Nachruf

Nina Gladitz (1946-2021)

Paul B. Kleiser

Vor kurzem verstarb die aus Kirchzarten bei Freiburg stammende Filmemacherin Nina Gladitz in Schwäbisch Gmünd. Sie wurde 1976 in jungen Jahren einem großen Publikum bekannt, als ihr Film Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv (und das Buch dazu) über den Kampf gegen das geplante Kernkraftwerk Wyhl am Kaiserstuhl herauskamen. In Wyhl begann 1974 in der BRD der Kampf gegen die Atomkraft, wobei sich die Menschen der Rheinebene im „Dreiländereck“ bereits auf Erfahrungen der Elsässer (Fessenheim) und der Schweizer (Kaiseraugst) stützen konnten. Über die Grenzen hinweg fand eine intensive Zusammenarbeit statt. Der Film dokumentierte die Brutalität der Polizei, die auf Anordnung der Landesregierung Baden-Württembergs mit Wasserwerfern, Hunden, Stacheldraht und Hubschraubern gegen die Demonstrant*innen vorging. Doch diese Methode erwies sich gegen eine örtliche, vor allem bäuerliche und handwerkliche Bevölkerung als schwerer Fehlschlag; die Regierung Hans Filbinger bzw. ab 1978 Lothar Späth musste das Projekt schließlich aufgeben. Wyhl war auch der Ausgangspunkt des Widerstandes gegen den Bau der AKWs im Norden, z.B. Grohnde und Brokdorf. Den Höhepunkt der Mobilisierungen stellte die Verhinderung der geplanten WAA in Wackersdorf in der Oberpfalz dar. Der Film Wackersdorf (Regie: Oliver Haffner, 2018) setzt der Bewegung und dem dortigen Landrat und WAA-Gegner Hans Schuirer ein Denkmal.

Nina Gladitz hatte an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) Dokumentarfilm studiert. Sie arbeitete zeitweilig für den WDR, später dann für 3SAT. Ihr agitatorischer Film über Wyhl – eine der interessantesten Arbeiten über den Kampf gegen die AKWs – wurde später als DVD in den Band 18 der „Bibliothek des Widerstandes“ aufgenommen. (Laika Verlag).

1982 kam ihr Film Zeit des Schweigens und der Dunkelheit heraus, in dem sie sich – und das sollte ein bisschen ihr zweites Lebensthema werden – mit der Nazi-Regisseurin Leni Riefenstahl (1902–2003) befasste, die nach dem Krieg als „Mitläuferin“ eingestuft worden war. Riefenstahl hatte für ihren Film „Tiefland“ (der erst nach Kriegsende in die Kinos kam) Sinti und Roma aus dem Lager Maxglan als Statisten in ihren Film geholt, die sie nicht bezahlte und die danach großenteils in Auschwitz ermordet wurden. Leni Riefenstahl war die Regisseurin der Nazi-Filme „Triumpf des Willens“ über den Nürnberger Parteitag, sowie der beiden „Olympia-Filme“. Sie war überzeugte Parteigängerin Hitlers, den sie mehrfach auf dem Obersalzberg traf, und hatte allzeit Zugang zu den Nazi-Größen. Der avantgardistische Kameramann Willy Zielke fotografierte einen Teil der Aufnahmen der Olympia-Filme. Auch an „Tiefland“ arbeitete Zielke mit. Doch seinen Namen sucht man in den Credits vergeblich.

Kurz vor ihrem Tod gelang es Nina Gladitz noch, ihr Buch Leni Riefenstahl: Karriere einer Täterin fertigzustellen und im Züricher Orell Füssli Verlag herauszubringen.


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2021 (Juli/August 2021). | Startseite | Impressum | Datenschutz