Ökologie

Verarmung, Krieg und ökologische Katastrophe - welche Antworten?

Wir erleben momentan in Deutschland ein Szenario aus drei in Wechselwirkung stehenden Krisen, die sich gegenseitig verschärfen. Es ist erstens eine sich schnell ausbreitende Verarmung, zweitens ein aggressiver Kriegs- und Rüstungskurs sowie drittens eine sich immer dramatischer entwickelnde Klimakatastrophe.

Kai Hasse

So eine geballte Dramatik hat es in der deutschen Nachkriegsphase bisher noch nicht gegeben. Die Frage stellt sich, wie ökosozialistische Kräfte darauf eine kohärente Antwort geben können. Dazu soll im Folgenden ein Blick auf die einzelnen miteinander verknüpften Brandherde geworfen und versucht werden, einige mögliche Lösungselemente herauszuarbeiten.


1. Verarmung der Lohnabhängigen


Ein zentrales Thema in den Medien ist die kritische Gasversorgung. Die russischen Gaslieferungen nach Deutschland wurden zwar reduziert, aber sie fließen noch. Doch weil Gas weiterhin knapp ist, sind die Preise an den Börsen explodiert. Ursächlich ist eine Mischung aus hohen Preisen für Flüssiggaslieferungen per Schiff und Spekulationsgewinnen. Die hohen Gaspreise werden über mehrere Zwischenstufen ungebremst an die Haushalte weitergegeben, wo hohe Nachzahlungen für 2022 drohen. Die Bundesregierung sieht sich dafür offensichtlich nicht in der Verantwortung. Sie will sogar noch die dramatisch hohen Kosten für die Rettung der Gaszwischenhändler (Uniper) in Form einer Gasumlage ab Oktober an die Kunden weiterreichen. Allein dadurch drohen Belastungen von 500 bis 1000 Euro jährlich pro Haushalt. Wohlgemerkt, zusätzlich zu den bereits gestiegenen Gastarifen. Insgesamt könnten auf eine vierköpfige Familie im Schnitt rund 2000 Euro Zusatzkosten kommen, allein für Gas. Dazu kommt noch die Inflationswirkung in anderen Bereichen. Wie Geringverdiener diese hohen Kosten durch Inflation und Energiepreise schultern sollen, lässt die Regierung offen. Nicht jedem werde der deutsche Staat helfen können, so Wirtschaftsminister Habeck. Als Maßnahme empfiehlt er den VerbraucherInnen, im Winter die Heizungen niedriger einzustellen.

Gegen die Verarmung durch ungebremste Steigerung der Gasrechnungen ist der Staat in die Pflicht zu nehmen. Und zwar nicht mit einem lächerlichen Tankrabatt, der lediglich die Energiekonzerne füttert. Geld ist genug da. Das zeigen die 100 Milliarden Euro, die die Regierung mal so eben in den Militärhaushalt stecken konnte. Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Krise, in der gehandelt werden muss. In unserem französischen Nachbarland hat die Regierung immerhin einen sog. „Tarifschild“ eingerichtet. Dadurch wird gesichert, dass die Gaspreise für Haushalte konstant bleiben und die Strompreise auf 4 Prozent gedeckelt werden. Und Italien hat immerhin eine sog. Übergewinnsteuer eingeführt. Danach will der Staat zehn bis elf Milliarden Euro durch eine 25-prozentige Abgabe von den Energiekonzernen zurückholen, die vom drastischen Anstieg der Öl- und Gaspreise profitiert haben. Auch in Großbritannien hat die Regierung eine Sondergewinn-Steuer beschlossen, die Öl- und Gasfirmen zur Kasse bittet. Hierzulande gibt es dies nicht. Kapitalfreundliche „Experten“ halten dagegen, dass man ja nicht wisse, an welcher Zahl der Staat Übergewinne festmachen solle. Man kann sich allerdings auch bewusst unwissend stellen.


2. Für einen klaren Kurs gegen Krieg und Aufrüstung


Es ist offensichtlich, dass die explodierende Inflation und vor allem die steigenden Gaspreise auf den Ukraine­krieg zurückzuführen sind. Das Szenario ist klar: Auf der einen Seite steht das russische Putin-Regime mit seiner Armee, das den Überfall und die Aggression unbestreitbar begonnen hat. Auf der anderen Seite befindet sich der ukrainische Staat mit seinen Streitkräften und einer Führungsgruppe um Wolodymyr Selenskyj an der Spitze, die auf das Engste mit den USA verbunden ist. Sie setzt auf militärische Rückeroberungen und mehr schwere Waffen, koste es was es wolle.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die militärische Lage, denn sie beeinflusst die weitere politische Entwicklung. Russland hat bisher im Osten der Ukraine größere Gebiete besetzt und will sie offensichtlich nicht mehr herausgeben. Putins Truppen konnten bei ihrer Offensive in der Ostukraine bisher auf die gewaltige Feuerkraft ihrer weitreichenden Waffen bauen, mit der sie den Weg für nachrückende Truppen frei geschossen haben. Mit der Lieferung weitreichender US-Waffen geriet aber auch die russische Armee in den Feuerhagel. Die russischen Truppen mussten ihre Munitionsdepots, Werkstätten und Kommandozentralen weit zurückverlegen, zum Teil 100 Kilometer von der Front entfernt. Von einer wirklichen Rückeroberung ist die Ukraine aber weit entfernt, denn grundsätzlich sind offensive Operationen viel schwerer durchzuführen als Defensivaktionen. So ist es sehr wahrscheinlich, dass es militärisch nur noch unwesentlich voran geht, ob an der südlichen oder der östlichen Front. Es dürfte auf einen langen Abnutzungskrieg der beiden ineinander verhakten Militärformationen hinauslaufen. Dabei gibt es zahllose Tote und noch mehr Verletzte, jeden Tag. Dazu Verwüstungen in Stadt und Land. Sogar zu einer Atomkatastrophe könnte es noch kommen, wenn eine der beiden Seiten einen Atommeiler trifft, ob versehentlich oder als bewusste Aktion. In dieser Form könnte der Krieg noch weit in das nächste Jahr andauern. Sowohl bei der ukrainischen als auch der russischen Bevölkerung dürfte aber zunehmend eine gewisse Kriegsmüdigkeit eintreten.

Jede realistische Beurteilung der Situation zeigt, dass die USA keineswegs der gute amerikanische Onkel sind, der der Ukraine uneigennützig zur Seite springt. Tatsächlich verfolgen die Vereinigten Staaten eigene Kriegsziele. Schon der amerikanische ehemalige Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski hat in seinem Strategie-Handbuch von 1997 „The Grand Chessboard – Das große Schachbrett“ das Vorgehen gegenüber Russland klar definiert. Darin skizziert er, wie mit einer zunehmenden NATO-Osterweiterung und einer Westanbindung der Ukraine Russland zu einer nicht mehr europäischen Macht, sondern zu einer asiatischen Regionalmacht degradiert werden könnte und wie auf diese Weise die Hegemonie der USA abzusichern sei. Er schreibt: „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“ (zitiert nach Lunapark 21, Heft 85, 2022)

Brzezinskis Handbuch hat sich bisher als Blaupause für die Politik der USA erwiesen. Die entscheidenden Führungskreise des Landes verfolgen die darin beschriebene Orientierung. In dieser Logik wollen die USA die Ukraine zu Russlands neuem Afghanistan machen, das rohstoffreiche Land in einem langen, zermürbenden Krieg dauerhaft schwächen und ihre Rolle als Hegemonialmacht in Europa festigen. In Europa konnten sich die USA mit diesem Kurs gegen Russland mittlerweile durchsetzen. Deutschland, das unter Merkel noch zum eigenen Vorteil auf Handel und Ausgleich mit Russland setzte, hat sich dieser Politik mittlerweile vollkommen untergeordnet. Es wird gerüstet, was das Zeug hergibt: 100 Milliarden Sonderbeitrag für die Bundeswehr, ein Militäretat von mindestens 56 Milliarden und immer mehr schwere Waffenlieferungen an die Ukraine, während gleichzeitig gegen Russland ein Wirtschaftsboykott gefahren wird.

Momentan setzen sowohl Russland als auch die Ukraine inklusive der USA auf die militärische Karte. Die Aufgabe der Friedensbewegung und der linken Kräfte kann dagegen nur sein, als kleinstes Übel für ein sofortiges Einfrieren des militärischen Konfliktes einzutreten. Das bedeutet eine Einstellung aller Kampfhandlungen ohne Vorbedingungen. Auch ein ökonomischer Boykott Russlands, der bisher im Wesentlichen die dortige Bevölkerung und weniger das Regime und die Oligarchen trifft, ist kritisch zu sehen. Wie widersinnig eine derartige Politik ist, zeigt auch der Aufruf von Selenskyj, dass die westlichen Länder alle Russen mit einem Einreiseverbot belegen sollten. Aber auch in Deutschland wirkt ein Boykott kontraproduktiv, denn er führt real zur weiteren Verarmung des bereits sozial abgehängten Teils der lohnabhängigen Schichten. Zusätzlich wird er als Vorwand genommen, um hierzulande wieder schmutzige Kohlekraftwerke in Betrieb zu nehmen und eine irrationale Debatte um Atomkraftwerke zu beginnen.

Vor allem muss auch das Leid der Ukrainer*innen gestoppt werden. Sicherlich würde es auch ein großer Teil von ihnen begrüßen, wenn der Krieg eingefroren würde. Es gibt in dem Lande nicht nur begeisterte Krieger, die bis zum eigenen Tod kämpfen wollen. Ein Bild, das uns die meisten Medien jeden Tag vorspiegeln. Zwischendurch dringen aber auch mal andere Nachrichten durch. So berichtete Ende Juli ein Korrespondent im Handelsblatt davon, dass Männer in der Ukraine versuchen würden, einer Zwangsrekrutierung zu entgehen. Eine Frau wird zitiert: „Natürlich will niemand hier, dass Wladimir Putin gewinnt, aber sie fürchten sich vor dem Krieg.“ Und auch in Deutschland wollen mindestens 25 Prozent der Bevölkerung, dass keine schweren Waffen mehr in den Ukrainekrieg geliefert werden, so eine Umfrage des ZDF-Politbarometers im Juli. Die Antikriegsstimmung gewinnt an Gewicht, je länger der Krieg dauert und je offensichtlicher sich seine fatalen Auswirkungen zeigen, so ein weiteres Ergebnis der ZDF-Umfrage. Da der Krieg vermutlich noch lange andauern wird, dürfte diese Stimmung immer sichtbarer werden. Damit dieser unterschwellige Widerstand zu einem sichtbaren Protest wird, ist es aber wichtig, dass die Linke ihm einen klaren inhaltlichen Ausdruck verleiht und mit der sozialen und ökologischen Frage verbindet. Wenn die Linke hier ihre politische Pflicht verweigert, werden die Rechtsradikalen, insbesondere in Ostdeutschland, dieses Feld bestellen und sich noch mehr verankern.

Eine linke Antikriegspolitik kann nur heißen, zuallererst für einen sofortigen und bedingungslosen Frieden einzutreten, gegen die momentane Interessenlage beider kriegsführenden Seiten. Dabei sollte man sich vor einem Pro-Putin-Kurs oder allzu viel Verständnis für das russische Oligarchen-Regime hüten. Man sollte sich stattdessen positiv auf die russischen Antikriegsproteste beziehen, so klein und bescheiden sie momentan auch sein mögen. Und wir müssen natürlich diejenigen unterstützen, die auch in Russland für eine soziale Umwälzung und den Sturz des Regimes eintreten. Für eine Verbindung zur sozialen Frage gilt als Orientierung: Ohne eine Einstellung aller Kampfhandlungen wird es nicht zu einem Sinken der Energiepreise und der Inflation kommen. Und ein Eintreten gegen den Krieg steht auch im Einklang mit einer ökologischen Orientierung. Denn die hochgerüstete Kriegsführung führt zur ökologischen Verwüstung der Ukraine und es droht sogar ein zweites Tschernobyl.


3. Ausstieg aus dem fossilen Erdgas vorantreiben


So heftig aber die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Krieg und sozialer Krise werden könnten, so wenig Anlass gibt es, darüber die Klimakrise als die ungleich größte Herausforderung aus dem Auge zu verlieren. Denn eigentlich macht die Gaskrise die schon länger anstehenden Aufgaben nur noch dringender: Angesichts immer schlimmer werdender Klimaschäden und ihren gigantischen Folgekosten sollten wir aus den fossilen Brennstoffen so schnell wie möglich aussteigen. Und das, ohne die Lasten des Umbaus auf den Rücken der Bevölkerung abzuwälzen. Wer unter dieser Prämisse nach echten Alternativen sucht, muss in den Blick nehmen, was wir mit dem Gas eigentlich anstellen. Derzeit sieht die Lage so aus: Von den im Jahr 2021 in Deutschland insgesamt verbrauchten 994 Terawattstunden (TWh) aus der Gasverbrennung fiel der größte Anteil mit fast 37 Prozent auf die Industrie, gefolgt von den privaten Haushalten, einschließlich Wohnungsgesellschaften, mit rund 31 Prozent. Dahinter kommen die Bereiche Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und die Stromerzeugung mit jeweils knapp 13 Prozent.

Was in Bezug auf die Stromproduktion zu tun wäre, ist eigentlich unumstritten: Ein Expressausbau von Sonnen- und Windenergie mit deutlich vereinfachten Planungs- und Genehmigungszyklen. Parallel dazu müsste die Wasserstofftechnologie als Speichermöglichkeit hochgefahren werden. So ließen sich auch Dunkelflauten überbrücken. Nur: Hier wird von der Regierung viel geredet und viel zu wenig getan.

Und wie steht es um die drei anderen Hauptabnehmer von Erdgas? Den Löwenanteil verbraucht die Industrie. Konkret heißt das: Ganze Branchen haben ihre Produktion auf billiges russisches Gas ausgerichtet, um so Extragewinne zu verbuchen. Die wichtigste Frage, die in der derzeitigen Diskussion völlig ausgeblendet wird, wäre dann: Ist das gut so? Ist es so richtig, dass es jetzt zum Staatsziel werden muss, die industriellen Hauptabnehmer von Gas − die Chemie-, die Papier- und die Glasbranche − in ihrer derzeitigen Form aufrecht zu erhalten? Denn wenn – wie eine nähere Betrachtung zeigt – die real existierende Industrie mithilfe von Gas zu einem großen Teil ökologisch schädliche und sogar überflüssige Produkte herstellt, dann sollte doch eine Produktionsumstellung oder gar ein Rückbau dieser Bereiche Thema einer gesellschaftlichen Debatte sein.

Die Chemieindustrie: Kreislaufwirtschaft statt immer mehr Plastik

Der mit Abstand größte industrielle Gasverbraucher ist die Chemiebranche. Sie nutzt einen kleineren Teil des Erdgases als Rohstoff zur Herstellung von Stickstoffdünger. Es wird CO2-intensiv zerlegt, um Wasserstoff als Grundsubstanz für die Düngererzeugung bereitzustellen. Wasserstoff ließe sich aber auch mit grünen Methoden herstellen, nämlich durch eine Elektrolyse.

Die deutlich größere Erdgasmenge im Chemiesektor wird zur Energieerzeugung für die Kunststoffproduktion eingesetzt. Brauchen wir aber wirklich so viel dieser Kunststoffe und ihre Anwendungen? Rund 70 Prozent gehen in die Produktion von Verpackungen, den Bausektor und die Automobilindustrie. Dabei wäre es ein leichtes, Verpackungen durch eine Pfandpflicht für Behälter von Shampoos, Reinigungs- oder Waschmittel drastisch zu reduzieren. Mehrfachverpackungen könnte man per Gesetz verbieten. Das ließe sich schnell umsetzen, es wäre die Basis für eine Kunststoffkreislaufwirtschaft, die auf die Mehrfachnutzung und später nach vielfacher Nutzung auf ein Werkstoffrecycling setzt. Diese Maßnahmen wären ökologisch überfällig. Und sie würden die Kunststoffmengen und den Gasverbrauch deutlich reduzieren. Auch im Bausektor könnte man Kunststoffe einsparen, wenn mehr Naturstoffe wie Holz und Pflanzenfasern genutzt würden.

Das Problem ist, dass die Nachfrage nach Kunststoff steigt, anstatt zu sinken. Die Automobilproduktion setzt auf Kunststoffe, um das steigende Gewicht ihrer Karossen zu verringern. Wäre es da nicht sinnvoller, Alternativen zum Individualverkehr zu fördern, die ressourcenschonender, energiesparender und gut fürs Klima sind? Der Ausbau von vergünstigten öffentlichen Verkehrsmitteln würde auch eine Verringerung von energieintensiver Chemie-, Glas- und Metallproduktion bedeuten.

Gasintensive Papier- und Glasindustrie für kurzlebige Müllproduktion

Neben dem Chemiesektor ist die Papierherstellung ein Energiefresser mit extrem hohem Gasbedarf. Über die Hälfte der Papiererzeugnisse wird für Verpackungen eingesetzt, was vor allem mit der explosionsartigen Zunahme des Online-Versandhandels zu tun hat. In diesem Bereich ist aber eine gesellschaftliche Diskussion überfällig: Wollen wir wirklich den Großteil unseres Konsums in einzelnen Paketen zugeschickt bekommen, wenn das bedeutet, dass wir deswegen abhängig von einer CO2-intensiven Erdgasnutzung sind? Warum kann man nicht den immer mehr ausufernden und ökologisch schädlichen Online-Handel abbremsen? Alternativ könnten die Online-Sendungen in die vorhandenen örtlichen Geschäfte ausgeliefert werden, wo sich die Kunden ihre Lieferungen abholen könnten. Selbstverständlich müsste dann ein Teil der Marge für den örtlichen Handel abfallen.

Schließlich bleibt die Glasbranche als weiterer Gasgroßverbraucher. Man hört jetzt: Glas wird in großen Wannen geschmolzen, die Anlagen dürfen nicht auskühlen. Aber warum kann man die hergestellten Mengen nicht reduzieren? Ein Großteil der Produktion besteht aus Getränkeflaschen und Gläsern für Nahrungsmittel wie Marmelade, Senf oder Oliven. Die Gläser werden mit viel Gaseinsatz hergestellt und landen nach einmaliger Nutzung im Container. Sie werden zwar recycelt, aber auch das Recycling verschlingt Energie. Eine Mehrfachnutzung und Pfandpflicht beispielsweise für Marmeladengläser wäre eine Maßnahme gegen die Wegschmeißpolitik und für eine Kreislaufwirtschaft. Erforderlich wäre dafür auch eine Normierung der Behälter, denn sonst würde jeder Hersteller seine Spezialgläser ausgeben, was ein Pfandsystem erheblich behindert.

      
Mehr dazu
Gemeinsame Erklärung von europäischen Organisationen: Die Reichen wollen uns für ihre Profite zahlen lassen!Wir bekämpfen den Anstieg der Lebenshaltungskosten, die internationale Nr. 6/2022 (November/Dezember 2022) (nur online)
Wolfgang Pomrehn: Wem dient der Strommarkt?, Sozialistische Zeitung (1.11.2022)
Romaric Godin: Ein Gespenst kehrt zurück: Die Inflation, die internationale Nr. 5/2022 (September/Oktober 2022)
Inflation: Welche Gegenwehr? - Dossier, die internationale Nr. 4/2022 (Juli/August 2022)
Ökologiekommission der IV. Internationale: Zur Entwicklung eines ökosozialistischen Programms, die internationale Nr. 3/2022 (Mai/Juni 2022)
 

Neben der Industrie verbrauchen Heizungen große Mengen an Gas. Das ist nur längerfristig durch eine Sanierung der Häuser zu reduzieren und durch den Einbau von Wärmepumpen, Wärmespeichern, den Ausbau von Erdwärme und städtischer Wärmenetze zu ersetzen. Dafür müssen hohe und langfristige Investitionen nicht zuletzt vom Staat bereitgestellt werden. Das ist der wesentliche Grund, warum diese wichtige Maßnahme bisher jahrelang verschleppt wurde. Doch denkt man dran, wie selbstverständlich 100 Milliarden Euro für Rüstungszwecke aufgebracht werden, erstaunt die Untätigkeit. Würde man ähnlich viel Geld nutzen, um die Wärmeversorgung umzustellen, könnte man bereits in einigen Jahren auf einen Großteil der teuren Gasimporte verzichten.

Gasverbrauch reduzieren durch geänderte Ladenöffnungszeiten im Winter

Was bei den Diskussionen um Gas im Gebäudesektor oft übersehen wird, ist der Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen. Den größten Energieverbrauch daran haben Bürogebäude, gefolgt vom Handel. Hier wurde bezüglich energetischer Sanierungen bisher am wenigsten getan, was im Umkehrschluss heißt: Wer hier eingreift, kann auf die Schnelle den Energieverbrauch wirksam senken. Eine besonders einfache Gas-Einsparung ließe sich im Einzelhandel umsetzen, wenn nämlich im Herbst und Winter die Geschäfte bereits um 18 Uhr schließen. Auch an Samstagnachmittagen könnte der Einzelhandel ohne weiteres zumachen, von „verkaufsoffenen Sonntagen“ ganz zu schweigen.

Spätestens an diesem Punkt regt sich bei vielen wohl Protest. Gefährdet so ein wirtschaftlicher Um- und Rückbau nicht Wohlstand und Arbeitsplätze? Nicht unbedingt. Genauso könnte es umgekehrt sein: Denn die kontinuierliche Aufweichung der Ladenöffnungszeiten seit den 1990er Jahren ging zu Lasten der Beschäftigten. Also bietet sich jetzt die Möglichkeit, verbesserte Arbeitszeiten zu erkämpfen, nicht nur für den Verkauf, sondern für alle Lohnarbeit.

Natürlich widerspricht eine derartige Schrumpfung dem Wachstums- und Akkumulationszwang, der dem Kapitalismus eigen ist. Sie bedeutete aber nicht automatisch eine Verschlechterung menschlichen Wohlergehens. Ein echtes Umbauprogramm würde ein gesellschaftlich sinkendes Arbeitsvolumen positiv wenden und eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung als Ziel anpeilen. Denn der wahre menschliche Reichtum ist – wie Marx wusste – die Zeit, die zur freien Tätigkeit und Entwicklung Raum gibt. Ein ökologisch sinnvoll gestalteter industrieller Um- und Rückbau könnte also so gestaltet werden, dass der wahre Wohlstand der Menschen steigt.


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 5/2022 (September/Oktober 2022). | Startseite | Impressum | Datenschutz