Die Tragödie in Valencia am 29. Oktober hat das zeitliche und geografische Zusammentreffen der multiplen Krisen versinnbildlicht: die Klimakrise, das vom Finanz- und Immobilienkapital gesteuerte Modell der Raumordnung und der zunehmende institutionelle Verfall des „Regimes von 78“ [1].
Manuel Garí
Die Beschleunigung der durch Treibhausgase – insbesondere CO2 und Methan – verursachten globalen Erwärmung mit ihren katastrophalen Folgen für die Menschheit ist unübersehbar. Dennoch befindet sich das mächtige Lager der Klimaleugner im öffentlichen Diskurs im Aufwind, gerade nach Trumps Wahlsieg und unter der finanziellen Ägide der Unternehmen, die am stärksten mit dem „fossilen Kapital“ verbunden sind und die das COP29-Treffen in Baku zynisch und schamlos für sich vereinnahmen. Steigende Temperaturen führen dazu, dass sich die Niederschlags- und Verdunstungsmuster in weiten Teilen der Erde verändern. Die Phänomene Wüstenbildung und sintflutartige Regenfälle sind zwei Seiten derselben Medaille.
Hochwasser in Catarroja (Valencia) |
Im Mittelmeer (geschlossenes Meer) herrschen in manchen Gebieten Temperaturen von 30 °C, und der allgemeine Durchschnitt steigt sowohl an der Oberfläche als auch in mittleren Tiefen immer weiter an. Es kommt zum Phänomen der Meereshitzewelle mit einer Verringerung der Sauerstoffmenge und dem konsekutiven Absterben von Korallen und Fischen. […] Gleichzeitig bindet die Atmosphäre für jedes Grad Celsius Temperaturanstieg 7 % mehr Wasser. Bei Wasseroberflächentemperaturen von über 27 ºC kann sich der Sturm zu einem Hurrikan entwickeln (mit seinem eigenen Namen: medicane: engl. Mediterranean hurricane), einer Art tropischem Wirbelsturm im Mittelmeerraum. Diese beiden Faktoren (steigende Wassertemperatur und vermehrt aufsteigende Feuchtigkeit) erklären das zerstörerische Potential einer DANA.
Das Phänomen DANA (Depresión Aislada en Niveles Altos, isoliertes Höhentief) hat in den letzten zwei Wochen in mehreren Regionen Ostspaniens Niederschläge von nie zuvor gemessener Intensität, Menge und zerstörerischer Gewalt verursacht. Wissenschaftler warnen davor, dass deren Häufigkeit zunehmen wird. Im konkreten Fall von Valencia sagt Félix Francés, Hydrologe an der Universität von Valencia, dass das Ereignis so außergewöhnlich ist, dass man 1000 bis 3000 Jahren zurückgehen müsste, um ein Ereignis dieser Intensität zu finden. Man darf also getrost mit Jeremy Rifkin sprechen, der das Mittelmeer als Brennpunkt des Klimawandels bezeichnet, obwohl es leider bereits viele „Brennpunkte“ gibt, an denen sich die globale Erwärmung in verschiedenen Formen zeigt.
Die DANA ist ein in der Region Valencia wohlbekanntes Wetterphänomen, aber sie hat nie die apokalyptischen Ausmaße erreicht, die wir jetzt erlebt haben. […] Im Laufe der Geschichte hat es im Mittelmeerraum viele bedeutende Zivilisationen gegeben, die auf Wasserressourcen basierten und aufgrund von Dürren zusammenbrachen. Ausnahmsweise können wir uns der Meinung des Konservativen François-René de Chateaubriand anschließen, wenn er sagt, dass „die Wälder den Zivilisationen vorausgehen und die Wüsten ihnen folgen“. Und wieder einmal stehen wir an einem Scheideweg in Spanien. Jahrelang war die DANA als „Kalter Tropfen“ bekannt und immer hieß es, dass die Auswirkungen durch besondere Maßnahmen abgemildert werden könnten. Aber weder im Kleinen noch im Großen wurde etwas unternommen.
Die DANA vom 29. Oktober zeigte, dass solche Wetterphänomene in einem aufgrund seiner geografischen Lage für den Klimawandel besonders anfälligen Land wie Spanien häufiger und intensiver auftreten werden. Es handelt sich um ein Phänomen, bei dem eine sehr kalte polare Luftmasse festsetzt und in sehr großer Höhe, zwischen 5000 und 9000 Metern, zu zirkulieren beginnt. Sie kommt in Kontakt mit riesigen Wasserdampfmassen, die durch Verdunstung aus dem Mittelmeer entstehen. Wenn sich diese Luftmassen über der Iberischen Halbinsel befinden und den Golf von Valencia erreichen, laden sie sich aufgrund der hohen Temperatur des Mittelmeers wieder auf. Dadurch bildet sich ein Zustrom von Stürmen, die in kurzer Zeit große Wassermengen in die Berge in Küstennähe befördern. Je mehr sich das Mittelmeer erwärmt, desto mehr Wasser verdunstet; und je mehr polare Luft aufgrund des Temperaturanstiegs anströmt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich eine kalte Luftmasse dort festsetzt. Ein perfektes Rückkopplungssystem. Paradoxerweise regnet es das ganze Jahr über weniger, aber die Niederschläge können zu einem bestimmten Zeitpunkt intensiver sein und länger anhalten.
In der Region Valencia und einem Großteil der spanischen Mittelmeerküste begünstigt die Beschaffenheit des Geländes das plötzliche Auftreten von Niederschlägen in den nahegelegenen Küstengebirgen. Flüsse und Bäche, die das ganze Jahr über nur wenig Wasser führen oder gar trocken fallen, dienen als Abflusskanal für die enormen Regenmengen. Doch diese atmosphärischen Phänomene, die durch den Klimawandel verschärft werden, haben verheerende Auswirkungen, wenn sie in einem kapitalistischen sozialen und politischen Kontext auftreten, in dem der Profit in verschiedener Hinsicht Vorrang vor den Interessen der gesellschaftlichen Mehrheit hat. Sagen wir es so: Das Unglück fällt nicht vom Himmel und ist auch keine göttliche Strafe.
Was wir erleben, sind die Auswirkungen einer wahnwitzigen Bebauungspolitik in Überschwemmungsgebieten, getrieben durch Spekulationen des Immobilienkapitals in den letzten fünfzig Jahren. Die vom spanischen Ministerpräsidenten [1999‒2004] José María Aznar von der rechten Volkspartei (PP) in den 1990er Jahren betriebene Liberalisierung aller verfügbaren Grundstücke, um den Bau von Wohnhäusern, Industrieanlagen und touristischen Einrichtungen zu fördern (die im Übrigen von den betroffenen Gemeinden nur unzureichend kontrolliert werden), erleichterte den Wohnungsbau in Überschwemmungsgebieten, die in der Region Valencia zwischen den Bergen und dem Meer liegen. Dreißig Prozent der seither in Spanien gebauten Sozialwohnungen befinden sich in solchen Überschwemmungsgebieten. Damit wurden 2500 km² und 3 Millionen Menschen dem Risiko potentieller Hochwasser ausgesetzt.
Hinzu kommt, dass die (von den großen Parteien regierten) Kommunalverwaltungen, die in ihren Gemeinden über bestimmte gesetzliche Befugnisse bei der Stadtplanung und den Bauvorschriften für Wohn- und Gewerbegebäude verfügen, bis auf wenige Ausnahmen nicht der Vernunft gefolgt sind. Im Gegenteil, da ihre Finanzlage sehr prekär war, finanzierten sie ihre Aktivitäten aus kommunalen Einnahmen und Steuern aus dem Baugewerbe und der Immobilienwirtschaft. Außerdem wurden entlang der gesamten Mittelmeerküste parallel zur Küste Autobahnen und Straßen sowie große Hotel-, Tourismus- und Wohnanlagen gebaut, die eine regelrechte Barriere von mehreren Kilometern bilden und den Abfluss von Wasser aus den Bergen und von Niederschlägen in dem betreffenden Gebiet ins Meer blockieren.
Die Kommerzialisierung des Bodens ohne rationale städtebauliche Kriterien in der Raumordnung führte vor allem zu der großen Immobilienblase, an der Banken und große Bauunternehmen im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts beteiligt waren. Daneben aber liegen auch die dramatischen sozialen Folgen auf der Hand.
Bei den Überschwemmungen in der Region Valencia hatte die Stadtplanung ohne Beachtung von Gesetzen und rationalen Kriterien verheerende Auswirkungen: Mehr als 200 Menschen kamen ums Leben, Häuser und Schulen wurden beschädigt, Industrieanlagen und landwirtschaftliche Nutzflächen zerstört. Hinzu kommen Schäden an der Infrastruktur wie Straßen, Brücken etc. in einem 56 000 Hektar großen Gebiet, in dem 230 000 Menschen in 75 Gemeinden leben und 10 % der Industrie- und Logistikunternehmen der Region Valencia angesiedelt sind. Die wirtschaftlichen Verluste in der Industrie und der Landwirtschaft sind noch nicht exakt beziffert, doch erste Schätzungen gehen bereits in die Milliarden Euro. Dennoch plante die regionale PP in den letzten Wochen wieder ein Gesetz, wonach Hotels 200 Meter statt wie bisher 500 Meter von der Küste entfernt gebaut werden dürfen.
Zweifellos hat sich Carlos Mazón, Mitglied der PP und Präsident der Generalitat de la Comunidad Valenciana (autonome Regionalregierung von Valencia), einer extremen Fahrlässigkeit mit Todesfolge schuldig gemacht, weil er nicht die angemessene Dringlichkeitsstufe verhängt und die gesetzlich vorgeschriebenen Warnungen an die Bevölkerung erst am späten Nachmittag verschickt hat, als die Lage bereits katastrophal war. Außer seiner politischen Verantwortung sollte er auch für seine kriminellen Handlungen strafrechtlich belangt werden.
Viele Unternehmer – die wahren „Eigentümer“ und heimlichen Führer der PP in ganz Spanien, aber insbesondere in Valencia – zwangen auf unmenschliche Weise ihre Beschäftigten, weiterzuarbeiten, obwohl das Gesetz vorschreibt, dass zur Vermeidung von Berufsrisiken in Notsituationen die Arbeit eingestellt werden muss. Wenn dies geschehen wäre, hätten viele Menschenleben gerettet werden können. Damit sind auch die Unternehmer strafrechtlich in der Verantwortung.
Die Regionalregierung besteht aus einer Koalition zwischen der konservativen PP, die sich zunehmend nach rechts außen entwickelt, und Vox, einer offen trumpistischen Gruppierung, die ohne Scheu eine hochgradig reaktionäre und autoritäre Politik nach dem Muster von Viktor Orban vertritt. Ihr wichtigster Führer, Santiago Abascal, wurde gerade zum Vorsitzenden der reaktionärsten europäischen Partei, Patrioten für Europa, gewählt. Auch wenn die beiden Parteien PP und Vox vor kurzem ihre Koalition in Valencia, in der von Anfang an die Leugnung des Klimawandels seitens der Vox in praxi Konsens zwischen den Partnern war, beendet haben, rückt die PP immer weiter nach rechts. Nach und nach übernimmt sie die Thesen der extremen Rechten oder setzt sie wieder auf ihre Tagesordnung: Migration, Kriminalität, Anti-Katalanismus etc.
Vox leugnet offen den Klimawandel, aber auch die PP zählt in ihren Reihen viele dummdreiste Leugner:innen wie Nuria Montes, Ministerin für Industrie, Handel und Tourismus der rechten Regionalregierung, die schamlos behauptet, dass der Klimawandel gut für Valencia ist, weil er die Sommersaison verlängert. Beide Parteien raten ab von der Abkehr von fossilen Brennstoffen, planen die Entwicklung von Industrie und Tourismus, ohne sich um die Folgen zu scheren, relativieren die Erderwärmung, haben den Katastrophenschutz in der Region zugunsten der barbarischen „fiesta de toros“ eingespart und paktieren offen mit der Bauwirtschaft.
Im Umgang mit der DANA bilden die beiden Parteien wie fast stets eine „Heilige Allianz“ gemeinsam mit offen nazistischen Gruppierungen und sind nur darauf aus, den Regionalpräsidenten Carlos Mazón und dessen Versäumnisse in der Notsituation zu entlasten. Der hatte die Warnungen der spanischen Wetteragentur (AEMET) und der Gewässeraufsicht, die rechtzeitig über den Ernst der Lage informierten, ignoriert, weil er in der Zwischenzeit ein ausgedehntes Mittagessen mit einem Journalisten einnahm. Mit der Entlastung von Carlos Mazón durch die rechten Hardliner geht es darum, der spanischen Zentralregierung die Schuld zuzuschieben, um Pedro Sánchez zu diskreditieren. [2]
Carlos Mazón ist entgegen der lautstarken Forderungen der Bevölkerung nicht zurückgetreten. Die PP als Ganzes ist – wie schon in der Vergangenheit [3] – dabei, die Verantwortung „auszulagern“, selbst auf Kosten nicht nur der Wahrheit, der Politikmüdigkeit unter der Bevölkerung oder der Aufkündigung bestehender Vereinbarungen mit der Herbeiführung einer Krise in der Europäischen Union zwei Monate vor Trumps Amtsantritt. Mit anderen Worten: Die spanische PP hat ihr Gezänk auf die europäische Ebene verlagert und damit wahrscheinlich nicht nur eine [vorübergehende] institutionelle Krise ausgelöst, sondern auch einen weiteren Rechtsruck der Europäischen Volkspartei und ihrer Annäherung an autoritäre Kräfte eingeleitet.
Dabei hat sie wieder einmal die alten Nazi-Taktiken von Trump übernommen, nämlich eine Lüge als Wahrheit auszugeben und „alternative“ Fakten zu schaffen. Eine Taktik, mit der sie sich als äußerst erfolgreich erwiesen haben. Es ist kein Zufall, dass die meisten Berater, die die PP in allen Bereichen betreuen, Experten für politische Kommunikation sind, ohne jegliche Sachkenntnis der politischen Themen. Es geht nur darum, die Kommunikationsebene zu dominieren und den Schein zu wahren.
Im Hintergrund stehen dabei die wirtschaftliche Stagnation und die permanente Krise auf institutioneller Ebene, bei der die politischen Erben des Franquismus mit der Duldung eines Großteils des Staatsapparats – Parallelstrukturen in der Polizei, Justiz etc. – bestrebt sind, das politische Leben auf die juristische Ebene zu verlagern, um die Zentralregierung, aber auch und vor allem soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Unabhängigkeitsbewegungen und die revolutionäre Linke zu unterdrücken. Das strategische Ziel besteht darin, jeglichen Widerstand der Bevölkerung zu zerschlagen, ohne auf einen Staatsstreich zurückgreifen zu müssen, indem man einfach die Mechanismen der sogenannten liberalen Demokratie nutzt. Das Ziel dieses autoritären Neoliberalismus ist es, die sozialen und politischen Kräfteverhältnisse zu ändern, um die politischen und Arbeitsrechte weiter schwächen und die Deregulierung der Arbeit forcieren zu können, damit die Profitrate steigt.
Die politischen Rahmenbedingungen sind gekennzeichnet durch die Schwäche, die Kapitulation, die Demobilisierung und die Desorganisation der Arbeiterklasse und der sozialen Bewegungen. Der durch die Bewegung der Empörten 2011 eröffnete politische Zyklus, der zur Bildung von Organisationen wie Podemos führte, endete mit einem völligen Versagen der populistischen Politiker, die diese Bewegung in institutionelle Bahnen kanalisiert hatten, und einer Rückkehr zum alten Zweiparteiensystem des 78er-Regimes. Heute sind die sozialen Mobilisierungen sehr schwach und die großen Gewerkschaften haben es aufgegeben, dabei eine organisierende Rolle zu spielen.
Der Führung der etablierten Gewerkschaften geht es nur um eine konzertierte Aktion mit den immer aggressiveren und reaktionäreren Unternehmerverbänden. Zugleich sieht man, dass die linke Wählerbasis in Resignation verfällt, angesichts des wachsenden Einflusses der rechten und teils auch der rechtsextremen Kräfte. Damit einher geht eine wachsende Ablehnung des Kollektivgedankens und der „Politik“, was einen guten Nährboden für rechtsextreme Organisationen darstellt. Der Wunsch nach einem „Erlöser“, selbst auf Kosten der Freiheit, ist der Keim eines autoritären Staates.
Die sozialliberale Regierung von Pedro Sánchez trägt eine große Verantwortung für diese Situation. Sie beschränkt sich auf ein paar Brosamen für die Arbeiterklasse, ohne die zugrunde liegenden Probleme anzugehen und ihre Wahlversprechen einzuhalten: z. B. die Aufhebung des repressiven „Knebelgesetzes“ (Polizeigesetz zum „Schutz der öffentlichen Sicherheit“, das im Juli 2015 in Kraft getreten ist) oder die Bekämpfung des strukturellen Defizits im Wohnungswesen etc. Dabei wächst die Kluft zwischen Löhnen und Sozialleistungen trotz deutlichen Wachstums der spanischen Wirtschaft weiter.
Für die unmittelbaren Folgen der Flutkatastrophe trägt die Zentralregierung zwar nicht die gleiche Verantwortung wie die Regional-Regierung von Valencia, für die grundlegenden Probleme aber ist sie nicht minder verantwortlich. Sie hat während ihres Mandats nichts unternommen, um eine rationale Raumordnung zu regeln und auch keine Dringlichkeitsmaßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen. Auch wenn sie sich als Vorkämpfer für den ökologischen Wandel präsentiert, hat sie bezeichnenderweise die Abkehr von fossilen Energieträgern nicht ernsthaft in Angriff genommen. Stattdessen hat sie sogar staatliche Beihilfen in Höhe von mehr als 10,5 Milliarden Euro an Unternehmen gewährt, die von den fossilen Energieträgern profitieren.
Zugleich verschanzt sie sich hinter der Klärung der Zuständigkeit von Zentral- und Regionalregierung, wenn es um konkrete Hilfe geht. Juristisch mag dies ein logisches Argument sein, doch im Moment der Katastrophe versteht es niemand, insbesondere die Betroffenen nicht, die sich nicht mit der Frage nach Zuständigkeiten aufhalten, sondern denen es darum geht, nach den Vermissten zu suchen, die Toten zu begraben, Wasser und Lebensmittel zu beschaffen, die Stromversorgung wiederherzustellen oder die verstopften Fahrbahnen von Zehntausenden von Autos freizumachen, die durch die Flut zerstört worden sind. Wieder einmal wird deutlich, dass der sogenannte „Staat der Autonomien“, der zwischen Zentralismus und Föderalismus schwankt, schlichtweg dysfunktional ist.
Hätten Gewerkschaften und weithin sichtbare Bürgerinitiativen eine andere Rolle spielen können? Ja, auf jeden Fall. Sie hätten vom ersten Moment an dazu aufrufen müssen, sich in Sicherheit zu bringen und die Arbeitsplätze zu verlassen, wie es beispielsweise die Lehrer:innen und Studierenden der Universität Valencia getan haben. Die Gewerkschaften nutzten, wie bereits erwähnt, nicht einmal das Gesetz zur Verhütung von Berufsrisiken. Sie hätten stattdessen sofort Brigaden organisieren können, um die betroffenen Bevölkerungsgruppen zu unterstützen und – weiter noch – die Selbstorganisation der Bevölkerung zur Bewältigung der Katastrophe fördern können.
Die Linke hätte von Anfang an die Enteignung der Mittel zur Katastrophenbewältigung – Maschinen, Einrichtungen, Hotels, Lebensmittel etc. – vorantreiben können. Sie haben es nicht getan, weil solche grundlegenden Konzepte aus der Agenda und dem Horizont der meisten linken Kräfte verschwunden sind.
Hätte der staatliche Katastrophenschutz schneller handeln können? Jenseits aller juristischen Debatten über die Zuständigkeiten der verschiedenen Behörden bin ich der Meinung, dass dies der Fall gewesen wäre – auch auf die Gefahr hin, dass von der Rechten wieder abstruse Anschuldigungen gekommen wären. Die Frage lautet: Sollten die Streitkräfte (Heer, Luftwaffe und Marine) ein Monopol auf die Ressourcen haben, die der vom ehemaligen sozialdemokratischen Premier José Luis Rodríguez Zapatero [2004–2011] geschaffenen militärischen Notfalleinheit zur Verfügung stehen? Die Antwort ist eindeutig: Die staatlichen Katastrophendienste müssen und können zivil sein, wie beispielsweise die Feuerwehr in jeder Stadt oder Region, die für Brände und andere Notfälle zuständig ist.
Die spontane Reaktion der Bevölkerung in puncto Solidarität und gegenseitiger Unterstützung war jedoch spektakulär. Obwohl nur wenige soziale und politische Organisationen die Initiative ergriffen hatten, um die Sammlung von Hilfsmitteln und den Einsatz von Freiwilligen vor Ort zu organisieren, strömten Tausende von jungen und alten Menschen herbei, wobei die Frauen eine besonders zentrale Rolle spielten, und stürzten sich mit ihren spärlichen Mitteln in den Schlamm, um ihren Nachbarn zu helfen.
Unter diese bunte Schar mischten sich faschistische Trupps und reaktionäre Fake-Fabrikanten, die durch eine geschickte Werbekampagne in den sozialen Netzwerken, die auch von einigen rechten Medien (Presse, Fernsehen und Radio) unterstützt wurde, Einfluss gewinnen und ihre Positionen verbreiten wollten. Ungestraft – wie die Nazis in der Vergangenheit – versuchten sie, ihren Begriff vom Volk durchzusetzen, und wie ihre Vorgänger waren sie so dreist, Parolen zu übernehmen und zu missbrauchen, die bis dahin das Erbe der Linken waren: „Nur das Volk kann das Volk retten“, eine Parole, die nach der Krise von 2008 als Banner für die sozialen Mobilisierungen diente. Ähnlich verhielt es sich mit dem internationalen Slogan „Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden“. Kurz gesagt, sie schürten eine Konfrontation, die sich auf das Unbehagen und die Wut der Menschen stützte, und versuchten so, den Diskurs zu dominieren. In der aktuellen europäischen und globalen Situation dürfen wir diese Vorgehensweise nicht ignorieren.
Natürlich drängt sich in diesem Zusammenhang eine Grundsatzdebatte auf: Kann man unter diesen Umständen und folglich bei einem ökologisch-sozialen Wandel auf den Staat verzichten und sollte man nicht von den Regierungen verlangen, dass sie handeln? Meine Antwort lautet: Nein. Kurzfristig, inmitten einer Krise wie der Flutkatastrophe, ist das Eingreifen des Staates (unabhängig davon, wer regiert) notwendig, um die erforderlichen materiellen Ressourcen zu mobilisieren. Bei einem künftigen ökologisch-sozialen Wandel wird eine Kombination aus staatlicher Machtübernahme und gesellschaftlicher Selbstorganisation und Selbstverwaltung erforderlich sein. Und nur so kann gleichzeitig und in der Folge eine selbstverwaltete sozialistische Demokratie aufgebaut werden, die in der Lage ist, die gesamte Gesellschaft in die für die demokratische Planung notwendigen Entscheidungen einzubeziehen.
Was kann eine kleine revolutionäre Organisation angesichts der aktuellen dramatischen Situation in Valencia tun?
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In erster Linie solidarisch sein und den Betroffenen, unserem Volk, zur Seite stehen, angefangen damit, uns an den Rettungs- und Überlebensmaßnahmen vor Ort zu beteiligen. Und Spenden sammeln, um den dringendsten Bedarf zu decken und den schwächsten unter den Betroffenen zu helfen, da die Auswirkungen der Flutkatastrophe natürlich auch unterschiedlich stark entlang der sozialen Zugehörigkeit sind. Zur politischen Agitation gehören auch solche elementaren Dinge und das wurde auch von verschiedenen sozialen Organisationen und einigen (wenigen) linken politischen Organisationen aufgegriffen. Es gab eine regelrechte Mobilisierung unter den Jugendlichen, um vor Ort zu helfen, und nur wenn man mit ihnen zusammen war, konnte ihre Solidarität auch politisch gewendet werden. Faschisten aus verschiedenen Organisationen tauchten in den betroffenen Dörfern auf, um dort ihre Propaganda zu verbreiten.
Zweitens: Im Gegensatz zur Mehrheit der gewerkschaftlichen und linken politischen Kräfte, die behaupten, dass es nicht an der Zeit sei, politisch zu agitieren oder die Bevölkerung zu mobilisieren, und dass man nur den Schmerz begleiten müsse, behaupten wir, die Anticapitalistas, dass materielle Hilfe (und Empathie) nicht unvereinbar sind mit dem sofortigen Eintreten für Übernahme politischer Verantwortung und Mobilisierung der Arbeiter:innen. Aus diesem Grund haben wir das Bündnis der sozialen Organisationen, die eine Massenmobilisierung auf der Straße vorbereitet haben, unterstützt. Wir dürfen das Wort nicht nur den institutionellen Vertretern der großen Medien oder den Lügnern der von Faschisten betriebenen sozialen Netzwerke überlassen.
Drittens und gleich zu Beginn haben wir durch Propaganda und Agitation eine Reihe von Sofort- und Übergangsforderungen zur Verteidigung der betroffenen Arbeiter:innen verbunden mit einer ökosozialistischen Perspektive verbreitet. Dabei wandten wir uns besonders an die Jugend, um den Faschisten nicht das Feld zu überlassen und um die Wut der Bevölkerung in Energie zu verwandeln.
Die Demonstration am 9. November in Valencia zeigt, dass ein Großteil der Bevölkerung aufgebracht ist über das Verhalten der Regionalregierung bei der Flutkatastrophe. Aufgerufen von etwa 20 kleinen sozialen Organisationen und ohne die Unterstützung der großen Gewerkschaften oder der großen linken Parteien, gingen dabei 200 000 Einwohner:innen auf die Straße, gefolgt von solidarischen Aktivist:innen aus ganz Spanien. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
aus: A l’Encontre vom 18.11.2024 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2025 (Januar/Februar 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz