genuss der entsprechenden Mittel kamen, von vornherein erheblich bessere Genesungsvoraussetzungen hatten: neben der (zumindest auf dem Papier; s. Kasten) optimalen medizinischen Versorgung beispielsweise einen allgemein stabileren Ernährungs- und Gesundheitszustand.
Der WHO wiederum, die eigentlich in der gesamten Region mit Büros präsent ist, werden die dringend nötigen Mittel, um die unmittelbar anstehenden Aufgaben zu lösen, verwehrt oder nur schleppend angewiesen – wenn es finanziell im Staatshaushalt kneift, bleibt bekanntlich als einer der ersten der Gesundheitsetat auf der Strecke.
Wenn es um die Seuchenbekämpfung geht, muss man schon einmal Geld in die Hand nehmen. Dass in Nigeria z.B. die Situation relativ unproblematisch geblieben ist, lag (neben der Tatsache, dass es nur einen einzigen eingeschleppten Fall samt seinen Folgewirkungen in Lagos und Port Harcourt gab) auch daran, dass das Personal in den eingerichteten Isolierstationen außergewöhnlich gut bezahlt wurde und, um diese lukrative Einnahmequelle möglichst lange zu behalten, selbständig auf die Suche nach weiteren möglichen Kontaktpersonen ging … Demgegenüber streiken in Sierra Leone derzeit die Hilfskräfte, weil sie noch nicht einmal die versprochenen minimalen Gehälter ausbezahlt bekommen haben.
Um was es eigentlich jetzt geht, ist keineswegs die Bevölkerung in den drei bettelarmen betroffenen westafrikanischen Ländern (und die – zu erwartende – Ausbreitung der Seuche in deren unmittelbarer Nachbarschaft). Der Alarm wird jetzt geschlagen, weil die Ausbreitung in die Länder des Nordens, wie die USA, droht. Die durch den Globalisierungsprozess erzeugte ungeheure internationale Mobilität lässt nicht, wie noch 1976 im Kongo, derartige Epidemien lokal bleiben bzw. erlöschen: Es besteht jederzeit, wie im Falle Nigerias oder der USA, die Entwicklung von Seuchenherden durch eine einzige reisende Person.
Die internationale pharmazeutische Industrie hat jedenfalls ihre Chance wahrgenommen. Die einmalige Möglichkeit, die sonst vor der Medikamentenzulassung üblichen langwierigen Testreihen zu umgehen und sofort einen großflächigen Menschenversuch zu unternehmen, wird die Produktionsmaschinerie rasch in Schwung bringen. Ob es etwas nützt, ist durchaus fraglich. Erstens haben praktisch alle (wirksamen) antiviralen Medikamente erhebliches Nebenwirkungspotential und zweitens wäre es nicht das erste Mal (siehe den Skandal um die „Schweinegrippe“), dass ein derartiges Vorgehen mehr Schaden anrichtet, als es nützt. In jedem Fall aber ist ein gutes Geschäft in Sicht.
Gleiches gilt für die Impfstoffentwicklung, die bisher eher schleppend verlief – die Zielgruppe ist ja eher nicht besonders solvent. Ebola gehörte bisher zu den „orphan diseases“ [verwaisten Krankheiten]. Damit werden eigentlich sehr seltene Krankheiten bezeichnet – oder solche, bei denen sich die Entwicklung von Heilmitteln/Impfstoffen mangels Zahlungskraft der Betroffenen nicht rechnet. Aber da jetzt die internationalen Berufshelfer vom Roten Kreuz bis hin zur WHO Alarm geschlagen haben, fließen die Gelder reichlich. Nachdem bereits 1999 (allerdings weniger aus medizinischen, als aus Gründen der Biowaffenforschung) erste Impfstoffforschungen stattfanden, kann nun angeblich innerhalb weniger Monate ein Impfstoff auf den Markt kommen.
Die Geschichte des 1967 entdeckten sog. Marburgvirus, einem mit dem Ebolavirus eng verwandten, ähnlich gefährlichen Erreger, ist diesbezüglich paradigmatisch: Als es entdeckt wurde, begann ein regelrechter Forschungshype, allerdings nicht etwa, weil man den Betroffenen helfen wollte, sondern weil die damalige Sowjetunion angeblich das Virus auf seine Verwendung als Biokampfstoff testete und eine Simulation aus den USA ergab, dass ein Einsatz des Virus einen ökonomischen Schaden von 26 Milliarden US Dollar pro 100 000 Infizierte anrichten könne. Das, und nicht die Gefährdung der afrikanischen Bevölkerung, führte dann zur Impfstoffentwicklung – bis dahin waren weltweit lediglich rund 460 Menschen an dem Virus verstorben, davon die meisten 2004/2005 in Angola.
Das alles soll notabene nicht heißen, dass man besser nichts unternehmen sollte. Aber die derzeitigen Notfallmaßnahmen, die Legionen von Helfern und Epidemiologen, die jetzt tätig werden, die Einrichtung von Isolationsstationen und Krankenhäusern, ändern an den obengenannten soziopolitischen Ursachen derartiger Desaster nichts. Und so werden vor und nach der Epidemie weiter erheblich mehr Menschen an banalen, behandelbaren Erkrankungen, an Unterernährung und mangelnder Hygiene sterben als an Ebola.
Denn Unwissenheit, Hunger und Unterernährung haben gegenüber einer Viruserkrankung einen entscheidenden Konkurrenznachteil: Sie sind nicht ansteckend und können deshalb auch nicht mit dem Flugzeug nach Europa oder Nordamerika eingeschleppt werden. Sonst würden sie nämlich ebenso schnell und konsequent bekämpft, wie es derzeit mit dem Ebolavirus geschieht.
Solange das aber nicht geschieht, sollte sich niemand darüber beklagen, dass nach dieser Epidemie die nächste kommen wird.
Thadeus Pato arbeitet als Arzt in Lagos und ist leitendes Mitglied der IV. Internationale. |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 6/2014 (November/Dezember 2014). | Startseite | Impressum | Datenschutz