Die katalanischen Regionalwahlen trugen aufgrund der sozialen und politischen Dynamik der Unabhängigkeitsbewegung ganz spezifische Züge. Zugleich waren sie der letzte Test vor den nationalen Parlamentswahlen vom 20. Dezember.
Esther Vivas
In Katalonien hat die Stunde der Wahrheit geschlagen. Mit dem Wahlsieg – zumindest gemessen an der Zahl der Parlamentssitze – bei dem die Unabhängigkeitsbefürworter von Junts pel Sí (Gemeinsam für ein Ja) und der CUP 72 von 135 Sitzen eroberten, ist der erste Teil des Fahrplans für die Unabhängigkeit absolviert. Die Ciutadans (Bürger) erlebten einen kometenhaften Aufstieg auf den zweiten Platz und Miquel Iceta, der Generalsekretär der katalanischen PS (PSC), erzielte den dritten Platz, was noch kurz vorher als unwahrscheinlich gegolten hatte. Zugleich blieb Catalunya Sí que es Pot (Katalonien, ja das ist möglich; eine Allianz aus Podemos und Teilen der KP/IU) weit unter den eigenen Erwartungen und der ehemalige CDC-Koalitionär Unió schied ganz aus.
Es stellen sich daher viele Fragen: Wie wird die spanische Regierung unter Mariano Rajoy reagieren? Was passiert bei den nächsten Parlamentswahlen? Wie wirkt sich das überraschende Abschneiden der Ciutadans in der Gesellschaft aus? Wird die CUP aktiv oder passiv die Kandidatur von Artur Mas (CDC) für den Gouverneursposten unterstützen? Nachfolgend ein paar Anmerkungen zum Wahlergebnis.
Die starke Wahlbeteiligung zeigt, dass viele Katalanen diese Wahlen als außergewöhnlich empfanden. Unter den Unabhängigkeitsbefürwortern hat die Parole der Junts pel Sí („Die Wahlen deines Lebens“), mit der die historische Bedeutung dieser Wahlen für die Unabhängigkeit unterstrichen wurde, offensichtlich ihre Wirkung nicht verfehlt. Fast zwei Millionen WählerInnen stimmten für diese Parteien, ähnlich viele wie bei der Volksbefragung zur Unabhängigkeit am 9. November 2014, wobei damals auch die 16- bis 18-jährigen abstimmen durften.
Das hauptsächlich aus den beiden Organisationen CDC und ERC (die sich auf eine Aufteilung im Verhältnis von 60 zu 40 geeinigt hatten) bestehende Bündnis Junts pel Sí konnte viele Menschen für sich begeistern und von dem Unmut in der Gesellschaft über die spanische Regierung profitieren, die sich hartnäckig gegenüber dem Unabhängigkeitsstreben weiter Teile des katalanischen Volkes verschließt.
Die autonomistische Massenbewegung, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat, fand in dem Bündnis ihre parlamentarische Vertretung, die den weitverbreiteten ernsthaften Wunsch nach einer Einheit der Autonomisten verkörpert. Allerdings darf man nicht verkennen, dass sich hinter dem Scheinwerferlicht dieses Gebildes eine Partei verbirgt, die in vielerlei Korruptionsaffären verstrickt ist, deren Parteilokale deshalb vielerorts durchsucht worden sind und die darüber hinaus für Sozialabbau und Mittelkürzungen in den öffentlichen Diensten in Katalonien verantwortlich ist.
Was passiert jetzt mit Junts pel Sí? Artur Mas hat verschiedentlich angedeutet, dass Viele in der CDC auch bei den Parlamentswahlen das Bündnis beibehalten möchten, das ihnen so exzellente Ergebnisse beschert hat, obwohl die eigene Partei zuvor doch erheblich angeschlagen schien. Für die ERC hingegen, der noch vor wenigen Monaten nachgesagt wurde, alle Mitbewerber distanzieren zu können, könnte das Bündnis den politischen Untergang bedeuten.
So wie Junts pel Sí die Stimmen aus dem autonomistischen Lager auf sich ziehen konnte, so hat sich umgekehrt und zulasten der PP und von Podemos Ciutadans den Ruf erworben, der natürliche Adressat für eine nützliche Stimme der Gegner der Unabhängigkeit zu sein. Mit der Allgegenwart von Albert Rivera und Ciudadanos im Fernsehen, die anfangs vom Establishment in Politik und Medien als Antwort auf den raschen Aufstieg von Podemos gefördert wurde, konnte die Partei nicht nur als rechte Alternative zu Podemos etabliert, sondern auch die Regionalliste in Katalonien gepuscht werden.
Mit den erzielten 25 Sitzen polarisiert und kompliziert Ciutadans die politische Szenerie in Katalonien. Dies zeigt leider auch, dass demagogische und spalterische Floskeln unter Teilen der Wählerschaft verfangen, auch wenn die katalanische Gesellschaft nicht so stark polarisiert ist, wiemanche es gerne hätten: Zählt man die Stimmen zusammen, kommen die Unabhängigkeitsbefürworter auf 48 % und 9 % für die Verfechter des Selbstbestimmungsrechts, während die Gegner der Autonomie 39 % erzielen.
Unter den Parteien des bisher dominierenden Zweiparteiensystems konnte immerhin die Sozialdemokratie den Schein wahren und den seit Monaten vorhergesagten Einbruch verhindern. Ihr Führer Miquel Iceta, der sich als „dancing man“ präsentierte, konnte der bis dahin leblos dahinsiechenden PSC wieder etwas Farbe einhauchen und kam auf den für unvorstellbar gehaltenen dritten Platz.
Auch die PP unter Xavier Garcia-Albiol konnte zwar eine schlimmere Niederlage noch vermeiden, blieb den Stimmen nach aber sehr schwach. Immerhin gelang es, den Schatten der Korruption abzustreifen, der auf der alten Führungsriege unter ihrer damaligen Vorsitzenden Alicia Sánchez Camacho lastete und ihr Wählerpotenzial hatte schrumpfen lassen. Der Versuch aber, den Schwung aus seinem relativen Wahlsieg bei den Kommunalwahlen in seiner Heimatstadt Badalona hinüberzuretten, misslang angesichts des kometenhaften Aufstiegs der neuen Konkurrenz auf der Rechten.
Für die Kommunalwahlen in Barcelona hatte sich das linke Bündnis Barcelona en Comú gebildet und stellt seitdem die neue Bürgermeisterin. Die Angst, dass sich dieses Muster bei den Regionalwahlen wiederholen würde, hatte zur Bildung von Junts pel Sí geführt. Es kam aber nicht zu einem Catalunya en Comú. Stattdessen wurde auf Führungsebene ein Wahlbündnis zwischen Podemos, der linksökologischen ICV (Iniciativa per Catalunya Verds, Initiative für Katalonien – Grüne) und der IU unter dem Namen Catalunya Sí que es Pot verabredet und die Verfechter eines Bündnisses der sozialen Bewegungen auf die Seite geschoben. Wie sehr dadurch die potentiellen Anhänger frustriert wurden, zeigt allein, dass noch nicht einmal die knapp 10 % der Stimmen erreicht werden konnten, die die ICV 2012 im Bündnis mit der IU erzielen konnte.
Die Desorientierung dieser Listenverbindung in der Frage der nationalen Unabhängigkeit und ihre Ignoranz gegenüber der Losung eines für Katalonien verfassungsgebenden Prozesses hat Podemos in eine Position gebracht, die sich wenig von dem „Dritten Weg“ unterscheidet, den die Sozialdemokraten vertreten und der ein Referendum in Abstimmung mit der Zentralregierung vorsieht. Hinzu kamen arg verunglückte Einlassungen seitens Pablo Iglesias’ zu diesem Thema, die natürlich von den Medien genüsslich ausgeschlachtet wurden und noch mehr Kredit verspielten.
Unter dem Strich war das Wahlergebnis für eine Formation, die angetreten ist, Mas und Rajoy in die Wüste zu schicken, mehr als enttäuschend. Dies wird sich auch auf die Parlamentswahlen auswirken, insbesondere auch, da Ciutadans zur zweitstärksten Partei geworden ist. Zugleich sollte es denjenigen eine Warnung sein, die als alleiniges Ziel eben diese Parlamentswahlen im Auge haben.
Die CUP hat unter allen Formationen die Wahlprognosen am weitesten übertroffen. Für sie stimmten all diejenigen unter den Unabhängigkeitsbefürwortern, die auf keinen Fall für Mas waren. Zugute kam ihr auch, dass etliche Sektoren durch das Auftreten von Catalunya Sí que es Pot in der Unabhängigkeitsfrage und ihr Eintreten für eine ominöse „neue Politik“ abgestoßen wurden. Und natürlich profitierte sie auch von ihrer Parlamentsarbeit in der vergangenen Legislaturperiode, wo sie konsequent für einen Prozess für eine verfassungsgebende Versammlung als Schritt zur Autonomie eingetreten ist, was ihnen sicherlich die Stimmen ehemaliger ERC-Sympathisanten eingebracht hat.
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Die Zukunft wird weisen, wie die CUP ihre Rolle in dem neu entstandenen politischen Szenario ausfüllen wird, wo ihr nunmehr eine Schlüsselrolle im Unabhängigkeitsprozess zufällt. Ein Teil ihrer Wählerschaft plädiert sicherlich für eine Unterstützung der Vorgehensweise der siegreichen Junts pel Sí in dieser Frage und wäre auch bereit, Mas als Präsidenten hinzunehmen. Ihre aktive Basis und der andere Teil ihrer Wählerschaft jedoch sind da sehr viel kritischer. Ihr Verhalten in diesem Spannungsfeld wird sehr weitgehend über ihre politische Zukunft entscheiden. [Bis zum 23.11. kam die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten nicht zustande, weil die CUP gegen Mas votierte. Allerdings stimmten ihre Abgeordneten für einen von Junts pel Sí vorgelegten Beschluss, der die Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Madrid und die Schaffung einer eigenen Republik bis spätestens 2017 zum Ziel hat, wogegen die spanische Zentralregierung sofortige Verfassungsbeschwerde eingelegt hat.]
30. September 2015 |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 1/2016 (Januar/Februar 2016). | Startseite | Impressum | Datenschutz