In der Ausgabe 2/2017 unserer Zeitung verwiesen wir bereits auf die Gründung der MAIS (Movimento por uma Alternativa Independente e Socialista, "Bewegung für eine unabhängige und sozialistische Alternative") und deren Diskussionsprozess über ihr Verhältnis zur PSOL (Partido Socialismo e Liberdade). Dieser Prozess ist inzwischen in eine organisatorische Vereinigung gemündet.
João Machado
Am Freitag, den 4. August gab MAIS den Beitritt zur PSOL bekannt. Auch wenn dieser Beschluss seit Monaten erwartet worden war, ist er trotz alledem von enormer Bedeutung und stieß auf einhellige Zustimmung bei der PSOL.
Auch wenn diese Einschätzung aufgrund der relativen numerischen Schwäche beider Organisationen befremdlich erscheinen mag, wurde damit ein qualitativer Fortschritt in dem schwierigen Reorganisierungsprozess der sozialistischen Linken in Brasilien erzielt. Denn diese ist insgesamt nicht sehr stark, wenn wir nur die Organisationen dazu zählen, die für den Sieg des Sozialismus in Brasilien kämpfen, was logischerweise die PT und ihre Verbündeten ausschließt, da diese die Seiten gewechselt haben und mittlerweile im Dienste der Bourgeoisie agieren. Insofern ist der Beitritt ein relativer qualitativer Fortschritt.
Formal zählt die PSOL über 100 000 Mitglieder, die Zahl der realiter aktiven liegt jedoch deutlich darunter. Optimistischen Schätzungen zufolge werden sich an den örtlichen Vollversammlungen zur Vorbereitung des Anfang Dezember stattfindenden Kongresses der PSOL vermutlich knapp 30 000 Mitglieder beteiligen. Auch dies will nicht viel besagen, da eine solche Teilnahme lediglich ein Minimum an Aktivität ausdrückt und viele Teilnehmer*innen seit dem letzten Kongress vor zwei Jahren nicht anderweitig in der Partei aktiv geworden sind. Dabei muss man jedoch berücksichtigen, dass sich die Mehrheit von ihnen „außerhalb der Partei“ engagiert, etwa in den sozialen Bewegungen oder in den Wahlkampagnen. Insofern stellt der Beitritt von etlichen hundert aktiven Mitgliedern der MAIS zur PSOL durchaus einen beträchtlichen Zuwachs unserer Mitgliedschaft dar.
Indessen geht es dabei nicht nur um den quantitativen Aspekt, sondern auch um dessen symbolische Bedeutung. Im Laufe des Jahres 2003 war unübersehbar geworden, dass sich die Regierung Lula – und mit ihr die Mehrheit der PT – den Erfordernissen des „Marktes“ angepasst und jedwede Perspektive auf eine relevante gesellschaftliche Veränderung aufgegeben hatte. Dies machte es unumgänglich, den Aufbau einer neuen Partei zu diskutieren. An dieser Debatte nahmen damals Mitglieder der PT und solche der PSTU teil, daneben auch unabhängige Interessent*innen. An der nachfolgenden Gründung der PSOL war jedoch nur ein kleiner Teil der PSTU-Mitgliedschaft beteiligt, da die Mehrheit dieser Partei damals ein anderes Parteiverständnis verfolgte und das Bestehen unterschiedlicher Strömung in der neuen Organisation nicht hinnehmen wollte. Insofern wird durch den jetzigen Beitritt der MAIS, die zu einem wesentlichen Teil die Tradition der PSTU verkörpert, dieser ursprüngliche „Geburtsfehler“ der PSOL wenigstens zum Teil wieder wettgemacht.
Ein weiterer entscheidender Aspekt ist, dass die Mitglieder der MAIS aufgrund ihrer politischen Schulung und ihrer Tradition die programmatische Debatte und deren Umsetzung in der PSOL erheblich bereichern werden. Daneben sind die meisten Mitglieder der MAIS in den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen stark verankert, was der PSOL helfen kann, einige ihrer größten Schwächen zu überwinden. Denn die PSOL konnte sich zwar im Lauf ihres Bestehens seit 2004 als eine feste, wenn auch – mit Ausnahme von Rio do Janeiro – minoritäre Bezugsgröße für die sozialistische Linke in der politischen Wahllandschaft etablieren, ist aber – abgesehen von den Jugendbewegungen – in den sozialen Bewegungen sehr viel schwächer vertreten, was teilweise auf ihre innere Zersplitterung zurückzuführen ist. Dabei ist es eigentlich eines der Hauptziele der PSOL, in den sozialen Kämpfen verwurzelt zu sein und deren Organisierung voranzutreiben. Insofern werden die Mitglieder der MAIS hierbei einen erheblichen Beitrag leisten können. Umgekehrt können aber auch deren Mitglieder viel von denen, oder von einigen, der PSOL lernen, besonders was die Bereicherung des revolutionär-sozialistischen Selbstverständnisses um eine ökosozialistische Sichtweise anbelangt. Denn daran krankt die Programmatik der MAIS doch beträchtlich, auch wenn die PSOL selbst noch einige Defizite auf diesem Gebiet hat.
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Wir befinden uns also in einer Situation, in der die Mitglieder der MAIS einer Partei beitreten, die vor gewaltigen Herausforderungen steht, zu deren Bewältigung sie wesentlich beitragen können. Insofern lässt sich von ihrem Beitritt als einem qualitativen Fortschritt sprechen.
Bemerkenswert hierbei ist, dass die MAIS nach eigener Aussage der PSOL beigetreten ist, um einen Prozess des Zusammenwachsens zu fördern, um „Schulter an Schulter mit allen in der PSOL zusammenzuwirken, damit wir gemeinsam bei jeder Schlacht im Klassenkampf die jeweils beste Politik ausarbeiten können, die der Befreiung der Arbeiter*innen, Schwarzen, LGBT, Jugend, Ureinwohner*innen, Land- und Wohnungslosen und Nachfahren ehemaliger Sklav*innen dient“. Dieses pluralistische und keineswegs identitäre Selbstverständnis (im Rahmen der Klassenunabhängigkeit von der Bourgeoisie) ist ein Schlüsselmoment, um im Reorganisationsprozess der sozialistischen Linken voranzukommen. Gleichermaßen wichtig ist, dass die MAIS der Einheit der Linken über die PSOL hinaus große Bedeutung beimisst, indem der Kampf für eine möglichst breite Einheitsfront zur Verteidigung der Rechte der Arbeiter*innen und der Bevölkerung gegen die Angriffe der neoliberalen Rechten – mit anderen Worten: der vereinigte Widerstand der Unterdrückten und Ausgebeuteten – verknüpft wird mit dem Bestreben, eine vereinte politische Alternative der sozialistischen Linken aufzubauen, mit Parteien wie der PCB und der PSTU, mit Parteien und Organisationen ohne Wahlzulassung und mit kämpferischen sozialen Bewegungen.
Am Schluss bleibt hervorzuheben, dass sich die MAIS der PSOL zu einem Zeitpunkt anschließt, der für die brasilianische Bevölkerung und unsere Partei eminent wichtig ist. Für die brasilianische Bevölkerung insofern, als wir massive Angriffe gegen unsere hart erfochtenen historischen Rechte erleben und bei unserem Widerstand gegen den massiven sozialen Kahlschlag und unserem Eintreten für eine Alternative eine größere Einigkeit absolut unerlässlich ist. Und für die PSOL insofern, als deren Existenz durch politische „Reformen“, wie bspw. die Einführung einer Prozentklausel bei den Wahlen, ernsthaft bedroht wird. Angesichts dieser Bedrohung braucht die PSOL jede Verstärkung und eine solche erfährt sie durch den Beitritt neuer Aktivist*innen wie den Mitgliedern der MAIS, die uns auf dem Weg zu einer sozialistischen Partei voranbringen.
João Machado ist Mitglied der Strömung Comuna innerhalb der PSOL und Gründungsmitglied der PSOL Übersetzung MiWe aus http://esquerdaonline.com.br |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2017 (November/Dezember 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz