Geschichte

Die Trotzkisten in Buchenwald

Im vergangenen Monat hatten wir die "Erklärung der Internationalistischen Kommunistischen Buchenwalds" vom 20. April 1945 nachgedruckt, deren politische Vorstellungen sich scharf von denen der stalinistischen und sozialdemokratischen Häftlinge unterschieden. Der Text wurde Fritz Keller zufolge im befreiten Lager hektographiert und verteilt. [1] Über seine Verfasser und die Hintergründe seines Entstehens gibt der folgende Artikel Auskunft.

Rodolphe Prager

So überraschend es erscheinen mag, dieses Dokument, das einen schon aus der Fassung bringen kann und das aus der Hölle von Buchenwald kommt, dieses Zeugnis eines unbeugsamen Internationalismus und eines nicht zu brechenden revolutionären Willens ist bislang in Frankreich nicht bekannt gewesen. Nur der Schlußteil ist 1946 in der ersten deutschsprachigen Zeitung, die nach dem Krieg veröffentlicht wurde und in der Schweiz erschien, in Neuer Spartakus, [2] abgedruckt worden. Nach langen Forschungen in mehreren Ländern Europas ist jetzt ein Exemplar des vollständigen Texts gefunden worden. Für diesen Sachverhalt gibt es verschiedene Erklärungen. Vielleicht sind nur ein oder zwei Exemplare aus dem Lager mitgenommen worden und dann nach Österreich oder in die Schweiz gelangt. Die französischen Genossen, die aus dem Lager herausgekommen sind, haben den Text jedenfalls nicht nach Frankreich mitgebracht.

Die Erklärung ist von zwei österreichischen Genossen, Ernst Federn und Karl Fischer, sowie von Florent Galloy und Marcel Beaufrère, Mitglied der belgischen bzw. der französischen Sektion der IV. Internationale, erarbeitet worden; sie bildeten im Lager eine internationale trotzkistische Zelle. In bezug auf die politische Formulierung ist sie das Ergebnis eines gewissen Kompromisses vor allem zwischen Karl Fischer und Beaufrère, die sehr unterschiedliche Auffassungen zum Charakter des Regimes in der UdSSR vertraten; Karl Fischer war zum Beispiel der einzige in der Gruppe, der die beiden Sprachen beherrschte, und er hat zweifelsohne einen entscheidend Anteil an dem Abfassen des Texts gehabt.

Die Befreiung des Lagers, die dank der Militärorganisation der Konzentrationslagerhäftlinge am 11. April 1945 stattfand, zwei Tage bevor die ersten US-amerikanischen Kontingente eintrafen, hatte zunächst, wie man sich vorstellen kann, im Lager eine ungeheure Begeisterung ausgelöst. Doch die deutschen politischen Gefangenen wurden sich schnell darüber im klaren, welche Wendung die Ereignisse nahmen, und verfielen in Verzweiflung. Die US-Armee entsandte unverzüglich Panzer als Verstärkung und ließ die stark bewaffneten Milizen der Häftlinge umgehend entwaffnen. Politische Versammlungen waren verboten. Es war keinerlei Bereitwilligkeit an den Tag gelegt, die Häftlinge bald nach Hause zurückzubringen; eine große Zahl von ihnen starben, da sie am Ende ohne Versorgung geblieben waren. Die Sozialdemokraten veröffentlichten als erste eine Erklärung, in der sie vor der Welt die kollektive Verantwortung des gesamten deutschen Volkes für die Verbrechen des Hitlerregimes anerkannten. "Alte deutsche Kommunisten sind zu unseren trotzkistischen Genossen gekommen, erklärte Beaufrère nach seiner Rückkehr nach Paris, und sie haben zu ihnen gesagt: Es ist an der Zeit, ihr müßt öffentlich auftreten, und sie haben eine vorherige politische Diskussion haben wollen. Ein Text unserer deutschen Genossen, der sich für eine deutsche Sowjetrepublik aussprach, hatte bei den deutschen kommunistischen Genossen einen tiefen Widerhall, sie wollten den Kontakt zu den Trotzkisten weiterführen." (La Vérité, Paris, 11. Mai 1945.) Das erklärt ein wenig, unter welchen Umständen der Text zustande kam.

Bald wird eine Ausgabe der Buchenwalder L'Humanité mit dem Datum 22. April verbreitet, sie ist natürlich, wie es sich gehört, in einem ultra-patriotischen Ton gehalten: "Einzig die PCF ist imstande, Frankreich wieder aufzurichten und die Einheit der Franzosen herzustellen. Weil ich mein Land liebe, trete ich der PCF bei." Aufgrund des Kontakts mit deutschen Aktiven ist "L'Huma" jedoch dagegen, das antifaschistische Deutschland mit dem von Hitler gleichzusetzen, und spricht sich gegen drakonische Bedingungen in der Art eines neuen Versailler Vertrages aus. Dazu ist zu bemerken, daß der unmäßige Chauvinismus der Mitglieder der PCF die deutschen Kommunisten verstimmte, die zum Teil für die Sprache der Trotzkisten empfänglicher waren, und dies führte dazu, daß es zu gespannten Beziehungen kam.

Eines der obersten Anliegen der "Erklärung", die ganz auf die deutsche Revolution ausgerichtet ist, ist es, Schuldzuweisungen zurückzuweisen, die dem deutschen Volk eine Mitverantwortung für die Nazigreuel zuschieben, deren erstes Opfer die deutsche Arbeiterbewegung geworden war, und die dazu dienten, die Zerstückelung Deutschlands zu bemänteln. Sämtliche Hoffnungen auf die europäische und die Weltrevolution, die die Trotzkisten zu dieser Zeit hegten, gründeten sich auf die Rolle eines Motors, die dem deutschen Proletariat zugedacht war. Die Alliierten - einschließlich der UdSSR - taten alles, um dieser Gefahr vorzubeugen. Der wahnwitzige Chauvinismus der großen Arbeiterorganisationen trug dazu bei, daß die deutschen Werktätigen in Uniform keine andere Perspektive erblickten und sie sich bis zuletzt um den Generalstab der Wehrmacht zusammenschweißten. Es trifft jedoch zu, daß das deutsche Proletariat durch die Schrecken, die es lange Jahre der Naziherrschaft und des Kriegs hindurch erlitten hatte, zutiefst mitgenommen, geschwächt und demoralisiert war. Das große Aufbäumen, mit dem auch die deutschen kommunistischen Kader in den Lagern rechneten, konnte unter diesen Bedingungen nicht stattfinden. Dies wirkte sich nachhaltig auf die Perspektiven der europäischen Revolution aus.

Schließlich ist die Aufnahme der Hauptthemen des Übergangsprogramms in den Text festzuhalten. Der politische Scharfsinn und die Standfestigkeit der Genossen, die zu Skeletten heruntergekommen waren, die noch immer davon bedroht waren, daß sie jeden Augenblick versterben konnten, verdienen allergrößte Achtung. Was noch bleibt, ist, etwas mehr über diese Menschen und ihren politischen Werdegang zu sagen und auch an die ausgemergelten Trotzkisten zu erinnern, deren Sprecher die "Vier" gewissermaßen waren, obwohl ihre Genossen voneinander isoliert waren.

Man sollte wissen, daß Ernst Federn bereits seit Mai 1938 in Haft war, zuerst in Dachau, dann [ab September 1938] in Buchenwald. [3] Als Beaufrère ihn 1944 kennenlernte, hatte er den Eindruck, vor ihm stehe ein alter Mann, während beide 30 Jahre alt waren. Die Lagerordnung war anfänglich, vor dem Eintreffen der ausländischen Deportierten in großen Zahlen, viel schärfer. Federn hatte außerdem unter der Verfolgung seitens österreichischer und deutscher stalinistischer Kader zu leiden, die für den Tod einer ganzen Reihe von oppositionellen Genossen verantwortlich waren. Es ist ein Wunder, daß er davonkam. Beaufrère, der unter dem Namen "Ferdinand Lestin" verhaftet worden war und im Lager saß, fand in seinem "Block" Kontakt zu einem Deutschen, Mitglied der (linkssozialistischen) Sozialistischen Arbeiterpartei, der ihm eines Tages von seinen Fahrten nach Paris erzählte, wo er Pierre Naville [4] traf. Erst da legte Beaufrère seine Zugehörigkeit zum Trotzkismus offen (Vorsicht war oberstes Gebot), und der Freund von der SAP erbot sich sofort, ihn mit einem österreichischen Trotzkisten in Kontakt zu bringen. Auf diese Weise lernte Beaufrère Ernst Federn kennen.

Karl Fischer seinerseits hatte schon zur selben Zeit wie Federn in Wien im Gefängnis gesessen, im November 1935. [5] Das Verfahren gegen Federn wurde eingestellt, und er wurde freigelassen, während Fischer als Verantwortlicher der Revolutionären Kommunisten [6] und Redakteur der Zeitung Bolschewik zusammen mit anderen Genossen im August 1937 vor Gericht stand, sozusagen als gefährlicher trotzkistischer Agitator. Die Angeklagten bekannten sich stolz zu ihrer trotzkistischen Aktivität, was ihnen 5 Jahre schweren Kerker eintrug. Als sie am Vorabend des Hitlerschen Anschlusses von Österreich, im Februar 1938, amnestiert wurden, emigrierten sie zuerst nach Belgien, dann nach Frankreich. Karl Fischer nahm an der Gründungskonferenz der IV. Internationale im September 1938 teil, doch seine Gruppe der Revolutionären Kommunisten vertrat ultralinke Positionen und entwickelte dann unter der Besatzung eine anhaltende, sehr mutige Aktivität abseits von der trotzkistischen Bewegung. Nachdem er im Juni 1944 [in Paris von der Gestapo] verhaftet worden war, traf er Ernst Federn in Buchenwald wieder.

Als Mitglied der Parti Socialiste Révolutionnaire (PSR), der belgischen Sektion der IV. Internationale und Bergarbeiter aus der Gegend von Charleroi hatte Florent Galloy in Spanien gekämpft. Er hatte einen bedeutenden Anteil an der Untergrundaktivität der trotzkistischen Organisation in Belgien, deren Bastion in Charleroi war und die außer ihrem Organ La Voie de Lénine (Lenins Weg) ein gedrucktes Blatt mit dem Titel Le Réveil des mineurs und dem Untertitel "Organe de la Fédération de lutte des mineurs de Charleroi" (Das Erwachen der Bergleute, Organ des Kampfverbands der Bergleute von Charleroi) herausgab. Die illegale Bewegung der Bergarbeiterdelegierten, die von unseren Genossen initiiert wurde, dehnte sich 1944 auf 15 Zechen aus. Die Organisation beschloß im Hinblick auf die großen Kämpfe im Gefolge der Landung der Alliierten auf dem Kontinent, daß ihr führender Kopf, Abraham Léon, ganz nach Charleroi zog. Im Juni 1944 bezog er ein Haus, in dem Galloy wohnte, und bereits am ersten Abend wurde er dort von einer Patrouille der Feldgendarmerie gefaßt, die unvermutet in das Haus eindrang, weil es schlecht verdunkelt war. Galloy und anderen Genossen gelingt es, durch eine zweite Tür zu entwischen, aber es wird aktiv nach ihm gefahndet, und er wird am 16. Juli auch verhaftet, am 9. August trifft er in Buchenwald ein. Ein junger Genosse von der trotzkistischen Gruppe in Brest lernt ihn in der belgischen Baracke kennen und stellt ihn Beaufrère vor. Das Leben des bewundernswürdigen Menschen, des vielversprechenden Leitungsmitglied A. Léon endete in den Krematorien von Auschwitz. [7]

Und Marcel Beaufrère befand sich seit dem 21. Januar 1944 mit einem Dutzend junger Aktiver aus Brest in Buchenwald; sie waren am 6. bzw. 7. Oktober 1943 aufgrund einer Anzeige verhaftet worden, nachdem sie Zersetzungsarbeit in der deutschen Armee geleistet und eine Zelle von Soldaten der Wehrmacht gebildet hatten, die Flugblätter und Zeitungen auf deutsch verbreiteten. Beaufrère war Leitungsmitglied der zur IV. Internationale gehörenden Jeunesses socialistes révolutionnaires und bereits von August 1939 bis Juni 1940 im Gefängnis gewesen. [8] Er arbeitete seit seiner Freilassung an der Seite von Marcel Hic an dem Wiederaufbau der Untergrundorganisation, mußte 1942 nach Bordeaux fliehen, um sich den Verfolgungen der Gestapo zu entziehen, und wurde im September 1943 [vom Politischen Büro der POI] damit beauftragt, die Leitung der Region Bretagne und insbesondere der "deutschen Arbeit" zu übernehmen, die in Brest von Robert Cruau aufgezogen worden war. Im Oktober gingen der Gestapo 20 Personen ins Netz, ebenso viele deutsche Soldaten wurden festgenommen und wahrscheinlich füsiliert. Parallel hierzu wurde ein Teil der nationalen Leitung in Paris gefaßt: Marcel Hic, David Rousset, Philippe Fournié, Roland und Yvonne Filliatre. Die Genossinnen und Genossen wurden in Rennes und in der Rue des Saussaies in Paris lange gefoltert. Robert Cruau täuschte kurz nach seiner Festnahme einen Fluchtversuch vor und wurde erschossen. Er wollte sicher sein, daß er nicht sprechen würde, und er war der am schwersten Belastete. Ein Teil der "Bretonen" wurde bald darauf nach Dora verlegt, die anderen blieben mit Beaufrère zusammen. Filliatre und Hic, die ihre Zugehörigkeit zur IV. Internationale nicht verbargen, kamen mit Zustimmung von Kadern der KPD, die im Lager Verwaltungsaufgaben versahen, ebenfalls nach Dora. Marcel Hic, Georges Berthomé, Helfer von Cruau, und Yves Bodenès, ein Arbeiter im Arsenal von Brest und Mitglied der Regionalleitung, kamen um. Die Solidarität, der wechselseitige Beistand von trotzkistischen Häftlingen ermöglichte anderen das Überleben.

An den letzten Tagen von Buchenwald vereitelte die trotzkistische Zelle eine von der SS angeordnete Versammlung der Juden, die mit Sicherheit zu einem gigantischen Massaker geworden wäre, und sie gab die Parole aus, daß die "Politischen" ihre roten Dreiecke an die Juden weitergeben, die ihre gelben Sterne loswerden müssen, um sich der SS entziehen zu können.

Ernst Federn, der nicht das Risiko eingehen konnte, unter der sowjetischen Besatzung nach Wien zurückzukehren, konnte mit Florent Galloys Hilfe nach Belgien gelangen. Karl Fischer hatte dieselbe Angst, doch Marcel Beaufrère bestand darauf, daß er nach Österreich zurückginge, damit der seit Jahren unterbrochene Kontakt zu den trotzkistischen Organisationen dort wieder aufgenommen würde. Diese Rückkehr sollte für Karl Fischer fatal werden, am 22. Januar 1947 wurde er in der Nähe von Linz [vom NKWD] in Komplizenschaft mit österreichischen Stalinisten entführt und dann den russischen Besatzungstruppen übergeben. Er wurde in die UdSSR transportiert und wegen antisowjetischer Umtriebe zu 15 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. Er blieb acht Jahre in Kolyma und in Irkutsk. Schließlich erreichte die österreichische Regierung im Juni 1955 seine Freilassung. Mehrere Male besuchte er seine Genossen in Frankreich, vor allem Beaufrère. Nachdem er zehn Jahre in Haft zugebracht hatte, starb er früh, im Alter von 45 Jahren.

Wir ehren das Andenken an den Hauptverfasser der "Erklärung der internationalistischen Kommunisten von Buchenwald" und der dort umgekommenen Trotzkisten, die allzu oft mit der Barbarei des SS-Universums zu tun hatten - und sich gleichzeitig vor den stalinistischen Nachstellungen in Acht nehmen mußten. Für sie lauerte der Tod auf beiden Seiten.

Dieser Text erschien zuerst als Kommentar zu der ersten französischen Publikation des Dokuments in einer Ausgabe der theoretischen Zeitschrift Critique Communiste, die dem 40. Jahrestag der Gründung der IV. Internationale gewidmet war.
Aus dem Französischen übersetzt, mit Ergänzungen [in eckigen Klammern] und mit Anmerkungen von Friedrich Dorn.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 284 (Mai 1995).


[1] Fritz Keller, In den Gulag von Ost und West. Karl Fischer, Arbeiter und Revolutionär, Frankfurt/M.: isp-verlag, 1980, S. 88.

[2] Neuer Spartakus wurde herausgegeben von der "Gruppe Neuer Spartakus (IV. Internationale)"; es sind drei Ausgaben aus dem Zeitraum März 1946 bis Juni 1946 bekannt (Angaben nach: Trotskyist Serials Bibliography, 1927-1991, hrsg. von Wolfgang und Petra Lubitz, München usw.: K. G. Saur, 1993, S. 187).

[3] Ernst Federn wurde 1914 in Wien als Sohn des Psychoanalytikers Paul Federn geboren. Er studierte Jura; er trat den "Revolutionären Sozialisten", den illegalen linken Sozialdemokraten, bei und wurde dann für die Gruppe der "Bolschewiki-Leninisten" gewonnen, die als "trotzkistische" Fraktion in den RS arbeiteten. Im März 1936 wurde er unter dem austrofaschistischen Regime wegen des Verdachts der Betätigung für die RS verhaftet, aber im Juli 1936 aufgrund einer Amnestie wieder entlassen; nach einer erneuten Verhaftung im November desselben Jahres wurde er im Juni 1937 wegen Mangels an Beweisen entlassen. Im März 1938 wurde er von der Gestapo verhaftet. Von Mai 1945 bis Ende 1947 lebte er in Brüssel; anschließend gab er die politische Arbeit auf und ging in die USA, er studierte und arbeitete dort als Familienberater und Sozialtherapeut. 1972 kehrte er nach Wien zurück, wo er seither als sozialpsychologischer Berater für den österreichischen Strafvollzug tätig ist.
Von ihm liegen zahlreiche Veröffentlichungen auf deutsch und englisch zu psychoanalytischer Sozialarbeit und zur Geschichte der Psychoanalyse vor. Im Herbst vergangenen Jahres erschien ein ausführliches Porträt, das vorwiegend seine psychologischen Aktivitäten berücksichtigt: Tomas Plänkers, Vertreibung und Rückkehr. Interviews zur Geschichte von Ernst Federn und der Psychoanalyse, Tübingen: edition diskord, 1994.

[4] Pierre Naville (1904-1993), französischer Intellektueller, 1929 Mitbegründer der Ligue Communiste, der ersten "trotzkistischen" Organisation in Frankreich, bis 1939 führendes Mitglied der französischen Sektion und der Internationalen Linken Opposition bzw. IV. Internationale, nach dem Zweiten Weltkrieg als Forscher (Psychologie, Automatisierung, Analyse der Sowjetgesellschaft) tätig, 1960 Mitbegründer der PSU (Vereinigte Sozialistische Partei), 1961-1969 Mitglied der Nationalen Politischen Kommission der PSU.

[5] Das Leben von Karl Fischer (1918-1963) wird in Fritz Kellers Buch In den Gulag von Ost und West, in dem die Erklärung der Buchenwalder internationalistischen Kommunisten zuerst auf deutsch erschienen ist, ausführlich dargestellt.

[6] Die RKÖ entstanden Ende 1935, nachdem eine geheime "Linksfraktion" im KJVÖ sich aufgrund der Rechtswende der Kommunistischen Internationale (anstatt "Sozialfaschismus" nun Politik der "Volksfront", VII. Weltkongreß August 1935) vom Stalinismus getrennt und Kontakt zur Bewegung für die IV. Internationale aufgenommen hatte. Sie gab ab Februar 1936 die (illegale) Zeitung Bolschewik heraus und arbeitete 1937/1938 mit dem Internationalen Sekretariat, der Schweizer MAS und der tschechischen (sudetendeutschen) IKCSR an Der einzige Weg - Zeitschrift für die Vierte Internationale mit. Auf der Gründungskonferenz der IV. Internationale sprachen sich Karl Fischer und Georg Scheuer als Delegierte der RKÖ gegen den "Proklamierungsschwindel" aus; ab Mai 1939 gab die Auslandsvertretung der RKÖ zusammen mit einigen belgischen, französischen und deutschen Gruppen, die in Opposition zum Internationalen Sekretariat standen, ein zweisprachiges Bulletin Oppositionel heraus. Zu Differenzen über die Einschätzung der internationalen Lage kamen rasch tiefe Meinungsverschiedenheiten über die Kriegspolitik und die Einschätzung der Sowjetunion (bei der sie sich u.a. an Ansätzen von Ante Ciliga orientierten, die ihnen durch Arkadi Maslow vermittelt wurden) hinzu. Während des Zweiten Weltkriegs entfalteten Kader der RK in Frankreich eine umfangreiche Untergrundtätigkeit; nach dem Kriegsende konnten sie sich nicht reorganisieren.
Für weitere Informationen siehe Fritz Kellers Buch über Karl Fischer, den ersten Teil der Erinnerungen eines anderen führenden Genossen der RKÖ (Georg Scheuer, Nur Narren fürchten nichts. Szenen aus dem dreißigjährigen Krieg 1915-1945, Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1991) sowie die Skizze in einer Untersuchung von Fritz Keller (Gegen den Strom. Fraktionskämpfe in der KPÖ Trotzkisten und andere Gruppen, 1919-1945, Wien: Europaverlag, 1978, S. 141-148).

[7] Das Leben von Abraham Léon (1918-1944) ist von Ernest Mandel in einem Nachwort zur ersten englischsprachigen Ausgabe (1949) von dessen bedeutendem Werk zur materialistischen Konzeption der Judenfrage (abgeschlossen im Dezember 1942, geschrieben unter den Bedingungen der deutschen Besatzung, deutsche Ausgabe: Judenfrage und Kapitalismus, München: Trikont Verlag, 1971) skizziert worden (deutsch in: Zur jüdischen Frage, Frankfurt/M.: ISP-Verlag, 1977, S. 5-16). A. Léon kam 1940 von der radikalen sozialistisch-zionistischen Organisation Hashomer Hazair (Junge Garde) zur PSR.

[8] Marcel Baufrère (geschrieben, geboren 1914, wichtigstes Pseudonym: Liber, häufige Schreibweise des Familiennamens: Beaufrère) trat 1929 in Saumur der Sozialistischen Jugend bei und verließ die JS im Oktober 1936, um sich den JSR anzuschließen. 1938 wurde er Mitglied des ZK der POI und Geschäftsführer von Révolution, der Zeitung der JSR. Bei den Verhören der Gestapo in Rennes konnten er und seine Lebensgefährtin ihre wahre Identität verbergen. Nach seiner Rückkehr wurde er wieder Leitungsmitglied der PCI, bis er im März 1948 ausgeschlossen wurde, weil er der (pro-gaullistischen) RDR von J.-P. Sartre und D. Rousset beigetreten war. Er arbeitete 33 Jahre lang als Chef vom Dienst der Abteilung Informationen zu sozialen Fragen von Agence France Press. (Angaben nach: J.-M. Brabant und R. Prager, in: Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier français, hrsg. von Jean Maitron, Bd. 18, Paris: les éditions ouvrières, 1982, S. 252/253.)