Am 2. Oktober fanden in Brasilien diverse Wahlen statt (Präsidentschaftswahl, Wahl von Gouverneuren in den Bundesstaaten, Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zum Senat).
João Machado
Bei der Präsidentschaftswahl erhielt Ex-Präsident Lula von der PT (Arbeiterpartei), der Hauptgegner von Bolsonaro, die meisten Stimmen und hätte fast schon im ersten Wahlgang gewonnen. Er benötigte 50 % + 1 der gültigen Stimmen und hatte 48,43 %. Dieses Ergebnis war zweifelsohne eine Niederlage für den derzeitigen rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro.
Aber Bolsonaro erhielt gut 43,2 % der gültigen Stimmen, mehr als aufgrund der Wahlumfragen vorausgesagt. Dies scheint vor allem auf die viel stärkere Mobilisierung der extremen Rechten zurückzuführen zu sein, womit es ihm gelang, in der Schlussphase deutlich zuzulegen. Auf Seiten der Opposition war die Wahlenthaltung größer und den Rechtsextremen gelang es besser, Stimmen von unentschlossenen oder weniger entschlossenen Wähler*innen zu gewinnen.
Die Mobilisierung der extremen Rechten gegen Ende des Wahlkampfs hat auch dazu geführt, dass ihre Ergebnisse bei den Wahlen in den Einzelstaaten sowie bei den Wahlen zum Senat und zum Abgeordnetenhaus besser waren als erwartet.
Die größten Verlierer an diesem Wahltag waren die gemäßigten rechten Parteien und die politische „Mitte“. Politische Parteien der traditionellen Rechten erzielten sehr schlechte Ergebnisse, und die Koalitionsparteien, die Bolsonaro unterstützten, legten zu ‒ insbesondere Bolsonaros Partei, die sogenannte „Liberale Partei“. Wir müssen jedoch festhalten, dass diese Parteien die Heimat rechtsextremer, fanatischer Aktivist*innen sind; ihre politischen Richtungen und die meisten der jetzt gewählten Parlamentarier sind opportunistisch, korrupt und käuflich, aber nicht rechtsextrem. Viele von ihnen gehörten zur Unterstützerbasis von PT-Regierungen, in denen sie z. T. auch Ministerposten innehatten.
Es wurde deutlich, dass die Rechtsextremen wichtige Unterstützung in der Bourgeoisie (obwohl ein Teil davon Lula unterstützte), in den mittleren Schichten und in Sektoren der ärmeren Bevölkerung haben, die mit den absurdesten Fake News und mit viel religiöser Manipulation gewonnen wurden.
Obwohl Bolsonaros Stimmenzahl in der ersten Runde niedriger war als die, die er 2018 erhalten hat, hat sie große Bedeutung: Sie wurde nach der Erfahrung seiner aggressiv rechtsextremen Regierung erreicht: schlechtes Pandemiemanagement, häufige Angriffe auf Frauen, Schwarze, LGBTQIA+, Indigene, totale Missachtung der Menschenrechte, Befeuern der Umweltzerstörung, Kürzungen bei Gesundheits- und Bildungsausgaben sowie nach der Aufdeckung vieler Korruptionsfälle in seiner Familie und in der Regierung. Es ist zwar richtig, dass die Regierung in den letzten Monaten die Verteilung von Geldern in Form verschiedener „Beihilfen“ (eklatant verfassungswidrig) veranlasst hat, aber der größte Zuwachs an Stimmen der extremen Rechten kam nicht daher (Bolsonaro hatte viel weniger Stimmen aus Sektoren mit niedrigerem Einkommen). Sicherlich ist es nicht möglich, die Pro-Bolsonaro-Stimmen nur durch die „Anti-PT-Stimmung“ zu erklären, die seit Jahren von den Mainstream-Medien gefördert wird (was 2018 sicher eine größere Rolle spielte). Leider hat sich eine starke und aggressiv mobilisierte rechtsextreme Militanz in Brasilien gefestigt.
Nach Bolsonaros PL war die PT die Partei, die bei den Parlamentswahlen im Vergleich zu den letzten Wahlen am meisten zugelegt hat. Die wichtigste Partei der Linken, PSOL, legte bei den Parlamentswahlen ebenfalls zu (allerdings nur wenig), wobei sie immerhin in São Paulo auch den Abgeordneten stellt, der auf Bundesebene die meisten Stimmen bekam ‒ Guilherme Boulos, der über eine Million Stimmen erhielt. Die PSOL stellt jetzt 12 Abgeordnete auf Bundesebene (2018 waren es 10) und 22 Abgeordnete auf Landesebene (2018 waren es 18). Sie hatte weniger Kandidaten für das Amt des Gouverneurs und des Senators als im Jahr 2018 mit insgesamt eher schwachen Ergebnissen.
Andere linke oder Mitte-Links-Parteien hatten schlechte Ergebnisse. Die Parteien links von der PT, die nicht im Parlament vertreten waren, hatten dieses Mal sogar weniger Stimmen als bei früheren Wahlen. Insgesamt verzeichneten die linken und Mitte-Links-Parteien einen geringen Zuwachs.
Die starke Mobilisierung der Rechtsextremen und die Stimmen für Bolsonaro machen deutlich, dass es eine Möglichkeit gibt, dass er in der zweiten Runde gewinnt. Geschieht dies, wird er seine derzeitige Kontrolle über den Kongress ausbauen (im Bündnis mit dem korruptesten Teil der Parlamentarier). Da die extreme Rechte innerhalb dieses Blocks jetzt ein größeres Gewicht hat, wird die Regierung viel schlechter funktionieren und das Risiko eines rechten Putsches wird steigen.
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Sollte Lula hingegen gewinnen, was eher wahrscheinlich ist, dürfte er keine größeren Probleme haben, eine parlamentarische Mehrheit zusammenzubekommen. Allerdings wird das Gewicht der bürgerlichen Sektoren in seiner Regierung größer sein als in seinen früheren Amtszeiten.
Ohne Zweifel war die politische Linie, die Lula und die PT im Wahlkampf verfolgt haben, nicht erfolgreich. Lula bemühte sich vor allem, mehr Unterstützung von der Rechten zu bekommen. Als Vizepräsident wählte er Geraldo Alckmin, einen ehemaligen politischen Gegner, mehrfacher Gouverneur von São Paulo und langjähriger Führer der PSDB, einer Partei, die bis vor kurzem die wichtigste bürgerliche Partei Brasiliens war. Er weigerte sich, seine Anhänger zu mobilisieren, trotz der ständigen Drohungen eines Putsches von Jair Bolsonaro. Eine mehr auf Mobilisierung ausgerichtete Kampagne könnte einen Teil der Verbündeten am rechten Rand, die Lula und die PT gewinnen wollten, verschrecken.
Für die zweite Runde hat Lula seine Linie nicht geändert. Aber die Mobilisierung linker Aktivist*innen wird deutlich größer sein ‒ zum Glück! Alle sind sich bewusst, was auf dem Spiel steht. Die extreme Rechte hat ihre Angriffe auf die Linke ausgeweitet und versucht, sie einzuschüchtern, aber das wird nicht gelingen. Eine größtmögliche Mobilisierung sollte ausreichen, um Bolsonaro auch im zweiten Wahlgang zu schlagen. Das wird sehr wichtig sein, aber die politische Lage wird komplex und schwierig bleiben und das brasilianische Volk wird weiterhin vor großen Herausforderungen stehen.
11.10.2022 |
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 6/2022 (November/Dezember 2022) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz