Unser Genosse Georg Jungclas, Mitglied des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale vorn Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum 10. Weltkongreß, dann in der Internationalen Kontrollkommission, starb am 11. September in Köln. Die gesamte Vierte Internationale trauert um diesen Verlust und teilt den Schmerz mit Leni, seiner Lebensgefährtin.
Pierre Frank
In Georg ist die schicksalsreiche Geschichte der revolutionären Vorhut des deutschen Proletariats in den letzten sechzig Jahren verkörpert. Geboren wurde Georg in einer, von den sozialdemokratischen Ideen überzeugte Familie, die sich gegenüber der Politik der SPD während des Ersten Weltkrieges ablehnend verhielt. Im Alter von 14 Jahren trat er in die Sozialdemokratische Jugend in Altona (Hamburg) ein, die einen Kampf gegen den imperialistischen Krieg und gegen den Verrat der Sozialdemokratie führte. In dieser Zeit arbeitete er in illegalen Zellen und schloß sich dann dem – von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründeten – Spartakusbund an. Er nahm an allen revolutionären Kämpfen teil, die damals Deutschland erschütterten, insbesondere beteiligte er sich aktiv am Hamburger Aufstand vom Oktober 1923, Wegen seiner revolutionären Aktivitäten war er gezwungen, während der Jahre 1921-22 und erneut 1924-26 in die Illegalität zu gehen.
Georg Jungclas Anfang der 1970er Jahre, Foto: privat |
Bis 1933 lebte Georg meistens in Hamburg. Als Mitglied der KPD unterstützte er den linken Flügel, der von Maslow, Ruth Fischer und Urbahns geführt wurde. Nachdem er 1928 aus der KPD ausgeschlossen worden war, ging er zum Leninbund, der von Urbahns gegründet worden war. Dort verteidigte er die Positionen von Leo Trotzki. Als 1930 die deutsche Linke Opposition, die in enger Verbindung mit der Internationalen Linken Opposition stand, gegründet wurde, war er ebenfalls aktiv dabei. Er war anwesend bei dem internationalen Treffen in Kopenhagen, das abgehalten wurde, als Trotzki diese Stadt im November 1932 besuchte.
Nachdem Hitler an die Macht gekommen war, lebte Georg einige Monate im Untergrund, um dann nach Dänemark zu emigrieren. Seine Hauptaktivität dort bestand darin, deutsche Emigranten und dänische Revolutionäre für den Trotzkismus zu gewinnen. Er stand damit Pate bei den Anfängen der dänischen Sektion der Vierten Internationale. Ein weiteres Mal traf er Trotzki 1936 in Hønefoss, Norwegen.
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Nach der Besetzung Dänemarks durch die Nazi-Truppen blieb Georg im Lande und arbeitete im Untergrund; besonders setzte er sich für die Rettung dänischer Juden ein; nach dem, Krieg wurden seine Verdienste offiziell anerkannt. Im Mai 1944 wurde er verhaftet und zunächst nach Hamburg, dann nach Berlin und schließlich nach Bayreuth überführt. Auf dem Gefängniswagen, in dem er mit anderen zusammen transportiert wurde, stand zu lesen: „Kommunisten, heruntergekommene Hunde – Bei Flucht sofort erschießen!“ Nur durch den Zusammenbruch des Naziregimes konnte Georg dem Tod entkommen. Obwohl „befreit“ von den Amerikanern, wurde er noch bis 1946 von tschechischen Kommunisten festgehalten, denen man die Verwaltung des Gefängnisses übergeben hatte.
Gleich nachdem Georg aus dem Gefängnis entlassen worden war, nahm er Kontakt mit der Internationale auf, d. h. mit einer Führung, die im selben Jahr auf der internationalen Konferenz von Paris geschaffen worden war. Er vertrat die deutsche Sektion auf dem Weltkongreß der Vierten Internationale 1948. Von da an arbeitete er aktiv in der Führung der Internationale und der deutschen Sektion.
1946 war Georg wirklich der einzige Genosse, der den Nazi-Terror und die Jahre des Exils nicht nur physisch, sondern vor allem politische überstanden hatte. Deutschland war ein einziges Trümmerfeld. Aber während die wirtschaftliche Rekonstruktion mit ungeheurer Macht einsetzte, entwickelte sich die politische Rekonstruktion der Arbeiterklasse, und insbesondere der revolutionären Vorhut so langsam, daß man sagen kann, daß selbst heute erst die ersten Schritte in diese Richtung gemacht worden sind. Georg widmete seine ganze Kraft der schwierigen und undankbaren Aufgabe, die trotzkistische Organisation in Deutschland wieder aufzubauen. Jahrelang reiste er durch Deutschland, um die Genossen einzeln aufzusuchen, arbeite die Politik der deutschen Sektion aus und beteiligte sich an der Diskussion und Entscheidung über internationale Fragen, sicherte die Herausgabe der Schriften Trotzkis und arbeitete an Zeitschriften mit, in denen er die Positionen der Vierten Internationalen vertreten konnte.
Das war eine Arbeit, bei der er gegen die schwierigsten Widrigkeiten ankämpfen mußte. Trotz dieser schlechten Bedingungen zog der revolutionäre Marxismus Leute an, die bereit waren, den Sturz des kapitalistischen Systems vorzubereiten; aber die sterile politische Atmosphäre in Deutschland zu jener Zeit bewirkte, daß viele, die damals für den revolutionären Marxismus gewonnen werden konnten, wieder abfielen.
Gerade in dieser Periode – die nicht so tragisch wie die nach dem Krieg war, aber trotzdem keinen fruchtbaren Boden für die Ideen des revolutionären Marxismus abgab – stellte Georg seine größte Stärke und Zähigkeit unter Beweis; er verzweifelte nie. Es gelang ihm, auch die geringsten Möglichkeiten, die sich auftaten auszunutzen. So war er einer der ersten, die versuchten, die ausländischen Arbeiter in Deutschland zu organisieren und die deutsche Arbeiterbewegung auf diese Aufgabe zu orientieren. Letztlich leistete er einen hervorragenden Beitrag zur Unterstützung der algerischen Revolution. Sein Haus diente als politisches und organisatorisches Zentrum für diese Arbeit. Besonders zu erwähnen ist, daß er aktiv an dem Projekt der Vierten Internationale mitarbeitete, in Marokko eine Waffenfabrik für die FNL aufzubauen.
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Georg führte diese mühsamen und schwierigen Aufgaben – von denen in dieser kurzen und abrisshaften Aufzählung nur ein schwacher Eindruck vermittelt werden kann – mit viel Bescheidenheit und Humor aus, selbst in den scheinbar hoffnungslosen Situationen.
Während der letzten Jahre, als seine Kräfte aufgrund des Alters und aus gesundheitlichen Gründen zurückgingen, konnte Georg mit Freuden sehen, wie junge Kräfte – selbst in Deutschland – entstanden, die der Vierten Internationale zu einem nie dagewesenen Wachstum und Auftrieb verhalfen. In seinen Augen war dies eine Bestätigung für die Jahre des Kampfes und für seine unerschütterliche Überzeugung in die sozialistische Weltrevolution, die er seit seinen Jugendjahren nie aufgegeben hatte. 1971 nahm er am Kongreß für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa teil, wo der Durchbruch der Vierten Internationale zum ersten Mal demonstriert wurde.
Georg war in der Lage, der Gründung der Gruppe Internationale Marxisten (GIM), deutsche Sektion der Vierten Internationale beizuwohnen, deren Kräfte – obgleich immer noch gering – stärker sind als je zuvor. Er konnte von sich sagen, daß er diese Sektion aufgebaut hat und daß sie weiterleben und sich entwickeln wird, auch dann, wenn er gegangen ist.
Ich möchte dieser kurzen biographischen Skizze einige persönliche Bemerkungen hinzufügen, Ich traf Georg zum ersten Mal vor ungefähr 45 Jahren in Berlin; wir sahen uns wieder 1932 in Kopenhagen und erneut in Paris, während der Jahre seines Exils. Nach dem Krieg vor allem, verband uns eine enge Freundschaft. Ich glaube ich kann sagen, daß wir die ältesten Freunde in der Internationale waren. Zum letzten Mal sah ich Georg vor einigen Monaten, als ich ihn im Krankenhaus besuchte. Er freute sich herzlich über den Sieg der indochinesischen Völker und war, wie immer begierig, zu hören was die augenblicklichen Aktivitäten der Vierten Internationale sind. Georgs Leben war das Leben eines revolutionären Kämpfers. Und in dem Kampf, den die Vierte Internationale führt, wird Georg weiterleben.
12. September 1975 |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 42 (2. Oktober 1975). | Startseite | Impressum | Datenschutz