Buchbesprechung

„Die Warengesellschaft und die Herausforderung der multiplen Krise“

Bei dem Buch des Genossen Jakob Schäfer handelt es sich nicht um „Theorie­arbeit“ im engeren Sinn, vielmehr zielt es auf die politische Organisation des Widerstands gegen die verheerenden Folgen der kapitalistischen Produktionsweise ab.

Friedrich Voßkühler

Auf Mandels Aufsatz „Lenin und das Problem des proletarischen Klassenbewusstseins“ zurückgreifend, formuliert Jakob: „Die Klasse, die das objektive Potential für einen Umsturz der Gesellschaftsordnung aufweist, sich aber unter normalen kapitalistischen Bedingungen ganz und gar nicht revolutionär betätigt, wird nach allen Erfahrungen der Geschichte nicht ‚spontan‘, d. h. von ihren unmittelbaren aktuellen Erfahrungen ausgehend, den Weg raus aus der sich anbahnenden Katastrophe finden.


1. Theorie im Dienst der politischen Organisationsarbeit


Um zu verhindern, dass aufgrund mangelnder Verarbeitung der Lehren aus der Geschichte der Klassenkämpfe der vergangenen 150 Jahre immer nur wieder neue Niederlagen vorprogrammiert werden, kommt es auf zweierlei an: Auf die systematische wissenschaftliche Aufarbeitung der Lage, in der sich die Menschheit befindet, sowie auf die systematische Verankerung revolutionärer Theorie und Praxis in den Reihen der fortgeschrittenen Arbeiter*innen bzw. Arbeiter*innenklasse im weiten Sinn der Bedeutung. Dies ist keine ‚Theoriearbeit‘. Ohne eine organisierende Verarbeitung jeweils aktueller Kampferfahrungen wird dieses Bemühen fruchtlos bleiben. Es kommt also auf die politisch organisierende Arbeit an“ (82) [1]. Dieser Arbeit dient das Buch von Jakob Schäfer.

Und wohin soll diese führen? Erstens dahin, dass die „große Mehrheit der Bevölkerung“ davon „überzeugt“ wird, dass der „Umbau“ (102) der herrschenden Produktionsweise notwendig ist, um den Prozess der Zerstörung der ökologischen Grundlagen der menschlichen Gattung aufzuhalten, und zweitens dahin, dass sich – darauf aufbauend – die Einsicht entwickelt, „dass eine „ökologische und solidarische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nur jenseits der Warenwirtschaft“ (102) entstehen kann. Wobei Letzteres nur gelingen kann, wenn die „Zusammenhänge von klassenpolitischen und ökologischen Interessen“ (102) erfasst werden und „Kämpfe“ geführt werden, die diese Interessen „miteinander verbinden“ (102). Die These Schäfers ist somit die, dass die immer bedrohlichere Formen annehmende ökologische Krise sich nicht ohne den „Umsturz“ der „Gesellschaftsordnung“, welche sie bedingt, bewältigen lassen wird. Und das setzt voraus, dass sich die „Klasse“, die „das objektive Potential“ für diesen „Umsturz“ besitzt, politisch unter dem Ziel des revolutionären Bruchs mit dem Kapitalismus organisiert. Zu diesem Zweck ist die Herausbildung einer Vorhut aus den „Reihen der fortgeschrittenen Arbeiter*innen bzw. Arbeiter*innenklasse“ notwendig, die in der Lage ist, die „systematische wissenschaftlichen Aufarbeitung der Lage“ praktisch fruchtbar zu machen, heißt: mit den Erfordernissen der konkreten Kämpfe zu verbinden und letztere politisch auf den Bruch mit der kapitalistischen Produktionsweise zuzuspitzen.

Um an Rosa Luxemburg anzuknüpfen: Selbstverständlich gilt ihr Wort „Sozialismus oder Barbarei!“ immer noch. „Ökosozialismus oder Barbarei!“ – darum geht es jetzt. Und der Begriff „Ökosozialismus“ impliziert, dass nur der Bruch mit dem Kapitalismus die „Barbarei“ verhindern kann. Das hinwiederum macht es unumgänglich notwendig, der ökonomischen Zentralkategorie des Kapitalismus, der Ware, ans Leder zu gehen und die Gebrauchswertproduktion in den Mittelpunkt zu stellen. Dass dies eine zugleich demokratische und zentrale Planwirtschaft erforderlich macht, ist ein tragendes Element der Argumentation Schäfers. Das schließt alle Kungeleien mit dem Kapitalismus aus, alles Gerede von einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ z. B., zudem alle strategischen Hirnwebereien, man könne den Kapitalismus überwinden, ohne ihn abzuschaffen. „Ökosozialismus oder Barbarei!“: Diese Formulierung gedenkt nicht, die Augen vor den barbarischen Implikationen der Gesetzmäßigkeiten des Kapitals zu verschließen, sie ist antireformistisch durch und durch. „Die Ökologisierung des Sozialen und die Sozialisierung der Ökologie“ (23), beides zusammen erfordert strategisch den Bruch mit dem Kapital als „automatisches Subjekt“ und somit entschiedenen Klassenkampf. Ohne den geht´s nicht.


2. Die zentrale strategische Funktion des Übergangsprogramms


Fakt ist allerdings, dass die Menschen „in ihrer großen Mehrheit nicht bereit sind, den Kampf für ein anderes System aufzunehmen“. „Dies liegt zwar zu einem beträchtlichen Teil an mangelnder Kenntnis der Gesamtlage, mehr aber noch an der fehlenden Perspektive, wie denn überhaupt die Alternative aussehen könnte oder sollte. Hinzu kommt, dass das soziale und politische Kräfteverhältnis zwischen den Klassen nicht gerade Mut macht, auf Konfrontation mit den Herrschenden und den Profiteuren der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu gehen“. Daher, so Jakob Schäfer, „hat ein sogenanntes ‚Maximalprogramm‘, das mit einer unvermittelten und sofortigen Konfrontation die Machtfrage stellen will, noch geringere Erfolgschancen, als es das schon in der Vergangenheit hatte“. „Umgekehrt hat auch ein Reformprogramm, das den Kapitalismus reformieren oder ihn scheibchenweise (zudem mit einer Politik von oben) überwinden will, keine Erfolgsaussichten. Weder hat die Menschheit Zeit für einen langwierigen ‚Reformprozess‘, noch haben graduelle Veränderungen von Wirtschaft und Staat jemals zu einem Systemwechsel geführt“. Woraus folgt: „Es braucht demzufolge – und zwar mehr denn je – ein Programm, das die Kluft zwischen dem aktuellen Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten und der großen Herausforderung, vor der die Menschheit steht, zu überwinden vermag“. Wobei gilt: „Mehr denn je kommt es heute darauf an, dass so früh und so umfassend wie möglich die Gesamtperspektive sichtbar wird“ (111). Dies ist die strategische Funktion des Übergangsprogramms. Es hat die Aufgabe, „den Widerspruch zwischen den objektiven Bedingungen für eine Revolution einerseits und der Unreife des subjektiven Faktors andererseits zu lösen“. Es baut „eine Brücke“ „zwischen dem aktuellen Bewusstsein breiterer Schichten und dem Kampf für qualitative und weiterführende Forderungen“ (118).

Unterworfen der Manipulation ihrer Bedürfnisse und Interessen durch die „Fetischismen“ der Ware und des Kapitals bleiben die Menschen notwendigerweise hinter den herangereiften „objektiven Bedingungen für eine Revolution“ zurück. Sie bleiben im Vergleich mit diesen Bedingungen so lange „unreif“, solange sie nicht für ihre tatsächlichen Interessen eintreten, solange sie nicht dafür kämpfen, dass letztere objektive Gültigkeit erlangen. Gelingt dies, dann hat sich der „subjektive Faktor“ qualitativ auf dieselbe Ebene wie die „objektiven Bedingungen der Revolution“ angehoben und verwandelt sich zu einem an und für sich selbst revolutionären Faktor. Das Übergangsprogramm zielt genau darauf ab. Indem es an dem „aktuellen Bewusstsein“ der „breiten Schichten“ ansetzt und dieses mit dem „Kampf für qualitative und weiterführenden Forderungen“ verbindet, hebt es dieses Bewusstsein auf eine höhere Stufe. Inwiefern? Insofern es den Menschen dazu verhilft, sich ihrer eigentlichen Interessen deutlich bewusst zu werden und sich aus dem Fetischismuspanzer der Ware und des Kapitals – aus der „Entfremdung“ – zu befreien. Das Bewusstsein der „breiten Schichten“ zu revolutionieren, damit es zu einem tragenden Element der sozialen Revolution wird, das beabsichtigt das Übergangsprogramm. Zu diesem Zweck setzt es bei den Interessen der Menschen an und radikalisiert sie dergestalt, dass sie die Systemgrenzen der kapitalistischen Produktionsweise überschreiten.

 

Ich möchte die Tiefendimension der Konzeption des Übergangsprogramms an einem Beispiel verdeutlichen, am Grundbedürfnis nach gesunder Nahrung. Dieses spielt für die kapitalistische Wertrechnung keine Rolle, da sie im Bezug auf die Produktion und Verarbeitung von Nahrungsmitteln letztlich nur das Ziel hat, die Kosten für die Reproduktion der Arbeitskräfte zu senken und den Mehrwert aus ihrer Anwendung im Produktionsprozess zu erhöhen. Alle Künste des Verpackungsdesigns können aber nicht verbergen, dass nur minderwertige Nahrungsmittel auf den Tisch der arbeitenden Bevölkerung kommen. Nahrungsmittel zudem, die die imperialistischen Weltmarktbeziehungen voraussetzen, welche einen systematischen Raub der Ressourcen z. B. des globalen Südens betreiben, die dort ganze Landschaften in Agrarmonokulturen verwandeln, welche hinwiederum den Einsatz von Pestiziden erfordern, an denen sich dann im Übrigen die Pharmamonopole gesundstoßen usw. usf. Aber letztlich trifft so etwas mehr oder weniger weltweit auf die gesamte kapitalistische Industrieproduktion der Nahrungsmittel zu. Die Folge ist: Während im Süden die einen hungern oder sogar verhungern, derweil die Börse in Chicago ihre Hand auf die weltweit produzierten Nahrungsmittel legt und deren Preise bestimmt, kommt den anderen im globalen Norden billig gemachter und chemisch aufgepeppter Schund auf den Tisch. Zu verhungern oder sich von Schund zu ernähren, das sind zwei Erscheinungsformen der Armut, die der Kapitalismus für die Menschen, die von ihrer Arbeit leben, parat hält. Den Menschen im globalen Norden mit Billigkram das Maul zu stopfen, gehört zur Machtstrategie des Kapitals. Dass dabei die Gesundheit flöten geht, ist ihm letztlich ganz recht, bieten doch die diversen entstehenden Stoffwechselstörungen für die Pharmaindustrie die Möglichkeit zu einer stets anwachsenden Medikamentenflut und sich stetig vermehrendem Reibach.

Wofür steht unter diesen Bedingungen das Grundbedürfnis nach gesunder Nahrung? Dafür, sich nicht mit Billigkram abspeisen lassen zu wollen. Dafür, sich nicht das Maul stopfen lassen zu wollen. Dafür, gut leben zu wollen und nicht verführt zu werden durch Geschmacksverstärker, Fett und Zucker, was ja eine Form aufgezwungener Armut ist. Marx wusste, dass nur der sinnlich entfaltete Mensch – der an Bedürfnissen Fähigkeiten und Fertigkeiten vielfältig entwickelte Mensch – tatsächlich reich ist. Gut zu leben, das heißt in der eben mit Marx gezeigten Bedeutung somit sinnlich reich zu sein. Und nur der, der seinen sinnlichen Reichtum entfaltet hat und dem – wie Marx sagt – der andere Mensch das höchste Bedürfnis ist, ist, da er im Gleichklang mit sich selbst ist, im eigentlichen Sinn gesund. Wovon, deucht mich, die Pharmaindustrie und die Medizin keinen blassen Dunst haben.

Es gehört zur Tiefendimension des Übergangsprogramms, nicht ziellos von einem Punkt zum anderen zu springen, sondern zwischen den erhobenen Forderungen einen schlüssigen Zusammenhang zu erstellen. Sicher gehört die Forderung nach Rück- und Umbau der profitorientierten industriellen Produktion von Nahrungsmitteln in das Übergangsprogramm. Und ganz sicher muss es für die ökologische Landwirtschaft eine Lanze brechen. Ebenso klar ist aber meiner Meinung nach auch, dass beides mit der Perspektive der Gesundheit und des guten Lebens verbunden werden muss. Was beides, wie dargestellt, den Horizont zu einer leitenden Vorstellung des Marxismus hin eröffnet, zur regulativen Idee des „reichen Menschen“.


3. Die strategische Bedeutung der Arbeiterkontrolle


Bei alle dem eben zum Übergangsprogramm Gesagten gilt jedoch: „Dreh- und Angelpunkt eines antikapitalistischen Systemwandels ist und bleibt die Herausforderung der Macht des Kapitals in den Betrieben“ (120). Oder, wie Jakob Schäfer sagt: „Die Arbeiter*innenklasse ist der Möglichkeit nach die Beherrscherin des Produktions- und Verteilungsprozesses der Güter (im Kapitalismus: der Waren) und Dienstleitungen. Die Entscheidungsgewalt über Produktion und Verteilung ist der Dreh- und Angelpunkt der herrschenden Gesellschaftsordnung. Es können sich ‚ideologisch‘, ‚kulturell‘, allgemein politisch noch so viele Dinge ändern: All dies bleibt zweitrangig und ist nicht von Dauer, wenn die Arbeiterkontrolle über die Produktion nicht erkämpft ist und die Arbeiter*innenklasse nicht auf diesem Wege die Machtfrage zu ihren Gunsten gelöst hat“ (120 f.). Kurzum: Der Kampf um die Bereitschaft „breiter Bevölkerungsschichten“ für ein anderes System benötigt, um nicht gleichsam „im leeren Raum“ zu schweben, die „Herausforderung der Macht des Kapitals in den Betrieben“. Ohne den Kampf der Arbeiter*innen um die Kontrolle über die Produktion fehlt ihm die Basis. Obwohl das so ist, bilden beide Kämpfe selbstverständlich eine strategische Einheit.

Die Arbeiterkontrolle, so Jakob Schäfer, „geht vom Gedanken des Vetos aus, der Blockierung von Entscheidungen, die sich gegen die Arbeiter*innen richten, sie sagt (noch) nicht, welche Entscheidungen der Betrieb und vor allem welcher Plan für die Gesamtwirtschaft gelten soll. Sie zielt zwar auf vollständige Information (‚Offenlegung der Bücher‘), sagt aber nicht, wie etwas laufen soll, sondern im Wesentlichen: ‚So nicht!‘. Die Logik der Arbeiterkontrolle ist also eine Brücke, die den Übergang von der kapitalistischen Produktionsweise zu einer sozialistischen weist. Sie ist damit ein wesentlicher Baustein in einem revolutionären Übergangsprogramm“ (122). Wie eben schon gesagt gehört zur Arbeiterkontrolle die Offenlegung der Bücher („Weg mit dem Geschäftsgeheimnis!“), die Offenlegung aller Bankkonten von kapitalistischen Unternehmen, das Vetorecht bei Entlassungen, Lohn- und Gehaltskürzungen, das Veto gegen jegliche Beschleunigung des Rhythmus und der Intensivierung der Arbeit, die Kontrolle über die Bedingungen der Arbeitssicherheit, vor allem aber auch die Kontrolle darüber, was produziert wird und wie produziert wird, was ja eine unverzichtbare Grundlage für einen wirkungsvollen Kampf für eine Konversion der Waffenindustrie und der Autoindustrie ist, die Kontrolle der Umweltverschmutzung und die Kontrolle aller Maßnahmen im Gesundheitswesen (siehe dazu bei Schäfer S. 126 f.) usw. usf.

Die Arbeiterkontrolle bedeutet etwas ganz anderes als betriebliche Mitbestimmung. Letztere kettet die Beschäftigten ans Kapital, die Arbeiterkontrolle aber verschafft ihnen die Kenntnisse, die dafür erforderlich sind, die „gesamte nationale Industrie“ (Trotzki) gemäß ihren eigenen Bedürfnissen einmal planen zu können. Sie schafft die Möglichkeit einer die Gesetze der Kapitalakkumulation hinter sich lassenden gesamtgesellschaftlichen Rationalität. Mit den Worten Trotzkis: „Die Aufgabe besteht darin, das ganze Produktions- und Verteilungssystem nach vernünftigeren und würdigeren Grundsätzen umzugestalten“. Derart aufgefasst ist die Arbeiterkontrolle die „Schule der Planwirtschaft“ (Trotzki).

Strategisch geht es sowohl im Kampf um die Bereitschaft „breiter Bevölkerungsschichten“ für ein anderes System als auch im Kampf um die Kontrolle über die Produktion in den Betrieben darum, dass möglichst stabile und kampffähige Formen der Selbstorganisation, Räte also, entstehen, die sich gegen die Macht des Kapitals und dessen „geschäftsführenden Ausschuss“, den Staat, richten. Kurz und knapp: Es geht darum, dass eine Doppelmachtsituation entsteht, die die Kräfte der arbeitenden Bevölkerung zum entscheidenden Kampf um die gesamtgesellschaftliche Macht zusammenführt. Jakob Schäfer ist es völlig klar: Nur wenn aus den Bedürfnissen und Interessen der Menschen ein politischer Schub hin zur Doppelmachtsituation entsteht, nur dann, wenn die Kontrolle über die Produktion erkämpft worden und die Überzeugung entstanden ist, dass es unumgänglich ist, mit dem Kapital und dem Staat den Kampf um die Macht zu führen, wird es überhaupt eine „ökologische und solidarische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“ geben können. Deswegen muss alle politische Organisationsarbeit auf das Entstehen einer Doppelmachtsituation und den Kampf um die gesamtgesellschaftliche Macht hinauslaufen. Dies gilt nach Jakob Schäfer gerade auch für unsere Zeit der galoppierenden ökologischen Krise.


4. Revolutionärer Humanismus


Wenn Trotzki formuliert, dass die „Aufgabe“ „darin besteht“, „das ganze Produktions- und Verteilungssystem nach vernünftigeren und würdigeren Grundsätzen umzugestalten“, dann wird deutlich, welches Ziel der zu führende Kampf um die Macht hat. Das Ziel ist ein „revolutionärer Humanismus“. Jakob Schäfer führt aus: „Anknüpfend an Leo Kofler und Helmut Fleischer wollen wir den Humanismus in folgender Weise umreißen. Der revolutionäre Humanismus lässt sich nicht mittels eines festen und gleichsam geschichtslosen Kanons bestimmter Verhaltensweisen bestimmen. Es lassen sich aber gewisse Prinzipien definieren, die in ihrem Zusammenwirken das anzustrebende Humane ausmachen: produktiv/kreativ sein können, nicht auf bestimmte Tätigkeiten festgelegt sein, Selbstbestimmung ausüben, sprachliche Kommunikativität entwickeln können. Gemeinschaftsfähigkeit entfalten. Demzufolge ist eine Gesellschaftsformation wesentlich humanistisch geprägt, wenn sie die Menschen nicht nur zur Selbstbestimmung, sondern auch zur Selbsttätigkeit befähigt und wenn sie gleichzeitig die solidarische Kooperation befördert. Auf der Autonomiefähigkeit und Solidaritätsfähigkeit aufbauend erwächst die Achtung vor den Anderen. Als leitendes Prinzip wird dies deswegen angenommen und verinnerlicht, weil es sich – zumindest nach einer gewissen Zeit – für alle als sinnvoll und nützlich erweist“ (71).

Um von daher das Gesagte zusammenzufassen: Jakob Schäfer vertritt in seinem Buch einen kämpferischen „revolutionären Humanismus“. Dieser ist für ihn das alle politische Praxis „leitende Prinzip“. Dem kann ich als von Lefebvre geprägter Gramscianer vorbehaltlos zustimmen. Das Buch ist eine konsequent trotzkistisch argumentierende Schrift, welche mit großer Kompetenz die „multiple Krise“ des Kapitalismus analysiert und die politisch notwendigen Schritte zu ihrer revolutionären Überwindung aufzeigt. Ich habe mich darauf beschränkt, die argumentative Tiefenstruktur der Schrift Jakob Schäfers deutlich zu machen. Diese ist interessant und wertvoll genug. Gleichwohl würde es mich reizen, die Sache einmal aus der Perspektive meiner eigenen Tradition darzulegen.


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2022 (November/Dezember 2022). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Gemeint ist S. 82 in Schäfers Buch.