Nachruf

Der erste dänische Trotzkist – der Deutsche Schorsch

Am 22. Februar 1902 – vor neunzig Jahren – wurde in Halberstadt Georg Jungclas, von Freunden nur Schorsch genannt, geboren. Sechzig Jahre seines Lebens bis zu seinem Tode 1975 arbeitete er für den revo­lutionären Marxismus. Nach dem Krieg baute er die deutsche Sektion der IV. Internationale wieder auf. Doch er ist nicht nur Vater des deutschen Trotzkismus: sein Exil in Dänemark nutzte er, um auch dort in schweren Zeiten RevolutionärInnen zu sammeln. Wir bringen daher zu seinem neunzigsten Geburtstag einen Artikel aus dänischer Sicht, der in der Zeitung Klassekampen zu seinem achtzigsten Geburtstag erschien. (d. Red.)

Kurt Sørensen

Schorsch – ein Name, der jüngeren Revolutionären in Dänemark kaum etwas sagt, der dafür aber bei älteren Dänen, auch wenn sie sich schon länger von der revolutionären Bewegung entfernt haben, Erin­nerungen wachruft. Schorsch, wie sein Vorname ausgesprochen wurde, war Vater des dänischen Trotzkismus. 60 Jahre seines Lebens arbeitete er im Dienst der Revolution.

 

Georg Jungclas

Anfang der 1970er Jahre, Foto: privat

Unermüdlich hielt der Werftarbeiter aus Hamburg – wohin er mit seinen Eltern als Zweijähriger gezogen war – an seiner Arbeit für eine bessere Welt, für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung fest. Trotz unfaßbarer Niederlagen des deutschen Proletariats stand er fest, unerschütterlich in seiner Überzeugung, daß das Proletariat sich wieder erheben wird. Niemals gab er die Hoffnung auf. Er bereitete die Zukunft vor – und er wußte, daß es für dieses Ziel notwendig war, daß das revolutionäre Programm und die revolutionäre Organisation über­lebten. So konnte die Fackel an eine neue Generation weitergegeben werden.


„Wertloser Sklave“


Viele wurden unter der Naziherrschaft 1933-45 ermordet. Andere verzweifelten unter dem Eindruck der Niederlage des deutschen Proletariats. Nicht so Schorsch. Auch nicht, als er 1945 im Bayreuther Gefängnis auf sein Todesurteil wartete. Auf seinen Begleitpapieren stand: „Unverbesserlicher Kommunist – wertloser Sklave – in Ketten – bei Fluchtversuch erschießen“.

Einen Teil des Weges nach Bayreuth wurde er in einem Lastkahn verfrachtet mit einer Menge anderer Gefangener. Die Tour war eine wahre Hölle. Trotzdem berichtete ein Mitgefangener: „Mein Kojen­nachbar zur Rechten heißt `Schorsch' und ist ein trotziger Anti-Militarist und Menschenfreund ... Schorsch ist ein strenger Lehrer des internationalen Marxismus ... Schorsch hat schon einen jungen Halb­polen in seinem Schulungsnetz gefangen und paukt ihm den dialekti­schen Materialismus ein.“

So war Schorsch. Niemals ließ er sich eine Gelegenheit entgehen, um auszubilden, zu organisieren, zu rekrutieren. Nach dem Krieg brachte er mehrere Jahre damit zu, systematisch Leute in ganz Deutschland zu besuchen. 500 km Reise nur mit der Hoffnung, einen bestimmten Genossen zu finden, mit der Hoffnung, ihn in die Arbeit einzubeziehen, die mit dem Wiederaufbau einer revolutionären Orga­nisation bevorstand. Ein ums andere Mal nur um festzustellen, daß wieder ein Genosse aus der Vorkriegszeit demoralisiert, gebrochen war.


Berufsrevolutionär


Schorsch war – in des Wortes bester Bedeutung – ein Berufsrevo­lutionär nahezu sein gesamtes erwachsenes Leben. 1915 organisierte er sich – in der proletarischen Freidenker-Jugend, einer sozialistischen Jugendbewegung. 1919 ging er zur KPD.

Auf der großen Schiffswerft Blohm&Voss in Hamburg konnte er bis 1921 arbeiten. Im Zuge der abenteuerlichen Offensivtaktik der KPD [„Märzaktion“ 1921] wurde die Werft von KPD-Werftarbeitern besetzt und Aktivisten auf das Betriebsgelände geschmuggelt. Schorsch war mit dabei, die rote Fahne über der Werft zu hissen. Danach säuberten die Behörden gründlich aus.

Schorsch wurde dann herumreisender Lehrer für die KPD, kam zurück nach Hamburg und trat in deren Militärapparat ein; er beteiligte sich am gescheiterten bewaffneten Aufstand 1923 [„Hamburger Aufstand"]. Danach arbeitete er in verschiedenen Teilen der KPD, bis er 1928 zusammen mit vielen anderen wegen "Trotzkismus" ausgeschlossen wurde.

Danach war er beim Aufbau der Linken Oppo­sition im im Kampf für eine Einheitsfrontpolitik der KPD gegen die Nazigefahr beteiligt. Eine andere wichtige Aufgabe war es, das Blatt der internatio­nalen Linken Opposition in die Sowjetunion zu schmuggeln. Die „Hamburger Koryphäe“ nannte Trotzki Schorsch, wegen seiner Zeitungstransporte aus dem Hambur­ger Hafen mit revolutionären Seeleuten, die in die Sowjetunion fuhren.

Das erste Mal in Kopenhagen war Schorsch 1932, um sich an der Organisierung einer Reihe von Treffen in Verbindung mit Trotzkis Besuch zu beteiligen. Trotzki war von sozialdemokratischen Studen­ten zu einer Rede eingeladen worden.

1933 wurde Hitler Reichskanzler in Deutschland. Einige Revolu­tionäre emigrierten, andere stellten sich auf illegale Arbeit um. 1935–36 gelang es der Gestapo, nahezu alle trotzkistischen Widerstands­gruppen zu zerschlagen. Seit 1940 gab es deutsche Trotzkisten prak­tisch nur noch im Ausland. Sehr wenige, etwa 70, verstreut über die ganze Welt.


In Dänemark


Einer von ihnen war Schorsch. Die Organisation hatte 1933 beschlossen, daß er sich in Kopenhagen niederlassen solle. Über die Kontakte nach Deutschland und die Arbeit unter deutschen Emigran­ten hinaus begann er erstmals mit dem Aufbau einer trotzkistischen Gruppe. Er besuchte alle Menschen, von denen er hörte, daß sie Opposition sowohl gegen Stalinisten als auch gegen Sozialdemokra­ten geäußert hatten.

Als Dänemark [1940] besetzt wurde, verschwanden viele deut­sche Emigranten nach Schweden. Nicht so Schorsch. Er ging in den Untergrund und trieb vom ersten Tag an die Organisierung der Widerstandsarbeit voran, sowohl mit Flugblättern und Zeitungen als auch mit Waffen und Transporten von Juden nach Schweden. Das ging so bis August 1944, als er zusammen mit vielen anderen von der Gestapo gefaßt wurde.

Er ist der einzige Trotzkist, der von der dänischen Regierung geehrt wurde. Dies geschah 1946 für seinen Einsatz in der Widerstand­sarbeit.

Nichtsdestotrotz sollte er in den 50-er Jahren eine umfassende und geschmacklose Hetze der westdeutschen Stalinisten erleben. In einer Kampagne wurde er der Zusammenarbeit mit den Nazis beschuldigt. Gegen diese Hetze traten eine ganze Reihe von Menschen auf, die aktiv in der Widerstandsarbeit in Dänemark gewesen waren, u.a. der später Vorsitzende der Facharbeitergewerkschaft, Knud Ellegaard.

Von 1946 bis 1967 war Schorsch Sekretär der deutschen Sektion der IV. Internationale, einer Sektion, die er fast allein aus den Trümmern wieder aufgebaut hatte. Viele Jahre lang lebte er von fast gar nichts. Er bekam nur eine kleine Rente vom westdeutschen Staat. Nicht die große Rente, die die bekamen, die 1945 freiwillig aus dem Ausland zurückgekehrt waren. Denn er war ja, wie es ausgedrückt wurde, eben nicht freiwillig zurück­gekehrt. Nein, er war von der Gestapo gebracht worden.


Waffenfabrikant


1954 begann die FLN den bewaffneten Kampf, um Frankreich aus Algerien hinauszuwerfen. In der Unterstützung der algerischen Revo­lution war Schorsch eine Schlüsselperson, was auch die französische Terrororganisation „Rote Hand“ wußte. Sie versuchten verschiedene Attentate gegen ihn – ohne Erfolg.

      
Mehr dazu
Leben eines Revolutionärs, was tun (18.9.1975)
Pierre Frank: Georg Jungclas 1902-1975, Inprekorr Nr. 42 (2. Oktober 1975)
Georg Jungclas 70 Jahre, was tun (Februar 1972)
 

Der FLN fehlten nicht die Menschen, sondern Waffen. Schorsch stand für den Aufbau einer Waffenfabrik in Marokko an der Grenze zu Algerien. Außer FLN-Mitgliedern waren dort auch ständig 15-20 Genossen der IV. Internationale beschäftigt. Mehrere Jahre lang, vor allem zwischen 1960 und dem Sieg der FLN 1962, war Schorsch ununterbrochen auf Reisen zwischen Nordafrika und Europa, um die Arbeit in Marokko zu leiten und um die Produktion von Einzelteilen für die Waffen in Europa zu organisieren. Ein Großteil wurde in Dänemark hergestellt.

Aus Gesundheitsgründen trat er 1967 als Sekretär der deutschen Sektion zurück. Aber er war immer noch in der Leitung, schulte neue Mitglieder, schrieb Artikel, Dokumente, Flugblätter. In der Leitung der IV. Internationale blieb er bis zum 10. Weltkongreß 1974.

Schorsch war im November 1972 zum letzten Mal in Kopenhagen, wo er auf einem internationalen Seminar aus Anlaß des vierzigsten Jahrestags der Kopenhagener Rede Trotzkis sprach.

Schorsch schrieb, trotz unzähliger Aufforderungen, nie seine Erinnerungen. „Ich bin unwichtig“, sagte er – mit einer Mischung aus Bescheidenheit und Humor, die ihn immer prägte, selbst in den schwierigsten Augenblicken.

Wenn das so ist, brauchen wir noch viele solche „unwichtigen“ Menschen. Menschen, die wie Schorsch niemals das historische Ziel aus den Augen verlieren. Trotz unfaßbarer Schwierigkeiten stand er fest auf dem revolutionären Programm und setzte sich ein für eine revolutionäre Partei und eine revolutionäre Internationale.

Es ist das Verdienst von Menschen wie Schorsch, daß eine revolutionäre Internationale heute lebt und wächst mit einem revolu­tionären sozialistischen Programm für immer umfassendere Kämpfe, die Arbeiter und Bauern überall in der Welt führen für eine Gesell­schaft und Unterdrückung.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 245 (März 1992). | Startseite | Impressum | Datenschutz