Claudio Katz analysiert die besondere Situation, in der sich Argentinien unter der Regierung von Javier Milei befindet. Das folgende Interview mit ihm hat Carlos Aznárez für Resumen Latinoamericano am 7. März 2024 geführt.
Interview mit Claudio Katz
Carlos Aznárez: Beginnen wir mit einer Einschätzung der Rede von Milei zur Eröffnung des parlamentarischen Jahres. |
Claudio Katz: Meines Erachtens verdeutlicht diese Rede die gravierenden Probleme, mit denen die Regierung auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene zu kämpfen hat. Fangen wir mit der politischen Ebene an. Es liegt auf der Hand, dass Milei der arbeitenden Bevölkerung den Krieg erklärt hat. Es vergeht kein Tag ohne neue Horrormeldungen. Zuletzt war es die Schließung von Télam [1]. Milei agiert mit beispielloser Brutalität. Denken wir bloß an die Kürzung der Ausgaben bei den Medikamenten für Krebskranke oder an seine diskriminierenden Äußerungen über Menschen mit Down-Syndrom. Auch die Mittel für öffentliche Ausspeisungen (comedores) wurden gekürzt – mit dem Argument, die sozialen Bewegungen würden damit „Geschäfte machen“. Tatsache ist jedoch, dass die Bewegungen für die Aufrechterhaltung der Suppenküchen sorgen, und zwar viel kostengünstiger als andere Einrichtungen. Doch das ist noch nicht alles: Die Regierung hat das Arbeitsförderungsprogramm (Plan Potenciar Trabajo) mit der Begründung, dadurch Arbeitsplätze zu schaffen, gestrichen. Ähnliche Absichten hatte bereits Macri (ein Vorgänger von Milei, Anm. d. Red.) verfolgt. Aber so lassen sich keine Arbeitsplätze schaffen, denn die Beschäftigung hängt von einer intakten Wirtschaft ab. Und da Milei im Begriff ist, die Wirtschaft zu zerstören, können auch keine Arbeitsplätze geschaffen werden.
Diese Regierung überschwemmt uns mit einer Flut an Gemeinheiten. Daher sagen viele Leute mit gutem Grund: „Wir leben anscheinend in einem Alptraum, aber der ist leider real.“ |
Diese Regierung hat dem Land eine soziale Tragödie beschert – mit unbeschreiblicher Armut in der Kornkammer der Welt und einem Konsumrückgang, der so dramatisch ist wie zuletzt im Jahr 2001. Man stelle sich vor: Ein zwölfjähriges Mädchen hat in einem Laden Schulsachen gestohlen, um zur Schule gehen zu können! Dazu kommen Missstände auf kultureller Ebene. So wurde die Aufnahme des Unterrichts an fünf neuen Universitäten ausgesetzt und eine gendersensible Sprache verboten. Angesichts dieser geballten Ladung an Ungeheuerlichkeiten schlug Milei in seiner Rede vor, das Omnibusgesetz2 [2] wieder in Kraft zu setzen. Mit einem vom Parlament verabschiedeten Omnibusgesetz Nr. 2 möchte er all seine Angriffe in geordnete Bahnen lenken. Der neue Gesetzesvorschlag unterscheidet sich jedoch in keiner Weise vom vorherigen: Es handelt sich um das gleiche Projekt der Ausbeutung, der Ungleichheit und der Armut; mit einer Reform des Arbeitsrechts, privater Altersvorsorge und einer Liberalisierung des Handels. Milei befand sich in einer Sackgasse, weil die Senatoren gedroht hatten, das DNU [3] außer Kraft zu setzen. Damit hatte er nicht gerechnet. Ohne Omnibusgesetz und ohne DNU waren ihm die Hände gebunden. Also bot er den Provinzgouverneuren einen Kompromiss an. Er versprach ihnen, seine Vorhaben zurückzuziehen und zur gesamtstaatlichen Steuerverteilung (coparticipación [4]) zurückzukehren, das Gesetz über die Besteuerung der Gewinne aufzuheben und mit ihnen gemeinsame Sache zu machen.
Sehen wir uns diesen Punkt genauer an. Milei gewährt den Gouverneuren also eine Rückkehr zur coparticipación. Das bedeutet nichts anderes, als sie an der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen teilhaben zu lassen, die, wie wir wissen, eine unermessliche Goldgrube sind. Mit anderen Worten, er kauft sie, um ihre Machtgelüste in die Schranken zu weisen. |
Ganz genau. Milei hat die Aufhebung der coparticipación durchgesetzt, die gemäß den Bestimmungen der letzten Verfassung die Ressourcen unter den Provinzen verteilt. Dazu war er wegen seiner extrem weitreichenden Strukturanpassungen praktisch gezwungen. Ihm schwebt eine Neuordnung der Provinzen vor, eine Umstrukturierung des gesamten föderalen Systems. Provinzen, die sich nicht selbst erhalten können, sollen ihre Einrichtungen schließen, sich mit anderen zusammentun und letztendlich von der Bildfläche verschwinden. So skrupellos wie Milei gegen die Lehrerproteste vorgeht, so maßlos ist auch sein Bestreben, die föderale Struktur der Provinzen zu zerschlagen. Das kann er aber nicht. Als [die südargentinische Provinz] Chubut damit drohte, die Erdölförderung zu kürzen, und sich sofort mehrere Gouverneure mit Chubut solidarisierten, wurde Milei klar, dass er sich in der schwächeren Position befindet, was er mit einer aggressiven Rhetorik überspielte.
Also gehen die Verhandlungen mit den Gouverneuren, deren überwiegende Mehrheit seinem eigenen Spektrum angehört, weiter. Es sind Leute vom rechten Flügel, Leute von der PRO [5], die auf die coparticipación nicht verzichten können, da die Provinzen sonst nicht funktionsfähig wären. Genau hier setzen die neuerlichen Verhandlungen an. Die „freundliche Opposition“, namentlich der rechte Flügel der PRO und die Gouverneure, haben bereits grünes Licht gegeben. Sie haben sogar im letzten Monat als Geste des guten Willens gewisse Abstriche bei der coparticipación akzeptiert, aber jetzt „wird alles noch einmal verhandelt“. Ich vermute, dass die eigentliche Ursache für die aktuellen Strukturbereinigungen darin liegt, dass Milei von der gesamten herrschenden Klasse nach wie vor unterstützt wird.
Und aus diesem Grund lassen sie ihm alles durchgehen, auch wenn ihnen einige seiner Methoden mitunter missfallen. |
Sie tolerieren, dass er ein beträchtliches, nicht deklariertes Vermögen besitzt, sie äußern sich nicht zu den Anschuldigungen, er habe als Wirtschaftswissenschaftler Drogenhändler beraten, und sie zeigen Verständnis dafür, dass er ein Vermögen für den Umbau des Regierungsgebäudes ausgegeben hat, um seine Hunde unterzubringen. Die herrschende Klasse schweigt, weil sie ein Interesse daran hat, dass ihr Schlachtplan gegen die Bevölkerung aufgeht, selbst auf Kosten unmittelbarer Vorteile. Denn der industrielle Sektor kann mit Milei nur verlieren. Aber zwischen der Reform des Arbeitsrechts, die auf die Zerschlagung der Gewerkschaften abzielt, und einer Liberalisierung des Handels, die die Wettbewerbsfähigkeit des einheimischen Industriekapitals schwächt, entscheidet sich das Industriekapital für die Zerschlagung der Gewerkschaften. Und das Großkapital weiß zwar, dass es mit der Dollarisierung verlieren kann, unterstützt jedoch im Gegenzug Milei bei der Zerschlagung der Basisbewegungen. Aus demselben Grund geben ihm die Gouverneure grünes Licht. Bei den abschließenden Verhandlungen werden sie zwar einen Teil ihrer Pfründe verlieren, aber diesen Verlust nehmen sie in Kauf, solange Milei mit den Protesten der staatlich Bediensteten und der Lehrerschaft, die ihnen so viel Kopfzerbrechen bereiten, ein für alle Mal aufräumt. Und verhandelt wird auch deswegen, weil Milei auf die Unterstützung des anglo-amerikanischen Imperialismus zählen kann.
Der Besuch des [britischen] Außenministers Cameron auf den Malwinen, auf den die Außenministerin mit einer spaßigen Geste reagierte, bestätigt den Grad der Unterwerfung der argentinischen Regierung unter die Interessen der NATO und der USA, denn in puncto NATO-Militärbasis auf den Malwinen sind sich Demokraten und Republikaner einig. So kam Blinken mit einer IWF-Delegation nach Buenos Aires, aber bereits am nächsten Tag reiste Milei ab, um sich mit Trump in den USA zu treffen. Beide US-amerikanischen Parteien suchen die Zusammenarbeit mit Milei, weil er die Trumpfkarte gegen China und gegen Lula ist. Gegen China, weil Milei zu allem bereit ist. Er würde sogar, sollten ihn die USA dazu auffordern, die argentinischen Agrarexporte nach China reduzieren und damit die Beziehungen zu China aufs Spiel setzen. China hat bereits angedroht, seine Yuan-Kredite zu kürzen und mit anderen Ländern Handel zu treiben, also Fleisch und Soja von anderen Ländern zu beziehen. Aber Milei bleibt „hart“, weil er vom [US-amerikanischen] Außenministerium abhängig ist. Und Lula wird angegriffen, da er geopolitische Allianzen schmiedet, ohne sich um die USA zu kümmern. Das zeigt sich überdeutlich an der Haltung, die Lula in der Palästina-Frage einnimmt, wo er eben nicht die US-Positionen nachbetet. So, jetzt haben die USA endlich einen rechtsgerichteten Führer in Lateinamerika, so wie sie Netanjahu im Nahen Osten haben. Genau das wollten sie ja.
Kurzum, Mileis politischer Kompromissvorschlag hat mit den gravierenden Problemen zu tun, die er mit seinen eigenen Anhängern und mit seiner eigenen Strategie hat. Dazu kommt das zweite große Problem: die wirtschaftliche Frage.
Die politische Frage ist natürlich mit der wirtschaftlichen Frage verknüpft, und hier steht Milei vor einer Entscheidung, die ihm mit Sicherheit gröbere Probleme bereiten wird, denn sobald er sich dem Diktat des Währungsfonds unterwirft, wird die Bevölkerung reagieren. Der IWF wird ihn zwingen, Maßnahmen umzusetzen, die er vor seinem Regierungsantritt vielleicht nicht unbedingt vorhatte. Jetzt muss er sich fügen, aber er wird nicht nur die Bedingungen erfüllen, zu denen sich [der ehemalige Wirtschaftsminister] Sergio Massa verpflichtet hat, sondern er wird vermutlich noch viel weiter gehen. Glaubst du nicht, dass es kurzfristig zu einem Einbruch kommen könnte – mit verheerenden Konsequenzen nicht nur für die Allerärmsten, sondern für einen erheblichen Teil der Gesamtbevölkerung? |
Ja, sicher. Mileis beabsichtigte Anpassungsmaßnahmen waren von Anfang an weitreichender als die Forderungen des Währungsfonds. Damit greift er die Arbeiterbewegung an, das Prekariat, die Mittelklasse und schlussendlich immer relevantere Wirtschaftszweige. Aber Milei ist fest entschlossen, seine Pläne umzusetzen. Sein Ziel ist die komplette neoliberale Umgestaltung Argentiniens. Allerdings gerät er mit der Zeit immer wieder ins Straucheln. Und jedes Mal, wenn das passiert, ist es aus dem Grund, den du angedeutet hast: Er ist die Motorsäge und die Mischmaschine, in der Existenzen zermalmt werden. Wenn er auf ein Hindernis stößt, gibt es drei Möglichkeiten, wie sich in den letzten 60 Tagen gezeigt hat. Er kann eskalieren, verhandeln oder scheitern. Im Allgemeinen hat er sich momentan für die Eskalation entschieden: Bei jedem Hindernis steigert er den Einsatz; und bei jeder Auseinandersetzung gerät er zuerst mit einem Teil seiner eigenen Partei in Konflikt und dann mit den Gouverneuren. Die Strategie der Eskalation wird ihn irgendwann dazu zwingen, eine Volksabstimmung einzuberufen. Ob es ihm passt oder nicht, er wird keine andere Wahl haben. Aber eigentlich will er keine Volksabstimmung, denn wenn er verliert, dann ist es aus für ihn.
Gleichzeitig verengt sich sein Spielraum, da er es sich mit allen anlegt und seine Unterstützer vergrault. Also besteht eine andere Strategie, die er ebenfalls beherrscht, darin, abwechselnd zu drohen und zu verhandeln, wie zuletzt beim Konflikt mit den Gouverneuren. Aber aus allfälligen Verhandlungen wird eher Macri als Gewinner hervorgehen und nicht Milei. Macri kann von Verhandlungen nur profitieren, denn die Gouverneure unterstehen seiner PRO. Somit besteht die Gefahr, dass Macri der Autorität von Milei das Wasser abgräbt und die Regierung übernimmt. Wenn alles schief geht, droht sogar ein Amtsenthebungsverfahren. Wir dürfen nicht vergessen, dass Milei nur 38 Abgeordnete hat. Damit würde er in einem Amtsenthebungsverfahren völlig untergehen. Tatsache ist, dass Milei wie Bolsonaro oder Trump agiert, allerdings ohne über eine politische und soziale Basis zu verfügen. Er kopiert das Auftreten seiner politischen Vorbilder, aber es fehlt ihm die Basis, die Bolsonaro letzte Woche erneut unter Beweis gestellt hatte, als er angesichts seiner möglichen Inhaftierung zu einem Marsch aufrief, der die Boulevards Brasiliens mit Menschenmengen füllte, wo die Evangelikalen, das Agrobusiness und die rechten Säulen seiner Bewegung ein kräftiges Lebenszeichen von sich gaben. Trump steht kurz vor seiner Wiederwahl. Im Gegensatz dazu hat Milei seine Rede im Parlament gehalten, aber er kann keine Menschen mobilisieren.
Er hat keine Leute, um die Straße zu gewinnen, nur Günstlinge im engsten Kreis und passive Wähler. |
Er hat die Straße durch eine clowneske Show von Claqueuren ersetzt, die ein Witz war. Das ist keine politische Basis der Rechten, das ist eine Clownshow.
Weißt du, woran mich dieses Szenario im Parlament erinnert hat? An den venezolanischen Putschisten Pedro Carmona „el Breve“ („der Kurzzeitige“, Anm. d. Red.), der an dem Tag, als Chávez in La Orchila inhaftiert wurde, sein Amt antrat. In seiner Rede ließ sich Carmona zu Unverschämtheiten hinreißen und von Claqueuren bejubeln. Er agierte, als ob er sein Leben lang regieren wollte, aber dann hielt er gerade einmal 24 Stunden durch. Milei hat derzeit etwas mehr Glück. |
Dennoch ist es ihm in den ersten 60 Tagen nicht gelungen, die Straße für sich zu gewinnen. Es reicht nicht aus, dass die Umfragen angeblich zu seinen Gunsten ausfallen, denn dabei handelt es sich bloß um eine passive Unterstützung. Das ist auch eine Folge der jahrelangen Durchdringung der Gesellschaft mit der neoliberalen Ideologie. Der Macrismo und die Medien haben in weiten Teilen der Bevölkerung Konzepte von Individualismus und Unternehmertum sowie die Auffassung, dass der Staat an allem schuld ist, verankert. Diese Ideologie hat sich erfolgreich durchgesetzt. Aber um sie in politisches Handeln zu verwandeln, muss es Mobilisierungen auf der Straße geben. Und die fehlen Milei im Moment noch. Er kann auf keine aktive Bewegung zählen. Auch die Androhung von Repressionen geht ins Leere, denn nach diesen 60 Tagen wird das „Protocolo anti piquetes“ [6] einfach ignoriert. Also wird behauptet, dass Agitatoren aus Kuba und Venezuela eingeschleust wurden. Es werden die unsinnigsten Banalitäten, die jeglicher Logik entbehren, verbreitet. Die eigentliche Ursache aller Probleme liegt jedoch in den wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Punkt. Wenn Milei schlüssig erklären könnte, dass sein Plan Aussichten auf Erfolg hat, würde er vielleicht mehr Unterstützung erhalten.
Milei hat von Anfang an auf einen Zusammenbruch des Staates hingearbeitet. Mit seinem Strukturanpassungsprogramm stiftet er vorsätzlich Chaos im Staatsapparat. So hat er etwa die Beamten, die seine Beschlüsse unterzeichnen müssen, noch nicht ernannt. Damit behindert er den geregelten Ablauf der öffentlichen Verwaltung. Und er hat in voller Absicht eine Superinflation in Gang gesetzt, um eine regressive Umverteilung der Einkommen durchzusetzen. Seine wiederholten Beteuerungen, er habe die Inflation bloß geerbt, sind Unsinn, denn er hat sie selbst verursacht. Zum x-ten Mal beharrt er auf Zahlen über die angeblich geerbte Hyperinflation, die weder Hand noch Fuß haben. Nichts hat er geerbt, die Inflation ist sein eigenes Werk. Mit dieser Hyperinflation provoziert er in voller Absicht eine Rezession, und zwar mit dem einzigen Ziel, kurzfristig eine hohe Arbeitslosigkeit zu schaffen. Wofür Menem [7] vier oder fünf Jahre gebraucht hat, das will Milei in vier oder fünf Monaten erreichen: eine Verdoppelung der Arbeitslosenquote noch in diesem Jahr und eine Erhöhung auf zwanzig Prozent in den kommenden Jahren. Damit will er die Bevölkerung in die Knie zwingen. Das ist der ganze Plan.
In diesem Zusammenhang hat Milei den Pacto de Mayo (Maipakt) [8] angekündigt. Hat dieses Vorhaben eine realistische Chance auf Verwirklichung oder handelt es sich um ein weiteres Hirngespinst, mit dem Milei versucht, Zeit zu gewinnen? |
Das wird von den Verhandlungen mit den Gouverneuren abhängen, aber vor allem von der Entwicklung der wirtschaftlichen Lage in den nächsten 60 Tagen. Denn es ist eine Sache, ob es Milei gelingt, einen gewissen Rückgang der Inflation zu bewirken, aber eine ganz andere, wenn die hohe Inflationsrate, die die Wirkung der Geldentwertung bereits wieder „aufgefressen“ hat, eine weitere Abwertung nach sich zieht. Dann heißt es nämlich: Zurück an den Start. Wie beim Omnibusgesetz Nr. 2 besteht also die Gefahr, dass in wenigen Wochen mit einer Abwertung Nr. 2 zu rechnen ist. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Rezession negative Auswirkungen auf die Erhebung von Steuern hat. Jeder Eingriff bei den Ausgaben, den Milei vornimmt, geht mit einer Verringerung der Einnahmen einher und läuft daher ins Leere.
Wenn man 50 000 Staatsbedienstete entlässt, spart man zwar eine Million Dollar, aber gleichzeitig verringert die Rezession die Steuereinnahmen um eine Million Dollar, und man befindet sich in der gleichen Lage wie zuvor. Ich vermute, Milei setzt auf den Pacto de Mayo oder auf die Zeit danach und möchte den Pakt daher unbedingt durchsetzen. Und wenn das nicht klappen sollte, bleibt immer noch die Dollarisierung, mit der er ohnehin ständig kokettiert. Die Dollarisierung ist Mileis Ass im Ärmel, so wie die Volksabstimmung. Das sind die beiden Optionen, die sich Milei für den Fall vorbehält, dass die Dinge für ihn nicht so gut laufen; aber wenn alles gut geht, kann er damit seine Vorherrschaft festigen. Es kann so oder so ausgehen. Jedenfalls liebäugelt er mit der Dollarisierung. Deshalb hat er in diesen 60 Tagen Unmengen der im Umlauf befindlichen Pesos abgezogen. Er ist der Staubsauger der verfügbaren Pesos, und er hat die Ausgaben drastisch reduziert. Daher schrumpft die Geldmenge trotz hoher Inflation, und es gibt weniger Pesos, was eine der Voraussetzungen für die Dollarisierung ist.
Angeblich hat Milei derzeit acht Milliarden Dollar zur Verfügung. Das ist natürlich mehr als zuvor. Und er rechnet mit weiteren zehn oder fünfzehn Milliarden vom Währungsfonds als Gegenleistung für eine Vereinbarung. Aber selbst das wird möglicherweise nicht ausreichen, und der IWF wird das auch ablehnen. Das Ganze ist ein Vabanque-Spiel, ein extrem riskantes Unterfangen. Wer die Dollarisierung wirklich will, das sind die internationalen Banken und diejenigen Dienstleistungsunternehmen, die in Dollar abrechnen und Gewinne überweisen können, also ein relativ geringer Teil der herrschenden Klasse. Etwa Mercado Libre [9], aber sicher nicht die Wirtschaftszweige, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind, und ich würde sagen, nicht einmal jene, die von Agrarexporten abhängen. Aber natürlich wäre die Dollarisierung im Sinn von Mileis Wirtschaftsprogramm und würde seine Position an der Spitze der Bande, die die Proteste der Bevölkerung mit Füßen tritt, festigen. Damit sind wir wieder bei meiner eingangs erwähnten Einschätzung. Auch wenn die herrschende Klasse nicht immer einverstanden ist, spielt sie mit, da sie eingesehen hat, dass Mileis Strategie der Protestbewegung eine Niederlage zufügen kann. Dann ist es auch egal, ob die Dollarisierung, wie in Ecuador, den üblen Beigeschmack des Drogenhandels hat oder, wie ebenfalls in Ecuador, im Zuge von „Corralitos“ [10] die Banken gestürmt werden. Selbst auf die Gefahr hin, dass China Kürzungen bei den Swaps vornimmt, haben wir es wieder mit einer zwiespältigen Haltung der herrschenden Klasse zu tun: der augenzwinkernden Zustimmung einerseits und einem angespannten Verhältnis andererseits.
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Wir befinden uns bereits im März. Wir haben vorhergesehen, dass es im März für die Regierung eng werden könnte. Glaubst du, dass es der Bewegung gelingen kann, durch Mobilisierungen und den aktuell aufkeimenden Widerstand von nun an das Tempo zu bestimmen, oder wird das noch lange so weitergehen? |
Die Würfel sind noch nicht gefallen. Wir wissen immer noch nicht, wer diesen Durchgang für sich entscheiden wird. Der Widerstand unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen wächst von Tag zu Tag: Die Universitätsjugend organisiert Molinetazos [11], es gibt Lehrerstreiks und Streiks des Bahn- und Flugpersonals. Meiner Ansicht nach hat der Streik der CGT [12] das Omnibusgesetz Nr. 1 verhindert. Noch ist offen, ob es einen neuerlichen Streik der CGT geben wird, um Omnibus Nr. 2 zu Fall zu bringen, aber wir warten alle darauf, dass die CGT endlich aufwacht und in Aktion tritt. Ich habe den Eindruck, dass sich ein gemeinsamer Widerstand abzeichnet, dass sich also die sozialen Bewegungen und verschiedene Strömungen der Linken mit Teilen des Kirchnerismus [13], die letzte Woche 500 Straßenblockaden organisiert haben, zusammentun. Am 24. März könnte es zum ersten Mal einen gemeinsamen Marsch geben. Es wird zwar zwei Aufrufe, aber nur einen einzigen Marsch geben.
Die Kämpfe gehen also weiter, und Milei ist es nicht gelungen, ihre Dynamik zu unterlaufen, zu unterdrücken oder aufzuhalten. Im Jahr 1984 hat Margaret Thatcher die Gewerkschaft der [britischen] Bergarbeiter endgültig zerschlagen. Ob Mileis von Thatcher inspirierter Plan, den Protesten der Bevölkerung einen strategischen Schlag zu versetzen, aufgehen wird, lässt sich noch nicht sagen. Bisher ist es noch nicht dazu gekommen, aber andererseits war auch die Bewegung nicht in der der Lage, Milei eine endgültige Niederlage zuzufügen, so wie 2017 bei Macris Rentenreform. Wir haben es jedenfalls mit einem Mann zu tun, der extrem gefährlich ist und der seinen Einsatz laufend erhöhen wird. Die Herausforderung für die Bewegung besteht darin, den Widerstand zu intensivieren und Milei mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Die argentinische Gesellschaft hat viel Erfahrung im Kampf gegen neoliberale Angriffe und hat schon oft bewiesen, dass sie sich erfolgreich wehren kann. Ich bin daher zuversichtlich, dass es gelingen kann, auch Milei zu besiegen.
Claudio Katz ist Ökonom, Forscher beim Nationalen Rat für wissenschaftliche und technische Forschung (Conicet), Professor an der Universität von Buenos Aires, Mitglied von Economistas de Izquierda und Menschenrechtsaktivist. Katz publiziert in argentinischen, mexikanischen und brasilianischen Medien. Er ist Autor zahlreicher Texte zur Analyse des aktuellen Kapitalismus und der globalen Wirtschaftskrise. |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2024 (Mai/Juni 2024). | Startseite | Impressum | Datenschutz